MATHEMATISCHE VORLESUNGEN AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN: V
DIE IDEE
DER (lE^ilANNSCHEJ^ FLÄCHE
VON
Dr. HERMANN WEYL
PKIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN
MIT 27 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN FIGUREN
LEIPZIG UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER
1913
-•^
Oft
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBEESETZUNGSEECHTS, VOEBEHALTEN.
HERRN GEHEIMEN REGIERUNGSRAT PROFESSOR DR.
FELIX KLEIN
IN DANKBARKEIT UND VEREHRUNG GEWIDMET
Vorwort und Eiiileituug.
Die vorlieg-ende Schrift gibt den Hauptinhalt einer von mir im
Wintersemester 1911/12 an der Universität Göttingen gehaltenen Vor-
lesung wieder, deren wesentliche Absicht war: die Grundideen der Rie-
mannschen Funktionentheorie in einer Form zu entwickeln, die allen
modernen Anforderungen an Strenge völlig genüge leistet. Eine solche
strenge Darstellung, die namentlich auch bei Begründung der fundamen-
talen, in die Funktionentheorie hineinspielenden Begriffe und Sätze der
Analysis sitvs sich nicht auf anschauliche Plausibilität beruft, sondern
mengentheoretisch exakte Beweise gibt, liegt bis jetzt nicht vor. Die
wissenschaftliche Arbeit, die hier zu erledigen blieb, mag vielleicht als
Leistung nicht sonderlich hoch bewertet werden. Immerhin glaube ich
behaupten zu können, daß ich mit Ernst und Gewissenhaftigkeit nach
den einfachsten und Sachgemäßesten Methoden gesucht habe, die zu dem
vorgegebenen Ziele führen; und an manchen Stellen habe ich dabei andere
Wege einschlagen müssen als diejenigen, die in der Literatur seit dem
Erscheinen von C. Neumanns klassischem Buche über „Riemanns Theorie
der Abelschen Litegrale" (1865) traditionell geworden sind. In viel
höherem Maße, als aus den Zitaten hervorgeht, bin ich dabei durch die
in den letzten Jahren erschienenen grundlegenden topologischen Unter-
suchungen Brouwers, deren gedankliche Schärfe und Konzentration man
bewundem muß, gefördert worden; und im stillen hoffe ich, daß etwas
von dem Geist, der die Arbeiten dieses Forschers beseelt, auch in diesem
meinem Buche lebendig geworden ist.
Es war früher üblich und ist, soviel ich sehe, bis jetzt in allen Dar-
stellungen der Theorie der Riemannschen Flächen üblich geblieben,
die Vorstellung der Kurve, wie sie in unserer sinnlichen Anschauung
gegeben vorzuliegen scheint, ohne begriffliche Fixierung herüberzunehmen
und von denjenigen Eigenschaften, welche sich uns an dieser Vorstellung
mit einer Art anschaulicher Evidenz aufdrängen (z. B. von dem Satz, daß
eine Kurve zwei Ufer hat) einen naiven Gebrauch zu machen. Die „an-
schauliche Evidenz" enthebt uns aber, daran kann heute kein Zweifel
mehr sein, keineswegs der Notwendigkeit, für eben diese Wahrheiten Be-
weise zu erbringen, die letzten Endes auf die Axiome der Arithmetik ge-
stützt sind; zum mindesten werden solche Beweise nötig, sobald jene
fließenden Anschauungen sich (wie es das Verfahren der Mathematik als
exakter Wissenschaft mit sich bringt) zu allgemeinen abstrakten Be-
griffen ausgeweitet haben und in ihnen gleichsam erstarrt sind. Ist es
doch sicher, daß der mathematische Allgemeinbegriff der „stetigen Kurve"
vieles deckt, wozu wir Korrespondierendes in unserer Anschauung nicht
VI Vorwort und Einleitung
vorfinden. Und eine strenge meng-entheoretische Fundierung der für die
Riemaunsche Funktionentheorie in Frage kommenden topologischen Be-
griffe und Theoreme ist um so mehr erforderlich, als die „Punkte", aus
denen hier die Grundgehilde (die Kurven und Flächen) bestehen, keine
Raumpunkte im gewöhnlichen Sinne sind, sondern beliebige mathema-
tische Dinge anderer Art (z. B. Funktionseiemeute) sein können. — Den
Schwierigkeiten, welche der allgemeine Begriff' der Kurve mit sich bringt,
aber durch Spezialisation aus dem Wege zu gehen, indem man sich auf
stetig differentiierbare oder auf analytische Kurven oder gar auf Polygone
beschränkt, ist ein innerhalb der Analysis situs gewiß unzulässiges Ver-
fahren; denn diese Disziplin verlangt einen Kurvenbegriff, der sich gegen-
über beliebigen umkehrbar eindeutigen stetigen Punkttransformationen
invariant verhält.
Es kann nicht geleugnet werden: die Entdeckung der sich weit über
alle unsere Vorstellungen hinausspannenden Allgemeinheit solcher Be-
griffe wie „Funktion", „Kurve", usw. auf der einen Seite, das Bedürfnis
nach logischer Strenge auf der anderen, so ersprießlich, ja notwendig
sie für unsere Wissenschaft waren, haben in der Entwicklung der Mathe-
matik von heute doch auch ungesunde Erscheinungen hervorgerufen.
Ein Teil derjenigen mathematischen Produktion, die sich müht, diesen
Begriff'en bis in ihre letzten Feinheiten und — Verzerrungen nachzu-
gehen oder sie in ihren weitesten Umrissen zu erfassen trachtet, hat,
sich im Leeren verflüchtigend oder in Seitengängen versickernd, den Zu-
sammenhang mit dem lebendigen Strom der Wissenschaft verloren. Auch
die Idee der Riemannschen Fläche erheischt, wenn wir den rigorosen
Forderungen der Moderne in bezug auf Exaktheit gerecht werden wollen,
zu ihrer Darstellung eine Fülle von abstrakten und subtilen Begriffen
und Überlegungen. Aber es gilt nur den Blick ein wenig zu schärfen,
um zu erkennen, daß hier dieses ganze vielmaschige logische Gespiimst
(in dem sich der Anfänger vielleicht verheddern wird) nicht das ist, wor-
auf es im Grunde ankommt: es ist nur das Nets, mit dem wir die eigent-
liche Idee, die ihrem Wesen nach einfach und groß und göttlich ist, aus
dem Td;rog üroTtos, wie Plato sagt, — gleich einer Perle aus dem Meere
— an die Oberfläche unserer Verstandeswelt heraufholen. Den Kern aber,
den dieses Knüpfwerk von feinen und peinlichen Begriffen umhüllt, zu
erfassen, — das, was das Leben, den wahren Gehalt, den inneren Wert der
Theorie ausmacht — dazu kann ein Buch (und kann selbst ein Lehrer) nur
dürftige Fingerzeige geben; hier muß jeder einzelne von neuem für sich
um das Verständnis ringen.
Man begegnet noch hie und da der Auffassung, als ob die Biemann-
sche Fläclie nichts weiter sei als ein „Bild", als ein (man gibt zu: sehr
wertvolles, seJir suggestives) Mittel zur Vergegenwärtigung und Veran-
schaulichung der Vieldeutigkeit von Funktionen. Diese Auffassung ist
von Grund aus verkehrt. Die Riemaunsche Fläche ist ein unentbehrlicher
sachlicher Bestandteil der Theorie, sie ist geradezu deren Fundament. Sie
ist auch nicht etwas, was a posteriori mehr oder minder künstlich aus
den analytischen Funktionen herausdestilliert wird, sondern muß durch-
Vorwort und Einleitung VE
aus als das prius betrachtet werden, als der Mutterboden, auf dem die
Funktionen allererst wachsen und g-edeihen können. Es ist freilich zu-
zugeben, daß Riemann selbst dies wahre Verhältnis der Funktionen zur
Riemannschen Fläche durch die Form seiner Darstellung etwas verschleiert
hat — vielleicht nur, weil er seinen Zeitgenossen allzu fremdartige Vor-
stellungen nicht zumuten wollte; dies Verhältnis auch dadurch verschleiert
hat, daß er nur von jenen mehrblättrigen, mit einzelnen Windungspunkten
über der Ebene sich ausbreitenden Uberlagerungsflächen spricht, an welche
man noch heute in erster Linie denkt, wenn von Riemannschen Flächen
die Rede ist, und sich nicht der (erst später von Klein zu durchsichtiger
Klarheit entwickelten) allgemeineren Vorstellung bediente, als deren Cha-
rakteristikum man dieses nennen kann: daß in ihr die Beziehung zu der
Ebene einer unabhängigen komplexen Veränderlichen, sowie überhaupt die
Beziehung zum dreidimensionalen Punktraum grundsätzlich gelöst ist. Und
doch ist darüber kein Zweifel möglich, daß erst in der Kleinschen Auf-
fassung die Grundgedanken Riemanns in ihrer natürlichen Einfachheit,
ihrer lebendigen und durchschlagenden Kraft voll zur Geltung kommen.
Auf dieser Überzeugung basiert die vorliegende Schrift.
Im einzelnen gliedert sich ihr Inhalt in folgender Weise. Im 1. Kapitel
handelt es sich um dreierlei:
1. eine genaue Auseinandersetzung des Verhältnisses der Weierstraß-
schen Begriffe „analytische Fimltion" und „analytisches Gebilde^' zu der
Idee der Riemannschen Fläche (§§ 1 — 7);
2. eine strenge Fixierung des Begriffes der Fläche überhaupt und
insbesondere der RiemannscJien Fläche (§§ 4 — 7);
3. eine exakte Begründung derjenigen Analysis-situs-Sätze, die zum
Aufbau der Riemannschen Funktionentheorie unbedingt von Nöten sind
(§§8 — 11). In diesen topologischen Betrachtungen spielt der für die
Üniformisierungstheorie so wichtige Begriff der Überlageriingsfläche eine
weit größere Rolle (und, wie ich glaube, mit Recht), als ihm sonst zu-
gewiesen wird.
Den Gegenstand von Kapitel II bildet vor allem das Grundproblem
der Riemannschen Funktionentheorie: zu einer vorgegebenen Riemann-
schen Fläche die zugehörigen Funktionen zu finden, insbesondere für den
Fall der geschlossenen Riemannschen Fläche. Die Existenzbeweise werden
hier auf dem von Riemann selbst in Aussicht genommenen Wege mit
Hilfe des sog. Dirichletschen Prinzips erbracht (§§ 12 — 15). Die Gang-
barkeit dieses W^eges hat bekanntlich Hilbert gezeigt, indem er das
früher für evident gehaltene, aber dann von W^eierstraß angefochtene Dirich-
letsche Minimalprinzip durch einen zuverlässigen Beweis stützte. Durch
Berücksichtigung der an Hilbert anknüpfenden Arbeiten anderer Autoren
und einen bisher unveröffentlichten, vom Verfasser herrührenden, gegen-
über Riemann und Hilbert wesentlich vereinfachten Ansatz ist es ge-
lungen, dieser Beweisführung eine so durchsichtige Gestalt zu verleihen,
daß sie auch hinsichtlicli ihrer Einfachheit der bisher allein in Lehr-
büchern zur Darstellung gekommenen, von Schwarz und C. Neumann
ersonnenen Methode des alternierenden Verfahrens ebenbürtig, wenn nicht
VHr Vorwort und Einleitung
überleg-en ist. Ihre große Tragweite bewährt sie dadurch, daß sie
ohne Modifikation auf ungeschlossene Riemannsche Flächen übertragen
werden kann; ein Umstand, welcher vor allem der Uniformisierungs-
theorie zu gute kommt. Die §§ 16 — 18 bringen dann einen Abriß der
an die Existenztheoreme sich anschließenden systematischen Theorie
der Funktionen auf einer geschlossenen Biemannschen Fläche, geben aber
nur so viel von dieser Theorie, als nötig ist, um die funktionentheore-
tische Fruchtbarkeit der Riemannschen Grundidee deutlich zu machen
und die beherrschende Rolle aufzuzeigen, welche die der Analysis situs
entstammende Geschlechtszahl im Reiche der Funktionen spielt. Ich habe
dabei, entgegen dem Brauch, an der aus dem Beweis der Existenzsätze
ursprünglich sich ergebenden Normierung der Abelschen Integrale fest-
gehalten, bei der Real- und Imaginärteil voneinander getrennt werden
müssen, da diese Normierung den Vorteil hat, von jeder Zerschneidung
der Riemannschen Fläche unabhängig zu sein. Die letzten Abschnitte end-
lich (§§ 19 — 21) sind der von Klein und Poincare in kühnem Riß ent-
worfenen, von Koebe in jüngster Zeit auf ein breites Fundament gestellten
Theorie der Uniform isierung gewidmet. Wir betreten damit den Tempel,
in welchem die Gottheit (wenn ich dieses Bildes mich bedienen darf) aus
der irdischen Haft ihrer Einzel Verwirklichungen sich selber zurückgegeben
wird: in dem Symbol des zweidimensionalen Nicht-Euldidi sehen Kristalls
wird das Urbild der Riemannschen Flächen selbst, (soweit dies möglich
ist) rein und befreit von allen Verdunklungen und Zufälligkeiten, erschau-
bar. Es war darum klar, daß die entscheidenden Resultate der Unifonni-
sierungstheorie mit in dieses Buch hineingehörten.
Bei der Herstellung des Manuskripts ist mir eine für das hiesige
mathematische Lesezimmer von Herrn Frankfurther angefertigte Ausar-
beitung meiner Vorlesung von großem Nutzen gewesen; für seine sorg-
faltige und hingebende Arbeit möchte ich auch an dieser Stelle Herrn
Frankfurther meinen aufrichtigsten Dank aussprechen. Jene Vorlesung
enthielt außer dem hier Reproduzierten noch einen Abriß der Theorie
der elliptischen Funktionen, verbreitete sich mit größerer Vollständigkeit
über die algebraischen Funktionen und brachte die Riemann-Weierstraß-
sche Lösung des Jacobischen Umkehrproblems mit Hilfe der -O'-Reihen.
Diese Dinge habe ich jetzt, da ihnen für die Idee der Riemannschen Fläche
kaum eine grundsätzliche Wichtigkeit zukommt, bei Seite gelassen. Nicht
ganz leichten Herzens habe ich ferner darauf verzichtet, von dem Riemann-
schen funktionentheoretischen Standpunkt aus die Brücke zu der kurven-
theoretischen Auffassung von Clebsch, Brill und Noether hinüber
zu schlagen; aber es ist, namentlich durch die Zitate, dafür gesorgt, dem
Leser nach verschiedenen Richtungen hin den Zugang zu derjenigen Lite-
ratur zu öffnen, in welcher er hierüber und über manche andere Weiter-
bildungen der Riemannschen Theorie Auskunft findet. Die Zitate ent-
halten zugleich, freilich unvollständig und in schwachen Umrissen, eine
Geschichte der leitenden Ideen, welche diesen wichtigsten Teil der Funk-
tionentheorie beherrschen.
Man wird vielleicht finden, daß ich mit der Neuprägung von Worten
Vorwort und Einleitung IX
allzu verschwenderisch umgegang-en bin. Gegen den Grundsatz indes,
daß an einer bereits eingebürgerten Terminologie nicht gerüttelt werden
darf, glaube ich nirgends verstoßen zu haben. Darüber hinaus aber meine
ich, hat jeder Autor das Recht nicht nur, sondern die Pflicht — wenn
anders sein Buch überhaupt inneren Gehalt genug besitzt, um als Ganzes
etwas zu bedeuten — dem darzubietenden Stoff die eigenbestimmte For-
mung, den passenden und adäquaten Ausdruck zu geben. Mag daraus
vielleicht auch für denjenigen, der sich rasch über den Inhalt einzelner
Abschnitte orientieren oder ihn mit dem Gedankengang anderer Werke
vergleichen A\ill, einige Unbequemlichkeit resultieren. Dadurch, daß die
Begriffsnamen an der Stelle ihrer Einführung durch fetten Druck hervor-
gehoben sind, und durch ein auf den letzten Seiten des Buches befind-
liches eingehendes Sachregister wird jedoch, \vie ich hoffe, auch für Über-
sichtlichkeit hinreichend Sorge getragen sein.
An saclüichen Vorl'enntnissen brauche ich nicht viel vorauszusetzen:
gewiß nicht mehr, als z. B. der erste Band des bekannten Osgoodschen
Lehrbuches der Funktionentheorie (2. Aufl., Leipzig bei B. G. Teubner,
1912) enthält; ich nehme an, daß dem Leser die einfachsten Beispiele
mehrblättriger Riemannscher Flächen und die Symbolik der Gruppen-
theorie geläufig sind. Wohl aber erfordert die Lektüre, wie ich glaube,
ein nicht unerhebliches Maß abstrakt-mathematischer Schulung; man muß
sich darauf verstehen, über den scheinbar komplizierten BegriÖsbildungen
und Gedankengängen niemals die innerlich einfachen Grundgedanken, um
die das Ganze zentriert ist, aus dem Auge zu verlieren.
Die wichtigsten dieser Grundgedanken, soweit sie nicht unmittelbar
den Schöpfungen Riemanns entstammen, rühren von dem Manne her, dem
ich dies Buch in aufrichtiger und inniger Verehrung habe widmen dürfen.
Herr Geheimrat Klein hat es sich, trotz Überlastung mit anderen Ar-
beiten und trotz seines angegriffenen Gesundheitszustandes, nicht nehmen
lassen, den ganzen Stoff mit mir in öfteren mündlichen L'nterhaltungen
durchzusprechen; für seine Bemerkungen, die mich an mehreren Stellen
veranlaßt haben, meine ursprüngliche Darstellung durch eine richtigere
und sachgemäßere zu ersetzen, bin ich ihm zu größtem Danke verpflichtet.
Für Verbesserungsvorsehläge mannigfacher Art und Mithilfe bei der Kor-
rektur habe ich ferner meinen Freunden, den Herren Koebe, Groß, Bieber-
bach und Weitzenböck herzlichst zu danken. Wie ^del von dem, was ich
im folgenden etwa an Neuem zu bieten habe, auf frühere Gespräche mit
Koebe zurückgeht, vermag ich heute nicht mehr zu bestimmen. Von
Herrn Dr. Groß (der mir mit unsäglicher Sorgfalt beim Korrekturlesen
behilflich war) ist überhaupt erst die Anregung dazu ausgegangen, daß
ich meine Vorlesung über Riemannsche Funktionentheorie vom Winter-
Semester 1911/12, an der er als einer meiner Hörer teilnahm, für den
Druck bearbeitete. Mein Dank gilt endlich dem Verlage von B. G. Teubner
für die wohlbekannte Sorgfalt, die er dem so zustande gekommenen Buche
in Satz und Ausstattung hat zuteil werden lassen.
Göttinnen, April 1913. -,r i«t i
^ ' ^ Hermann Weyl.
Inhaltsverzeichnis.
Erstes Kapitel.
Begriff uud Topologie der Kiemannsclien Flächen. seite
§ 1. Weierstraß" Begrifif der analytischen Funktion 1
§ 2. BegriiF des analytischen Gebildes 5
§ 3. Verhältnis der Begriffe „analytische Funktion- und „analytisches Ge-
bilde" zueinander 12
§ 4. Begriff der Fläche 16
§ 5. Beispiele von Flächen 25
§ 6. Analytische Gebilde, als Flächen betrachtet 30
§ 7. Begriff der Riemannschen Fläche 34
§ 8. Schlichtartige Flächen 43
§ 9. Überlagerungsflächen. Einfach zusammenhängende Flächen. Mono-
dromiesatz und Cauchyscher Integralsatz 47
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen. Der Residuensatz . 56
§ 11. Integralfunktionen. Geschlechtszahl. Kanonische Zerschneidung . 68
Zweites Kapitel.
Fimktioneu auf Riemannschen Flächen.
§ 12. Das Dirichletsche Integral 78
§ 13. Über das Poissonsche Integral 82
§ 14. Ansatz zum Beweis der Existenztheoreme. Aufstellung der Elemen-
tardifferentiale 91
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips 100
§ 16. Zusammenhänge zwischen den Differentialen auf einer geschlossenen
Riemannschen Fläche 108
§ 17. Die eindeutigen Funktionen als Unterklasse der additiven und multi-
plikativen Funktionen. Riemann-Rochscher Satz und Abelsches Theorem 117
§ 18. Der algebraische Funktionenkörper 134
§ 19. Uniformisierung 141
§ 20. Riemannsche Flächen und Nicht-Euklidische Bewegungsgruppen. Fun-
damentalbereiche. Poincaresche 0 -Reihen 148
§ 21. Konforme Abbildung einer Riemannschen Fläche auf sich selbst . . 159
Verzeichnis der Begriffsnamen 166
Berichtigungen und Zusätze 170
Erstes Kapitel.
Begriff und Topologie der Riemannsclien Fläclien.
§ 1. Weierstraß' Begriff der analytischen Funktion.
Ist z eine komplexe Variable und a eine feste komplexe Zahl, so
bezeiclmet man nach Weierstraß als ein Funktloiiselenient mit dem
Mittelpunkt a eine jede nach ganzen positiven Potenzen von z — a
fortschreitende Reihe
(1) '^{z - a) = ^ + A^iz - a) + A^{z - af ^ • ■ ■ ,
welche nicht nur für z = a konvergiert. Im übrigen können die Koef-
fizienten Äq, A^, A2, ... beliebige komplexe Zahlen sein. Der Konvergenz-
bereich einer solchen Potenzreihe besteht entweder aus der ganzen kom-
plexen ^- Ebene oder aus dem Innern eines bestimmten Kreises z — a
<r[r>0], des „Konvergeuzkreises", und einem Teil^) der auf der
Peripherie z — a = r dieses Kreises gelegenen Punkte.
Im Innern ihres Konvergenzkreises (worunter gegebenenfalls auch die
ganze Ebene als Kreis vom Radius >• = oo verstanden werden soll) stellt
ein solches Funktionselement im Cauchyschen Sinne eine reguläre analy-
tische Funktion vor. Umgekehrt ist aus den Elementen der Funktionen-
theorie bekannt, daß sich eine eindeutige regulär-analytische Funktion in
der Umgebung \z — a < r einer Stelle a in eine in dieser Umgebung
konvergente Potenzreihe (1) entwickeln läßt, falls die Umgebung ganz
dem Regularitätsgebiete der analytischen Funktion angehört. Es gelangt
dann allerdings durch die Potenzreihe nur ein kreisförmiges Stück des
ganzen Funktionsfeldes zur Darstellung.
Geht man von der Potenzreihe aus, so muß das Bestreben darauf
gerichtet sein, die Definition der analytischen Funktion, welche zunächst
nur innerhalb des Konvergenzkreises durch die Potenzreihe (1) gegeben
ist, in der Weise über weitere Gebiete der ^--Ebene auszudehnen, daß sie
bei dieser Ausdehnung ihres analytischen Charakters nicht verlustig geht.
Das ]VIittel dazu ist das Weierstraßsche Prinzip der analytischen Fort-
1) Das Wort „Teil-' (einer Menge) ist hier so zu verstehen, daß sowohl
•die ganze Menge als auch die (kein Element enthaltende) „leere Menge" mit
unter diesen Begriff fällt.
Weyl: Die Idee der Eiemannschen Fläche 1
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Setzung.^) Es zeigt sicli, daß der Plan, ein möglichst weites Gebiet der
^-Ebene für die zu definierende analytische Funktion zu erobern, nur auf
eine einzige Weise ausführbar ist. Die Eindeutigkeit der Funktion geht
aber bei dem Prozeß der analytischen Fortsetzung im allgemeinen ver-
loren. Darin darf man nicht etwa einen Mangel erblicken, sondern es ist
ein großer Vorzug, daß auf diese Weise auch die mehrdeutigen analy-
tischen Funktionen einer exakten Behandlung fähig werden.
Ist h ein Wert von z, der dem Innern des Konvergenzkreises z — a\<Cr
angehört, so entsteht durch Umordnen der Reihe (1) nach Potenzen von
^ — h, wie man weiß, eiae neue Potenzreihe
(2) £i{z -h)==B, + B,{z -b) + B,{z - 6)2 + . ..,
die zum mindesten in dem Kreise \z — h <>■— h — a\ konvergiert; ihr
Konvergenzkreis kann aber sehr wohl einen größeren Radius als r -^ 6 — a |
haben. Da auf jeden Fall (1) und (2) in dem ihren beiden Konvergenz-
kreisen gemeinsamen Gebiet ihren Werten nach übereinstimmen, liefert
uns dann (2) eine Ausdehnung der Definition unserer analytischen Funk-
tion über den ursprünglichen Bereich hinaus. Wir wollen sagen, daß
(2) eine iiumittelbare analytische Fortsetzung von (1) ist. Der all-
gemeine Prozeß der (mittelbaren) analytischen Fortsetzung besteht
darin, daß der der unmittelbaren analytischen Fortsetzung nicht bloß ein-
mal, sondern eine beliebige endliche Zahl von Malen hintereinander an-
gewendet wird — in analoger Weise etwa, wie in der projektiven Geo-
metrie die allgemeine projektive Abbildung als Hintereinanderausführung^
einer beliebigen Anzahl unmittelbarer projektiver, d. i. perspektiver Ab-
bildungen erklärt werden kann.
Die analytische Fortsetzung kann längs einer gegebenen Kurve
C vorgenommen werden. Das soll folgendes heißen. Es möge eine von
dem Punkte z = a auslaufende Kurve gegeben sein, d. h. es sei jedem
reellen Wert l im Intervall 0 ^ A ^ 1 ein Punkt Z) der komplexen ^r-Ebene
in stetiger Weise zugeordnet, 1 = 0 insbesondere der Punkt Zq = a, X = 1
ein gewisser Punkt z^ = c. Ferner sei jedem Wert des Parameters X auch,
noch ein Funktionselement ^; mit dem Mittelpunkt z-^_ zugeordnet; ^^
sei das gegebene Funktionselement (1), und es sei außerdem diese Be-
dingung erfüllt: Ist l^ irgend ein A-Wert, c' ein beliebiger ganz im Innern
des Konvergenzkreises von ^^g liegender Teilbogen von C (definiert durch
eine Ungleichung von der Form \X — ■^o I = *5 ^ ^^^^ positive Konstante),
1) Vgl. die in den Mathematischen Werken von Weierstraß, Bd. 1 (1894)
zuerst veröffentlichte, im Jahre 1842 verfaßte Abhandlung über die „Definition
analytischer Funktionen einer Veränderlichen vermittelst algebraischer Differential-
gleichungen", namentlich S. 83 — 84; ferner die ersten Seiten in Riemanns „Theorie
der Abelschen Funktionen" (1857) [Werke, 2. Aufl., S. 88—89]. Encyklopädie II
B 1 (Artikel von Osgood), Nr. 13.
§ 1. Weierstraß' Begriff der analytischen Funktion. 3
so entstehen die Funktiouselemente ^;, welche den dieser Ungleichung-
genügenden A- Werten zugehören, alle durch unmittelbare analytische
Fortsetzung aus ^/q. Dann sagen wir, es sei gelungen, das vorgegebene
Element (1) längs C analytisch fortzusetzen, und nennen ^^ dasjenige
Funktionselement mit dem Mittelpunkt c, welches durch analytische Fort-
setzung längs C aus (1) entsteht. Es geht alsdann umgekehrt durch
analytische Fortsetzung längs der rückwärts durchlaufenen Kurve C aus
^1 das Element ^^ hervor.
Die analytische Fortsetzung längs einer vorgegelenen Kurve eist, iienn
ubeiliaiq)t , nur auf eine Weise möglich. Hätte man nämlich zAvei ver-
schiedene analytische Fortsetzungen
so sei Xq die untere Grenze aller derjenigen A-Werte, für welche die zu-
gehörigen Potenzreihen ^x, ^1 nicht übereinstimmen, ^/q, ^Iq mögen beide
in dem Kreise z — Z),^ Kr^ konvergieren. Man kann dann durch eine Unglei-
chung der Form X — Xq^s einen Bogen Cq auf c abgrenzen, der ganz in
dem um Z/,^ mit dem Radius ir^ beschriebenen Kreise liegt. Die zu den
Punkten dieses Bogens gehörigen ^^;., ^I entstehen durch unmittelbare
analytische Fortsetzung aus '^xq, ^Iq? und da unter den jener Ungleichung
genügenden A- Werten sich solche finden, für die ^ H= ^* ist, muß auch
^/o + ^^0 ^6^^- Daher kann A^ nicht = 0 sein. Ist dann A^ ein Wert
> 0 und > Aq — f, aber < A,,, so entstehen Sßxoj W>o t^urch umnittelbare
analytische Fortsetzung aus '^xi^'Wh- Das ist ein Widerspruch. Damit
ist insbesondere gezeigt, daß das endständige Element ^^ durch das Aus-
gangselement und die Fortsetzungskurve eindeutig bestimmt ist.
Wir haben uns femer zu überlegen, daß man durch endlichmalige
Anwendung unmittelbarer analytischer Fortsetzung — wobei die auftreten-
den Elementmittelpunkte aufeinanderfolgende Punkte der Kurve C sind —
von dem Anfangselement zum Endelement gelangen kann. In der Tat:
hat eines der Funktionselemente ^^ den Konvergenzradius r = c», so trifft
das auch für alle andern, insbesondere für das Ausgangselement, zu, imd
das Endelement entsteht bereits durch einmalige Anwendung der unmittel-
baren analytischen Fortsetzung aus ihm. Andernfalls gehört zu jedem A
ein endlicher Konvergenzradius r^ von ^;. Ist A^ irgendein Wert des
Parameters A, so behaupte ich, wird
sein, solange sich A hinreichend wenig von A^ unterscheidet, und daraus
folgt, daß r^ stetig von A(O^A^l) abhängt. Ist nämlich X^ ('> X^)
ein solcher A- Wert, daß der ganze Kurvenbogen ^; (^^i ^ ''- ^ '^■2} i™ Innern
des um Z;.^ mit dem Radius l r;.^ beschriebenen Kreises liegt, so entsteht
^;.2 aus ^;.i durch unmittelbare analytische Fortsetzung, und es ist also
^2 ^ ^h — I ^/2 — ^h\-
1*
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Da der ganze Bogen z^ (^i ^ ^ ^ ^2) ^^^^ auch in dem Konvergenzkreis
von ^;.2 enthalten ist, gilt auch umgekehrt
r;.i ^ r;.2 - I z-,^ - Zx^ I .
Aus der somit erwiesenen Stetigkeit folgt, daß r-^ ein positives Minimum
r° besitzt. Wählen Avir nun die Werte 0 = Aq < 2^ < Ag < . . . < A^ = 1
so, daß Z)^ — Zi,^ I < r^ bleibt für A^ ^ A ^ A^^^ [^ = 0, 1, . . . w — 1], so
entsteht in der Keihe ^;.q, ^;.^, ^;.„ jedes Fun ktions dement aus dem
vorhergehenden durch unmittelbare analytische Fortsetzung.
Ißt die Fortsetzung des Anfangselementes längs C unmöglich, so gibt
es auf der Kurve einen bestimmten Punkt, den „kritischen Punkt",
an dem das Verfahren notwendig seine Grenze findet. Genauer formuliert:
so
läßt sich der Prozeß der analytischen Fortsetzung längs der Teilkurve
z==z^ (0 ^ A ^ Ap) ausführen, dies hört aber von Aj, = A^ ab auf. Dabei
kann natürlich auch Aq = 1, d. h. erst der Endpunkt von C der kritische
Punkt sein; dagegen ist stets A^ > 0.
Noch ein Satz über analytische Fortsetzung ist von Wichtigkeit.
Hat man zwei Kurven
z = z^ (A), z = z^_ (A),
die von demselben Punkt a { = .^^(0) = ^2(0) 1 ^^ demselben Endpunkt
c führen und dabei immer in hinreichender Nähe voneinander bleiben, so
läßt sich die analytische Fortsetzung, falls sie sich längs der ersten Kurve
vollziehen läßt, auch längs der zweiten ausführen und liefert das gleiche
Endelement. Die Bedingung, daß die Kurven in hinreichender Nähe von-
einander bleiben sollen, besagt: es gibt eine positive Zahl (5 derart, daß,
weim für alle A die Ungleichung ^^(A) — ^'oiA) ] < d erfüllt ist, die Be-
hauptung unseres Satzes zutrifft. Der BeAveis ergibt sich ohne weiteres
daraus, daß man das endständige Element durch endlichmalige Anwen-
dung des Prozesses der unmittelbaren analytischen Fortsetzung aus dem
Anfangs dement gewinnen kann.
Nunmehr sind wir imstande, die allgemeine Weierstraßsche Defi-
nition der analytischen Funktion so auszusprechen: Eine analytische
Funktion ist die GesamÜieit G aller derjenigen Fiuiktionselemeyite, die
aus einem gegebenen Funktionselement durch analytische Fortsetzung ent-
stehen können.
Jedes Funktion s dement von G läßt sich aus jedem solchen durch
analytische Fortsetzung gewinnen.
Zwei analytische Funktionen G^, Gg. von denen sich nachweisen
läßt, daß sie ein einziges Funktionselement gemein haben, sind überhaupt
identisch, d. h. jedes Element von G, ist auch in G, enthalten und um-
gekehrt.
§ 2. Begriff des analytischen Gebildes.
Ist
^{2-a) = A,-\-Ä, (z - a) + ^2 (^ - «)' + . . .
ein zu G gehöriges Fimktionselement, so heißt die Zahl A^ ein Wert
der analytischen Funktion G im Punkte z = a.
Gewiß hat diese Weierstraßsche Auffassung der mehrdeutigen ana-
lytischen Funktion als einer Gesamtheit von Funldionselementen auf den
ersten Blick etwas Künstliches. Wenn man von y^ oder lg z spricht,
stellt man sich dabei kaum die Gesamtheit derjenigen Potenzreihen vor,
welche Stücke dieser mehrdeutigen Funktionen darzustellen vermögen.
Trotzdem aber bewährt sich die Weierstraßsche Definition, der man Ein-
fachheit und Präzision nicht absprechen kann, als fester Ausgangspunkt
für die analytische Funktionentheorie. Durch allmähliche Verarbeitung
der Weierstraßschen werden wir in der Folge zu der Riemannschen Auf-
fassung gelangen, in der die unabhängige Variable z ebenso wie die bis-
her durch eine Gesamtheit G von Funktionselementen repräsentierte ab-
hängige Variable u als eindeutige analytische Funktionen eines Parameters
erscheinen, eines Parameters freilich, der im allgemeinen nicht in einer
komplexen Ebene, sondern auf einer gewissen zweidimensionalen Mannig-
faltigkeit, der sogenannten Riemannschen Fläche, variiert.
Zunächst aber haben Avir den Begriff der analytischen Funktion mit
Weierstraß zu dem des analytischen Gebildes zu erweitern.
§ 2. Begriff des analytischen Gebildes.
Aus einer analytischen Funktion entsteht das analytische Gebilde
dadurch, daß man die Funktion nicht wie bisher bloß an denjenigen
Stellen betrachtet, wo sich dieselbe regulär verhält, sondern die Stellen
hinzunimmt, in denen sie einen Verzweigungspunkt endlich hoher Ord-
nung oder einen Pol (oder beides zugleich) besitzt. Die strenge Formulierung
des Begriffes des analytischen Gebildes erhalten wir, wenn wir den bis-
herigen Begriff des Funktionselementes in gehöriger Weise erweitern^).
Das Funktionselement (l) : u = '^{z ~a) können wir mit Hilfe eines
komplexen Parameters t so darstellen:
z = a + t, M = ^ (^) = ^0 + ^, ^ -f ^2 ^2 _^ . . .
Indem wir hierin die bevorzugte Rolle, welche z spielt, aufgeben und
außerdem auch endlich viele negative Potenzen von t zulassen, kommen
wir zu der allgemeineren Erklärung:
Es seien
z^P{t),u^Q{t)
irgend zwei Reihen, die nach ganzzahligen Potenzen von t fortschreiten
1) Siehe Weierstraß, Vorlesungen über die Theorie der Abelschen Transzen-
denten (bearbeitet von G. Hettner und I. Knoblauch), Werke, Bd. 4, S. 16—19.
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
und nur endlicliviele negative Potenzen von t enthalten, von der Art,
daß in einer gewissen Umgebung \t\ <^r (r eine positive Konstante)
des Nullpunktes der i^-Ebene 1) beide Reihen konvergieren und 2) nie-
mals für zwei verschiedene ^-Werte dieser Umgebung sich das gleiche
Wertepaar (z, u) ergibt: so sagen wir, dieses Paar von Potenzreihen
definiere ein Funktioiiselement.
Unsere Meinung geht nicht dahin, daß wir unter „Funktionselement"
direkt das Potenzreihenpaar P{t), Q{t) verstehen; vielmehr fassen wir
diese beiden Reihen nur als eine Barstellung des gemeinten Funktions-
elementes auf, das neben dieser noch unendlich viele gleichberechtigte
Darstellungen gestattet. Hinsichtlich des Übergangs von einer solchen
Darstellung zu einer andern treffen wir folgende naheliegenden Verab-
redungen,
Ersetzt man sowohl in P{t) als in Q{t) den Parameter t durch eine
Potenzreihe
t(x) = c^x -f c^x'^ -\- '•■ ,
so gehe F{t) in die Potenzreihe n(r), Q{t) in K(t) über. Wir setzen
voraus, daß ^(t) in einer gewissen Umgebung von r = 0 konvergent und
der erste Koeffizient c^=\= 0 ist; dann können wir um 7 = 0 mit Hilfe
einer gewissen positiven Konstanten q eine solche Umgebung r < p ab-
grenzen, daß ^(t) in ihr 1) konvergiert und dem absoluten Betrage nach
< r bleibt und 2) an zwei verschiedenen Stellen r stets zAvei verschiedene
Werte annimmt. In dieser Umgebung \x\<iQ konvergieren dann auch
TT und K und an zwei verschiedenen Stellen Tj, Tj dieser Umgebung ist
niemals gleichzeitig T\{x^) = TT(t2), K(ti) = K(t2). Das Paar TT, K nennen
wir dem ursprünglichen P, Q äquivalent, und zwar wie auch die Ko-
effizienten Cp Cg, ... der substituierten Reihe ^(r) beschaffen sein mögen,
wenn nur Konvergenz statthat und c^ 4= 0 ist. Diese letztere Voraus-
setzung hat zur Folge, daß umgekehrt P{t), Q{t) dadurch aus TT(r), K(r)
erhalten werden können, daß man für x eine gewisse Potenzreihe in t
einsetzt:
x = y,t + y,f-\-.-. (y,= i=HO).
Das Verhältnis der Äquivalenz ist also ein wechselseitiges. Außerdem ist
offenbar jedes Potenzreihenpaar sich selbst äquivalent, und wenn zwei
Potenzreihenpaare einem dritten äquivalent sind, sind sie auch unter-
einander äquivalent. Diese Tatsachen berechtigen dazu, äquivalente Po-
tenzreihenpaare als Darstellungen desselben, nicht -äquivalente als Dar-
stellungen verschiedener Funktionselemente aufzufassen. Oder anders
ausgedrückt: Zwei Paare von Fotenzr eilten, welche je ein FunMionselement
definieren, definieren dann und nur dann dasselbe FunMionselement, tvenn
sie äquivalent sind.
§ 2. Begriff des analytischen Gebildes.
Wir stützen uns hier auf eine Erklärungsweise, deren man sich auch
sonst vielfach in der Mathematik bedienen muß und die ihre psychologischen
Wurzeln in der Fähigkeit unseres Geistes zur Abstraktion hat. Diese Art
Ton Definitionen beruht auf dem folgenden allgemeinen Prinzip: Ist zwischen
Dingen irgend eines Operationsbereiches eine Beziehung ~ erklärt vom
Charalder der Äquivalenz [d. h. eine Beziehung, die den Regeln genügt:
1. a ~ a; 2. aus a ~ & folgt & ~ a;
3. aus a ~ c, 6 '^ c folgt a ~ &] ,
jso ist es möglich, jedes der Objekte a jenes ursprünglichen Operations-
bereiches als Bepräsentant eines Dinges cc derart aufzufassen, daß zwei
Objekte a, h dann und nur dann als Repräsentanten desselben Dinges,«
erscheinen, falls sie im Sinne der Beziehung ~ einander äquivalent sind.
Dieses Prinzip wird namentlich dann immer anzuwenden sein, wenn uns
an den Objekten a,h, .. nur diejenigen Eigenschaften interessieren, welche
gegenüber der Beziehung -^ invariant sind. Seine Anwendung hat den
Erfolg, daß eine schwerfällige Ausdrucksweise durch eine kürzere ersetzt
wird, die dem herrschenden Interessestandpunkt der Untersuchung da-
durch Rechnung trägt, daß sie von selbst alles im Sinne dieses Standpunktes
ümvesentliche an den untersuchten Objekten abstreift. Ich erwähne hier
zwei Beispiele einer derartigen „Definition durch Abstraktion^^.
1. Von zwei parallelen Geraden sagt man, sie haben dieselbe RicJitung,
Ton zwei nicht-parallelen, sie haben verschiedene Richtung. Die ursprüng-
lichen Objekte (a) sind die Geraden, die Beziehung vom Charakter der
Äquivalenz ist die Parallelität; verlangt wird, jeder Geraden ein Etwas,
seine „Richtung", so zuzuordnen, daß der Parallelität der Geraden die
Identität der zugeordneten „Richtungen" entspricht.
2. Eine „Bewegung" (eines Punktes) ist gegeben, wenn die Lage des
beweglichen Punktes jt) in jedem Moment A eines gewissen Zeitintervalls
^0 = ^ ^ -^1 gegeben ist: p = p{X). Hat man zwei solche Bewegungen
p == p{V), q = q{fi), so sagt man dann und nur dann, diese Bewegungen
durchlaufen denselben „Weg", falls A, der Zeitparameter der ersten Be-
wegung, sich derart als stetige monoton wachsende Funktion des Zeit-
parameters ^ der zweiten Bewegung ansetzen läßt: X = X{^), daß dadurch
die erste Bewegung in die zweite übergeht: p(X{^)) = q{^). Hier ist es
der Begriff des „Weges", der auf diese Weise definiert werden solP).
Von dieser Abschweifung kehren wir zu unserm erweiterten Begriff
des Funktionselementes zurück. Uiiter allen äquivalenten Darstellungen
1) Dieser Begriff meint etwas Anderes als die Punktmenge, welche aus allen
während der Bewegung passierten Punkten besteht. Es handelt sich hier um den
gleichen unterschied wie zwischen dem von einem Fußgänger zurückgelegten Wege
(der, solange der Fußgänger marschiert, in statu nascendi ist) und dem (seit
langem existierenden) Wege, awf dem er marschiert.
Begriff und Topologie der Riemann sehen Fläclien.
eines und desselben Funktionselementes werden wir versuchen, eine be-
stimmte, möglichst einfache als „NormaldarsteUung'' herauszuheben. Dabei
unterscheiden wir mehrere Fälle. Enthält P(t) keine negativen Potenzen
von t:
z = P(t) = a + a,t + aj^+---
und ist «1 4= 0> so können wir 2 — a = r als neuen darstellenden Para-
meter einführen und bekommen
(3) 3 = a-\-r, u=K{r)
als neue Darstellung desselben Funktionselements. Enthält auch Q({)
keine negativen Potenzen, so gilt das Gleiche von K, und wir haben ein
solches Funktionselement vor ims, wie wir sie in § 1 betrachteten und
die wir jetzt zum Unterschied als reguläre Fuulitioiiselemente be-
zeichnen wollen. (3) ist die gesuchte Normaldarstellung. Ein reguläres
Funktions dement gestattet nur eine einzige Xormaldar Stellung, und es
sind daher zwei reguläre Funktionselemente sicher dann verschieden^
wenn ihre Normaldarstellungen verschieden sind. Erst auf Grund dieser
Umstände sind wir eigentlich berechtigt, unsern jetzigen Begriff des
Funktionselementes als eine Erweiterung des in § 1 zu Grunde gelegten
zu bezeichnen.
Kommen in der Entwicklung von z keine Potenzen von t mit ne-
gativem Exponenten vor, nehmen wir aber allgemeiner an, daß
0 = a + a^,^" -f a^+i^" + ^ + • • • {%^ 0) ,
also a,((i'*^l' ^^^ erste von 0 verschiedene Koeffizient außer dem kon-
stanten Gliede ist, so kann man für t eine solche Potenzreihe in r
t = c^T ^ c^y-\---- (ci + o)
setzen, daß
2 = a -\- t"
wird, und wir bekommen eine Darstellung von der Form
(3*) 2^a-^T", M = K(r).
In der Tat: wenn Ya eine bestimmte der [i Wurzeln ist, so gibt es be-
kanntlich eine einzige Potenzreihe J'i + 72 ^ + 7^3 '^^ H ^i^ ^^°^ Anfangs-
glied y^ = ya, deren ^*^ Potenz = ci^-ra^^_^^t-\ ist. Durch Auflösung
von
nach t erhält man das gew^ünschte Resultat. Je nachdem aber, welche der
/i Wurzeln "j/a man nimmt, erhält man ji verschiedene Darstellungen (3*):
sie entstehen alle aus einer von ihnen, indem man t durch t ■ t, ersetzt^
wo ^ eine beliebige fi^^ Einheitswurzel bedeutet. Ein durch
(4) 0 = a' -\- x^', M = K'(t) [/i' ganz und positiv]
§ 2. Begriff des analytischen Gebildes.
gegebenes Funktionselement kann nur dann mit dem durch (3*) darge-
stellten identiseli sein, wenn a' = a-^ a' = [i ist und überhaupt (4) mit
einer der durch die Substitutionen r r t, aus (3*) entstehenden u Nor-
maldarstellungen Koeffizient für Koeffizient übereinstimmt. Insbesondere
ist demnach die ganze Zahl a charakteristisch für das betreffende Funktions-
element und unabhängig von seiner besonderen Darstellung; wir sagen,
das Element sei TOn der (.u — 1)*^° Ordnung yerzweigt; im Falle ,u = 1,
den wir oben betrachteten, heißt es unTerzweigt.
Kommen in der Entwicklung von z negative Potenzen von t vor,
so sei f~'' die niedrigste:
Man kann t durch eine solche konvergente Potenzreihe in t : ^ = q t H
(q =1= Ö) ersetzen, daß
(3**) ^ = T-" und dann u = K(t)
wird. Das ist jetzt die Normaldarstellung; sie ist, wenn v> 1, durch das
Element nicht eindeutig bestimmt, sondern es gibt deren genau v ver-
schiedene, die alle aus einer dadurch hervorgehen, daß man r ersetzt durch
T • t, wo c eine beliebige v^° Einheitswurzel. Auch hier spricht man von
einer Verzweigung der {v — 1)'"° Ordnimg.
Bei Herleitung der Normaldarstellungen (3), (3 *), (3**) haben wir wie
in § 1 die Variable z vor u ausgezeichnet. Neben die regulären Funktions-
elemente sind die irregulären, neben die unverzweigten die verzweigten
getreten. Indem wir nunmehr die Begriffe der unmittelbaren und mittel-
baren analytischen Fortsetzung auf beliebige (auch irreguläre) Funktions-
elemente übertragen, gelangen wir ohne weiteres zu der Definition des
analytischen Gebildes.
Es sei e ein Funktionselement und
(5) ^ = P(0, u=Q{t)
irgendeine Darstellung desselben, t <ir (r>0) irgendein Kreis, in welchem
diese Darstellung gültig ist (d. h. in welchem P(t), Q[t) konvergieren
und niemals gleichzeitig F{t^) = P(t^), Q(t^) = Qiß^) für ^i 4=^2> I h <**?
L <r eintritt). Für jeden Wert tQ, für den t^ <,r ist, können wir
dann die Reihen P(t), Q(f) nach Potenzen von t' = t — tQ umordnen und
erhalten so ein neues Potenzreihenpaar P'{t'), Q\t') und damit ein neues
Funktionselement e^^. Von allen so den verschiedenen im Kreise t^ <ir ge-
legenen fg zugehörigen Funktionselementen e./„ sagen wir, sie bilden eine
analytische Umgebung des ursprünglichen Elementes e(= Co), und dieser
Name soll angewendet werden, welche Darstellung des Elementes C durch
einen Parameter t und welcher Kreis ^ <r, in dem diese Darstellung
gültig ist, auch gewählt wurde. Die oben beschriebene, durch die Dar-
stellung (5) zusammen mit der Ungleichung t <Cr bestimmte analytische
10 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Umgebung- nennen wir, wo eine kurze Benennung- erwünscht ist, mit
Rücksiclit auf den darstellenden Parameter eine ^-Umgebung.
Hat man zwei verschiedene Darstellungen desselben Funktions-
elements e:
z = P{t), u==Q{t); bzw. ^ = n(r), m = K(r)
(die durch die Substitution
t = t{t) = c^t -f c,r^ + . . . [q 4= 0]
ineinander übergehen mögen), so gilt der wichtige Satz:
Jede t- Umgebung von e enthält eine x- Umgebung von e und also auch
umgekehrt jede t- Umgebung eine t- Umgebung.
Beweis: Die ^-Umgebung sei durch \t\<ir bestimmt. Wir wählen
dann eine positive Zahl q so, daß in t | < p die Potenzreihe ^(t) konver-
giert, dem absoluten Betrage nach < r bleibt und keinen Wert zweimal
annimmt. Diese Ungleichung \x\ <C Q bestimmt eine r-Umgebung, von
der ich behaupte, daß sie in der ursprünglichen /-Umgebung enthalten
ist. Durch Umordnen von TT(t), K(r) nach Potenzen von x' = x — t^
(I '^o I <P) entstehe die Darstellung TT'(t'), K'(t') des Elements Cr«, durch
Umordnen von Pit), Q(t) nach Potenzen von t' = t — tQ [t^ = t{x^, t^ <r]
das Element (P'{t'), Q'{t')) = e<„; dann ist er„ = e,„. Dadurch nämlich,
daß man t{x) nach Potenzen von x' = x — x^ umordnet, bekommt man
(6) t'(x') = ^(r) -t,=^ c/t' + c/t'^ + . . . ,
und es ist offenbar
F\t'{x')) = T[\x'), Q'{t\x')) = K'(r');
denn in einer gewissen Umgebung des Punktes t^ der komplexen r-Ebene
sind z. B. TT'(r — t,,), P'(t{x) — to) reguläre Funktionen, die dem Werte
nach mit TT(t) übereinstimmen. In der Substitution (6), die das Paar
P'it'), Q'{t') in '^'{'^'), K'(t') überführt, ist aber der erste Koeffizient
c^ = -^' _ =4= 0, da sonst die Funktion t{x) in der Nähe von x = Xq
einen und denselben Wert t immer an mindestens zwei Stellen annehmen
würde. Damit ist die Identität von er„, tt^ bewiesen.
Der hier eingeführte Begriff der analytischen Umgebung entspricht
in einer für die weiteren Formulierungen zweckmäßigeren Form dem in
§ 1 an seiner Stelle benutzten Begriff der unmittelbaren analytischen Fort-
setzung. In diesem Begriff der analytischen Umgebung tritt es auch zu-
tage, daß die irregulären Elemente gegenüber den regulären nur als Aus-
nahmestellen zu betrachten sind; denn die analytische Umgebung eines jeden
Elements, wenn sie nur hinreichend klein genommen wird, besteht (ab-
gesehen vielleicht von diesem Element selbst) stets ausschließlich aus regu-
lären Funktions dementen. Um dies einzusehen, braucht man nur den die
gesuchte Umgebung von e = (-P(^), QXt)) bestimmenden Kreis | /| < r so
§ 2. Begriff des analytischen Gebildes. 11
klein zu wählen, daß in ihm (außer vielleicht für ^ = 0) durchweg-
dP . ^ . ,
Eine analytisch zusammenhängende Reihe von Funktionsele-
menten ist geg-eben, wenn jedem reellen Werte A des Intervalls 0 ^ A ^ 1
ein Funktionselement e(A) zugeordnet ist, so daß diese Bedingung erfüllt
ist: Ist Ao irgend ein Wert des Parameters A, 60= e(Ao) das zugehörige
Funktionselement, U^ eine beliebige analytische Umgebung von e^, so
gibt es immer eine positive Zahl s derart, daß e(A) zu U,, gehört, solange
I A — Aß I ^ £ ist. Die analytisch zusammenhängende Reihe verbindet das
Anfangs element e(0) mit dem Endelement e(l).
Ein analytisches Grehilde ist eine Gesamtheit G von FunUions-
elementen mit folgenden Eigenschaften:
1. Je zwei Fimhtionselemente, die zu G gehören, hönnen durch eine
analytisch zusammenhängende Beihe von lauter zu G gehörigen Funldions-
elementen mit einander verbunden werden.
2. G läßt sich durch Hinzufügung von Fmiktionselementen auf Jceine
Weise so erweitern, daß auch die erweiterte GesamtJieit noch die Eigen-
schaft 1. besitzt.
Aus 2. folgt insbesondere, daß mit einem Fuuktionselement e auch
eine jede analytische Umgebung von e zu G gehört.
Diese Erklärungen können wir uns durch eine Analogie näher
bringen. Offenbar übernimmt ja in der Funktionen theorie das Weierstraß-
5che Funktionselement die gleiche Rolle, welche in der Geometrie, etwa
des dreidimensionalen Raumes, der Funkt als Raumelement spielt. Das
Funktionselement stellen wir also in Analogie zum Punkt, und, wie vom
dreidimensionalen Punktraum, sprechen wir dann vom „Raum (d. h. nichts
Anderes als: von der Gesamtheit) der Funktionselemente"; da allerdings
die Festlegung eines Funktionselementes von unendlich vielen stetig ver-
änderlichen Bestimraungsstücken abhängt, müssen wir diesem Raum un-
endlich viele Dimensionen zuschreiben. Alle Begriffe, welche die
Kontinuität des dreidimensionalen Raumes betreffen, lassen sich auf
den einen: „Umgehung eines Punktes" zurückführen (als Umgebung
eines Punktes betrachten wir etwa das Innere einer jeden um diesen
Punkt als Mittelpunkt beschriebenen Kugel). Im Raum der Funk-
tionselemente soll das, was wir oben „analytische Umgebung" nannten,
das Analogen des gewöhnlichen Begriffs „Umgebung" im Punktraum
abgeben. Dann entspricht die analytisch zusammenhängende Reihe von
Funktionselementen ganz genau der stetigen Kurve im Punktraum. Der
Raum der Funktionselemente besitzt nach diesen Festsetzungen eine
wesentlich andere Struktur als der gewöhnliche dreidimensionale Raum:
während nämlich der Punktraum ein einziges zusammenhängendes Ganze
ausmacht (je zwei seiner Punkte lassen sich durch eine stetige Kurve
12 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
verbinden), zerfällt der unendlich-dimensionale Raum der Funktionsele-
mente in unendlich viele (zweidimensionale) „Schicliten"; jede solche-
Schicht für sich ist ein stetig (d. h. hier: analytisch) zusammenhängendes
Ganze, aber die einzelnen Schichten stehen untereinander an keiner Stelle
in Verbindung; diese „Schichten" sind eben die analytischen Gebilde.
Im Euklidischen Punktraum bezeichnet man als „Gebiet" eine Punkt-
menge von der Beschaffenheit, daß 1, zu jedem Punkt der Menge
eine Umgebung existiert, die ganz der Menge angehört, und 2. je zwei
Punkte der Menge sich durch eine stetige, aus lauter Punkten der
Menge bestehende Kurve verbinden lassen. Darnach würde im Raum
der Funktionselemente das analytische Gebilde als ein keiner iveiteren
Ausdehnung fähiges Gehiet zu bezeichnen sein. Der Wille, die analy-
tischen Gebilde auf Grund der besprochenen Analogie als ziveidimen-
sionale llannigfaUigJieiten aufzufassen, führt uns sogleich mitten in die
Riemann-Kleinschen Vorstellungsweisen hinein. Die gewöhnlichen, in
elementaren Lehrbüchern zur Darstellung kommenden Riemannschen
Flächen haben ja in der Tat gerade diese Bedeutung: jedes Funktions-
element des analytischen Gebildes so durch einen einzigen Punkt der
Fläche zu repräsentieren, daß analytisch zusammenhängende Reihen von
Fuuktionselementen des Gebildes als stetige Kurven auf der Riemann-
schen Fläche erscheinen.
Bevor wir jedoch die hierdurch angeregten Gedankengänge weiter
verfolgen können, müssen wir uns noch über das Verhältnis der beiden
Begriffe „analytische Funktion" und „analytisches Gebilde" orientieren.
§ 3. Verhältnis der Begriffe „analytische Funktion" nnd
„analytisches Gebilde*' zu einander.
Eine erste Bemerkung ist diese: Ist es gelungen, in der in § 1 ge-
schilderten Weise ein reguläres Funktionselement regulär längs einer
gegebenen Kurve ^ = ^(A) [0 ^ A ^ 1] fortzusetzen [wodurch jedem
Wert A ein reguläres Funktionselement e(A) zugewiesen ist, in welchem
die Entwicklung von z nach Potenzen des Darstellungsparameters t mit
dem konstanten Glied z(l) beginnt], so hat man dadurch eine im Sinne
von § 2 analytisch zusammenhängende Reihe von Funktionselementen
erhalten. In Wahrheit: ist A(, irgend ein A-Wert, U^ eine beliebige ana-
lytische Umgebung von e(Aj)) = t^, so kann man wegen der Regularität
von Co die Variable z' = z — ^(A^) als Darstellungsparameter von e^
wählen, und es gibt dann eine etwa durch \z' < r^ definierte ^'-Um-
gebung von Co, die ganz in U^ enthalten ist. Grenzt man um z{Iq) durch
die Ungleichung A — Ao^£(£>0) einen Bogen ab, für den durch-
weg z(X) — zUq) < Vq ist, so enstehen die den Punkten dieses Bogens
entsprechenden e(A) durch Umordnen nach Potenzen von z — z(l) aus
Cq, gehören demnach der durch z' < r^ bestimmten ^j'-Umgebung von
§ 3. Analytische Funktion und analytisches Gebilde. 13
«0 und damit auch der Umgebung- Uq an. — Das Umgekehrte, daß eine
analytisch zusammenhängende Reihe regulärer Funktionselemente aus
dem Anfangs element durch den in § 1 beschriebenen Prozeß der analy-
tischen Fortsetzung erhalten wird, bedarf keines Beweises.
In einer analytisch zusammenhängenden Reihe t{^)\^ ^ ^ ^ 1 ] ^on
Funldionselementen kommen stets nur endlichviele irreguläre (insbesondere
auch nur endlichviele verzweigte) Funktionselemente vor. Sonst würden
nämlich diejenigen Werte A, denen irreguläre Elemente entsprechen,
einen Verdichtungswert A,, besitzen, und es lägen in jeder analytischen Um-
gebung von z(Iq) unendlichviele irreguläre Elemente, was unmöglich ist.
Die Entwicklung von 2 in der Darstellung des Fuuktionselementes
t(X) beginne mit dem konstanten Term 2{V) [daß sie mit negativen Po-
tenzen des Darstellungsparameters t beginne, schließen wir der Bequem-
lichkeit halber aus]. Wir wollen den Fall betrachten, daß unter den
e(/L) verzweigte Funktionselemente vorkommen; e(0) sei regulär, aber
ylo(<l) der kleinste A-Wert, für welchen e(A) irregulär ist; ^ — 1 sei
die Verzweigungs Ordnung von e(Ao). Die Elemente e(A) von A = 0 bis
Xq (exkl.) erhält man dann eindeutig durch analytische Fortsetzung längs
der gegebenen Kurve B = z{X). Das ändert sich aber von l^ ab; über
«(Aq) hinaus läßt sich die analytische Fortsetzung längs der gegebenen
Kurve auf genau ii verschiedene Weisen weiterführen: der Stamm teilt
«ich in /i Äste, an deren einem die gegebene analytisch zusammenhängende
Reihe entlang läuft. Jeder dieser Aste kann sich im weiteren Verlauf
abermals verzweigen, und die nächste Verzweigung des einen Astes kann
durchaus an einer andern Stelle eintreten wie für den andern Ast; und
so fort. Auch kann ein Zweig natürlich, wenn man zu einer kritischen
Stelle gelangt, die nicht bloß einen Pol oder Verzweigungspunkt end-
lichhoher Ordnung bedeutet, ganz aufhören, bevor man auf ihm bis zu
A = 1 gelangt ist. Aus dieser Beschreibung mag man erkennen, wie
glücklich die der Riemannschen Bezeichnung „Verzweigungspunkt" zu-
grunde liegende anschauliche Vorstellung das Wesen der Sache triffi.
Zum Beweise unserer Behauptungen reicht die folgende einfache Über-
legung aus.
z^z{l,) + f, u^Q{t)
sei eine der ^ Normaldarstellungen von ^{Xq), die für | T < r gültig sein
möge. Ein X^ > A^ werde so gewählt, daß z(l) — z{Xq) ' <r^ bleibt für
Aq ^ A ^ Ap Dann gibt es in der ^-Ebene ^ von dem Nullpunkt ^ = 0
auslaufende Kurvenäste, die alle in dem Kreise \t\<Cr bleiben und durch
die Abbildung z = z{Iq) + f in einen und denselben Kurvenbogen
z = z(X)[Xq ^ A ^ Aj] übergehen; diese (i Kurvenäste entstehen ausein-
ander durch Drehung um den Nullpunkt um — , , • • •. Indem man
Q{t) längs jedes dieser Kurvenäste fortsetzt (unmittelbare analytische
14 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Fortsetzung'!), gewinnt man die ^ mögliclien Fortsetzungen von t(2.^
längs der vorgeschriebenen Kurve über A = A^ hinaus bis A = Aj. Daß
sich jede dieser Fortsetzungen als analytisch zusammenhängende Reihe
bis zu Ende (A = 1) durchführen läßt, vv^ird nicht behauptet und ist auch
im allgemeinen nicht richtig.
Der Umstand, daß in einer jeden analytisch zusammenhängenden
Reihe von Funktionselementen nur endlichviele irreguläre vorkommen^,
ermöglicht es, diese irregulären Elemente zu umgehen. Zwei Funktions-
elemente also, die sich überhaupt durch eine analytisch zusammenhängende
Reihe verbinden lassen, lassen sich auch durch eine solche verbinden, die
(abgesehen vielleicht von Anfangs- und Endelement) ausschließlich aus
regulären Elementen besteht. Zum Beweise nehmen wir der Einfachheit
halber an, daß die analytisch zusammenhängende Reihe e(A) nur ein irre-
guläres Element e(Ao)[0 < A^ < 1] enthalte.
^ = P(t), u=Q(t)
sei eine für \t\<ir gültige Darstellung desselben; dabei sei r so klein
gewählt, daß die Elemente der durch | ^ | < ^ bestimmten ^-Umgebung
Uq von e(Ao), abgesehen von e(A(,) selbst, alle regulär sind. Man kann,
zwei Werte Aj<A(, und Aj > A^ so annehmen, daß alle e(^)[^i^^^^j]
zu Uq gehören. e(Aj entsteht aus der zugrunde gelegten Darstellung
von ^{Xq) durch Umordnen derselben nach Potenzen von t — t^ (wo t^
ein gewisser, dem Kreise f <r angehÖriger Punkt ist), e(A2) durch Um-
ordnen nach Potenzen von t— t^. Die beiden Punkte t^, fg in der ^-Ebene
kann man durch eine Kurve innerhalb des Kreises \t' <^r verbinden, die
nicht durch den Nullpunkt geht. Indem man jedem Punkt t^ dieser
Kurve dasjenige Funktionselement zuordnet, das man durch Umordnen,
von JP(f), Q(t) nach Potenzen von t — t^ erhält, gelingt es, e(Aj) mit-
e(A2) durch eine aus lauter regulären Funktionselementen bestehende
analytisch zusammenhängende Reihe zu verbinden.
Aus den bewiesenen Tatsachen ergibt sich:
1. Die sämtlichen regulären FunJctionselemente eines analytischen Ge-
bildes machen eine einzige analytische Funktion aus.
2. Jede analytische Funktion hesfeht aus den sämtlichen regulären
Funktionselementen eines durch die Funktion eindeutig bestimmten ana-
lytischen Gebildes.
Dazu tritt der weitere Satz:
3. Die irregulären Funktionselemente eines analytischen Gebildes sind'
nur in abzählbarer Menge vorhanden.
Den Beweis führen wir mit Hilfe des von Poincare und Volterra^)
1) Poincare, Rendiconti del Circolo matematico di Palermo, Bd. 2 (1888),
S. 197—200. Volterra, Atti della Reale Aeademia dei Lincei, Ser. 4, IV^, S. 855.
§ 3. Analytische Funktion und analytisches Gebilde. 15
ausgesprochenen Theorems, daß es in einem analytischen Gebilde höch-
sfens abzahlbar unendlichviele reguläre FunMionselemente u = ^ (^ — a)
mit vorgeschriebenem MittelpunJct 2 = a gibt. Denn alle diese Elemente
lassen sich aus einem, '^i, von ihnen dadurch erzeugen, daß Sß^ längs
Kurven in der ^-Ebene, die von a ausgehen und dorthin zurückkehren^
in regulärer Weise fortgesetzt wird. Zu jeder solchen Kurve kann man
aber einen aus endlichvielen geradlinigen Strecken bestehenden Strecken-
zug konstruieren, der in solcher Nähe der Kurve verläuft, daß die regu-
läre analytische Fortsetzung längs des Streckenzuges gleichfalls möglich
ist und zu demselben Endelement führt wie die Fortsetzung längs der
Kurve. Dabei kann man noch dafür Sorge tragen, daß die Ecken dieses
Streckenzuges relativ zu a rationale Koordinaten besitzen; diese relativen
Koordinaten z — a seien:
*
wo immer n'j, n", n^ ganze Zahlen ohne gemeinsamen Teiler sind und
n^ > 0 [/■ = 1, 2, , . , /(]. Wir ordnen diesem Streckenzuge die Zahl
h h h
2 n'f' ^ ^ n'f ' + 2n^ = N
/=i /=i /=i
zu. Unter den von a ausgehenden und nach a zurückkehrenden Strecken-
zügen, deren Ecken sich von a um rationale komplexe Zahlen unter-
scheiden, gibt es gewiß nur endlichviele, denen dieselbe Zahl iV zu-
kommt. Wähle ich N sukzessive = 3, 4, 5, . . ., so bringe ich dadurch alle
diese Streckenzüge in eine abgezählte Reihe. Jeder dieser Streckenzüge
bestimmt entweder ein oder Tiein Funktionselement mit dem Mittelpunkt
a, jenachdem die reguläre Fortsetzung von ^j längs des Streckenzuges
sich bewerkstelligen läßt oder nicht. Man erhält auf diesem Wege aber
auch sicher alle dem analytischen Gebilde angehörigen regiilären Elemente
mit dem Mittelpunkte a, deren Abzählbarkeit damit erwiesen ist.
Statt der ^^-Ebene kann ich mich der aus ihr durch stereographische
Projektion hervorgehenden ^-Kugel bedienen, auf der auch ^ = 00 durch
einen einzigen Punkt repräsentiert wird. Ist
z = a -^ tf', u = Q{t)] bezw. z = t'f, u = Q(t)
ein irreguläres Element eines gegebenen analytischen Gebildes in seiner
Normaldarstellung, die für |^| <y gültig sein möge, so gibt es zu jedem
Wert Zq (=t= a bzw. oo), welcher der Bedingung
(7) ,^^ — a|<r^' bezw. i^;|> r-^
genügt, genau (i reguläre Funktions demente u = '^(z — Zq) mit dem
Mittelpunkt Zq, die der durch ! ^ | < r bestimmten ^-Umgebung des irre-
gulären Elementes angehören. Wir sagen kurz: das irreguläre Element
16 Begriff und Topologie der ßiemannschen Flächen.
„induziert'^ im Punkte z^ jene ^i regulären Elemente. Die Unglei-
chung (7) bedeutet auf der Kugel eine Kalotte, die ich aber jetzt lieber
durch diejenige größte, nicht über sie hinausgreifende Kalotte K ersetze,
deren Mittelpunkt in a (bzw. oo) liegt-^ der Radius von K heiße x. Ver-
binde ich Zq, das in K liege, mit dem Mittelpunkt innerhalb der Kalotte
durch einen Großkreis-Bogen, so entsteht das irreguläre Element aus
jedem der ^ in z^ induzierten Elemente durch analytische Fortsetzung
längs dieses Kreisbogens von Zq nach a (bzw. oo). Hat man also zwei
verschiedene irreguläre Elemente mit demselben Mittelpunkt a bzw. cx),
so ist es ausgeschlossen, daß sie in einem Punkte z^ zwei identische re-
guläre Elemente induzieren. Hat man zwei irreguläre Elemente e^, Cg mit
verschiedenen Mittelpunkten und bezeichnen wir die zugehörigen Kalotten
K mit K^, K^, ihre Radien mit x^, x^, so lasse man beide Kalotten um
ihren Mittelpunkt so zusammenschrumpfen, daß sie nur noch den halben
Radius yXj, j^ besitzen. Es sei etwa x^ ^ x^. Greifen diese beiden klei-
neren Kalotten k^, Jc^ übereinander, so bedeute ^g einen ihnen gemeinsamen
Punkt. Ich behaupte dann, keines der von Cj in z^ induzierten Elemente
ist mit einem von Cg daselbst induzierten Element identisch. Denn der
Mittelpunkt von Z, liegt innerhalb der Kalotte K^, ebenso der Großkreis-
Bogen, welcher Zq mit diesem Mittelpunkt innerhalb K^ verbindet. Durch
Fortsetzung eines der von e^ in z^ induzierten regulären Elemente längs
dieses nach dem Mittelpunkt von K^ führenden Kreisbogens erhält man
eines der dort von e^ induzierten regulären Elemente, niemals aber das
irreguläre Element e«. Damit ist unsere Behauptung begründet.
In der Weise nun, wie wir hier den irregulären Elementen Cj, 63
die (kleinen) Kalotten k^, k^ zuwiesen, ordnen wir jedem irregulären Ele-
ment des gegebenen analytischen Gebildes eine Kalotte k zu. Wären die
irregulären Elemente nicht bloß in abzählbarer Menge vorhanden, so
müßte es einen rationalen Punkt Zq geben, der in mehr als bloß abzählbar
vielen Kalotten k enthalten ist. Jedes der irregulären Elemente, zu denen
diese Kalotten gehören, induziert im Punkte z^ mindestens ein dem analy-
tischen Gebilde angehöriges reguläres Element, das Zq zum Mittelpunkt be-
sitzt, und zwar, wie wir soeben nachwiesen, verschiedene irreguläre Elemente
auch immer verschiedene. Das ist aber unmöglich, da es nicht mehr als
abzählbarviele reguläre Funktionselemente mit dem Mittelpunkt Zq in
dem vorgelegten analytischen Gebilde geben kann.
Das analytische Gebilde unterscheidet sich demnach nur dadurch von
der analytischen Funktion, daß noch ahzäJdharviele irreguläre Elemente
hinzugetreten sind.
§ 4 Begriff der Fläche.
Es ist schon am Schluß von § 2 davon gesprochen worden, daß ein ana-
lytisches Gebilde dadurch sehr an Anschaulichkeit gewinnt, wenn es ge-
§ 4. Begriff der Fläche. 17
lingt, in der Weise ein jedes Element des Gebildes durch einen Punkt
einer Raumfläche ^^ zu repräsentieren, daß diese repräsentierenden Punkte
insgesamt die Fläche ^ einfach bedecken und jede analytisch zusammen-
hängende Reihe von Elementen des analytischen Gebildes als eine ste-
tige Kurve auf ^ erscheint. Das Problem, eine solche das analytische
Gebilde versinnlichende Fläche ^ ausfindig zu machen, kann freilich von
einem rein objektiven Standpunkt als eine nicht sachgemäße Fragestellung
verworfen werden, da der dreidimensionale Raum innerlich durchaus nichts
mit analytischen Gebilden zu tun hat und man sich auf ilin auch offen-
bar garnicht aus logisch-mathematischen Gründen bezieht, sondern weil
er unserer sinnlichen Raumanschauung besonders nahesteht; man könnte
es als einen dem wissenschaftlichen Prinzip widerstreitenden Anthropo-
morphismus bezeichnen, in dieser Weise den Dingen, statt sie so zu nehmen,
wie sie sind, wesensfremde Vorstellungen aufzudrängen, nur um unserm
Bedürfnis nach „Bildern und Gleichnissen" Genüge zu tun. Diese Vor-
würfe des reinen Logikers treffen uns jedoch nicht, wenn wir der andern,
auch bereits gestreiften Auffassung nachgehen, welcher das analytische
Gebilde selbst als eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit erscheint, auf die
sich alle die Begriffe der Kontinuität, die uns in der gewöhnlichen Geo-
metrie begegnen, übertragen lassen. Im Gegenteil: es hieße, eine der
wesentlichsten Seiten des Gegenstandes übersehen, wenn man sich dieser
Vorstellung nicht bediente.
Der Begriff der „zweidimensionalen Mannigfaltigkeit" oder der
„Fläche" soll für uns also nicht an die Idee des Raumpunktes geknüpft
sein, sondern eine viel allgemeinere abstrakte Bedeutung erhalten. Wenn
überhaupt irgend eine Gesamtheit von Dingen (die die Rolle der „Punkte"
übernehmen werden) gegeben ist und definitionsgemäß zwischen ihnen
ein ähnlicher kontinuierlicher Zusammenhang besteht wie zwischen den
Punkten einer Ebene, so sprechen wir von einer zweidimensionalen
Mannigfaltigkeit. Da sich aber alle Kontinuitätsbegriffe auf den einen
der Umgebung zurückführen lassen, so gehört zur Erklärung einer zwei-
dimensionalen Mannigfaltigkeit zweierlei:
1. Angabe derjenigen Dinge, welche als „Punkte" der Mannigfaltig-
keit gelten sollen;
2. eine Erklärung des Begriffes der „Umgebung".
In präziser Fassung: wann wollen wir sagen, es sei eine zweidimen-
sionale Mannigfaltigkeit ^ gegeben? Wenn folgendes der Fall ist:
Gegeben eine Gesamtheit von Bingen, die „Punkte der Mannig-
faltigkeit ^" heißen. Zu jedem Funkt p der Mannigfaltigkeit ^ sind
gewisse Mengen von Punkten der Mannigfaltigkeit als „Umgebungen
von p auf ^" definiert. Jede Umgebung Uq eines Punktes p^ der Mannig-
faltigkeit auf ^ muß Po selbst enthalten und eine umkehrbar eindeutige
Abbildung auf die inneren Punkte eines gewöhnlichen Euklidischen Kreises
Weyl: Die Idee der Riemannschen Fläche 2
18 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Kq (wobei Po in den MittelpunM des Kreises ühergeht) von der folgenden
Beschaffenheit gestatten:
1. ist p irgend ein Punkt von Uq und U eine nur aus PtmJden von
Uq bestehende Umgebung von p auf ^, so enthält das (durch jene Abbildung
in Kf^ entirorfene) Bild von U den Bildpunht von p im Innern; d. h. es
läßt sich um den Bildpunkt p von p eine Kreisfläche h beschreiben, sodaß
jeder PunJct von k Bild eines Punktes von U ist;
2. ist K das Innere irgend eines ganz in Kq gelegenen Kreises mit
dem Mittelpunkt p, so gibt es stets eine Umgebung U von p auf ^, deren
Bild ganz in K liegt.
Wir legen jetzt kurz dar, wie auf Grund des Begriffes der Umgebung
alle Kontinuitätsbegriffe von der gewöhnlichen Ebene auf beliebige
zweidimensionale Mannigfaltigkeiten übertragen werden können.
Ist eine Menge (S von Punkten der Mannigfaltigkeit '^ gegeben, so
heißt der Punkt p von % eine Yerdichtungsstelle (Häiifuiigspunkt)
der Menge @, falls in jeder Umgebung von p auf ^ unendlichviele Punkte
von (S liegen. — Ein zur Menge @ gehöriger Punkt, der keine Verdich-
tungsstelle von @ ist, heißt ein isolierter Punkt in @. Hingegen ist pi
ein innerer Punkt von @, falls es eine Umgebung von p auf % gibt,
deren sämtliche Punkte @ angehören. — (5 heißt abgeschlossen, wenn
jede Verdichtungsstelle von (£ zu @ gehört.
Eine stetige Kurve y auf f^ ist gegeben, wenn jeder reellen Zahl A
des Intervalls 0 ^ A ^ 1 ein Punkt p (l) auf ^ so zugeordnet ist, daß
die Bedingung der Stetigkeit erfüllt ist. Diese besagt: Ist A^ irgend ein
Wert des Parameters A, U^ irgend eine Umgebung des Punktes p{^^ auf
%f so gibt es stets eine positive Zahl s von der Beschaffenheit, daß für
alle A, welche der Bedingung 1 A — -^o ' ^ ^ genügen, der Punkt p{X) zu
Wq gehört. — Die Kurve y YCrbindet den Anfangspunkt p(0) mit dem
Endpunkt p(l).
Eine Punktmenge @ auf % heißt ein Gebiet, wenn 1) jeder Punkt
von @ ein innerer Punkt dieser Punktmenge ist und 2) sich je zwei Punkte
von @ durch eine stetige Kurve auf ^ verbinden lassen, die ausschließlich
aus Punkten von @ besteht. — Wir engen den bisher benutzten Begriff
der zweidimensionalen Mannigfaltigkeit % noch durch die weitere Forderung
ein, daß ^ selber ein Gebiet sein (d. h. aus einem Stück bestehen) soll.
Ist jedem Punkte p einer gewissen Punktmenge @ auf % eine reelle
oder komplexe Zahl /"(p) zugeordnet, so ist in @ eine Funktion /' definiert;
die Zahl /"(p) ist der Wert dieser Funktion im Punkte p. Bezeichnet p^,
einen beliebigen Punkt von (5, so heißt f im Punkte po stetig, falls zu
jeder positiven Zahl e eine Umgebung U^ von p^ auf ^ existiert, sodaß
\f{p) — fiPo) i < £ bleibt für alle p, die sowohl zu (£ als zu U^ gehören»
§ 4. Begriff der Fläche. 19
Bedeuten ^1, f^j zwei zweidimensionale Mannigfaltigkeiten und (5^ eine
Punktmenge auf ^i, ist femer jedem Punkt p^^'> von @j ein Punkt p^^^ von
|5j zugeordnet, so ist dadurch eine Al)l)ilduiig YOii 6^ in ^^ gegeben.
Die Menge der Bildpunkte auf ^^ ^^^^ ^^^ Bildmeiige von (S^ bezeichnet.
Diese Abbildung heißt stetig, wenn folgendes zutrifft: Ist p^^) irgend ein
Punkt von S^, p{;^ sein Bildpunkt auf ^^, U'"^ irgend eine Umgebung von
-p^^) auf f^2, so gibt es immer eine Umgebung U^^^ von p(,^' auf ^^j, derart
daß der Bildpunkt eines jeden gleichzeitig zu ©^ und IV^^ gehörigen Punktes
ein Punkt von U^-^ ist. — Das stetige Abbild einer abgeschlossenen Menge
ist wieder abgeschlossen. — Ist p^^^(/l.)[0 ^ A ^ 1] eine stetige Kurve
auf ^^, deren sämtliche Punkte der stetig in einer zweiten Mannigfaltigkeit
^2 abgebildeten Menge @^ angehören, so kann man auf |<^o dadurch eine
stetige Kurve definieren, daß man jedem Wert des Parameters A denjenigen
Punkt p^-) auf ^^ zuordnet, der bei der gegebenen Abbildung von ©^ aus
dem Punkte p^^^(A) hervorgeht. Diese Kurve heißt das Bild der gegebenen.
— Ist eine abgeschlossene Menge 6^ (auf ^j) umkehrbar eindeutig und
stetig auf eine Teilmenge @2 "^on ^^3 abgebildet, so ist auch die inverse Äb-
hildung (welche dadurch zustande kommt, daß man jedem Punkt p^^^ von
©2 denjenigen einzigen Punkt p^^^ von @^ zuordnet, dessen Bild p^^^ ist)
eine stetige Abbildung.
Neben den Begriff der stetigen Abbildung im gewöhnlichen Sinne^
der hauptsächlich für abgeschlossene Mengen in Betracht kommt, tritt ein
Stetigkeitsbegriff, der in analoger Weise auf die nur aus inneren Punkten
bestehenden Gebiete zugeschnitten ist und für den es bisher an einem
Namen mangelt; ich schlage die Bezeichnung „gebiets-stetig" vor. Die
Abbildung einer nur aus inneren Punkten bestehenden Menge ©^ auf fVi
heißt gebietsstetig, wenn das Abbild S5[f^ einer jeden ganz in @i gelegenen
Umgebung Uj,^^ eines beliebigen zu @^ gehörigen Punktes p^^^ stets den
Bildpunkt p|,^) von p[,^) im Innern enthält. Eine umkehrbar eindeutige
und umkehrbar gebietsstetige Abbildung ist auch im gewöhnlichen Sinne
stetig. Ein fundamentaler, von L. E. J. Brouwer bevdesener Satz*) besagt,
daß hiervon auch die Umkehrung zutrifft ; eine jede umkehrbar eindeutige
stetige Abbildung einer nur aus inneren Punkten bestehenden Menge ist
samt ihrer inversen gebietsstetig. Durch diesen Satz wird der Begriff der
Gebietsstetigkeit wieder überflüssig gemacht. Da wir aber im folgenden
nirgends Veranlassung haben, von diesemschwierigzubeweisenden Theorem
Gebrauch zu machen, möchte ich hier gleichwohl das Wort „gebietsstetig"
l)MathematischeAnnalenBd.70(1911),S. 161—165; Bd. 71(1912), S. 305— 313;
Bd. 72 (1912), S. 55—56. Brouwers Untersuchungen beziehen sich auf w-dimen-
sionale Gebiete. Den zweidimensionalen Fall, der für uns allein in Betracht
kommt, haben bereits früher unter Ziihülfenahme des sog. „Jordanschen Kurven-
satzes" Schoenflies (Göttinger Nachrichten 1899, S. 282—290), Osgood (ebendort
1900, S. 94—97) und F. Bernstein (ebendort 1900, S. 98—102) erledigt.
2*
20 Begriff und Topologie der Eiemannschen Flächen.
beibehalten. — Die Forderungen 1. und 2., die wir auf S. 18 bei der De-
finition der zweidimensionalen Mannigfaltigkeit an den Begriff der Um-
gebung stellten, lassen sich jetzt kurz dabin aussprechen: Jede Umgebung
eines FunJctes p^ <^^^f ^ ^äßt sich uml:ehrhar eindeutig und umkehrbar ge-
hietsstetig auf das Innere eines Kreises abbilden (wobei p^ in den Kreis-
mittelpunkt übergeht).
Die Definition dessen, was als „Umgebung" eines Punktes auf einer
Mannigfaltigkeit ^ betrachtet werden soll, kann bis zu einem gewissen
Grade geändert werden, ohne daß wir dadurch die Mannigfaltigkeit ^
als verändert ansehen wollen. Tasten wir nämlich die Erklärung der-
jenigen Dinge, welche als Punkte von '^ zu gelten haben, nicht an, er-
setzen hingegen die ursprüngliche („erste'^ Definition des Begrifi'es der
Umgebung durch eine zweite, die der eben neu formulierten Forderung
gleichfalls genügt, und gilt dann der .Satz: Jede nach der zweiten Defini-
tion als Umgebung von p^ zu bezeichnende Pimktmenge enthält eine
Punktmenge, welche nach der ersten Definition als Umgebung von pQ
anzusprechen ist, und umgekehrt, welches auch der Punkt p^ auf ^ sei
— so wollen wir übereinkommen, die durch die zweite Definition fest-
gelegte Mannigfaltigkeit als von der durch die erste festgelegten nicht
verschieden zu betrachten. In diesem Übereinkommen liegt wiederum eine
„Definition durch Abstraktion" vor, deren Berechtigungsnachweis wir dem
Leser überlassen können. Im übrigen wird keiner der oben aufgezählten
Stetigkeitsbegriffe dadurch, daß die erste Definition der Umgebung durch
die zweite ersetzt wird, irgendwie tangiert: eine Punktmenge, die nach
der ersten Definition als abgeschlossen zu bezeichnen ist oder als ein Ge-
biet, bleibt dies auch nach der zweiten; entsprechend steht es mit den ste-
tigen Funktionen, den stetigen Kurven, den stetigen Abbildungen usw.
Derjenige Zweig der Mathematik, der es mit den Kontinuitätseigen-
schaften der zwei- (und mehr-) dimensionalen Mannigfaltigkeiten zu tun
hat, wird als Aiialysis Situs oder Topologie bezeichnet. Diese Dis-
ziplin spielt in der Funktionentheorie seit Riemann eine wichtige Rolle,
und wir werden uns in den folgenden Abschnitten noch eingehender mit
der Topologie der zweidimensionalen Mannigfaltigkeiten befassen müssen.
Zwei Mannigfaltigkeiten müssen im Sinne der Analysis Situs als äqui-
valent betrachtet werden, wenn sie sich Punkt für Punkt umkehrbar
eindeutig und umkehrbar gebietsstetig aufeinander abbilden lassen. Alle
untereinander äquivalenten zweidimensionalenMannigfaltigkeiten darf man
als Verwirklichungen einer und derselben „idealen Mannigfaltigkeit" auf-
fassen, in der die individuellen Züge, durch die sich diese verschiedenen
Yerwirklichungen voneinander unterscheiden, ausgelöscht sind (Definition
durch Abstraktion). Die oben zusammengestellten Kontinuitäts begriffe
sind reine Analysis-situs-Begriffe, da sie sich gegenüber beliebigen umkehr-
bar-eindeutigen und -gebietsstetigen Abbildungen invariant verhalten. In-
§ 4. Begriff der Fläche. 21
dem wir das analytisclie Gebilde als zweidimensionale Mannigfaltigkeit be-
trachten, werden wir dazu geführt, die Analysis-situs-Eigenschaften dieser
Mannigfaltigkeit als die einschneidendsten und primitivsten in den Vorder-
grund zu rücken. Es scheint mir eine Forderung der Sachlichkeit zu sein,
diese Eigenschaften dann auch nur mit Hilfe solcher Begriffe und Me-
thoden zu begründen, welche der Analysis situs angehören. Dieser Forde-
rung hat Riemann bei seinem Aufbau der Funktionentheorie genügt.
Ein Teilgebiet & auf einer Mannigfaltigkeit ^ ist selber eine zwei-
dimensionale Mannigfaltigkeit @, wenn wir als Umgebung eines Punktes
von @ auf @ jede ganz in ® enthaltene Umgebung dieses Punktes auf
^ betrachten. Jede ganze zu & gehörige Kurve auf ^ ist dann auch eine
stetige Kurve auf & usw.
Um wesentliche Sätze über zweidimensionale Mannigfaltigkeiten auf-
stellen zu können, scheint es erforderlich zu sein, diesen Begriff noch einer
weiteren Einschränkung zu unterwerfen, die den Zweck hat, die Anwend-
barkeit der „ExJiaiistionsmethode" auf die zu untersuchenden Mannigfaltig-
keiten zu gewährleisten. Zur Exhaustion eines ebenen Gebietes benutzt
man am einfachsten Dreiecke (Verfahren der Triangidation). Wir werden
demnach fortan nur solche Mannigfaltigkeiten betrachten, welche sich in
einem analogen Sinne wie ein ebenes Gebiet triangulieren lassen, und es
wird diese Einschränkung deshalb für uns unbedenklich sein, weil wir
hernach für jedes analytische Gebilde den Nachweis der Möglichkeit seiner
Triangulation werden erbringen können.
Ein ebenes Dreieck läßt sich am leichtesten mit Hilfe der zu seinen
Eckpunkten gehörigen homogenen Schwerpunktskoordinaten beschreiben.
Dadurch gelangen wir zu der folgenden Erklärung. Ist jedem Tripel
(Ij, ^2? I3) 4= (0, 0, 0) von drei reellen, nicht-negotiven Zahlen ein Punkt p
der Mannigfaltigkeit ^ so zugeordnet, daß 1) zwei derartigen Tripeln dann
und nur dann derselbe Punkt p zugeordnet ist, falls beide Zahlentripel
das gleiche Verhältnis (1^ : Ig : I3) haben, und 2) die Bedingung der Stetig-
heit erfüllt ist, so sagen wir, es sei auf ^^ ein Dreieck A definiert, ^j : Ig •" ^5
heißt das Koordinatenverliältnis von p in A. — Die Bedingung
der Stetigkeit wird besagen: Ist {l\, II, |^) irgend eines der in Betracht
kommenden Tripel, p° der zugeordnete Punkt, Uq eine beliebige Umgebung
von p° auf fl^, so gibt es eine positive Zahl e von der Art, daß für alle
in Betracht kommenden Tripel, welche die Ungleichungen
k-ll\<^, \t,-ll\<e, %-ll\<s
befriedigen, der Bildpunkt p jener Umgebung Uq angehört.
Zur Definition des Dreiecks gehört demnach nicht nur die Angabe
derjenigen Punkte von ^, welche ihm angehören sollen, sondern es gilt
erst dann als vollständig bestimmt, wenn jedem seiner Punkte ein Koor-
dinatenverhältnis von drei nicht -negativen Zahlen zugewiesen ist. Die
22
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Punkte 1:0:0, 0:1:0, 0:0:1 werden als die drei Eckeu des Dreiecks zu
bezeicimen sein; die drei Kanten desselben werden durch |^ = 0, bezw.
^2 = 0, bezw. Ig = 0 geliefert.
Die Forderung der Möglichkeit einer Triangulation werden wir nun
[im engsten Anschluß an Brouwers fundamentale Arbeiten^) und in
einiger Übereinstimmung mit der in der Enzyklopädie entwickelten Dehn-
Heegaardschen Theorie^)] so zu fassen haben. Es seien auf einer Mannig-
faltigkeit ^ endlich- oder unendlich viele Dreiecke A (die „Elementardrei-
ecke" der Triangulation) definiert, sodaß jeder Punkt der Mannigfaltigkeit
mindestens einem der Dreiecke A angehört und
außerdem folgende Bedingun-
gen erfüllt sind:
Fig. 1. Innerer Punkt, Kantenpunkt, Eckpunkt einer Triangulation.
1) Ist p ein dem A-Dreieck A,, angehöriger, nicht auf den Kanten
von Aq gelegener Punkt, so gehört weder p noch irgend ein Punkt
einer gewissen Umgebung von p zu einem der von Aq verschiedenen
Dreiecke A.
2) Ist p auf einer Kante Je von A^ gelegen, jedoch kein Eckpunkt
von Aq, so gibt es ein weiteres A-Dreieck A^, dem p außerdem noch an-
gehört; Aq, A^ haben alle Punkte auf yt, aber keine weiteren gemein; weder
p noch irgend ein Punkt einer gewissen Umgebung von p gehört zu
einem von A^ und A^ verschiedenen A-Dreieck.
3) Ist p Eckpunkt eines Dreiecks A, so gibt es endlich viele A-Drei-
ecke: Aß, A^, • -, A„ denen der Punkt p angehört; in allen diesen Drei-
ecken ist p ein Eckpunkt, und sie hängen in der Weise in einem ein-
zigen Zykel zusammen, daß Aq mit A^ genau eine Kante, Aj mit Ag
eine Kante, • • • , schließlich A^^ wieder mit Aq eine Kante gemein
hat^); weder p noch irgend ein Punkt einer gewissen Umgebung von
1) S. namentlich L. E. J. Brouwer, Über Abbildung von Mannigfaltigkeiten,
Math. Ann. Bd. 71 (1912), S. 97 ff. Ferner J. Hadamard „Sur quelques applications
de l'indice de Kronecker" im 2. Bande von J. Tannery, Introduction ä la theorie
des fonctions d'une variable, 2. Aufl. (Paris 1910). Die Auffassung eiuer belie-
bigen geschlossenen Raumüäche als eines Polyeders findet sich klar entwickelt
bei Möbius, namentlich in den nachgelassenen Papieren „Zur Theorie der Poly-
eder und der Elementarverwandtschaft" (1861), Werke Bd. 11, S. 517 ff.
2) Enzyklopädie III AB 3, S. 153 ff.
3) Diese Konfiguration bezeichnen wir als einen Dreiecks-Stern.
§ 4. Begriff der Fläche. 23
p gehört einem nicht in dem Zykel A,- (i = 0,1, • ',Ji) auftretenden
Dreieck A an:
dann ist die 31annigfaUi gleit in Elementardreiecke A zerlegt.
Wir ziehen in Zukunft nur solche zweidimensionale Mannigfaltig-
keiten in Betracht, die sich in Elementardreiecke zerlegen lassen; für
solche Mannigfaltigkeiten will ich die kürzere Bezeichnung Fläche ge-
brauchen. Es wird alsbald hervortreten, welche große Bedeutung der
Möglichkeit der Triangulation für die Analysis situs auf einer Fläche
zukommt.
Hat man eine Fläche ^ in Elementardreiecke A zerlegt, so wird
man eine geordnete Folge von endlich vielen (untereinander verschiedenen)
dieser Dreiecke A:
Ai, A2,--,A„
als eine (einfache) Kette von Dreiecken bezeichnen, falls immer Ay
mit Aj_^i eine Kante gemein hat; die Kette „verbindet A^ mit A„. (Hat
auch wieder A„ mit A^ eine Kante k gemein, so ist die Kette über die
Kante k hinüber geschlossen?) Der Umstand, daß sich je zwei Punkte von
% durch eine stetige Kurve auf ^1^ verbinden lassen, hat zur Folge, daß
je zwei Elementardreiecke A durch eine einfache Kette von Dreiecken A
miteinander verbunden werden können. Zunächst nämlich kann es nur
endlichviele Dreiecke A geben, die Punkte mit einer stetigen Kurve
4) = p(A) [0 ^ A ^ 1] gemein haben. Gäbe es unendlichviele, so bekäme
man eine unendliche Reihe von Kurvenpunkten p (A^) [ / = 1 , 2 , • • •] , von
denen keine zwei dem gleichen Dreieck angehören; ist dann X^ ein Ver-
dichtungswert der Ij, so müßten in jeder Umgebung von "i^il^ Punkte
unendlich vieler Dreiecke angetroffen werden: nach den an jede Triangu-
lation zu stellenden Forderungen 1) — 3) ist das unmöglich. Um jetzt
zwei gegebene Dreiecke A, Ag und A°, durch eine Kette zu verbinden,
verfahre ich so: Ich wähle irgend einen Punkt im Innern von A^ und
einen Punkt im Innern von A" und verbinde beide auf ^ durch eine
stetige Kurve p = p(A) [0 ^ >l ^ 1]. Ich achte darauf, wann diese Kurve
zum letzten Mal das Dreieck Aq verläßt — ich drücke mich so aus, als
ob X die Zeit bedeute — , d. h. ich suche den größten Wert X = Aq, für den
p(A) zu Aq gehört. Der Punkt P(Aq) wird auf einer Kante k von A^ liegen.
Ist er kein Eckpunkt (erster Fall), so tritt die Kurve jetzt in dasjenige
Dreieck über, das längs k an Aq angrenzt: dieses A^ wird das nächste
Glied in der zu konstruierenden Kette sein. Ist hingegen p(Ao) ein Eck-
punkt, so bilde ich den ganzen Dreieckstem um den Eckpunkt P(Aq)
herum, den ich als eine einzige geschlossene Kette A^ A^ • • A^ auffassen
kann. Kommt A° unter seinen Dreiecken vor, so bin ich bereits fertig;
sonst achte ich darauf, wann die Kurve zum letzten Mal den Stern ver-
läßt. Der Punkt p^, durch den das geschieht, ist sicherlich kein Punkt
24 Begriff und Topologie der Eiemannschen Flächen.
Ton Aß (denn Aq ist sclion yorlier zum letzten Mal verlassen worden);
vielmehr sei in der Reihe A^^, • • , A^ das Dreieck A^ das erste (und, falls
p() kein Eckpunkt, auch das einzige), dem der Punkt p„ angehört. Dann
nehme ich Aj, • •, A^ als die nächsten Glieder der zu konstruierenden
Kette. (Im ersten Fall schreibe ich g = 1.) Jetzt verfahre ich mit A
so wie anfangs mit A^ und bekomme das oder die nächsten Glieder der
gesuchten Kette; auf das letzte der so neu erhaltenen Glieder wende
ich wieder das gleiche Fortsetzungsverfahren an, und so weiter. Alle
die Glieder, welche ich bekomme, sind Dreiecke, die Punkte mit der Kurve
gemein haben. Da aber für die Fortsetzung entscheidend immer derjenige
Moment ist, wo die Kurve £um letzten Mal das Dreieck oder den Stern
verläßt, komme ich auch nie zu einem schon erhaltenen Dreieck zurück.
Infolgedessen muß das Verfahren, da überhaupt nur endlichviele Dreiecke
zur Verfügung stehen, einmal abbrechen; das wird aber erst dann geschehen,,
wenn ich bis zum Endpunkt der Kurve, d. h. bis zum Dreieck A*' vor-
gedrungen bin. Durch die geschilderte Konstruktion wird demnach in
der Tat A^ mit A° durch eine einfache Kette verbunden.
Hieraus schließen wir weiter, daß die Elementardreiecke A nur eine
endliche oder abzählbar unendliche Menge bilden können. Wir gehen
von einem Dreieck A^ aus, bilden dann diejenigen endlich vielen Dreiecke
A, welche an die Kanten und Ecken von A^ anstoßeu, darauf diejenigen
endlichvielen, welche an die freien Kanten und Ecken der bis jetzt auf-
genommenen Dreiecke anstoßen, u. s. f. Dadurch ordnen wir die A in
eine abzählbare Reihe; daß dabei jedes Dreieck A schließlich mit auf-
genommen wird, folgt eben aus dem Satz von der Möglichkeit der Ketten-
verbindung.
Eine Punktmenge auf der Fläche ^, die keine Verdichtungsstelle be-
sitzt, ist endlich oder abzählbar. Jedes Dreieck A kann nämlich offenbar
nur endlichviele Punkte einer solchen Menge aufnehmen. Auf Mannig-
faltigkeiten, für welche wir die Zerlegbarkeit in Elementardreiecke nicht
voraussetzen, ist der letzte Satz nicht allgemein richtig. Wäre die Menge
der irregulären Elemente in einem analytischen Gebilde nicht abzählbar,,
so könnte das analytische Gebilde gewiß nicht trianguliert werden. Um-
gekehrt wird diese Tatsache, daß ein analytisches Gebilde in Wahrheit
nur abzählbar viele irreguläre Elemente enthält, in § 6 für uns der wesent-
liche Ausgangspunkt werden für die wirkliche Triangulation eines be-
liebigen analytischen Gebildes.
Gibt es überhaupt keine unendliche Punktmenge ohne Verdichtungs-
stelle auf ^, so heißt ^ geschlossen. Eine Menge ohne Verdichtungs-
stelle erhält man, wenn man willkürlich im Innern eines jeden Elementar-
dreiecks A einer bestimmten Zerlegung von ^ einen Punkt wählt. Also:
Eine geschlossene Fläche läßt sich in endlichviele, niemals aber in unendlich-
viele ElementardreiecJxe zerlegen. Aber auch umgekehrt : Eine offene (= un-
§ 5. Beispiele von Flächen.
25
geschlossene) Fläche läßt sich in unendlichviele, niemals ober in endlich-
viele Elementardreiecke zerlegen. Denn ist die Anzahl der Elementardreiecke
A endlich, so hat jede unendliche Punktmenge auf % eine Verdichtungs-
stelle, da auf mindestens eines der Dreiecke A unendlichviele Punkte
einer solchen Menge entfallen müssen.
§ 5. Beispiele von Flächen.
1. Die Euliidische Ebene (offen).
2. Das Innere eines Quadrats (offen).
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Fig. 2. Triangulation der Ebene und der
Fläche % (S. 28).
Fig. 3. Triangulation des Quadratinnem.
Durch die beigefügten Figuren soll eine bestimmte Triangulation dieser
Flächen angedeutet sein. Dabei ist jedes Dreieck dadurch zu einem „Dreieck
auf f5" im Sinne von § 4 zu machen, daß man die Punkte desselben durch
die zu den Ecken des Dreiecks gehörigen homogenen Schvv^erpunktskoor-
dinaten zur Darstellung bringt.
3. Die projektive Ebene. Sie kann arithmetisch definiert werden als
Gesamtheit der aus irgend drei reellen Zahlen (^j, ^g? I3) + (0, 0, 0) zu
bildenden Verhältnisse ^^ : ^9 = ^3- -^^^ Begriff der Umgebung ist so zu
fassen, daß ein variabler „Punkt" ^^ : ^j : I3 dann und nur dann gegen
den festen Punkt |? : 1" : ^3 konvergiert, falls
gegen 0 geht. Eine Triangulation (in zehn Elementardreiecke) wird durch
Figur 4 angedeutet; dabei ergibt sich ohne weiteres, wie die einzelnen
Dreiecke mit Hilfe der zu jedem von ihnen gehörigen projektiven Drei-
eckskoordinaten als „Dreiecke" in unserm allgemeinen Sinne aufgefaßt
werden können. Die projektive Ebene ist geschlossen.
4. Die Oberfläche des regulären Oktaeders zerfällt auf natürliche
Weise in acht Dreiecke, die, auf ihre Schwerpunktskoordinaten bezogen^
26
Begriff und Topologie der Riemannsclien Flächen.
als Elementardreiecke einer Triangulation aufgefaßt werden können. Ge-
schlossen.
5. Durch Projektion des regulären Oktaeders von seinem Mittelpunkt
aus auf die Oberfläche der umbeschriebenen Kugel erhält man die Kugel
als eine in acht Elementardreiecke (die Oktanten) zerlegte Mannigfaltig-
keit. Kugel und Oktaeder sind im Sinne der
Analysis situs äquivalent.
Das Möhiiissche Band}) Es entsteht
einem langen schmalen Rechteck, wenn
man dasselbe im drei-
dimensionalen Raum um
180" tordiert und so zu-
sammenbiegt, daß die
Schmalseiten des Recht-
ecks in verkehrter Lage
zur Deckung kommen.
Diese Raumfläche läßt
sich, auf rechtwinklige
Koordinaten xys bezogen, mit Hilfe
zweier reeller Parameter q, cp am ein-
fachsten analytisch so zur Darstellung
bringen ^) :
ix='{a — () sin \(p) cos qp
\y = {a — Q s\n\ cp) sin (p
\z = Q cos \q).
Fig. 4 Triangulation der projektiven
Ebene.
Fig.
MöbiusBches Band.
(p ist unbeschränkt veränderlich, q an die Bedingung p | < A geknüpft;
a und h bedeuten positive Konstante, von denen h die kleinere sein muß.
Im Sinne der Analysis situs ist das Möbiussche Band offenbar mit der
folgenden Mannigfaltigkeit ® identisch:
In einer Euklidischen Ebene mit den rechtwinkligen Koordinaten
Q, (p betrachten wir den Streifen j () | < 1 und die durch
q' = {—IYq, (p' = (p +2n% [w = 0, + 1, +2, •.•]
'definierte diskrete Gruppe V von Paddelbewegungen ^) (p, (p) -> {q cp').
Ein
1) Möbius, Werke, Bd. 2, S. 484—485 und S. 519—521.
2) Die durch diese Gleichungen dargestellte Fläche ist allerdings keine
Developpable.
3) Das (niederdeutschem Sprachgebrauch entlehnte) Wort „Paddelbewegung"
soll darauf hindeuten, daß die Gruppe erhalten wird, indem man die Ebene
fortgesetzt um eine Achse umklappt, abwechselnd links herum und rechts her-
um, sie dabei aber gleichzeitig jedesmal (um das Stück 2it) in Richtung jener
Achse vorwärtsschiebt.
§ 5. Beispiele von Flächen.
27
Punktsystem S in dieser Ebene heißt ein System hinsichtlich T äquiva-
lenter Punkte (oder kürzer: ein Punktsystem zu f), wenn durch jede
Bewegung- der Gruppe f die Punkte von S ineinander übergehen, aber
auch jeder Punkt von S in jeden andern durch eine Bew^ung dieser
Fig. 7b. Triangulation von SB.
Fig. 7a. Punkt auf SB mit Umgebung und Winkel.
Oruppe übergeführt werden kann. Ein dem Streifen | (> < 1 angehöriges
Punktsystem zu f nennen wir einen „Punkt" der zu definierenden Mannig-
faltigkeit 8. Ist 5'o ein solcher „Punkt" von S und schlägt man um die
einzelnen (Euklidischen) Punkte des Punktsystems Sq lauter kongruente
Kreise (Fig. 7 a), die ganz im Streifen liegen, so bilden diejenigen Punkt-
systeme S zu r, die in jedem dieser Kreise durch
einen Punkt vertreten sind, eine „Umgebung" von
Sq auf 58. Sagt man von einem gewöhnlichen
Punkte, der dem Punktsystem 5 zu f angehört,
er „liege über" dem „Punkte" S von 93, so erscheint
der Parallelstreifen als eine „Überlagerungsflä cJte"
über 93, welche © unendlichviel-blättrig überzieht, ohne jedoch an irgend
einer Stelle relativ zu 93 verzweigt zu sein. Im Parallelstreifen wenden
wir die Euklidische Winkelmessung an; indem wir ihn als Überlagerungs-
fläche von 93 auffassen, überträgt sich diese Winkelmessung ohne wei-
teres auf 93. Dabei wird aber das Winkelmaß nicht bloß bis auf ganz-
zahlige Vielfache von 2%, sondern auch seinem Vorzeichen nach unbe-
stimmt (Fig. 7 a). Dieser Umstand hängt mit einer Eigenschaft des Mö-
biusschen Bandes zusammen, die man als seine „Einseitigkeit" bezeichnet
(ohne die Fläche zu verlassen und ohne über ihren Rand zu klettern,
kann man von der einen Seite auf die andere kommen) und die wir her-
nach ihrer funktionentheoretischen
-P, 1 . , . A,2 Ebene m = 0.
Bedeutung wegen noch genauer ms
Auge fassen werden. — Eine Trian-
gulation von 93 und damit desMöbius-
schen Bandes deutet Fig. 7 b an.
7. Der Toms entsteht (Fig. 8),
wenn man einen Kreis vom Radius
r um eine in seiner Ebene gelegene Achse, die den Kreis nicht trifft,
rotieren läßt; i2(>r) möge der senkrechte Abstand des Kreismittel-
punktes von der Achse sein. Die rechtwinkligen Koordinaten xyz der
Punkte auf der Fläche lassen sich mit Hilfe zweier reeller Parameter 6,
<p, deren geometrische Bedeutung evident ist, in der Form
Konstruktion des Torus.
28 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
IX = (R -\- r COS 6) cos (p,
y = (B, -{- r cos 6) sin (p,
z = r sin <5
darstellen. Dem Torus kommt als einer Fläche im dreidimensionalen
Euklidisclien Raum eine natürliche (Euklidische) Winkelmessung- zu. Ist
eine Kurve auf dem Torus
ip = fp{X), ö = (y(A)
gegeben, wobei ^., j stetig seien und durchweg ( ,, j -f (^) 4= 0, so
berechnet sich der Differentialquotient der Bogenlänge s = s{X) dieser
Kurve aus:
Führt man statt 6 einen neuen Parameter ip ein:
(8)
7 r + ^°
+ cos (?
0
so kann man statt dessen schreiben
(9) ds^ = e{d(p^ + dV), wo e = (22 + r cos 6)\
Durch (8) ist if als eindeutige, stetig differentiierbare Funktion von 6y.
aber auch umgekehrt 6 als eine ebensolche Funktion von t^» erklärt. Die
Werte (9, t/;), die einem bestimmten Punkt auf dem Torus entsprechen,,
sind nur bis auf ganzzahlige Vielfache von
2rt
t^ , f d6 2jtr
2 7t, bzw.
/■-^
YB^
cos ö
r
0
bestimmt. Wir werden so dazu geführt, in einer Euklidischen Ebene
mit den rechtwinkligen Koordinaten qp, j/' die Translationsgruppe
' 10 , ' , I 27rr
/w = 0, ±1, ±2,-
U==0, + 1, +2,-
zu betrachten und ein System hinsichtlich f äquivalenter Punkte, ein
sog. „Puiiktgitter", als „Punkt" einer neuen Mannigfaltigkeit X anzu-
sprechen, über der sich dann die Ebene als unendlichviel-blättrige, aber
nirgends verzweigte Überlagerungsfläche ausbreitet. Die Euklidische
Winkelmessung der Ebene überträgt sich ohne weiteres auf die Mannig-
faltigkeit 2, und es resultiert daraus nicht (wie im Falle des Möbius-
5. Beispiele von Flächen. 29
sehen Bandes) eine Unsicherheit hinsichtlich des Winkelvorzeichens. Auf
diese Mannigfaltigkeit X ist der Torus vermittels seiner Darstellung
durch die Parameter cp, ip umkehrbar-eindeutig und -gebietsstetig abge-
bildet; aber nicht nur das: die Abbildung ist auch konform. Die Glei-
chung (9) besagt nämlich, daß das Verhältnis eines Bogenelements ds
auf dem Torus zu dem Bildelement {Ydcp^ -\- äH'^) in der ()Pj/;-Ebene
= ]/^= i^ + r cos ö ist, also nur von der Stelle, an der sich das Bogen-
element befindet, nicht aber von dessen Richtung abhängt. Diese kon-
forme Abbildung liefert die Grundlage für die Theorie der analytischen
Funktionen auf dem Torus. — Der Torus ist geschlossen; eine Triangula-
tion ist durch Fig. 2 gegeben, wenn das dort stark ausgezogene Rechteck,
dessen Seiten den Koordinatenachsen parallel sind, die Seitenlängen 2x
und ^''^ besitzt. Auch ist in dieser Figur ein „Punkt" von % durch
Nullkreise markiert.
8. Die möglichen simultanen Stellungen zweier auf einem Ziffern-
blatt spielender Zeiger sind die Punkte einer Mannigfaltigkeit, auf der
man eine stetige Kurve beschreibt, wenn man die beiden Zeiger irgend-
wie gleichzeitig in stetiger Weise bewegt. Diese Mannigfaltigkeit ist
offenbar geschlossen und dem Torus äquivalent.
9. Damit eine Fläche im Sinne der Analysis situs gegeben ist, ge-
nügt es, die Dreiecke, aus denen sie (nachdem sie in einer bestimmten
Weise trianguliert ist) besteht, durch irgendwelche Symbole (z. B. Num-
mern) zu kennzeichnen und die Verknüpfung dieser Dreiecke anzugeben.
Am einfachsten geschieht das in der Weise, daß man die Ecken nume-
riert und dann jedes Dreieck in der Form {efg) [oder (feg) oder • • •] no-
tiert, wenn e, f, g die Nummern seiner Ecken sind.^) Das so entstehende
Schema wird der Bedingung genügen, daß jede Ecke e^ nur in einem
einzigen endlichen Zyklus von Dreieckssymbolen:
(e^e^e.^, {e^e^e^), ■■-, (ef^e^^^e^), (e^e^e,)
auftritt. Ferner wird man die Eckennummern in keiner Weise so in
zwei Klassen teilen können, daß jedes Dreieckssymbol entweder drei
Ecken aus der einen oder drei Ecken aus der andern Klasse aufweist.
Jedes Schema von Symbolen (efg), das diesen Bedingungen genügt, de-
finiert auch eine bestimmte Fläche im Sinne der Analysis situs (samt
einer bestimmten Triangulierung derselben). Diese abstrakte Art der
Beschreibung eignet sich insbesondere für geschlossene Flächen, da für
diese das nur aus endlichvielen Symbolen bestehende Schema vollständig
hingeschrieben werden kann. Die Aufstellung aller zulässigen endlichen
Schemata ist eine rein kombinatorische Aufgabe. Es erhebt sich natür-
1) Möbius, Werke Bd. II, S. 478 f.
30 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
lieh sogleich die Frage, wann zwei solche endlichen Schemata eine und
dieselbe Fläche (in verschiedener Triangulierung) darstellen; die weiteren
Entwicklungen über Analysis situs, die dieses Kapitel enthält, werden,
wichtige Beiträge zur Beantwortung dieser Frage liefern.
Das Schema des Tetraeders und damit der Kugel lautet beispiels-
weise:
(123) (234) (341) (412).
In anderer, oktaedrischer Triangulierung [vgl. Fig. 5] kann die Kugel
durch die Tabelle
(112) (123) (134) (141)
(II 12) (II 2 3) (II 3 4) (II 41)
beschrieben werden. Die projeMive Ebene in der oben [Fig. 4] gezeich-
neten Triangulation besitzt das folgende Schema^):
(121) (2 3 II) (3 IUI)
(12n) (2 3 III) (311)
(1 n III) (2 III I) (3 I II)
(I II III).
10. Jedes analytische Gebilde liefert ein Beispiel für eine „Fläche"
in unserm Sinne, wenn wir die dem analytischen Gebilde angehörigen
Funktionselemente als „Punkte" betrachten und den zur Definition der
Fläche erforderlichen Begriff „Umgebung" mit dem in § 2 behandelten
Begriff „analytische Umgebung" zusammenfallen lassen. Es ist zu-
nächst klar, daß in dieser Deutung jedes analytische Gebilde zu einer
zweidimensionalen Mannigfaltigkeit wird; nur bleibt noch zu beweisen,,
daß diese Mannigfaltigkeit stets auch einer bestimmten Triangulierung
fähig ist.
§ 6. Analytische Gebilde, als Flächen betrachtet.
Ein Dreieck A auf einer beliebigen zweidimensionalen Mannigfaltig-
keit % kann man derartig Punkt für Punkt durch ein Euklidisches Drei-
eck D mit den Ecken 1, 2, 3 repräsentieren, daß man jedem Punkt von
A, der nach S. 21 ein bestimmtes Koordinatenverhältnis Ij : ^2 = ^3 (^^ ^)
besitzt, denjenigen Punkt von D zuordnet, dessen homogene Schwer-
punktskoordinaten in bezug auf die Ecken 1, 2, 3 den gleichen Wert
^x'-i%'- ^3 besitzen. Und umgekehrt darf man eine Punktmenge A auf f^,
die umkehrbar eindeutig und stetig auf ein Euklidisches Dreieck D ab-
gebildet ist, auf Grund dieser Abbildung als ein Dreieck auf ^^ ansprechen.
Jede in D gelegene geradlinige Strecke ist dann Bild einer ganz in A
1) Die in den ersten beiden Zeilen stehenden Dreiecke ziehen sich durchs
Unendliche.
§ 6. Analytische Gebilde als Flächen. 31
verlaufenden Kurve auf ^, die wir als „Elemeutarstrecke" in A be-
zeichnen, und jedes ganz in D gelegene Euklidische Dreieck D* ist Bild
eines Dreiecks A* auf der Mannigfaltigkeit; A* nennen wir ein „Teil-
dreieck** von A.
^ sei in bestimmter Weise in Elementardreiecke zerlegt. Eine an-
dere Zerlegung t,' derselben Mannigfaltigkeit in Elementardreiecke nen-
nen wir eine Uuterteihing der ersten, ^, wenn jedes Elementardreieck
der Zerlegung ^' Teildreieck eines Elementardreiecks der Zerlegung t,
ist. Ist ^ eine gegebene Zerlegung in Elementardreiecke, so kann man
sich sehr leicht eine solche Folge von Triangulationen ^^ t^, ^3, • • • ver-
schaffen, daß 1) ^^ = ^ ist, 2) jedes ^„^^ eine Unterteilung des vorher-
gehenden ^„ ist und 3) die Teilung t,^ mit unbegrenzt wachsendem n l3e-
liel)ig fein wird. Das letzte soll besagen: Ist |) ein beliebiger Punkt
von ^, IX eine beliebige Umgebung von p auf ^, so gibt es immer einen
Index n derart, daß dasjenige Elementardreieck (oder ausnahmsweise:
diejenigen Elementardreiecke) von 2;„, in welchem (welchen) p liegt, selber
ganz in U enthalten ist (sind). Waren auf ^ irgend abzählbar unend-
lichviele Punkte p^i p3> " " ' gegeben, so können wir diese Folge von immer
feiner werdenden Unterteilungen noch so einrichten, daß pg unter den
bei der Teilung ^3 auftretenden Eckpunkten enthalten ist, P3 unter den
Eckpunkten der Teilung ta usw. Von dieser Bemerkung werden wir so-
gleich Gebrauch machen.
Zunächst soll gezeigt werden, daß jedes Gebiet ö) auf einer Fläche
^ (das nach S. 21 selbst als eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit auf-
gefaßt werden kann) einer Triangulation fähig ist, wenn dies für % zu-
trifft. Man gehe aus von einer Triangulation t, = t,^ von % und konstruiere
dazu eine Folge von Unterteilungen t,^, ^3, ..., deren Feinheitsgrad mit
wachsendem Index unter jede Grenze herabsinkt. Es seien V^ diejenigen
Dreiecke von t,^, die ganz innerhalb % liegen; V^ diejenigen Dreiecke von
^2, die ganz in @ liegen, aber nicht Teile der V^ sind; T^ diejenigen Dreiecke
von ^3, die ganz in @ liegen, aber weder Teile von Dreiecken r^ noch
von Tg sind; usw. Alle die Dreiecke r^, r2, Tg, ..., die in ihren inneren
Punkten durchweg verschieden sind, aber zusammen das ganze Gebiet %
erfüllen, mögen mit einem gemeinsamen Namen „die Dreiecke f" heißen.
Auf den Kanten eines DreiecJcs f liegen nur endlichviele Ecken von Drei-
ecJcen T. Lägen daselbst nämlich unendlichviele, so hätten sie eine Ver-
dichtungsstelle p. Zu p gehört eine Umgebung U, die ganz in @ gelegen
ist, und es findet sich ein Index n, so daß alle Dreiecke der Teilung ^„,
welche p enthalten, ganz in U und damit ganz in & gelegen sind. Im
Innern des Dreieckpaars (oder Dreiecksterns) von ^„, welches p enthält,
kann aber, abgesehen vielleicht von p selbst, kein Eckpunkt von Drei-
ecken r liegen. Das ist ein Widerspruch. — Unsere Konstruktion wird
jetzt so fortgesetzt: Ein einzelnes Dreieck f, es heiße f, läßt sieh so in
32 BegriiF und Topologie der Riemannschen Flächen.
endlicliTiele Teildreiecke zerlegen, daß die Ecken dieser Teildreiecke ge-
nau alle die auf den Kanten von P" gelegenen Ecken der Dreiecke f sind
(Fig. 9). Führen wir diesen Teilungsprozeß nicht nur mit f", sondern mit
jedem Dreieck f aus, so gewinnen wir dadurch die gewünschte Zerlegung
von @ in Elementardreiecke.
Durch Überlegungen ganz analoger Art ge-
lingt nun auch der am Schluß des vorigen Para-
graphen angekündigte Nachweis, daß jedes ana-
lytische Gebilde 0, als zweidimensionale Mannig-
faltigkeit aufgefaßt, in Elementardreiecke zerlegt
werden kann. Wir operieren mit einer ^f-Kugel,
Fig. 9. Zerlegung in Teil- "n i j. ■ ■ x. ^ j. tut • /j i
dreiecke. deren Funktcn wir m bekannter Weise (durch
stereographische Projektion) die Werte der komplexen Veränderlichen 2
einschließlich oo zugeordnet denken. Ein zu (jr gehöriges Funktions-
element:
u = Potenzreihe in yz — a
nennen wir einen „über dem Punkte ^ = a der ^-Kugel gelegenen" Punkt
von Cr; schreitet u nach Potenzen von -^r^ fort, so liegt das betreffende
yz
Funktionselement über dem Punkt oo der ^-Kugel. Cr erscheint dieser Aus-
drucksweise gemäß als eine gewisse Überlagerungsfläche über der ^-Kugel,
als ein Gebilde von der Art, wie es Riemann in seiner berühmten
Dissertation^) zur Untersuchung mehrdeutiger analytischer Funktionen
eingeführt hat, und das seitdem unter dem Namen ,,Riemannsche Fläche"
die Theorie dieser Funktionen beherrscht.
Wir markieren auf der Kugel die abzählbarvielen Punkte a^, a^, . . . ,
über denen verzweigte Funktionselemente („Terzweigiingspiiukte") von
G liegen, t,^ bedeute die Zerlegung der Kugel in ihre acht Oktanten, die
gemäß § 5, Beispiel 5) als Dreiecke auf der Kugel gelten sollen; ^^, ^^,
^3, ... sei eine mit t,^ beginnende Folge von Triangulationen der Kugel
von der Beschaffenheit, daß immer ^^^^ eine Unterteilung von g^ ist, a„
als Eckpunkt der Teilung ^^ auftritt, und t^ mit unbegrenzt wachsen-
dem n beliebig fein \\ärd. Wir betrachten ein Dreieck D auf der Kugel,
das in irgendeiner dieser Einteilungen ^„ auftritt. Eine Punktmenge A
auf G wird als ein über D gelegenes dreieckiges Stück von Cr zu bezeichnen
sein, wenn die Beziehung
»zu A gehöriger Punkt p -> Kugelpunkt, über dem p liegU
eine umkehrbar eindeutige stetige Abbildung zwischen den Punkten von
A und D ist. A erscheint dann zufolge dieser Abbildung als ein auf G
definiertes Dreieck.
1) Werke, 2. Aufl., S. 7—9.
§ 6. Analytische Gebilde als Flächen. 33
Wir suchen nun zunächst diejenig-en Dreiecke A* auf Gr auf, welche
über einem sphärischen Dreieck der Teilung ^^ liegen und keinen Ver-
zweigungspunkt enthalten; solcher Dreiecke A* wird es endlich- oder un-
endlichviele geben, vielleicht existiert aber auch gar keines. Daraufsuchen
Avir diejenigen Dreiecke AI auf Cr, welche über einem Dreieck der Teilung
^2 liegen, welche höchstens einen und zwar einen über a, gelegenen Verzwei-
gungspunkt besitzen und welche nicht Teile von Dreiecken A* sind; darauf
diejenigen Dreiecke A3 auf G, welche folgende Eigenschaften besitzen: jedes
A3 muß über einem Kugeldreieck der Teilung ^3 liegen, darf höchstens
einen einzigen Verzweigungspunkt enthalten und dieser muß dann über a^
oder über a^ liegen, und A3 darf nicht Teil eines Dreiecks A* oder A^ sein;
usw. Die Dreiecke A* (A*, A^, A3, . . .), in ihren inneren Punkten durchweg
verschieden, erfüllen zusammen die ganze Fläche 0. In der Tat: ist e
irgendein Element von G, das über dem Punkte a der ^-Kugel liegt, und ist k
eine Kalotte um a, in der die Normaldarstellung von e gültig ist, n aber
ein Index von der Art, daß alle Dreiecke Z)„ der Teilung £;„, welche a
enthalten, ganz in Je liegen, und a, falls es Verzweigungspunkt ist, mit
einem der Punkte a^, a.,, . . ., a„ zusammenfällt: so liegt über jedem dieser
Dreiecke Z)„ mindestens ein Dreieck auf G, welches e enthält. Diese Drei-
ecke auf G sind Dreiecke A*, wenn sie nicht bereits als Teile in Dreiecken
A* oder A* . . . oder A* _ ^ enthalten waren.
Ohne Einführung neuer Eckpunkte läßt sich jetzt mit jedem Drei-
eck A* eine solche Einteilung in endlichviele Dreiecke vornehmen, daß
die dadurch entstehenden Dreiecke A auch noch diese Eigenschaft be-
kommen: jeder Punkt, der für ein A Eckpunkt ist, ist in allen (endlich-
vielen) Dreiecken A, denen er angehört, gleichfalls ein Eckpunkt. Um
einzusehen, daß wir damit eine Zerlegung von G in Elementardreiecke
A. gewonnen haben, beachte man folgende leicht zu beweisende Tatsachen:
Zwei Dreiecke A, die über einem und demselben Dreieck der ^-Kugel
liegen, haben entweder keinen Punkt gemein oder einen einzigen Eckpunkt,
der dann ein Verzweigungspunkt ist.
Zwei Dreiecke A, die über zwei verschiedenen Dreiecken der ^^-Kugel
mit gemeinsamer Kante liegen, haben entweder keinen Punkt gemein oder
einen Eckpunkt, der dann ein Verzweigungspunkt ist, oder eine ganze
Kante, die über der gemeinsamen Kante der beiden Kugeldreiecke liegt.
Zwei Dreiecke A, die über zwei Kugeldreiecken ohne gemeinsamen
Punkt oder mit nur einem gemeinsamen Eckpunkt liegen, haben entweder
keinen Punkt oder einen Eckpunkt gemein.
Ist e unverzweigter Eckpunkt eines Dreiecks A, so machen die Drei-
ecke A, welche e enthalten, einen einzigen Zykel aus, der Dreieck für
Dreieck über einem Stern der ^-Kugel liegt. Ist e ein Verzweigungspunkt
(fi — 1)**' Ordnung (}i ^ 2), so ist er Eckpunkt für alle Dreiecke A, die
€ enthalten; diese gruppieren sich um e in einem einzigen Zykel, und
Weyl: Die Idee der Riemann»chen Fläche 3
34 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
z"war liegen je ju. Dreiecke des Zykels über einem und demselben Dreieck
der ^'-Kugel.
§ 7. Begriff der Riemannschen Fläche.
Ist e ein zu G gehöriges Element und
z = F(t\u= Q(t)
eine für | ^ i < >* [^' > 0] gültige Darstellung desselben, so gehört zu jedem
tf i ^ ' < r, ein Element e„ das durch Umordnen der Entwicklung von e:
z =-- P(t + t'), u=^Q{t-\- t')
nach Potenzen von f entsteht. Dieser Übergang t — > e^ ist eine umkehr-
bar eindeutige gebietsstetige Abbildung des Kreises t <Cr auf eine ge-
v/isse Umgebung des Punktes e auf G : der Parameter^ ersckeint so als
eine in dieser Umgebung definierte stetige Funktion auf G; wir bezeich-
nen ihn als eine zum Punkte e gehörige „Ortsimiformi^ierende". Jede
andere zu e gehörige Ortsuniformisierende t ist für hinreichend kleine t
in der Form
darstellbar. Eine komplexwertige Funktion f, die in einem Gebiet von
G definiert ist, wird in einem Punkte e dieses Gebietes regulär-analytisch
heißen, w^emi sie sich in einer gewissen Umgebung von e als reguläre
Potenzreihe der zu e gehörigen Ortsuniformisierenden t darstellen läßt:
Welche Ortsuniformisierende dabei t bedeutet, ist gleichgültig; wenn eine
solche Darstellung durch eine Ortsuniformisierende möglich ist, so ist f
in der gleichen Art auch durch jede andere Ortsuniformisierende dar-
stellbar (natürlich immer nur in einer gewissen, noch von der Wahl der
Ortsuniformisierenden abhängigen Umgebung von e).
Enthält die Entwicklung von z[z = F{{)\ in der Darstellung des
Funktionselements e keine negativen Potenzen von t, so ist das konstante
Anfangsglied z^ dieser Entwicklung allein von e, nicht aber von der Dar-
stellung des Elements e abhängig; z^^ wird als der Wert der komplexen
Veränderlichen z im „Punkte" C zu bezeichnen sein. Beginnt jene Ent-
wicklung mit negativen Potenzen von t, so hat das Gleiche für eine jede
Darstellung des Funktionselements e statt, und der Wert von z im Punkte
e ist = oo. Auf diese Weise erscheint z als eine nherall his auf isolierte
ünendlichkeitssteUen definierte eindeutige regulär-analytische FunMion auf
der „Fläche" G. Ganz analog können wir u als eine bis auf Pole in ganz
G eindeutig erklärte regulär-analytische Funktion auffassen. Als unab-
hängiges Argument in beiden Funktionen figuriert nicht eine komplexe
Veränderliche im gewöhnlichen Sinne (d. h. nicht ein Punkt, der in einem
§ 7. Begriff der Riemannschen Fläche. 35
ebenen Gebiet variiert), sondern ein auf der „Riemannschen Fläche" G
variabler Punkt.
Für die Behauptung, daß z und u analytische Funktionen auf der
Fläche G sind, ist es wesentlich, daß G nicht bloß als eine Fläche im
Sinne der Anahjsis sitiis gegeben ist. Denn auf einer Fläche, von der allein
Analysis-situs-Eig-enschaften in Betracht g-ezogen werden, kann man wohl
von stetigen Funktionen sprechen, nicht aber von „stetig differentiier-
baren", „analytischen" (oder gar „ganzen rationalen") Funktionen oder
dergl. Um auf einer Fläche ^ analytische Funktionentheorie in analoger
Weise wie in der komplexen Ebene treiben zu können, muß vielmehr
(außer der Definition der Fläche) eine Erklärung abgegeben sein, durch
welche der Sinn des Ausdrucks „analytische Funktion auf der Fläche"
so festgelegt wird, daß sich alle Sätze über analytische Funktionen in der
Ebene, die „im Kleinen" gültig sind, auf diesen allgemeineren Begriff
übertragen. „Im Kleinen" gültige Sätze sind dabei solche, deren Richtig-
keit immer nur für eine gewisse Umgebung eines Punktes, über deren
Größe der Satz selbst keine Auskunft gibt, behauptet wird. Durch eine
solche Erklärung des Ausdrucks „analytische Funktion auf f^" wird die
Fläche ^ zur Kiemannsehen Fläche. Diese Auffassung des Begriffs
der Riemannschen Fläche, in anschaulicher Form zuerst von F. Klein in
seiner Schrift „Über Riemanns Theorie der algebraischen Funktionen und
ihrer Integrale"^) entwickelt, ist allgemeiner als diejenige, deren sich Rie-
mann selbst in seinen grundlegenden Arbeiten über die Theorie der
analytischen Funktionen bedient. Es kann aber kein Zweifel sein, daß
erst bei dieser verallgemeinerten Fassung die Riemannschen Ideen in
ihrer vollen Einfachheit und Kraft hervortreten. Zu ihr hat übrigens Rie-
mann selbst durch die in seinem Habilitationsvortrag^j entwickelten, die
1) Leipzig 1882. Siehe ferner Klein, Neue Beiträge zur Riemannschen Funk-
tionentheorie, Math. Ann. Bd. 21 (1883), §§ 1—3 [S. 146—151]. Flächen, die
durch Ränderzuordnung geschlossen sind, als Träger analytischer Funktionen
kommen bereits früher vor (s. Riemann, Art. 12 der „Theorie der Abelschen
Funktionen", Werke S. 121; H. A. Schwarz in seiner fundamentalen Arbeit über
die Integration der partiellen Differentialgleichung ^^^ + ^—^ = 0 aus dem Jahre
1870, Gesammelte mathematische Abhandlungen Bd. II, S. 161 ; Dedekind, Grelles
Journal Bd. 83, 1877, S. 274 ff. Frei im Raum gelegene Flächen wurden, freilich
nur zu Analysis-situs-Untersuchungen, zuerst herangezogen von Tonelli (1875;
Atti dei Lincei, ser. II, t. 2) und Clifford (1876; Mathematical Papers, S. 249 ff.).
Klein selbst hat, wie er in der Vorrede zu seiner Schrift „Über Riemanns
Theorie" (pag. IV) mitteilt, den ersten Anstoß zu seiner Auffassung durch eine
gelegentliche mündliche Bemerkung von Prym (1874) erhalten. Bei Klein handelt
es sich immer nur um geschlossene Gebilde. Der allgemeinste Begriff findet sich
explizit wohl erst bei Koebe, vgl. z. B. Göttinger Nachrichten 1908, S. 338—339
(Fußnote).
2) „Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen", Werke,
2. Aufl., S. 272—287.
3*
36 Begriff und Topologie der RiemannBchen Flächen.
M-dimensionalen Mannigfaltigkeiten betreffenden Begriffsbildungen den
Grund gelegt, und es darf wohl als sicher angenommen werden, daß für
Riemann die in jenem Vortrag ausgesponnenen Gedanken in enger Be-
ziehung zu seinen funktionentheoretischen Untersuchungen standen, ob-
wohl diese Beziehungen von ihm nicht ausdrücklich hervorgehoben
werden.
AUgemeiue Definition des Begriffs der Riemannschen Fläche.
Liegt eine Fläche ^ vor und ist außerdem für jeden Punkt pQ von ^J und
jede in irgend einer Umgebung von p^ vorhandene Funktion /"(p) auf f^
erklärt, wann /'(p) im Punkte pQ regulär-analytisch heißen soll, so ist da-
mit eine Riemannsclie Fläche ^^ gegeben, als deren Punkte die Punkte
von ^ betrachtet werden. Jene Erklärung aber muß den folgenden Bedin-
gungen genügen:
1. Ist Po irgend ein Punkt von ^, so gibt es eine Funktion t{'p), die
nicht nur im Punkte p^ {woselbst sie den Wert 0 besitzt) sondern auch in
allen Punkten p einer geivissen Umgebung von p^ auf ^ regulär-analytisch
ist und von dieser Umgebung ein umkehrbar-eindeutiges, -gebietsstetiges Bild
in der komplexen t-Ebene entwirft; eine solche Funktion heißt eine Orts-
uniformisierende zu p^.
2. Ist /"(p) irgend eine im Punkte po regulär-analytische Funktion und
t{p) eine zu p^ gehörige Ortsuni formisierende, so gibt es stets eine Um-
gebung Uq von Po, in welcher f()fi) sich als eine reguläre Potenzreihe in t{p)
(10) /-(p) = «0 + «i^(p) + aSo?)y + • • .
darstellen läßt.
Aus diesen Forderungen ergibt sich: Ist x neben t eine andere zu
Po gehörige Ortsuniformisierende, so muß in einer gewissen Umgebung
von Po eine Darstellung
T = y^t -{- y^t^ -\
gültig sein. Da sich aber auch umgekehrt t in analoger Weise durch t
ausdrücken muß, ist notwendig y^ =}= 0. Um die Analytizität einer Funk-
tion /\p) im Punkte po nachzuweisen, genügt es daher stets, die Existenz
einer Darstellung (10) durch eine einzige zu po gehörige Ortsuniformi-
sierende ^(p) zu erweisen.
Sind irgend zwei Riemannsche Flächen f^^, %^ gegeben, so heißt
eine Abbildung, welche f^^ Punkt für Punkt umkehrbar-eindeutig und
-gebietsstetig so auf ff^ abbildet, daß jede in irgend einem Punkte von
^y regulär-analytische Funktion durch diese Abbildung in eine Funktion
auf ^2 übergeht, die im Bildpunkt regulär-analytisch ist, eine konforme
Abbildung. Der Grund für diese Benennung wird bald ersichtlich wer-
den. Zwei Riemannsche Flächen, welche sich konform aufeinander abbilden
lassen, werden als (konform-) äquivalent und nur als verschiedene
§ 7. Begriff der Riemannsclien Fläche. 37
Yerwirklichungen einer und derselben idealen Riemannschen Fläche zu
betrachten sein. Als innere Eigenschaften einer Riemannschen Fläche
werden stets nur solche gelten können, die gegenüber konformer Abbil-
dung invariant sind, welche also, wenn sie einer Riemannschen Fläche ^
zukommen, auch jeder mit dieser äquivalenten Riemannschen Fläche
anhaften. Alle Analysis-situs-Qualitäten gehören selbstverständlich zu
diesen inneren Eigenschaften einer Riemannschen Fläche.
Jedes Teilgebiet einer Riemannschen Fläche ist selbst eine Riemann-
sche Fläche. Jede Ortsuniformisierende zu einem Punkt p bildet eine ge-
wisse Umgebung von p konform auf ein ebenes Gebiet ab. Dabei ist die
Ebene gleichfalls als Riemannsche Fläche aufzufassen und zwar so, wie
es dem elementaren Begriif der analytischen Funktion in der komplexen
Gaußschen Zahlenebene entspricht.
Wir haben oben erörtert, in welchem Sinne ein analytisches Gebilde
als Riemannsche Fläche angesehen werden kann. Aber die Begriffe „ana-
lytisches Gebilde" und „Riemannsche Fläche" fallen nicht zusammen.
Durch ein analytisches Gebilde [s, u) ist uns nicht bloß eine Riemann-
sche Fläche gegeben, sondern gleichzeitig zwei bis auf Pole reguläre
Funktionen z und u auf ihr. 0 und ii genügen dabei folgender Bedingung :
Es gibt keine zwei verschiedene Punkte p?, pg auf der Riemannschen Fläche,
zugehörige Ortsuniformisierende ^j, bzw. t^ und zwei nach ganzen Potenzen
von t fortschreitende Reihen P(t), Q (t) von der Art, daß
2 = Pißi), u = Q(t{) in der Umgebung von p?,
z = ^(^2)7 ^ ^ Qih) ^ dßr Umgebung von p2
ist. Zu einer beliebigen RiemannschenFläche bekommt man immer dadurch,
daß man auf ihr irgend zwei bis auf Pole reguläre Funktionen z, 11 aus-
zeichnet, welche der eben formulierten Bedingung genügen, ein ana-
lytisches Gebilde. Wenn es aber überhaupt ein solches Funktionenpaar
2, u gibt, so läßt es sich auch immer auf unendlichviele verschiedene
Arten wählen; z. B. kann ich statt z, u irgend zwei lineare Kombinationen
von z, u benutzen:
z' = az -{- hu, u = Az + Bu
[a, h; A, B konstant; aB —hA=^0].
Daß zu jeder vorgegebenen Riemannschen Fläche ivirklich ein FimJc-
tionenpaar (z, u), d. h. ein analytisches Gebilde gehört, ist eine Grundtat-
sache der Riemannschen Funktionentheorie, deren Beweis für geschlossene
Riemannsche Flächen in Kap. II dieser Schrift mit Hilfe des von Riemann
zu dem gleichen Zweck verwendeten Thomson -Dirichletschen Prinzips
erbracht werden wird.
38 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Wir zählen nunmehr einige invariante Begriffe auf, welche das Ver-
halten von Funktionen und Kurven auf Riemannschen Flächen betreffen.
Beginnt die Entwickhmg einer im Punkte p^ regulären Funktion
f(p) nach Potenzen der zu p^ gehörigen Ortsuniformisierenden t mit dem
Gliede a^t'" (a„=t= 0), so ist p^ eine Nullstelle der m'"'' Ordnung \onf
Wir sagen auch: f hat an der Stelle po ^lie Ordnung m. Ist t(p) irgend
eine andere Ortsuniformisierende zu pQ,
^ = Ci r 4- ^2 T- H (q 4= 0; ,
so beginnt die Entwicklung von f nach Potenzen von r mit dem Gliede
a^Cj^"'-T'"; daraus folgt die „Invarianz" der Ordnung m einer Nullstelle.
Gestattet eine Funktion f(p) in einer gewissen Umgebung des Punktes
pQ, abgesehen vom Punkte p^ selbst, eine Entwicklung
/■ = ^ 4 + ^ + 0^0 + «1 ^ H [«- n + 0, )e ganz und > 0] ,
so hat f an der Stelle po einen Pol w'" Ordnung; wir sagen auch: /"hat
an der Stelle p^ die Ordnung — n. Invarianzbeweis wie oben. Hat die
Funktion /"( p) an der Stelle p^ die Ordnung k (^ 0) und 5f(p) die Ordnung
l, so hat fg in p^ die Ordnung k -\- l, die Ordnung k — l.
Ist eine eindeutige Funktion f in der Umgebung des Punktes p^, ab-
gesehen von diesem Punkte selbst, regulär-analytisch, so kann man ihr
entweder im Punkte pg einen solchen Wert erteilen, daß sie auch in
Po regulär ist, oder sie hat in p,, einen Pol, oder sie hat dort eine
wesentlich -singulare Stelle. Im letzten Fall kommt f{p) in jeder
Umgebung von p^ jedem Wert beliebig nahe.
Sind z, u zwei in einem Gebiet @ der Riemannschen Fläche bis auf
Pole reguläre Funktionen, so ist auch jeder rationale Ausdruck Il(z,u)
von z, u in @ bis auf Pole regulär. Indem man nämlich für z, u ihre Ent-
wicklungen nach Potenzen der zu einem Punkt des Gebietes gehörigen
Ortsuniformisierenden t einsetzt, erhält man für R(z,u) eine nach ganzen
Potenzen von t fortschreitende Reihe, die höchstens endlichviele negative
Potenzen enthält. Also auch dort, wo sich für R durch direktes Ein-
setzen der We)ie von z und u zunächst ein unbestimmter Ausdruck von
der Form ~ ergibt, liegen in Wahrheit keine Stellen der Unbestimmtheit vor.
Eine reelle Funktion U heißt an einer Stelle p^ eine harmonische
oder Potential-Funktion, falls es eine in diesem Punkte regulär-analy-
tische Funktion gibt, mit deren Realteil Uin einer gewissen Umgebung von
Po übereiustimrat. Ist ü in allen Punkten eines Gebietes harmonisch, aber
nicht = const., so kann U in keinem Punkte dieses Gebietes ein Maximum
(größten Wert) oder Minimum (kleinsten Wert; besitzen. Es gibt daher auf
einer geschlossenen Riemannschen Fläche außer der Konstanten keine über-
cdl harmonisclie und a fortiori keine überall regulär-analt/tische (eindeutige)
§ 7. Begriff der Riemannschen Fläche. 39
Fmiktion. — Damit eine reelle Funktion U an der Stelle pQ stetig diffe-
rentiierbar ist, muß U, das sich in einer gewissen Umgebung von pQ als
Funktion der zu pp gehörigen Ortsuniformisierenden t = x ^ iy ix, y reell)
auffassen läßt, für hinreichend kleine Werte von \t\ stetige erste DifiFe-
rentialquotienten -^—, -^— besitzen. Welche Ortsuniformisierende t bei
^ dx dy
Anwendung dieses Kriteriums herangezogen \vird, ist natürlich gleich-
gültig. Ahnlich kann man von 2 mal, 3 mal, . . . stetig differentiierbaren
Funktionen sprechen.
Eine Kurve p = p(A) [0 ^ A ^ 1] läßt sich in einer solchen Um-
gebung eines ihrer Punkte p(A(,) = p^, welche durch die zu p^ gehörige
Ortsuniformisierende t umkehrbar eindeutig und konform auf ein Gebiet
der ^-Ebene abgebildet wird, in der Form t = t{X) darstellen. Stimmt
t{X) für reelle l, die hinreichend nahe an Iq liegen und dem Intervall (Ol)
angehören, mit einer konvergenten Potenzreihe 6^ (A — Xq) -\- h^ (A — A(,)^+ • • •
überein, in der l)^ = (~\ 4= 0, so heißt die Kurve für A = A^ analy-
tisch. Der Invarianzbeweis ist trivial. Indem man den durch t =
hiT -\- h^T^ -\- • ■ ■ definierten Parameter r als Ortsuniformisierende ver-
wendet, erscheint ein gewisses Stück der Kurve, das p(Ao) enthält, in der
T-Ebene als ein Stück der reellen Achse. Unter einer analytischen Kurve
schlechthin mrd eine solche zu verstehen sein, die für alle Werte des von
0 bis 1 laufenden Parameters A analytisch ist.
Wenn nur bekannt ist, daß der Diiferentialquotient r für Werte A,
•die hinreichend nahe an Aq und im Intervall (Ol) liegen, existiert und in
X stetig ist, für A = Ag aber einen Wert =|= 0 besitzt, so nennen wir die
Kurve für A,, stetig differentiierbar. Sind
(11) p = m, p = m
1 2
zwei von demselben Punkt Po = P (0) = p (0) ausgehende, für A = 0 stetig
differentiierbare Kurven,
t = t(X) , t = l(A) [0 ^ A ^ AJ
die Bilder der Anfangsbögen jener beiden Kurven in der Ebene der zu
Po gehörigen Ortsuniformisierenden t, so wollen wir den Winkel 0-, welchen
diese Bögen im Nullpunkt der ^- Ebene miteinander bilden und der bis
auf ganzzahlige Vielfache von 2jt bestimmt ist durch die Gleichungen
dt\ ...
(^);. = o^'"^
[r,,r,>0;
^,,^, reell]
auch als Winkel der beiden von p^ ausgehenden Kurven (11) auf der
40 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Riemannsclieii Fläche bezeichnen. Dieses Winkelmaß ist darum eine In-
Yariante, weil der Übergang von einer Ortsuniformisierenden t zu einer
andern x vermittelt wird durch ivinlcelireue Abbildung eines den Nullpunkt
enthaltenden Gebietes der /-Ebene auf ein ebensolches Gebiet derr-Ebene..
Auf einer Riemannschen Fläche existiert demnach ein invariantes WinJiel-
maß}) Der oben erklärte Begriff der „konformen" Abbildung fällt nach
Einführung dieses Winkelmaßes zusammen mit dem Begriff der umkehr-
bar-eindeutigen ivinheltreuen Abbildung.
Eine Singularitäten freie Fläche im Euklidischen Raum, wie Kugel
oder Torus, auf der (nach Verabredung über den Drehungssinn) eine be-
stimmte natürliche Euklidische Winkelmessung existiert, läßt sich auf
eine einzige Art so als Riemannsche Fläche auffassen, daß die ihr als
Riemannsche Fläche in der ebengeschilderten Weisezukommende Winkel-
messung mit der natürlichen übereinstimmt. Dabei muß die MögKchkeit,
eine Umgebung jedes Punktes jener Fläche winkeltreu (im Euklidischen
Sinne) auf ein ebenes Gebiet abzubilden, erwiesen sein.-)
Für die Kugel liefert die stereographische Projektion eine auf der
ganzen Kugel bis auf einen einzigen Pol 1. Ordnung reguläre Funktion
z, die jeden Wert einschließlich oo einmal und nur einmal annimmt. Jede
andere bis auf Pole reguläre Funktion auf der Kugel ist eine rationale
Funktion von z, so daß die Theorie der bis auf Pole regulären Funktionen
auf der Kugel wesentlich mit der der rationalen Funktionen einer Veränder-
lichen z übereinstimmt. Die Wahl der Unabhängigen z ist freilich bis
zu einem gewissen Grade willkürlich; denn als solche eignet sich außer
z auch jede Funktion z\ die aus z durch eine lineare Transformation
^' = "^y [ö l c, d konstant: ad — hc ^ Ol
hervorgeht. Die Lage und Vielfachheit der Nullstellen und Pole einer
von wesentlichen Singularitäten freien analytischen Funktion kann auf
der Kugel willkürlich vorgeschrieben werden, wenn nur die Gesamtord-
nung der Nullstellen mit der Gesamtordnung der Pole übereinstimmt.
Ganz anders gestalten sich die Dinge auf dem Toms (vgl. Kap. II).
Als inneren Grund für die großen Unterschiede, die zwischen dem Ver-
1) Daß in gewissem Sinne auch eine derartige Längenmessung existiert, ist
eine tief liegende Tatsache aus der Theorie der „üniformisierung". Vgl. §§ 19, 20'
dieses Buches.
2) Vgl. L. Lichtenatein, Beweis des Satzes, daß jedes hinreichend kleine, im
wesentlichen stetig gekrümmte, singularitätenfreie Flächenstück auf einen Teil einer
Ebene zusammenhängend und in den kleinsten Teilen ähnlich abgebildet werden kann.
Abhandlungen der K. Preuß. Akademie der Wissenschaften vom Jahi-e 1911, Anhang.
— Schwierigkeiten entstehen, falls die Raumfläche Ecken besitzt. Über dieses Pro-
blem vgl. H. A. Schwarz in der bereits zitierten Arbeit, Gesammelte Abhandlungen
Bd. 2, S. 161; es fand seine Lösung durch Koebe, Göttinger Nachrichten 1908,.
S. 359—360, und R. König, Mathematische Annalen Bd. 71, 1912, S. 184—205.
§ 7. Begriff der Riemannsclien Fläche. 41
halten der Funktionen auf dem Torus einerseits, der Funktionen auf der
Kugel anderseits bestehen, läßt sich fast überall der eine Umstand nach-
weisen (der nicht in dem Bereich der Funktionentheorie, sondern der Ana-
lysis Situs liegt!), daß auf dem Torus ein System zweier geschlossener,
sich gegenseitig in einem Punkte treffender Kurven gezogen werden kann
(qp = 0 und r^ = 0 in der Bezeichnung von § 5, Beispiel 7), welches den
Torus nicht zerlegt — während ein solches System auf der Kugel nicht
existiert. Bilden wir den Torus konform auf die Funktgitter-Mannigfaltig-
keit X ( § 5) ab, so erscheinen die von wesentlichen Singularitäten freien
Funktionen auf dem Torus als solche eindeutige, bis auf Pole reguläre
Funktionen der komplexen Veränderlichen w =-= tp -\- «>, welche doppel-
periodisch sind mit den Perioden 2:t, , d. i. als elliptische Funk-
tionen (von rein imaginärem Periodenverhältnis = ——=
Zwei Tori sind als Flächen im Sinne der Analysis situs stets äqui-
valent. Sie können jedoch im allgemeinen nicht konform aufeinander abge-
bildet werden, sondern dies ist dann und nur dann möglich, wenn für beide
Tori der „Modul" -^^^~ ""' denselben Wert hat. Das Wort „Modul"
hat hier diese Bedeutung: Ist in einer Schar Riemannscher Flächen, die
alle untereinander im Sinne der Analysis situs äquivalent sind, irgendwie
jeder von ihnen eine Zahl so zugeordnet, daß zwei Flächen der Schar
jedenfalls dann dieselbe Zahl zugeordnet erscheint, falls die beiden Flächen
A"ow/brw2-äquivalent sind, so heißt jene Zahl, in ihrer Abhängigkeit von den
Riemannschen Flächen der Schar betrachtet, ein Modul der Schar. Die
Tatsache, daß Äquivalenz im Sinne der Analysis situs, allgemein zu reden,
die konforme Äquivalenz Riemannscher Flächen nicht nach sich zieht,
ist von prinzipieller Wichtigkeit. — Die Punkte des einen Torus stellen
wir uns dar als die Punktgitter einer w^^-Ebene mit den Perioden 2 n und
2xia-. = 23ri ^^^^ , die Punkte des zweiten Torus als die den Perioden
2jt und 2jtia2 [a^ > 0] entsprechenden Punktgitter einer w;2 -Ebene. Liegt
eine konforme Abbildung des einen Torus auf den andern vor, so ist
jedem Gitter w^ ein Gitter Wg so zugeordnet, daß, wenn wir dem Gitter
w^ eine unendlichkleine Verrückung du\ erteilen, das Bildgitter w^ eine
unendlichkleine Verrückung dw^ erfährt, deren Verhältnis -r^ zu du\
nur von dem Gitter w^, nicht aber von der Richtung der Verrückung
du\ abhängt; in seiner Abhängigkeit vom Gitter u\ betrachtet, ist dieses
Verhältnis eine regulär-analytische Funktion auf dem ersten Torus, muß
also = const. = A sein. Daraus folgt, daß sich die konforme Abbildung
in dem Sinne durch eine Formel
(12) ^2 = Äw^+ B [Ä, B Konstante]
42 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
darstellen lassen muß, daß man aus (12), wenn man für w^ die sämtlichen
Punkte eines w^- Gitters einsetzt, immer die sämtliclien Punkte iv^ des
korrespondierenden Wg- Gitters erhält. Eine einfache Gitterbetrachtung
zahlentheoretischer Natur lehrt, daß dies nur möglich ist, wenn yl = + 1
oder = -t- - ist: im ersten Fall wird a„ = a,, im zweiten a^ = — sein.
-^ aj ' SU ^ «1
Auf jeden Fall ist demnach für die Möglichkeit der konformen Abbildung
der beiden Tori die Gleichung
die notwendige (und offenbar auch hinreichende) Bedingung. Dies stimmt
mit unserer Behauptung überein, da
r_ YE^ -r* _ -R*
yR^ — r* r " rVB^ - r*
ist.
Wir schließen diesen Paragraphen mit einigen allgemeinen Bemer-
kungen über die Idee der Riemannschen Fläche. Der Grundgedanke, der
ihrer Einführung zugrunde liegt, ist keineswegs auf die komplexe Funk-
tionentheorie beschränkt. Eine Funktion von zwei reellen Veränderlichen
X, y ist eine FunUion in der Ebene; aber es ist gewiß ebenso berechtigt,
Funktionen auf der Kugel, auf dem Torus oder überhaupt auf einer Fläche
zu untersuchen als gerade in der Ebene. Solange man sich freilich nur
um das Verhalten der Funktionen „im Kleinen" kümmert — und dar-
auf beziehen sich die meisten Betrachtungen der Analysis — , ist der Be-
griff der Funktion von zwei reellen Veränderlichen allgemein genug,
da sich die Umgebung eines jeden Punktes einer zweidimensionalen Mannig-
faltigkeit durch X, y (oder x -\- iy) zur Darstellung bringen läßt. Sobald
man aber zur Untersuchung des Verhaltens von Funktionen „im Großen^''
fortschreitet, bilden die Funktionen in der Ebene einen wichtigen, aber
speziellen Fall unter unendlichvielen andern gleichher echtigten; Riemann
und Klein haben uns gelehrt, bei diesem speziellen Fall nicht stehen zu
bleiben. Auf die komplexe Funktionentheorie angewendet, heißt das: be-
vor man zum Studium irgendeiner Gattung von Funktionen schreitet, muß
immer zunächst diejenige Fläche definiert sein, die das Variabilitätsgebiet
des unabhängigen Arguments abgibt \ darauf muß erMärt iverden, was auf
dieser Fläche „analytische Funktion"" heißen soll, wodurch die Fläche zur
Riemannschen Fläche tvird; und nun erst kann man sich an die Funk-
tionen selbst heranmachen. Dementsprechend hat man an den Funktionen
Eigenschaften dreier verschiedener Stufen zu beachten: 1. und das sind die
einschneidendsten: die Analysis-situs-Qualitäten der Riemannschen Fläche,
auf der die Funktionen existieren, 2. die inneren, nicht dem Bereich der Ana-
lysis Situs angehörigen Eigenschaften dieser Riemannschen Fläche (z. B. be-
stimmter Wert eines „Moduls"), 3. diejenigen Eigenschaften (wie etwa Lage
§ 7. Begriff der Riemannschen Fläche. 43
und Ordnung der Nullstellen und Pole), durch die sich Funktionen hinsicht-
lich ihres Verhaltens auf derselben Riemannschen Fläche unterscheiden.
Auf diesem Standpunkt spielt der Weierstraßsche Begriff des analytischen
Gebildes nur eine sekundäre Rolle: er kommt erst dadurch zustande, daß
man zwei auf einer und derselben Riemannschen Fläche existierende Funk-
tionen kombiniert. Es ist ein natürlicher Schritt, statt nur zweier Funk-
tionen dann auch etwa drei oder vier oder noch mehr Funktionen des-
selben variablen Punktes auf einer Riemannschen Fläche simultan zu
betrachten. Diesen Schritt tun, heißt geometrisch gesprochen nichts anderes
als: vom Studium der ebenen analytischen „Kurven" zu dem der Kurven
im dreidimensionalen, vierdimensionalen, usw., Raum übergehen.
Die eindeutigen, bis auf Pole überall regulären Funktionen auf einer
Riemannschen Fläche ^ werden wir meist kurz als die „Funktionen
auf der Fläche** bezeichnen. Für geschlossene Riemannsche Flächen wer-
den wir in Kap. II eine Übersicht über alle diese Funktionen gewinnen.
Man kann aber auch folgende allgemeinere Klasse von zu ^ gehörigen
Funktionen ins Auge fassen: Man gebe sich ein Funktionselement auf
^ (d. h. eine Potenzreihe, die nach ganzen Potenzen der zu einem Punkte
pQ von ^ gehörigen Ortsuniformisierenden t fortschreitet); man kann
dann versuchen, dieses Funktionselement längs aller möglichen Wege auf
^ in analoger Weise analytisch fortzusetzen, wie das für den Fall der Ebene
in § 1 geschildert wurde. Ist eine solche Fortsetzung auf allen Wegen ein-
deutig möglich, d. h. so, daß man höchstens auf Pole stößt, niemals aber auf
Punkte, über die hinaus eine Fortsetzung überhaupt unmöglich ist („natür-
liche Grenzen") oder mehrdeutig wird (Verzweigung relativ zu ^), so
braucht die dadurch entstehende Funktion, wie das Beispiel tv = q) -\- ii'
auf dem Torus zeigt, keineswegs eindeutig zu sein; sondern im allge-
meinen wird eine solche durch analytische Fortsetzung gewonnene Funk-
tion erst eindeutig auf einer gewissen, über ^ ohne Grenzen und ohne
Verzweigungen sich ausbreitenden Überlagerungsfläche. Es ist nun bei
vielen Fragen, namentlich in der üniformisierungsiheorie, von großer
Wichtigkeit, den Bereich der eindeutigen Funktionen auf ^ zu dem um-
fassenderen Bereich aller (endlich- oder unendlich -vieldeutigen) Funk-
tionen zu erweitern, die auf ^ unverzweigt und ohne wesentlich singulare
Stellen und natürliche Grenzen sind. Das legt uns die Verpflichtung auf,
in diesem Kapitel, dessen Rest den für die Funktionentheorie grund-
legenden Fragen der Analysis situs gewidmet ist, mit jeder Fläche ^ zu-
sammen die dazu gehörigen IJherlagerungsflächen zu betrachten.
§ 8, Schlichtartige Flächen.
Eine Fläche f<^ in einer bestimmten Triangulation t, bezeichne ich
mit %;.. Als Elementarstrecke auf %^ gilt jede ganz in einem Dreieck
A von t, enthaltene Elementarstrecke in A (s. § 6, S. 31). Dadurch daß
44 BegriflF und Topologie der Riemannsclien Flächen.
das eine der beiden Enden der Elementarstrecke als Anfangspunkt, das
andere als Endpunkt bezeichnet wird, ist diese Strecke gerichtet. Endlich-
viele Elementarstrecken <?i (Jg • • G„ bilden einen Streckenzug, wenn immer
der Endpunkt von 6,^ mit dem Anfangspunkt von ö^^^ [h=l,2, •• , n — 1]
zusammenfällt. Haben irgend zwei Strecken eines Streckenzuges nur
dann, wenn sie aufeinander folgen, einen (und auch nur einen) Punkt
gemein, so iiberschiieidet sieh der Streckenzug nicht: er ist ein „ein-
facher'^ Streckenzug. Stimmt der Endpunkt von 6^ mit dem Anfangs-
punkt von 6^ überein, so ist der Streckenzug geschlossen; 6^ ist dann
die auf (?^ folgende Strecke (zyklische Anordnung). Ein geschlossener
Streckenzug, in dem zwei Strecken nur dann einen Punkt gemein haben,
wenn sie aufeinanderfolgen, wird als Polygon bezeichnet.
Zuei Punkte eines Gehieis (5} avf '^^ lassen sich stets durch einen
einfachen StrecTienzug verbinden, der ganz in @ terläufi. Man kann näm-
lich die beiden Punkte zunächst durch eine ganz in @ verlaufende Kurve
y verbinden. Von der Einteilung t, kann man eine so feine Unterteilung
l' herstellen, daß alle Elementardreiecke von t', welche Punkte mit y
gemein haben, in @ liegen. Durch die auf S. 23 f. angegebene Konstruktion
erhält man eine einfache Kette von Dreiecken der Einteilung t,', welche
dasjenige Dreieck von t,' , in dem der Anfangspunkt von y liegt, mit dem
den Endpunkt von y enthaltenden Dreieck verbindet. Die Dreieckskette
läßt sich dann sofort durch einen einfachen Streckenzug ersetzen, der
die Dreiecke der Kette sukzessive in je einer Strecke durchquert. — Femer:
Ist 6 irgend ein Streckenzug auf %;-, so kann man eine solche Unter-
teilung l' von l angeben, daß die Strecken, aus denen 6 besteht, Kanten
der Teilung t,' (oder aus Kanten von t,'
zusammengesetzt) sind, daß also 6 auf
%■-■ ein Kantenzug ist.
Von einer abgeschlossenen Menge
© auf ^ sagen wir, sie zerlegt %
nicht, wenn die Punkte von %, die
Fig. 10. Einfacher streokenzug mit nicht ZU (S gehören, ein einziges Ge-
anstoflenden Dreiecken. \^^q^ ausmacheu. Ein einfacher Strecken-
zug G zerlegt %r nickt. Wir machen zum Beweise eine solche Untertei-
lung ^' von t„ daß 6 als Kantenzug erscheint. Die an 6 anstoßendem
Dreiecke von t,' lassen sich dann in solcher Weise durchnumerieren: 1,.
2, 3, . . . , daß je zwei aufeinanderfolgende Dreiecke in dieser Numerie-
rung eine nicht zu 6 gehörige Kante gemein haben. Durch die Figur
ist der Beginn einer solchen Numerierung angedeutet^). Ich behaupte,,
daß irgend zwei Punkte p und q von % miteinander durch eine stetige^
6 nicht treffende Kurve verbunden werden können. Ich verbinde p und
1) Man wird dabei freilich nicht immer vermeiden können, daß dasselbe
Dreieck gelegentlich zwei- oder mehrmals mit verschiedenen Nummern auftritt.
§ 8. Schlichtartige Flächen. 45
q durch eine Kurve y auf i^. Trifft y den Streckenzug- (?, so sei p ' der
erste, q' der letzte Schnittpunkt, p" ein Punkt auf y so kurz vor p',
daß p" in einem der an 6 anstoßenden Dreiecke liegt; q" ein Punkt auf
y so kurz hinter q', daß auch q" noch in einem solchen Dreieck geleg-en
ist. Mit Hilfe der oben erwähnten Dreiecksnumerierung kann ich dann p"
und q" durch einen Streckenzug verbinden, der 6 nicht trifft und durch
die an 6 anstoßenden Dreiecke in der Reihenfolge ihrer Numerierung
hindurchläuft. Dieser Streckenzug bildet zusammen mit dem Bogen pp"
und dem Bogen Q^"(\ von y eine Kurve, wie wir sie wünschen.
Ist (S eine abgeschlossene Menge, welche i^^- nicht zerlegt, und 6
eine Elementarstrecke auf '^^, welche die beiden Endpunkte, sonst aber
keinen Punkt mit (S gemein hat, so zerlegt die Vereinigungsmenge (£ + (J
die Fläche ^^ entweder garnicht oder in zwei Gebiete. Ich kann mir beim
Beweise 6 als die gemeinsame Kante zweier Dreiecke A^, A« von ^ vor-
stellen. Po sei ein Punkt von 6, der keiner der Endpunkte ist, poq^ eine
kleine ins Innere von A^ führende Elementarstrecke, die keinen Punkt
mit @ gemein hat, pQq2 eine ebensolche ins Innere von Ag führende
Strecke. Ich behaupte: jeden nicht zu @ -|- ^ gehörigen Punkt p von ^
kann ich ohne Überschreitung von @ + <? entweder mit (\y oder mit q^
verbinden. Ich verbinde zunächst p mit q^ ohne Überschreitung von (S durch
die Kurve y. Treffe ich dabei 6 zum ersten Male im Punkte p^ (der keiner
der Endpunkte von 6 sein kann!), so werde ich einen Punkt p/ kurz vorp^
so angeben können, daß der Teilbogen p/p^ von y entweder ganz in A^ oder
ganz in A2 liegt. Je nachdem das eine oder das andere der Fall ist, kann
ich von diesem Bogen aus mittels einer einzigen Elementarstrecke in A^
bezw. A3, welche weder (5 noch ö trifft, zu der Strecke poqi, bezw. p^qg
gelangen. — Insbesondere wird ^ durch (£ + (J überhaupt nicht zerlegt,
wenn sich q^ mit q^ (d. h. ein Punkt auf dem einen mit einem Punkt auf
dem andern „ fZ/e/' von 6) ohne Überschreitung von @ -f <? verbinden läßt.
Die Kombination der in den beiden letzten Absätzen bewiesenen
Tatsachen liefert das Resultat, daß /e^fes Polygon die Fläche '^^ in höchstens
zwei Gebiete zerlegt; denn ein Polygon kann entstanden gedacht werden
durch Hinzufügung einer einzelnen Strecke ((?) zu einem einfachen Strecken-
zug ((S). Wird %^ wirklich durch jedes Polygon zerlegt, so heißt die
Fläche % (nach Koebe) schlichtartig. Daß es nicht-schlichtartige Flächen
gibt, zeigt das Beispiel des Torus.
Satz: Ist eine Fläche '^ in der Triangulation t,l schlichtartig, so ist
sie auch schlichtartig, falls sie in irgend einer andern Weise ^11 in Ele-
mentar dreiecTic zerlegt wird.
Wir unterscheiden die auf die eine und die andere Zerlegung be-
züglichen Begriffe wie „Strecke", „Polygon" und dergl. durch Zusatz einer
I, bzw. n. Wäre f^ in der Triangulation ^ II nicht schlichtartig, so gäbe
<8s ein Polygon H, jth, das % nicht zerlegt, ön sei eine Strecke von äh,
46
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Fig. 11. Zum Invarianzbeweis der Schlichtartigkeit.
von der wir annelimen können, daß sie, abgesehen vielleicht von ihren
Endpunkten, im Innern eines Dreiecks An verläuft i). Wir kreuzen (Fig. 11)
6u durch eine ganz im Innern dieses Dreiecks An gelegene Elementar-
strecke II, m = q'q", welche Gn in p treffen möge, q' läßt sich mit q"
ohne Überschreitung von :nn durch eine stetige Kurve und also auch durch
einen einfachen Streckenzug I, wir nennen ihn Ij, verbinden. Ich darf
annehmen, daß Ti ab-
gesehen von seinen bei-
den Endpunkten kei-
nen Punkt mit der
Strecke Tu gemein
hat.2)
Da Ti die Fläche
nicht zerlegt und das
Polygon jTii (wenn ich
aus ihm eine kleine,
den Punkt p enthaltende Strecke fortlasse) einen Punkt auf dem einen
Ufer von Tu mit einem Punkt auf dem andern Ufer ohne Über-
schreitung von Zi -f Tu verbindet, wird ^ durch Zi + Tn nicht zer-
legt. Jetzt fasse ich eine Strecke <?i von Zi ins Auge, von der ich
wieder voraussetzen kann, daß sie keine Kante eines Dreiecks I ist, kreuze
sie in dem Dreieck I, in dem sie liegt, durch eine kleine Strecke I, tj,,
und verbinde die Endpunkte von Ti durch einen einfachen Streckenzug"
Ti, der Zi + th nicht überschreitet. Ich darf annehmen, daß Ti mit
Ti nur die Endpunkte gemein hat; ni = Ji -\- xi ist dann ein Poly-
gon I, das ^ nicht zerlegt, da die Kurve Zj + ""^ii zwei an den beiden
Ufern von 6i einander gegenüberliegende Punkte ohne Überschreitung-
von :ii verbindet. ^ kann also auch in der Triangulierung ^ I nicht
schlichtartig gewesen sein.^)
1) Wenn nämlich alle Strecken Ton ttjj Kanten sind, können wir eine be-
liebige von ihnen, Cjj, durch einen einmal gebrochenen Streckenzug ersetzen, der
in einem der beiden an Cjj anstoßenden Dreiecke verläuft, ohne daß jtu der Ei-
genschaft, 5 nicht zu zerlegen, verlustig geht.
2) Sonst sei nämlich q' derjenige Punkt, wo Ij, von q' nach q" durchlaufen^
die Strecke ^q' zum letzten Mal trifft, und q ' derjenige Punkt, wo nach diesem
Moment Ij'die Strecke :|jq" zum ersten Mal trifft, Zj aber der zwischen diesen,
beiden Ereignissen durchlaufene Teil von Ij: dann hat Ii mit der Strecke II,.
Tji = q q nur die Endpunkte gemein, und wir könnten Xj durch Zi, Tjj durch.
Tjj ersetzen.
3) Wir haben damit ein Stück des .,Jordanschen Kurvensatzes" bewiesen,,
welcher aussagt, daß jede einfache geschlossene Kurve auf einer schlichtartigen
Fläche (insbesondere in der Ebene) diese Fläche zerlegt. Außer dem ersten (lücken-
haften) Beweis von C. Jordan selbst in seinem Cours d'analyse, 2. Aufl., Bd. I^
S. 91—99, siehe namentlich Brouwer, Math. Ann., Bd. 69 (1910), S. 169—175.
§ 9. Überlagerungsflächen, einfacher Zusammenhang usw. 47
§ 9. Überlagerungsfläclien. Einfach zusammenhängende Flächen. Mono-
dromiesatz und Cauchyscher Integralsatz.
Schärfer noch als der Begriff der Schlichtartigkeit ist der des ein-
fachen Zusammenhangs, der in enger Beziehimg zu der Konstruktion von
Überlagerungsflächen steht. Ist % eine gegebene Fläche, die „Grund-
fläche", so wollen wir die Fläche § eine Überlagerungsfläche über %
nennen, wenn jedem Punkt p auf ^ ein einziger Punkt p auf ^ als
„Spurpuukt** von p zugeordnet ist; wir sagen dann auch, p liegt über
p. Diese Zuordnung soll, jedenfalls dann, wenn wir ^ als (relativ zu %}
unyerzweigt^) bezeichnen, die folgende Bedingung erfüllen: Ist p^ ein
beliebiger Punkt von f^, so gibt es stets eine Umgebung von p^ auf ^,
welche durch jene Zuordnung umkehrbar eindeutig und umkehrbar gebiets-
stetig auf ein Gebiet von ^ bezogen ist. ^ möge eine in diesem Sinne
unverzweigte Überlagerungsfläche über ^ bedeuten. P = p{^') [0 ^2.^ 1]
sei eine von dem Punkte Po = p (0) ausgehende Kurve y auf ^, Po ein
Punkt auf ^ über p^. Es können dann (vgl. § 1) zwei Fälle eintreten:
entweder: es gibt eine einzige von po ausgehende stetige Kurve
p = p (A) [0 ^ A ^ 1] auf ^, sodaß für jeden Wert des Parameters A der
Punkt p(A) über p (A) liegt;
oder: es existiert eine Schwelle Aß (0<Ao^l), sodaß wohl über jedem
Teilbogen 0 ^ A ^ Aq von y, für welchen A^ < Aq ist, eine (^und auch
nur eine) von p^ ausgehende Kurve auf ^ liegt, dies aber nicht mehr der
Fall ist, sobald Aq^Aq. Diesen letzten Fall kann man so auffassen: Wenn
man die stetige Änderung eines Punktes p auf ^, dessen Spurpunkt
auf 5^ die Kurve y beschreibt, von p^ aus verfolgt, so stößt man, bevor
das Ende erreicht ist, über dem Punkte p (Aq) von ^ auf eine Grenze der
Überlagerungsfläche.
Tritt immer nur der erste Fall ein, welches auch der Punkt pg auf
^ und welches auch die von dem Spurpunkte p^ von p^ ausgehende Kurve
y sein mag, so werden wir die Überlagerungsfläche demgemäß als un-
begrenzt zu bezeichnen haben. Liegt über jedem Punkte von ^ ein ein-
ziger Punkt der unverzweigten unbegrenzten Überlagerungsfläche 5, sa
ist ^ einblättrig und nicht wesentlich von ^ verschieden. Gehören zu
einer Fläche ^ keine andern unverzweigten unbegrenzten Überlagerungs-
flächen als nur einblättrige, so heißt ^ einfach zusammenhängend-).
1) Das Wort drückt das, was es laut Definition besagen soll, eigentlich
nicht vollständig- aus; richtiger (aber auch umständlicher) wäre es, zu sagen
„unverzweigt und ungefaltet".
2) Diese Definition hebt diejenige Eigenschaft der einfach zusammenhängenden
flächen hervor, welche für die funktionentheoretischen Anwendungen die ent-
cheidende ist.
48
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Z. B. ist das Innere Ä eines Kreises der Euklidischen Zahlenebene
eine einfach zusammenhängende Fläche. Wir betrachten, um das nach-
zuweisen, eine beliebige unverzweigte unbegrenzte Überlagerungsfläche
Ä über ^, ö sei ein Punkt auf ^, der über dem Mittelpunkt o von ß liegt.
Indem wir zu jeder von ü ausgehenden geradlinigen Strecke Op in ^ die-
jenige in ö beginnende (und etwa in p endigende) Kurve auf ^ aufsuchen,
von der jene Strecke die Spur ist, erhalten wir zu jedem Punkte p von
^ einen bestimmten darüber gelegenen Punkt p von ^. Können wir
zeigen, daß diese Zuordnung p — > p umkehrbar gebietsstetig ist, so ist
damit der einfache Zusammenhang von Ä erwiesen; denn dann müssen alle
von ö ausgehenden Kurven auf Ä, deren Spurlinien von 0 nach p laufen,
in demselben Punkte p münden, und Ä ist einblättrig.
Um aber jenen Nachweis zu erbringen, verfahren wir so: Der Punkt
q beschreibe auf ^, von ö ausgehend und in p endigend, diejenige Kurve,
von der die geradlinige Strecke (? = Op die Spur in ^ ist, und q sei in
jedem Moment der Spurpunkt von q. Jedem Punkt q == q,, können wir
einen Kreis ]cc\q mit dem Mittelpunkt qQ so zuordnen, daß ein q,, ent-
haltendes Gebiet @ auf Ä existiert, welches vermöge der Zuordnung
»PunM auf ^ — >- Spurpunht in ^« umkehrbar-eindeutig und -gebiets-
stetig auf kq^ abgebildet wird. Solange q sich auf demjenigen Kurven-
bogen bewegt, dessen Spur die durch ]cC\q aus 6 ausgeschnittene Strecke
6(\q ist, liegt q in diesem Gebiet @. Wir können nach dem sog. Heine-
Borelschen Theorem, das den Grundlagen der Infinitesimal-Analysis an-
gehört^), endlich viele Punkte der Strecke 6 (vgl. Fig. 12)
qo = 0. Qu qj,--, ^n-n q» = P (in dieser Reihenfolge)
so auswählen, daß die zugehörigen Intervalle (7 0, öq^, tfq,,..., «?p die
ganze Strecke Op
derart bedecken, daß
immer q^ + j im In-
nern des Kreises Z;q^
[h = 0,l,.., «-!]
gelegen ist. Es sei
jetzt (j' = Op' eine
geradlinige Strecke
von 0 aus, deren End-
punkt p' in Jcp liegt
rig. 12. Einfacher Zusammenhang der Kreisfläche. und die im ÜbriffCn
in solcher Nähe von op verläuft, daß sie einen Punkt q[ enthält,
4er gleichzeitig im Innern von Jco und Jcq^ liegt, einen Punkt q'^, der
1) Vgl. etwa Lebesgue, Le9on8 sur l'integration, Paris 1904, S. 104 — 105.
§ 9. Überlagerungsflächen, einfacher Zusammenhang usw. 49
gleichzeitig im Innern von kq^ und ]cq„ liegt, usw., schließlich einen Punkt
q^ _ 1, der gleichzeitig dem Innern von ^ il „ _ 2 ? ^ ^n _ i angehört. Wir ziehen die
geradlinigen Strecken q^C{[, q^^^f --^ %-i^n-iy PP- Diejenige von ö aus-
gehende Kurve auf S\ deren Spur das Dreieck 0 q^ q^ 0 ist, ist geschlossen, da
dieses Dreieck ganz in Z;o liegt. Diejenige von q^ ausgehende Kurve, deren
Spur das Viereck qiq2il2'1'i^i ist, schließt sich, weil das Viereck ganz in Jcq^
liegt. Aus diesen beiden Tatsachen folgt, daß die von ö ausgehende Kurve,
deren Spur das Dreieck oqjq^O beschreibt, sich schließt. In der gleichen
Weise fortfahrend, kommen wir zu dem Ergebnis, daß die in ö beginnende
Kurve, deren Spur das Dreieck Opp'o ist, geschlossen ist; daß also die
in p beginnende Kurve, deren Spur die Strecke pp' ist, in demselben
Punkte p' mündet, wie die von ö ausgehende Linie, deren Spurpunkt die
Strecke 0' = Op' beschreibt. Damit ist der gewünschte Nachweis erbracht.
Es folgt daraus: Wenn ^ eine un verzweigte unbegrenzte Überlage-
rungsfläche über einer beliebigen Grundfläche ^ ist, p^ ein Punkt auf ^
mit der Umgebung U, p^ ein über po gelegener Punkt von f|^, so gibt es ein
einziges, pg enthaltendes Gebiet U auf ^, das vermöge der Zuordnung
»Punkt von '^ — > Spurpunkt auf ^« umkehrbar eindeutig und umkehrbar
gebietsstetig auf U abgebildet erscheint. In ganz analoger Weise erkennt
man, daß, wenn A ein den Punkt p^ enthaltendes Elementardreieck einer
bestimmten Triangulation ^ von ^ ist, über A eine p^ enthaltende Punkt-
menge A liegt, welche durch jene Zuordnung umkehrbar eindeutig und
stetig auf A abgebildet ist und sich dadurch, daß man jedem Punkt von
A dasselbe Koordinatenverhältnis ^1 : b2 = I3 zuweist, das dem Spurpunkt
in A entspricht, in ein Dreieck auf ^ verwandelt. Es geht daraus hervor:
Konstruiert man zu jedem Elementardreieck A von t, die sämtlichen da-
rüber gelegenen Dreiecke A auf ^, so erhält man eine Triangulation
t von §.
Femer können wir schließen : Ermittelt man zu zwei Kurven y', y"
auf |5, welche die gleichen Punkte pQ, p^ miteinander verbinden, die-
jenigen beiden, von einem Punkt pg über pj, ausgehenden Kurven auf %,
von denen /, y" die Spurlinien sind, so führen beide zu dem gleichen
Endpunkt p^ über p^, falls y, y" hinreichend nahe beieinander verlaufen.
Die letzte Bedingung formuliert sich genauer so: y und y" sollen sich
derart in endlichviele konsekutive Teilbögen
r\iY'2>'--, Vn-, bzw. y';, //, . . . , y;'
zerlegen lassen, daß immer y'n und y'h ganz der Umgebung eines geeigneten
Punktes q^ auf % angehören. Insbesondere läßt sich, wenn y gegeben ist,
y" derart als Streckenzug auf ^^ (nachdem ^ in bestimmter Weise triangu-
liert ist) konstruieren, daß die Kurven y und y" auf jeder unverzweigten,
Weyl: Die Idee der Eiemannsohen Fläche 4
50 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
unbegrenzten Überlagerungsfläche fj zu dem gleichen Endpunkt führen^
wenn man sie nur beide auf ^ von demselben Anfangspunkt ausgeben läßt.
Eine unverzweigte, unbegrenzte Überlagerungsfläche ^ über ^ pflegt
man als regulär zu bezeichnen, wenn es niemals vorkommt, daß von
zwei Kurven auf ^, welche in ^ die gleiche Spurlinie besitzen, die eine
geschlossen, die andere ungeschlossen ist. Ist ^ regulär und sind p^, p^'
irgend zwei Punkte auf ^, die „sich decken" (d. h. den gleichen Spur-
punkt in 5 besitzen), so gibt es eine einzige umkehrbar eindeutige und um-
kehrbar gebietsstetige Abbildung von % in sich, bei der jeder Punkt p in
einen ihn deckenden p' und insbesondere po in % übergeht. Diese „Deck-
traiisforiiiatioiieii toii ^ in sich" bilden eine Gruppe f, und in f, als ah-
strakte Gruppe aufgefaßt, kommt die Beziehung von % zu j^, soweit sie
Analysis-situs-Charakter besitzt, zu reinem und vollständigem Ausdruck.
Um die Existenz der Decktransformation
T: p -> r
nachzuweisen, verbinde man Po mit p auf % durch eine Kurve y und
zeichne diejenige von p^ ausgehende Kurve y' auf f|, deren Spurlinie auf
5 mit der Spurlinie von y übereinstimmt. Den Endpunkt p' von y' ordne
man p zu. p' ist von der Wahl der p^ mit p verbindenden Kurve y wegen
der vorausgesetzten Regularität von ^ unabhängig. Sind nämlich y, y^
zwei solche Kurven, so ist die Kurve y — y^, die aus y und der rück-
wärts durchlaufenen Linie y^ besteht, geschlossen. Also ist auch die von
Po ausgehende Kurve {y — yj, deren Spurlinie mit der von y — yi zu-
sammenfällt, geschlossen] d. h. y' und y[ führen zu demselben Endpunkt
p'. — Es ist klar, daß die Repräsentation einer Überlagerungsfläche ^
durch eine abstrakte Gruppe T in der geschilderten Weise nur für reguläre
Überlagerungsflächen möglich ist.
Unter allen unverzweigten unbegrenzten Überlagerungsflächen, die
zu einer gegebenen Fläche ^ gehören, gibt es eine, welche die „stärkste"
ist^); sie wird durch die Aussage charakterisiert: Eine Kurve y auf
ihr ist nur dann geschlossen, wenn alle auf irgendwelchen unver-
zweigten unbegrenzten Überlagerungsflächen von ^ gelegenen Kurven,
welche dieselbe Spurkurve auf ^ besitzen wie y, geschlossen sind. Die
„universelle Üherlagerungsfläche"^ ist zufolge dieser Eigenschaft
regulär, und die Gruppe ihrer Decktransformationen, als abstrakte Gruppe
betrachtet, ist eine Analysis-situs-Invariante der Grundfläche §. Außer-
dem ist § einfach zusammenhängend. Denn wäre ^* eine mehr als ein-
1) Poincare, Bulletin de la societe mathematique de France, Bd. 11, 1883,.
S. 113—114.
§ 9. Überlagerungsflächen, einfacher Zusammenhang usw. 51
blättrige unverzweigte und unbegrenzte Überlagerungsfläche über ^, so
könnte man auf fjr* eine ungescblossene Linie ziehen, deren Spurkurve
auf f^ geschlossen ist. Da aber ^* auch eine unverzweigte unbegrenzte
Überlagerungsfläche über ^ ist, widerspricht diese Möglichkeit ohne
weiteres der charakteristischen Eigenschaft von ^.
Die universelle Überlagerungsfläche läßt sich z. B. so erklären:
Jede von einem festen Punkt p^ von ^ ausgehende Kurve y definiert
einen „Punkt von ^'\ von dem wir sagen, daß er über dem Endpunkt
von y liegt; zwei solche Kurven y,y' definieren dann und nur dann den-
selhen Punkt auf %, wenn auf jeder unverzweigten unbegrenzten Über-
lagerungsfläche über § zwei von demselben Punkt ausgehende Kurven,
deren Spurlinien y, y sind, stets in demselben Punkte enden. — y^ sei
eine Kurve auf % von p^ nach p, welche den Punkt p auf % definiert,
U eine Umgebung von p auf %. Hänge ich an y^ alle möglichen von p
ausgehenden, in U verlaufenden Kurven y an, so sage ich, die durch
alle so entstehenden Kurvenzüge J'o + 7 definierten Punkte auf % bil-
deten eine „Umgebung" U von p. Über jedem Punkt von U liegt,
weil U einfach zusammenhängend ist, ein einziger Punkt von U,
und infolgedessen erfüllt unser Begrifl* der „Umgebung" die an ihn zu
stellenden Anforderungen (§ 4). Jede Triangulierung von % überträgt
sich sogleich auf '%, sodaß wir ein Recht haben, % als „Fläche" zu be-
zeichnen ^).
Jede einfach z n so mmenl längende Fläche ist schlichtartig. Liegt näm-
lich auf einer triangulierten Fläche ^J" eiii ^^^ Kanten bestehendes Po-
lygon 71, das sie nicht zerlegt, so kann man über % in der folgenden
Weise stets eine unverzweigte unbegrenzte, zweiblättrige Überlagerungs-
fläche konstruieren^): Jedem Elementardreieck A von ^ ordnet man zwei
„über A liegende Dreiecke" A^, A, zu. Sind A', A" zwei längs einer
dem Polygon it nicht angehörigen Kante zusammenhängende Dreiecke
von £;, so sollen längs der entsprechenden Kante A'^ und A'j^' miteinander
zusammenhängen und ebenso A'g mit Ag. Gehört die gemeinsame Kante
von A', A" aber dem Polygon n an, so heften wir längs der entsprechen-
1) Ist % geschlossen und demgemäß in endlichviele Elementardreiecke zer-
legt, so handelt es sich bei der Konstruktion von % nur darum, von jeder der
endlichvielen geschlossenen Dreiecksketten auf % festzustellen, ob sie sich auch
auf % schließt, und dies muß sich natürlich durch ein bestimmtes endliches Ver-
fahren entscheiden lassen. Vgl. die genetische Konstruktion von % bei Koebe,
Über die Uniformisierung beliebiger analytischer Kurven II, Grelles Journal Bd. 139,
1911, S. 271—276.
2) Die Beschreibung der Überlagerungsfläche geschieht nach der in § 5,
Beispiel 9 allgemein geschilderten Methode.
52
Begriff und Topologie der Biemannschen Flächen.
den Kante A'^ mit Ag zusammen und Ag mit Aj'. — Daß jedes gerad-
linige Polygon in der Euklidischen Ebene diese zerlegt, ist ein spezieller
Fall unseres Satzes, da sich der einfache Zusammenhang der Euklidischen
Ebene in genau der gleichen Weise einsehen läßt, wie der einfache Zu-
sammenhang des Kreisinnern.
Es ist von Wichtigkeit, zu entscheiden, wann ein aus endlichvielen
Dreiecken zusammengesetztes Gebiet einfach zusammenhängend ist. Auf
einer triangulierten Fläche f^- sei also ein Gebiet Sß gegeben, das aus-
schließlich aus Punkten der Elementardreiecke A^, Ag, •••, A„ von ^ be-
steht, aber auch alle inneren Punkte dieser Dreiecke wirklich enthält;
eine Kante dieser Dreiecke soll entweder (abgesehen vielleicht von ihren
Bndpnnkien) gans zu ^ gehören [innere Kante] oder soll mit keinem Punkt
zu ^ gehören [Randkante] ; ein Eckpunkt, von dem nur innere Kanten
ausgehn, soll stets innerhalb ^ liegen. Ein solches Gebiet ^ nen-
nen wir ein Polyeder, und zwar ein oifenes, falls es wenigtens eine
Randkante besitzt, eine geschlossenes, wenn keine Randkanten vor-
handen sind. ^ kann nur dann ein geschlossenes Polyeder sein, wenn
% eine geschlossene Fläche und ^ mit ^ identisch ist. Ein aus Kanten
bestehender einfacher Streckenzug, der bis auf seine beiden nicht inner-
halb ^ liegenden Endpunkte ganz zu ^ gehört, werde ein Querschnitt
genannt. Wenn ^ offen ist und nicht nur aus einem einzigen Dreieck
A^ besteht, gibt es Querschnitte in ^ (z. B. bilden eine oder zwei Kan-
ten eines Dreiecks A^, von dem wenigstens eine Kante Randkante ist,
einen solchen). Ein Querschnitt zerlegt, wie die in § 8 angestellten Be-
trachtungen zeigen, ^ entweder gar nicht oder in zwei Gebiete, die dann
gleichfalls offene Polyeder sind. Ist das offene Polyeder ^ einfach
zusammenhängend, muß jeder Querschnitt ^ zerlegen; dies erkennt
man genau so, wie oben aus dem einfachen Zusammenhang gefolgert
wurde, daß jedes geschlossene Polygon zerlegt. Es gilt hier auch die
Umkehrung: ein offenes Polyeder, das durch jeden Querschnitt zerlegt
wird, ist einfach zusammenhängend. (Ein geschlossenes Polyeder, das
durch jedes aus Kan-
ten bestehende Poly-
gon zerlegt tvird, ist
einfach zusammen-
hängend.)
1. ^ sei ein offe-
nes Polyeder, das die
Fig. 13. Querschnitte. Voraussctzung des
Satzes erfüllt, und werde durch den Querschnitt 6 in'^^, ^2 zerlegt. Dann
erfüllt auch jedes der beiden Polyeder '^^, ^2 diese Voraussetzung. Ein
beliebiger Querschnitt 6^ von ^^ ist nämlich entweder selbst ein Quer-
schnitt ö' in ^ oder läßt sich zu einem solchen durch Hinzufügen eines
§ 9. Überlagerungßflächen, einfacher Zusammenhang usw. 53
oder zweier Streekenzüge, die Teile von 6 sind, ergänzen (Fig. 13). Man
fasse zwei Dreiecke ins Auge, die längs einer zu 6^ gehörigen Kante an-
einander grenzen, und im Innern jedes dieser Dreiecke einen Punkt p*
bzw. |)** Da ^ durch 6' zerlegt wird, lassen sich p* und p** innerhalb
^ ohne Überschreitung von e' nicht verbinden (S. 40). p*, p** liegen
beide in ^j, sind aber dem Gesagten zufolge innerhalb ^^ ohne Über-
schreitung von (?! nicht verbindbar; d. h. ^^ wird durch 6^ zerlegt.
2. Wir betrachten eine Überlagerungsfläche $ (unverzweigt, un-
begrenzt) über ^. Ai, Aj seien zwei Dreiecke, die längs einer Kante
e" von 6 aneinandergrenzen, so daß A^ zu ^j, A^ zu ^3 gehört; A^, \
zwei über Aj, bzw. Ao liegende Dreiecke auf ^ mit gemeinsamer Kante.
Setzen wir nun voraus, der zu beweisende Satz wäre bereits für Polyeder,
die aus weniger Dreiecken bestehen als ^, bewiesen, so schließen wir,
daß ^1 und %^ einfach zusammenhängend sind. Infolgedessen können
wir jedem Dreieck A von ^ ein darüber gelegenes A von ^ so zu-
ordnen, daß Ai dem Dreieck Aj, Äg dem Dreieck A2 zugeordnet erscheint
und irgend zwei Dreiecken A, deren gemeinsame Kante eine innere
Kante von ^, oder ^,^2 ist, stets zwei Dreiecke A entsprechen, die gleich-
falls eine Kante gemein haben. Ist p^ ein Endpunkt von 0", ohne End-
punkt des Querschnitts 6 zu sein, so liegt über dem Stern © der sich
um Po gruppierenden Elementardreiecke von ^^ (© gehört ganz zu ^)
ein Dreieckszykel (S auf ^, der A^, Ag und über jedem Dreieck A von
© (wegen der Unverzweigtheit von ^) ein einziges
Dreieck A enthält, und dabei kann A kein anderes Drei-
eck sein als eben dasjenige, das durch unsere Zuordnung
dem A zugewiesen war (s. Figur 14). Ist <?' die im
Eckpunkt p^ auf e° folgende Kante von 6, L\, Ag die
beiden Dreiecke in ^1, bzw. ^2 °^i^ ^^^^ gemeinsamen
Kante e', so folgt daraus, daß die diesen von uns zu-
geordneten Dreiecke A'^, Ag gleichfalls eine Kante ge-
meinsam haben. Indem wir so, den Querschnitt 6 von
6^ aus nach beiden Richtungen durchlaufend, von Kante ^'^- ^*-
zu Kante fortschließen, gelangen wir zu der Einsicht, daß die Dreiecke A
auch über den Querschnitt 6 hinüber miteinander zusammenhängen. Da-
mit ist die Einblättrigkeit von ^, also der einfache Zusammenhang von
^ bewiesen. Denn für ein Polyeder, das aus einem einzigen Dreieck be-
steht, kann an der Richtigkeit unseres Satzes nicht gezweifelt werden.
Die Bedeutung der Vberlagerungsflächen für die komplexe Funktionen-
tJieorie geht schon daraus hervor, daß jede zu einer Biemannschen Fläche
^ gehörige unverzweigte, unbegrenzte Überlagerungsfläche ^ selbst ohne
54 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
weiteres eine Riemaimselie Fläche ist. Indem man nämlich allen über
einem Punkt p von ^ gelegenen Punkten der Überlagerungsfläche den
gleichen Funktionswert zuordnet wie dem Punkte p, erhält man aus
jeder Ortsuniformisierenden t(jj)) zu einem Punkte :po von % eine be-
stimmte Ortsuniformisierende t zu jedem der über p^ gelegenen Punkte
von fl, und erhält man zu jeder von wesentlichen Singularitäten freien Funk-
tion auf f5 eine Funktion gleichen Charakters auf ^. Jede Funktion auf
der beliebigen unverzweigten, unbegrenzten Überlagerungsfläche % er-
scheint aber wieder als eine eindeutige Funktion auf der universellen
Überlagerungsfläche ^, so daß deren Betrachtung geeignet ist, die aller
andern nicht so kräftigen Überlagerungsflächen bis zu einem gewissen
Grade zu ersetzen. Unter den Funktionen auf % sind die Funktionen f
auf der Grundfläche % durch die Eigenschaft charakterisiert, daß sie sich
gegenüber der Gruppe der Decktransformationen von % invariant ver-
halten; d. h. sie erfüllen die Identität
/•(p) = /-(pr),
wenn die Zuordnung T : p — >-p T irgend eine dieser Decktransforma-
tionen ist.
Die funktionentheoretische Ausnutzung des einfachen Zusammen-
hangs einer Fläche beruht auf dem folgenden Monodro miesatz :
Ist '^ eine einfach susamnienhängende Fläche,
-^ = «_,„^~"' H \- ÜQ -{- a^^t + ttc^t^ -{ [t = Ortsuniformisierende zu p^],
ein zu einem Funli p^ von % als MittelpunM gehöriges Funktionselement
und stößt man bei der analytischen Fortsetzung von z längs beliebiger
Wege auf ^ niemals auf andere kritische Punkte denn auf gewöhnliche
Pole, so erhält man durch diese Fortsetzung eine in ^ eindeutige, bis auf
Pole regulär-analytische Funktion.
Beweis: In analoger Weise wie die universelle Überlagerungsfläche
definiert wurde, kann man eine unverzweigte, unbegrenzte Überlagerungs-
fläche über % erklären, welche die Eigenschaft besitzt, daß auf ihr eine
Kurve, deren Spurlinie auf ^ von pQ nach pg zurückläuft, dann und nur
dann geschlossen ist, falls Fortsetzung des Funktionselements z längs
der Spurlinie zu dem Anfangselement zurückführt. Wegen des voraus-
gesetzten einfachen Zusammenhangs von % muß diese Überlagerungs-
fläehe einblättrig sein. Damit ist bereits der Beweis des Monodromie-
satzes erbracht.
Ein spezieller Fall des Monodromiesatzes ist der Cauchysche Integral-
satz. Um ihn allgemein formulieren zu können, müssen wir von den „Diffe-
rentialen" auf einer Riemannschen Fläche sprechen. Während eine „Funk-
tion" dadurch charakterisiert ist, daß sie an jeder Stelle ihres Definitions-
§ 9. Überlager ungsflächen, einfacher Zusammenhang usw. 55
bereichs einen bestimmten Wert hat, kommt einem Differential dz sm
einer Stelle p nicbt an sich, sondern nur im Verhältnis zu dem Diffe-
rential dt einer jeden zu p gehörigen Ortsuniformisierenden t ein bestimm-
ter Wert idz)\ zu; sind t, r zwei zu derselben Stelle p gehörige Orts-
uniformisierende, so muß dabei stets
("'-)?-(<'-)?•©,.,
■sein. Eine im Gebiet % regulär-analytische Funktion z besitzt ein Diffe
rential dz, für welches
ist, wenn p irgend ein Punkt von %, t irgend eine zu p gehörende Orts-
uniformisierende bedeutet. Auch eine harmonische Funktion u gibt zu
-einem Differential dtv Veranlassung — gemäß der Formel
Durch Multiplikation eines Differentials dz mit einer Funktion f ent-
steht ein neues Differential dZ:
{dZ)f=^f{p)-idz)f.
Ist an einer Stelle p : {dz)f = 0 für eine zu p gehörige Ortsuniformisie-
rende t, so ist dies für jede Ortsuniformisierende zu p der Fall; p ist
dann eine Nullstelle von dz. Sind dZ, dz zwei in demselben Gebiet
% erklärte Differentiale und besitzt dz nirgendwo eine Nullstelle, so ist
rf- = f eine Funktion in @ ;
{dz)f
ist nämlich von der Wahl der Ortsuniformisierenden t unabhängig.
Gibt es eine Umgebung des Punktes p,, (mit der Ortsuniformisie-
dz
jrenden t), in der dz und dt existieren, dt ^ 0 und ^ regulär-analytisch
dz
ist, so heißt dz an der Stelle po regulär-analytisch. Hat ^- eine Null-
stelle m*" Ordnung für ^ = 0, so sagen wir auch von dem Differential
4z, es habe in p^ eine Nullstelle m*^' Ordnung (oder sei von der Ord-
nung m)- hat -T2 einen Pol n^"'' Ordnung {dz ist dann in der Umgebung
von Po mit Ausschluß dieses Punktes selbst definiert), so sagen wir, dz
habe in po einen Pol «*" Ordnung (oder sei von der Ordnung — w).
Diese Ordnungszahlen sind von der Wahl der Ortsuniformisierenden t
56 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Tinabhängig. Das Gleiche gilt von dem Besiduum ^) des DiiFerentials dz
an der Stelle p^, d. i. dem Koeffizienten A_^ der Entwicklung
^' = Ä_J- + • •• + A_,t-' + A, + A,t + A,f + ...
Das Differential einer bis auf Pole regulären Funktion ist selbst, abge-
sehen von Polen, regulär analytisch und hat nirgendwo ein von 0 ver-
schiedenes Residuum. Die Umkehrung dieses Satzes, soweit sie richtig
ist, bildet den Inhalt des Cauchyschen Integralsatzes in seiner allgemeinen
Formulierang.
Ist dz ein in einem einfach zusammenhängenden Gebiet % bis
auf Fole reguläres Differential, das nirgenduo ein Besiduum =t= 0 besitzt,,
so gibt es eine, abgesehen von Polen, reguläre eindeutige Funldion z, deren
Differential mit dem gegebenen dz in ganz @ übereinstimmt.
Beweis: pQ sei eine Stelle in @, an der sich dz regulär verhält, und
es gelte mit Bezug auf eine zu |)p gehörige Ortsuniformisierende t für
hinreichend kleine t die Entwicklung
^^^^A, + A,t + A^t^^---.
Dann bilde man das Funktionselement
z = A,t + A,'l^A,^'^+--..
Dieses Element gestattet auf jeder von po ausgehenden, in @ verlaufen-
den Kurve y eine analytische Fortsetzung, bei der man auf keine andern
kritischen Punkte als au/ Pole stößt (mit Hilfe dieser analytischen Fort-
setzung definieren wir das Integral Tc^^^), und so erhält man nach dem
Y
Monodromiesatz eine eindeutige Funktion z in (^ von der gewünschten
Beschaffenheit.
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen. Der Residnensatz.
Es sei in der Euklidischen Ebene eine geschlossene Kurve ß mit
bestimmtem Durchlaufungssinn gegeben, ferner ein nicht auf S gelegener
Punkt 0 und in dem Büschel der Halbgeraden durch 0 (kürzer: in 0) ein
bestimmter Drehungssinn :\ . Verfolgen wir, während der variable Punkt P
die Kurve ß einmal im vorgeschriebenen Sinne durchläuft, die stetige
Änderung des Winkels tp, den die Strecke OP mit einer festen Halb-
geraden durch 0 bildet, so wird die Differenz
«Wert von (p am Ende — Wert von (p am Anfang der Durchlaufung*
ein ganzzahliges Vielfaches 2 Witt von 27i sein; die ganze Zahl n heißt die
Ordnung von 0 in Bezug auf £, in Zeichen
1) Man muß durchaus daran festhalten, daß das Residuum etwas ist, was
einem Differential., nicht einer Funktion zukommt.
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen.
n = ord(O) .
e
Diese Zahl n hängt, außer von dem Punkte 0 und der in bestimmter
Weise durchlaufenen Kurve ®, noch von dem Drehungssinn i\ in 0 ab;
ersetzen wir diesen durch den entgegengesetzten, so wechselt n sein Vor-
zeichen.
Die Möglichkeit, auf einer beliebigen Fläche einen Drehungssinn
festzulegen, beruht auf dem folgenden fundamentalen Satz:
Ist ein Gebiet @ der EuldidiscJien Ebene auf ein ebensolches Gebiet
®' umleJirbar eindeutig und umkehrbar gebietsstetig abgebildet, wobei dem
Funkte 0 von @ der PiinJct 0' entsprechen möge- ist ferner in 0 ein
bestimmter Drehungssinn \ gegeben, so kann man in 0' einen Drehungs-
sinn -\' so festlegen, daß die Ordnung des Punktes 0 in Bezug auf jede
nicht durch 0 gehende, in &> verlaufende geschlossene Kurve mit der Ord-
nung von 0' in Bezug auf die Bildkurve übereinstimmt.
Zum Beweise benutzen wir einen festen Kreis f in ® mit dem Mittel-
punkt 0 {x, y bedeuten Cartesische Koordinaten):
x = acos2iil, y=-asm27cl [O^A^l];
in Bezug auf ! besitzt 0 die Ordnung 1. Wir entscheiden uns in 0'^
zunächst willkürlich für einen der beiden möglichen Drehsinne, und nennen
dann n^ die Ordnung von 0' in Bezug auf die Bildkurve f von f. Der
Beweis zerfällt in zwei Teile:
1. Ist S eine beliebige geschlossene Kurve in %, die nicht durch 0
geht, n = ord (0), so ist
ord (0') = w • Wq-
2. Wo ist = -f 1 oder — 1 .
Beiveis von 1.:
x^x{l), y = y{l) [O^A^l]
sei die Kurve S; wir teilen sie so in Teilbögen ein
daß auf jedem dieser Teilbögen die Wertschwankungen des Azimuts cp
kleiner als - bleiben. Pq, P^, ..., P^_i seien die den Werten 0, A^, ,..,
^r-\ entsprechenden Kurvenpunkte. Verfolgen wir also die stetige Ände-
rung des Winkels cp = (p{X), den OB mit einer festen durch 0 gehenden
Halbgeraden einschließt, während P den h^^^ Bogen (E^^: A^_ ^ ^ A ^ 2^ durch-
läuft, so kommen niemals zwei qo-Werte vor, deren Unterschied absolut
^— wäre. S^ ordnen wir den durch die Halbgeraden OBj^_^, OP,^ aus
! ausgeschnittenen Kreisbogen f^: Qf,_iQh zu und bringen ihn mit Hilfe
58 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
eines Parameters A so zur Darstellung-: x = rc^(A), y = ^^(/l), daß wenn X
monoton von A^_i bis /.^ wächst, der zugeordnete Punkt {xy) jenen Kreis-
bogen monoton von Qf,_i nach Q/^ durchläuft. Die Verbindungsstrecke
eines Punktes P auf ©^ mit einem Punkte Q auf f^
enthält niemals den Punkt 0; denn dann würden die
Halbgeraden OP, OQ den Winkel -t miteinander ein-
schließen, was unmöglich ist.
ß = !, + !,+ ••• + f,
ist eine geschlossene Kurve, die den Kreis f stück-
weis monoton und im ganzen «-mal umläuft. Die
Bildkurve Ä' von Ä umläuft demnach stückweis
monoton und im ganzen n-mal f '; infolgedessen hat
0' mit Bezug auf ^' die Ordnung n • Hq.
Ist u eine Zahl ^ 0 und ^ 1 , so stellen die Gleichungen
X = ax(X) -H (1 — .u) xJl)
y = iiit/lA) -h (1 - a) y,{l) '• >^-^ - - "^
«ine geschlossene Kurve (5^ dar, die nicht durch 0 hindurchgeht, deren
Bildkurve G^ also nicht durch 0' hindurchgeht. Bezeichnen wir mit n^
die Ordnung von 0' in Bezug auf S«, so variert infolgedessen und weil
ß,' stetig von ji abhängt, «„ stetig mit /i, muß aber immer eine ganze
Zahl sein und ist demnach konstant für 0 ^ a ^ 1. Für ." = 1 ist S^ = S
und stimmt für a = 0 mit der Kurve Ä überein. Darum muß
ord (0') = ord (0') = w • n^
sein.
Beweis von 2.: Ist (5 eine abgeschlossene Menge in der Euklidischen
Ebene und P irgend ein nicht zu (5 gehöriger Punkt, so nennen wir die
Gesamtheit der mit P durch stetige, @ nicht treffende Kurven verbindbaren
Punkte ein durcli @ bestimmtes Gebiet. Zwei durch @ bestimmte Ge-
biete sind entweder völlig identisch oder haben keinen einzigen Punkt
gemein. Die Grenze eines Gebietes wird von allen Paukten gabildet, die
ohne dem Gebiete selbst anzugehören, Verdichtuugsstellen von Punkten
des Gebietes sind. Die Grenze eines durch (S bestimmten Gebietes @ ist
■eine abgeschlossene Teilmenge ©* von (5. & ist dann auch eines der durch
•@* bestimmten Gebiete.
Hieraus geht für !' hervor: Die geschlossene Kurve f bestimmt in
der Ebene zwei Gebiete; das eine, S, welches wir das innere nennen, be-
steht aus allen Bildpunkten der innerhalb ! gelegenen Punkte; das andere,
■das „äußere", 2t, enthält alle weitentfernten Punkte der Ebene. Als „weit
entfernt" haben diejenigen Punkte der Ebene zu gelten, die außerhalb
«ines Kreises um 0' liegen, der die ganze Kurve f im Innern enthält.
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen. 59
Jeder Punkt von !' gehört sowohl zur Grenze von S als von St. Ein
Teilbogen von f bestimmt nur ein einziges Gebiet.
In jedem Punkte der Ebene legen wir zur Bestimmung seiner Ordnung
in Bezug auf !' denselben Drehungssinn zugrunde. Läßt man dann einen
Punkt in der Ebene stetig wandern, ohne daß er f trifft, so muß sich
seine Ordnung in Bezug auf V stetig ändern und also konstant bleiben.
Sowohl für alle Punkte von % als für alle Pimkte von 3 existiert daher
■eine konstante Ordnung; dieselbe ist für 3(: = 0, da die weitentfernten
Punkte gewiß die Ordnung 0 in Bezug auf f haben. Von den Punkten
von 3 behaupten wir, daß ihre Ordnung = + 1 ist.
Durch 0' legen wir eine Gerade. Verfolgen wir diese von 0' aus
nach beiden Seiten, so müssen wir in beiden Richtungen zum ersten Mal
auf einen Punkt von !' treffen. Die beiden so erhaltenen Punkte E, F
von f zerlegen diese Kurve in zwei Teilbogen. Der eine von ihnen, t[,
bildet zusammen mit der geradlinigen Strecke FE eine geschlossene Kurve
Gj, der andere, f,', ^^ der Strecke EF eine zweite geschlossene Kurve
Gg. Die Strecke EF kreuzen wir im Punkte 0' durch eine kleine auf
EF senkrechte Strecke Oj^Oo, die ganz in S liegt. Die Ordnung eines
Punktes P in Bezug auf G^ springt offenbar um
+ 1, wenn P, die Strecke 0, 0., monoton durch- ^,^i<^- iJr^>-~^
laufend, 0' passiert^): y^ g /// ®=f\\
ord (OJ - ord (0,) = ± 1 . t'Y c-'-^^'-f^o. ^l
Da ©1, aus einem die Ebene nicht zerlegenden /^-^^"^"^ ^
Teilbogen von f und einer geradlinigen Strecke ^^g^'^- Gebietsteiiimg durch die
bestehend, die Ebene in höchstens zwei Gebiete
3i,2(^ zerlegen kann, muß 0^ oder 0^ demjenigen dieser beiden Gebiete Sl^
angehören, in welchem die weitentfernten Punkte der Ebene liegen; einer
der beiden Punkte 0^, 0.^, etwa Oj, muß also in Bezug auf (5^ die Ord-
nung 0 haben; dann hat 0^ in bezug auf S^ die Ordnung + 1 und liegt
in dem anderen der beiden durch G^ bestimmten Gebiet 3^.
Ebenso erkennt man, daß G, die Ebene in zwei Gebiete ^2) ^2 2:er-
legt, von denen STg die weitentfernten Punkte der Ebene enthalten möge,
und daß ferner einer der beiden folgenden Fälle eintreten muß:
1) ord(OJ=0, ord(02)==±l; 0^ Uegt in ST^ ;
1) Denn der Winkel, unter dem die Strecke FE von P aus erscheint, kon-
vergiert gegen -f- ^r oder — -x, je nachdem P von 0^ aus oder von 0^ aus gegen
O' rückt; die gesamte Winkeländerung aber, die ein durch P gehender Strahl
erleidet, dessen anderer Endpunkt die Kurve f^ beschreibt, hängt stetig von P
ab, auch an der Stelle P = 0' .
60 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
2) ord (Ol) = ± 1 ; ord (0^) = 0; Oj liegt in STj .
Im Falle 1) ergäbe sieh in Übereinstimmung mit unserer Behauptung
ord (Ol) = ord (Ol) + ord (0,) = ± 1 .
Wir zeigen jetzt, daß 2) unmöglich ist.
Die Punkte von t^ liegen, wenn wir von den Endpunkten E, F ab-
sehen, in Stj. Denn in beliebiger Nähe eines Punktes Q von H. finden
sich Punkte von 21, und diese sind mit den weit entfernten Punkten der
Ebene durch stetige Kurven verbindbar, welche f ' nicht trefi'en, also ganz
in 51 verlaufen, und daher auch die Strecke EF und !i -f EF = Si nicht
treffen. In beliebiger Nähe von Q finden sich also Punkte, die zu Slj
gehören, und da der Punkt Q nicht auf ßj liegt, muß daher Q selbst in
2(i liegen. Si besteht aus allen Punkten J, die mit Oj durch Kurven C ver-
bin dbar sind, die (Sj nicht treflfen. C liegt selbst ganz in Si, und da fj
außer seinen Endpunkten in SIj liegt, triff't c auch V^ nicht, also auch
nicht V^ -f EF = Sg. Träte jener zweite Fall ein, so läge Oi gleichzeitig
in Sg; und es würde, da C die Kurve Sj nicht trifft, auch J in S2 Hegen.
Jeder Punkt von Si wäre demnach ein Punkt von '^^. Ebenso erkennt
man das Umgekehrte; demnach wäre Si identisch mit ^j. l'i gehört, ab-
gesehen von den Endpunkten, nicht zur Grenze von Si, ebensowenig l[
zur Grenze von Sa- Ist nun Si = Sj , so kann danach die Grenze von Si
nur aus Punkten der Strecke EF bestehen. Das ist aber widersinnig,
da die Strecke EF die Ebene nicht zerlegt. Die Unhaltbarkeit der An-
nahme 2) ist erwiesen.
Der durch den Fundamentalsatz zu Anfang dieses Paragraphen fest-
gelegte Drehungssinn a' heiße der Bild-Drehungssinn von ^ bei der
Abbildung S' des Gebietes @ auf ©': A „geht" durch die Abbildung
S' „über" in \'. Hat man © durch eine umkehrbar-eindeutige und
-gebietsstetige Abbildung S' auf ©', durch eine andere solche Abbildung
S" auf @" abgebildet, so geht der durch S' erzeugte Bilddrehungssinn
\'=\S' von \ in den durch S" erzeugten Bilddrehungssinn h" = \S"
über durch die Abbildung S'~'^S'\ welche ©' in @" transformiert.
Diese Tatsachen genügen, um die Möglichkeit zu erkennen, in einem be-
liebigen Punkte Po einer gegebenen Mannigfaltigkeit f^ einen Drehungssinn
Ä festzulegen. Bei jeder umkehrbar-eindeutigen und -gebiets stetigen Ab-
bildung S einer Umgebung von pQ auf ein Gebiet der Euklidischen Ebene,,
bei welcher p^ in 0 übergehe, wird A sich in einem in 0 herrschenden
Bilddrehungssinn ■^y.S kundgeben. Hat man zwei solche Abbildungen
S und T, so existiert stets eine Umgebung von p^, von der beide Ab-
bildungen ein umkehrbar-eindeutiges und -gebietsstetiges Bild in der Eukli-
dischen Ebene entwerfen. Die Bilddrehungssinne ^;S, aT müssen von
solcher Art sein, daß \S durch die Abbildung S~'^T übergeht in \T.
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen. 61
(Die explizite Angabe eines Drehungssinnes ^ kann natürlich nur „bild-
lich" dadurch geschehen, daß man für irgendeine hestimmte Abbildung
S den Bilddrehungssinn aÄ in der Euklidischen Ebene gibt).
Legt man in irgend zwei Punkten der Ebene 0^, Og den gleichen
Drehungssinn Ai = -^2 zur Bestimmung der Ordnung dieser Punkte zu-
grunde, so macht sich das darin bemerkbar, daß 0^, 0^ sicher immer
dann in Bezug auf eine geschlossene ebene Kurve ß die gleiche Ordnung
besitzen, falls sich Oj, 0^ durch eine ß nicht treffende Kurve verbinden
lassen. Liegen 0^, 0^ in einem Gebiet @, das durch eine umkehrbar-ein-
deutige und -gebietsstetige Abbildung <S" in ®' übergeführt wird, so zeigt
diese Bemerkung, wenn wir sie auf Kurven S anwenden, die in % liegen,
daß aus Ai= ^2
folgt. Danach ergibt sich naturgemäß folgende Definition :
Ist in jedejn Punkte einer Mannigfaltigkeit ^ ein Drehimgssinn \
festgelegt, so heißt derselbe im Funkt pg stetig, falls es eine Umgebung von
Po gibt derart, daß, wenn diese irgendwie umkehrbar-eindeutig und -gebiets-
stetig auf ein ebenes Gebiet abgebildet wird, der Bildsinn von \ in allen
Punkten dieses Gebietes derselbe ist.
Und nur dann, wenn \ überall stetig ist, wird man sagen, daß auf der
Mannigfaltigkeit ^1^ ein einheitlicher Drehungssinn definiert ist. Wenn
eine solche „einheitliche" Festlegung eines Drehungssinnes auf ^ möglich
ist, heißt IJ zweiseitig (Beispiele: Euklidische Ebene, Kugel, Torus), sonst
einseitig^) (Beispiele: projektive Ebene, Möbiussches Band). Eine geschlos-
sene Kurve auf ^ kann von zweierlei Art sein: gehe ich von einem bestimm-
ten Drehungssinn \ in einem Punkte der Kurve aus und setze diesen längs
der Kurve stetig fort, so komme ich in dem Anfangspunkt entweder mit
demselben oder dem entgegengesetzten Drehungssinn an. Auf zweiseitigen
Flächen gibt es nur Kurven der ersten Art, auf einseitigen sowohl Kurven
der ersten als der zweiten Art. Daraus erklären sich die Namen. Daß
sich der Drehungssinn längs einer Kurve zweiter Art umkehrt, äußert sich
nämlich an einer einseitigen Raumfläche wie dem Möbiusschen Bande darin,
daß ich, längs dieser Kurve wandernd, von der einen „Seite" der Fläche
auf die andere gelange, so daß die Fläche in Wahrheit gar nicht zwei
getrennte „Seiten" hat. Über jeder einseitigen Fläche '^ existiert eine un-
verzweigte, unbegrenzte, zweiblättrige, zweiseitige Überlagerungsfläche,
auf der eine Kurve dann und nur dann geschlossen ist, falls ihre Spur-
kurve auf ^ geschlossen und außerdem von der ersten Art ist. Die beiden
Blätter dieser Überlagerungsfläche kann man als die eine und die andere
„Seite" von ^ betrachten.
1) Diese Definition der Einseitigkeit wurde von Klein, Math. Ann. Bd. 9
<1876), S. 479 gegeben.
62 Begriff und Topologie der Riemannsclien Flächen.
Wir denken uns jetzt die Fläche ^, von der wir annehmen wollen,,
daß sie zweiseitig ist und also auf ihr ein einheitlicher Drehungssinn
festgelegt ist, in einer bestimmten Triangulierung ^ vorliegend. Ein Drei-
eck A dieser Triangulierung mit den Ecken 1, 2, 3 ist dadurch auf ein
ebenes gleichseitiges Dreieck D abgebildet, daß man die Koordinaten-
Verhältnisse ^^i^^'^sf welche den Punkten von A entsprechen, mit den
homogenen (in bezug auf die Ecken von D gebildeten) Schwerpunkts-
koordinaten der Bildpunkte in I) identifiziert. Diese Abbildung S ist für
das Innere von A und D umkehrbar-gebietsstetig. ^ erzeugt also in allen
inneren Punkten vonD einen bestimmten Bilddrehungssinn ^ ä, und zwar
in allen Punkten denselben; dieser aber induziert
in der aus der Figur hervorgehenden Weise einen
bestimmten Umlaufssinn auf dem Rande von i>
und damit eine bestimmte zyklische Eckenreihen-
folge oder Indikatrix von D bzw. A: entweder
(123) = (231) = (312)
^ oder
^''- '''■ i'L^Su.^'^ ""' (213) = (132) = (321).
Nachdem man so für jedes Dreieck A der Triangulierung eine be-
stimmte Indikatrix erhalten hat, betrachte ich zwei solche Dreiecke Aj
mit den Ecken 123 und A^ mit den Ecken 124, die längs der Kante 12
aneinandergrenzen. Ich behaupte : bei der mit der vorgegebenen Indikatrix
erfolgenden Umlaufung von A3 wird die Kante 12 in entgegengesetzter
Richtung durchlaufen, wie bei der durch die Indikatrix vorgeschriebenen
Umlaufung von A^. Ich drücke das kurz dadurch aus, daß ich sage, die In-
dikatrix von A3 ist mit der von A^ kohärent. Man zeichne in der Ebene
zwei gleichseitige Dreiecke Dg = (123), B^ = (124), die mit der Kante 12
aneinanderstoßen. Aj ist durch die Koordinatenverhältnisse seiner Punkte
auf D3 stetig abgebildet (die Abbildung heiße S^) und A^ auf D^ (Abbildung
S^). Dabei entsprechen sich die mit gleichen Ziffern bezeichneten Ecken.
Die gemeinsame Kaute von A3, A^ ist zweimal, sowohl durch S^ als durch
S^, auf die gemeinsame Kante von D^, D^ abgebildet. Für diese Kante
ist S'^S^ eine umkehrbar-eindeutige stetige Abbildung, bei der jedes der
beiden Enden in sich übergeht. Ich wähle einen Punkt p auf der Kante
12 (der keiner der Endpunkte ist), einen Punkt pj im Innern von Ag^
einen Punkt p^ im Innern von A^:
Pz^PsS^, Pa=P^S,; p'=-pS„ p'=-pS,.
Man kann D^ leicht so umkehrbar eindeutig und stetig auf sich selbst ab-
bilden (Abbildung S4), daß jede von ^/ ausgehende Strecke J9*^ {p am Rande
vonDJindie Strecke 2?^^ übergeht, auf der Kante 12 aber 5^ mit iSj^^Sg über-
einstimmt. Durch Figur 18 wird eine solche Abbildung angedeutet. Dann
wird durch diejenige Abbildung T3, welche für A3: *= S^, für A^: = S^s^
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen.
6 3
Abbildung eines Dreiecks /;, auf
sich selbst.
ist, das Innere von A3 + A^ umkehrbar-eindeutig und -gebietsstetig auf
das Innere des Rhombus B^ -\- B^ abgebildet. Analog werde eine Ab-
bildung T^ konstruiert, die für A4 mit S^ übereinstimmt. T-^T^ ist eine
umkehrbar eindeutige stetige Abbildung des Rhombus B^ -]- B^ in sich,
bei der das geradlinige Strahlen-
büschel durch den Punkt p^ in das
geradlinige Strahlenbüschel durch
den Punkt p^ übergeht und jeder
Punkt auf dem Rande des Rhombus
festbleibt. Man zeichne das Bild -\ T^
des in den Punkten pg und p herrschen-
den Drehungssinnes Ä. Es ist dann
Ä T3 in^^ derselbe Drehungssinn wie
in p^. Der Endpunkt eines beweg-
lichen Strahles durch den Punkt ^3
oder p^, der um diesen mit dem Drehsinn ix T3 herumkreist, durchlaufe
den Rand des Rhombus etwa in der Richtung 13241. Durch die Ab-
bildung T~^2\ geht Ä J\ im Punkte J9^ über in ä T^ im Punkte p^. Dem-
nach beschreibt der Endpunkt eines beweglichen Strahles durch j)*, der um
diesen Punkt im Drehsinn -\ T^ kreist, offenbar den Rhombus gleichfalls
in der Richtung 13241. Das Gleiche gilt infolgedessen auch für einen
Strahl durch p^, der diesen Punkt mit dem Drehsinn \ T^ umkreist.
Ä ^3 = -^ ^3 in^3 ist aber maßgebend für die Indikatrix von B^, \T^= \S^
inp^ maßgebend für die Indikatrix von D^; in dem angenommenen Fall
wäre (321) die Indikatrix von Dg, (412) diejenige von B^.
Ein einheitlicher Drehsinn A auf der triangulierten Fläche ^^ in-
duziert also in jedem Elementardreieck A von t, eine Indikatrix, die für
je zwei aneinanderstoßende Dreiecke miteinander kohärieren. Unsere Über-
legung liefert aber sofort auch das umgekehrte Resultat: Wenn jedem
Dreieck A von t, eine Indikatrix so zugeordnet ist, daß dieselben für je
zwei aneinanderstoßende Dreiecke kohärieren, so ist dadurch ein einheit-
licher Drehsinn .\ auf ^ festgelegt, der in jedem A die betreffende In-
dikratix induziert.-^) Eine zweiseitige Fläche ^;. vermag man also daran
zu erkennen, daß es möglich ist, jedem A eine solche Indikatrix zuzu-
weisen, daß je zwei aneinanderstoßenden Dreiecken Indikatrizen zukommen^
die miteinander in Kohärenz stehen.
1) Durch diese Eigenschaft, daß man allen Elementardreiecken kohärente
Indikatrizen erteilen kann, definieren Möbius (1865; Werke Bd. II, S. 477 u. 482)
und auch Brouwer (Math. Ann. Bd. 71, S. 101) die zweiseitigen Flächen. Den
Nachweis dafür, daß diese Eigenschaft einer Fläche unabhängig von der Art
ihrer Triangnlation zukommt, erbringt Brouwer, Math. Ann. Bd. 71, S. 324 (Fuß-
note) in anderer Weise, als es hier geschehen ist; sein Beweis ist auch für n-di-
mensionale Mannigfaltigkeiten gültig.
64 Begriff uüd Topologie der Riemannschen Flächen.
Beispiel: Aus dem in § 5 ang-egebenen Schema der projektiven Ebene
ergibt sich rein kombinatorisch deren Einseitigkeit. Das Schema lautete:
(I n III)
(1 n III) (1 2 ni) (I n 3)
/\ /\ /\
X \., / \ / \
(1 n 2) (13 UI) (I 2 1) (3 2 IH) (l 1 3) (2 II 3)
In dieser Schreibweise steht jedes Dreieck der letzten Zeile in mittelbarer
Kohärenz zu (I II III); als inkohärent geschriebenes ZwischengKed tritt
je ein Dreieck der zweiten Zeile auf. Wäre die projektive Ebene zwei-
seitig, so müßten in dem Schema je zwei unter den sechs Dreiecken der
letzten Zeile, in denen zwei gleichlautende Ziffern vorkommen, in Kohärenz
stehen; in Wahrheit kommen jedoch drei Inkohärenzen vor:
(1 n 2) (13 ni) (3 2 ni)
I I I
(I 2 1) (II 3) (2 II 3)
[Zusatz: In den oben durchgeführten allgemeinen Überlegungen
haben wir benutzt, daß man jedes Dreieckpaar einer Triangulation um-
kehrbar eindeutig und stetig auf einen Rhombus abbilden kann (wobei
Ecke in Ecke übergeht). Auf gleiche Art kann man einen Dreiecksstern
so auf ein reguläres Polygon der Euklidischen Ebene umkehrbar ein-
deutig und stetig abbilden, daß der innere Eckpunkt des Sterns in den
Polygonmittelpunkt, die Randecken des Sterns in die Polygonecken über-
gehen. Zerlegt man dieses Polygon irgendwie so in Dreiecke D, daß auf
der Peripherie des Polygons keine neuen Ecken entstehen, und der Poly-
gonmittelpunkt ins Innere eines der Dreiecke IJ fällt, so hat man dadurch
die ursprüngliche Triangulation der Fläche im Innern des einen Dreiecks-
sterns so verändert, daß ein Punkt, der früher Eckpunkt war, jetzt ins
Innere eines Elementardreiecks zu liegen kommt.]
Gehen wir von einem festen Elementardreieck Ag der triangulierten
Fläche ^; aus, dem wir eine bestimmte Indikatrix erteilen, und ist A
irgend ein anderes zur Teilung t. gehöriges Elementardreieck, so kann
man A^ mit A durch eine einfache Kette von Dreiecken verbinden:
(K) Ao, Ai, A^,--, A„ = A.
Man erteile A^ die mit der Indikatrix von Aq kohärierende Indikatrix,
A^ diejenige, welche mit der von A^ kohäriert usw.; so bekommt jedes
Dreieck der Kette und endlich auch A selbst eine bestimmte Indikatrix.
Ist
(K') Ao = Ao, Ai', A2, •••, A; = A
■eine andere einfache Kette, welche Aq mit A verbindet, so können
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen.
65
wir auch in dieser Kette die Indikatrix von Aq nach dem Prinzip der
Kohärenz fortsetzen. Gelangen wir in jeder Kette zu derselben Indika-
trix von A, und zwar, welches auch das Enddreieck A sein mag-, so muß
die Fläche zweiseitig sein. Wenn sie einseitig ist, wird es demnach für
ein gewisses Dreieck A zwei Ketten (K) und {K') geben, die für das
Enddreieck A zu verschiedenen Indikatrizen führen. Ich notiere die-
jenigen Dreiecke der Kette (-K"), die auch in (K') auftreten, in derjenigen
Reihenfolge, wie sie in (K) vorkommen:
(13) Ao, A., A,,...,A„.
Es sei etwa Aj (vielleicht erst A,„) das erste Dreieck unter diesen, dem
in der Kette (K') eine andere Indikatrix zukommt wie in der Kette
(K), und Aj das in der Reihe (13) A, vorangehende Dreieck. Das Stück
der Kette (K), welches A^. mit A, verbindet, liefert zusammen mit dem
von Aj zu A^ führenden Stück der Kette {K') eine (sich nicht über-
schneidende) geschlossene Dreieckskette. In dieser kehrt sich die Indi-
katrix, wenn man sie nach dem Prinzip der Kohärenz fortsetzt, um. Auf
einer einseitigen Fläche muß demnach die Undurchführbarkeit einer der
Kohärenzbedingung genügenden Indikatrix bereits in einer einfachen ge-
schlossenen Dreieckskette Kq zum Austrag kommen.
Zeichnet man in jedem Dreieck einer solchen Kette Kq eine Ele-
mentarstrecke 6, die von einem Punkt der Kante, an die das vorher-
gehende Dreieck der Kette K^ anstößt, zu einem Punkte derjenigen Kante
hinüberführt, an die das nächstfolgende Dreieck stößt, und zwar so, daß
diese Elementarstrecken 0 zusammen ein geschlossenes Polygon tc bilden,
HO hat 7t keine getrennten Ufer: denkt man sich 7t als einen Graben, an
dem eine Promenade entlangläuft, so führt uns diese Promenade nach
einmaligem Umlauf nicht zum Ausgangspunkt zurück, sondern endet auf
Fig. 19. Dreieckskette, in der sich die (durch Drehkreise bezeichnete) Indikatrix umkehrt, und
Polygon (rt) ohne getrennte Ufer, (^j " ist mit p ' ohne Überschreitung von /r durch einen Weg
verbunden, der in unmittelbarer Nachbarschaft von n verläuft.)
dem gegenüberliegenden Ufer von 7t. Dies wird durch die Figur deutlich
werden, in der die Dreiecke der Kette Kq durch Euklidische Dreiecke
repräsentiert sind und die stark ausgezogenen Strecken das Polygon 7t
bilden. Die Eigenschaft von 7t, keine getrennten Ufer zu besitzen, for-
Weyl: Die Idee der Riomannschen Fläche. 5
66 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
muliert sich streng so: Kein einziges derjenigen Gebiete auf fj, welche n
enthalten, wird durch n zerlegt. Es geht daraus hervor, daß schlichtartige
Flächen stets zweiseitig sind.
Umgekehrt: auf einer ziveiseitigen Fläche kann es nie vorkommen,
daß ein Polygon % keine getrennten Ufer besitzt. Indem wir ^, wenn nötig,
durch eine Unterteilung ersetzen, können wir annehmen, daß tt a.us lauter
Kanten besteht. Die Ecken von n seien, in dieser Reihenfolge,
1, 2, 3, 4, . • • , »?, w + 1 = 1, • • .
Da die Fläche zweiseitig sein soll, kommt jedem Dreieck eine bestimmte
Indikatrix zu, und diese kohärieren miteinander. Unter den beiden Dreiecken
mit der Kante 12 ist eines, bei dessen durch die Indikatrix vorgeschrie-
benen Umlaufung die Kante 12 in der Pfeilrichtung durchlaufen wird.
Es heiße A**. Von A** ausgehend, bilde ich in der durch
^3 die Figur veranschaulichten Weise die Dreiecke A^, A^,
A^, • • • , die alle an tc grenzen und von denen je zwei auf-
einanderfolgende eine nicht zu tc gehörige Kante gemein
haben. Diejenigen Dreiecke dieser Kette, welche eine auf
TT liegende Kante h, h-\-l besitzen, tragen eine solche In-
dikatrix, daß bei der durch sie bestimmten Umlaufung die
Kante Ji, h + 1 in der Pfeilrichtung beschrieben wird. { Man
Fig. 20. Linkes Ufer erkennt das in der Figur z. B. für A^, indem man die In-
dikatrix von A° durch die Bedingung der Kohärenz in der
Kette A^A^A^A^ fortsetzt.} Nach endlich vielen Schritten komme ich
zum erstenmal wieder zu einem Dreieck, das 12 als Kante besitzt. Dessen
Indikatrix muß lauten: (12*); es kann demnach nur das Dreieck A° und
nicht das andere Dreieck A? mit der Kante 12 sein, da dies die Indika-
trix (2 1 *) besitzt. Die so aus A*^ gewonnene Dreieckskette bildet das
eine Ufer von ;;i;, die in ähnlicher Weise aus dem anderen Dreieck A",
mit der Kante 12 abzuleitende Kette das andere Ufer.
Jede Riemannsche Fläche ist zweiseitig.
Es sei pQ ein Punkt einer Riemannschen Fläche, t', t" zwei beliebige
Ortsuniformisierende zu pQ, welche eine gewisse Umgebung von pQ je auf
ein ebenes Gebiet @', bezw. @" abbilden, wobei dem Punkte pQ der Punkt
^'=0, bzw. t" == 0 entspricht. Diese Abbildungen mögen T', T" heißen.
Die Abbildung 2"-^J"' von ©' auf ® " wird vermittelt durch eine Formel
t" = reguläre Funktion von (t') in ©'.
\' sei derjenige Drehsinn im Nullpunkte der ;f-Ebene, der die positive
reelle Achse durch 90" hindurch in die positive imaginäre Achse über-
führt. Entsprechend werde der Drehsinn -\ " im Nullpunkte der ^"-Ebene
definiert. Ich behaupte: durch die Abbildung j'-ij" geht ~\' in -\"
über. Dieser Umstand erlaubt es, a' und A " als die durch die Ab-
§ 10. Einseitigkeit und Zweiseitigkeit von Flächen. 67
bildungen T', T" erzeugten Bilder eines bestimmten Drehsinnes ^ in
Po anzusehen, der dadurch in einer von der Wahl der Ortsuniformi-
sierenden unabhängigen Weise festgelegt ist. Da der so zu jedem Punkte
Po der Riemannschen Fläche bestimmte Drehsinn -\ auch überall stetig
ist — daran ist dann nichts mehr zu beweisen — , steht die Zweiseitigkeit
der Riemannschen Flächen fest.
Ich schlage um t' = 0 in @' einen kleinen Kreis !':
t' = ae''f (0^9^2jr)
[a > 0 ist der konstante Radius]. Das durch T'-^T" in ®" entworfene
Bild von V heiße !". Gemäß der Definition des BegriJÖfes „Ordnung" ist
2n:iord. (r' = 0)= f^^"
t" J t
t"
Es gilt aber
f*; = (j, + a^^aj'+aj''^-- •)dt',
wobei die Potenzreihe in einem Kreise der T- Ebene, der f im Innern
enthält, konvergiert. Also folgt
rdt" rat' ^ .
und damit ist erwiesen, daß ord. {t" =— 0) = + 1 und nicht = — 1 ist,
f"
oder daß ä' durch die Abbildung T'~^T" in -\" übergeht.
Ist die Riemannsche Fläche j^ irgendwie trianguliert, so induziert
der eben festgelegte „positive" Drehsinn a in jedem Dreieck eine „posi-
tive" Indikatrix. Ist dz ein in allen Punkten eines Elementardreiecks
der triangulierten Fläche einschließlich des Randes reguläres Differential,
so ist das um den Rand des Dreiecks mit positiver Indikatrix erstreckte
Integral von dz gleich Null. Ist dz in dem ganzen Dreieck einschließlich
des Randes regulär, abgesehen von einem im Innern gelegenen Pol, so ist
dieses Integral hingegen ^2 jt i mal dem Residuum von dz in jenem Pole.
Ist dz auf einer geschlossenen Riemannschen Fläche bis auf Pole
regulär, so kann man ^ derart in Elementardreiecke zerlegen, daß die Pole
ins Innere der Dreiecke und niemals zwei oder mehr Pole ins Innere desselben
Dreiecks fallen (S. 64). Integriert man Trf^; um alle Dreiecke mit posi-
tiver Indikatrix und addiert, so bekommt man 2;r/ mal der Summe aller
Residuen von dz. Umläuft man aber alle Dreiecksumfänge mit positiver
Indikatrix, so wird wegen der Kohärenz dabei jede Kante zweimal, aber
im entgegengesetzten Sinne durchlaufen. Infolgedessen muß jene Inte-
gralsumme anderseits = 0 sein, und wir gewinnen den Satz:
Die Summe der Residuen eines auf einer geschlossenen Riemannschen
Fläche bis auf Pole regidären Differentials ist 0.
5*
ßg BegriflF und Topologie der Riemannschen Flächen.
§ 11. Integralfunktionen. Gesclileclitszahl. Kanonische Zersclineidnng.
Der Prozeß der Integration von Differentialen auf einer Riemann-
schen Fläche kann für beliebige Flächen durch folgende Yerallgemei-
nerung ersetzt werden.
Eine Kurveufunktion F ist auf einer Fläche ^ definiert, wenn
jeder Kurve y auf % eine Zahl F{y) zugeordnet ist; F{y) wird dann als
der Wert von F für die Kurve y bezeichnet. Fällt für zwei Kurven
y\ y" der Endpunkt von y mit dem Anfangspunkt von y" zusammen,
so kann man aus ihnen eine einzige Kurve 7 = 7' + y" zusammensetzen;
ist stets
Fiy' + y") = F{y') + F{y"\
so heißt die Kurvenfunktion linear. Eine lineare Kurvenfunktion hat
für eine geschlossene Kurve einen ^^'ert, der sich nicht ändert, wenn
man den Anfangspunkt der geschlossenen Kurve auf ihr verschiebt. Hat
F für jede geschlossene Kurve den Wert 0, so schreiben wir i^ ~ 0 {F
homolog 0). Es gibt dann eine „Punktfunktion" /"(p) auf der Fläche,
sodaß für jede Kurve
F{y) = m^)-m.)
ist, wenn pj, p« Anfangs- und Endpunkt von y bedeuten. Wir betrachten
nur solche lineare Kurvenfunktionen, welche „im Kleinen" überall «-^^ 0
sind;' diese mögen „Integralfunktionen" heißen. Es soll also zu jedem
Punkt der Fläche eine Umgebung von der Art geben, daß für jede in
dieser Umgebung verlaufende geschlossene Kurve y^: F{y^ = 0 ist. Für
eine Integralfunktion F ist stets
F{- y)^- Fiy),
wenn — y den in entgegengesetztem Sinne durchlaufenen Weg y bedeutet:
y : p = p(A) [0 ^ A ^ 1]; - y : P - \i(l - ^) [0 £ ?^ £ 1].
Auf einer einfach zusammenhängenden Fläche, insbesondere daher auf
der universellen Überlagerungsfläehe, ist jede Integralfunktion ~0.
Integralfunktionen kann man mit konstanten Faktoren multiplizieren
und addieren. Integralfunktionen F^,..., F^, zwischen denen eine Ho-
mologie
q F, -f- . . . + c,„ F„, ~ 0
mit konstanten nicht sämtlich verschwindenden Koeffizienten c besteht,
heißen linear abhängig. Gibt es endlich viele, etwa h, linear unab-
hängige Integralfunktionen F^, . . . , F^ von der Art, daß jede Integral-
funktion F einer linearen Kombination dieser h Integralfunktionen mit
konstanten Koeffizienten homolog ist, so bilden i^[, . . . , Ff^ eine „Basis**
der linearen Schar der inhomologen Integralfunktionen, und die Anzahl
h der Basisfunktionen (die off"enbar für jede Basis die gleiche ist) wird
§ 11. Geschlecht einer Fläche. 69
saninienhangsgrad''^) der Fläche ^, deren Integralfunktionen wir be-
trachten. Gibt es keine endliche Basis für die Integralfunktionen, so be-
sitzt f5 einen unendlich hohen Zusammenhangsgrad.
Wir fassen insbesondere ein Polyeder ^ ins Auge und gehen darauf aus,
seinen Zusammenhangsgrad h durch die Anzahl d der Dreiecke von ^, die
Anzahlen e, k seiner inneren Ecken und Kanten auszudrücken. In jedem
der endlich vielen Dreiecke A, aus denen Sß zusammengesetzt ist, tragen
wir den Schwerpunkt (1:1:1) ein. Sind (wie in der folgenden Über-
legung stets) Aj , A2 irgend zwei dieser Dreiecke, die längs einer inneren
Kante von ^ aneinanderstoßen, §j, §2 i^^^ Schwerpunkte, so hat für jede
innerhalb Aj -f Ag verlaufende, von §j nach §3 führende Kurve y die
Integralfunktion F('y) denselben Wert, den wir mit Xa.^^^ [F] bezeich-
nen wollen. Dies liegt daran, daß nicht nur ein einzelnes Dreieck,
sondern auch das Dreieckspaar A^ -f Ag einfach zusammenhängend ist.
Es ist immer x^^^^ = — x&^^i' ^^^ ^ ^^^ innerhalb ^ gelegener Eckpunkt,
Aj, Ag, . . . , A^ die sich um e gruppierenden Dreiecke in zyklischer An-
ordnung, so muß
(e) a:AiA2 + ^^^2^3 + • • • + Xa^^i = 0
sein, weil auch jeder Dreiecksstern einfach zusammenhängend ist. (Die
linke Seite dieser Gleichung ändert ihr Vorzeichen, wenn wir die zyk-
lische Anordnung der Dreiecke A^, d. i. die Indikatrix im Dreiecksstern
umkehren.) Geben wir das System der Zahlen Xs^ ^^ irgendwie den aus-
gesprochenen Bedingungen gemäß vor, so erkennt man ohne Mühe, daß
es immer eine Integralfunktion gibt, der diese x^^ Ag in der angegebenen
Weise zugehören ^). Eine Integralfunktion F ist dann und nur dann
1) Diese Zahl entspricht der „Zusammenhangszahl" Riemanns, ist aber für
geschlossene Flächen um 1 niedriger als diese. Vgl. Schläfli, Grelles Journal
Bd. 76, S. 152, Fußnote, und Klein, Math. Ann., Bd. 7, S. 550, Fußnote.
2) Z. B. folgendermaßen: In einem einzelnen Dreiecksstern kann ich den
Dreiecken A^, . . . , Ar(Ar + 1 = AJ Zahlen g^, ■ . ■ ■, gr igr + 1= g^) so zuordnen,
daß
^Ai i^i= gi — gi-, «A2 As = ^s — i/2 1 • • • ' ^Ar Al = fi'i — 9r
ist. Ich definiere im Innern dieses Sterns eine Punktfunktion f, die im Innern
des Dreiecks Ai : = gi ist, auf der Kante, die A/ von Aj + 1 trennt, von den End-
punkten abgesehen, den konstanten Wert \ {gi-\-gi + i\ besitzt, im gemein-
samen Eckpunkt der Dreiecke Ai dem arithmetischen Mittel der r Zahlen gi
gleich wird. Für eine innerhalb dieses Sternes verlaufende Kurve y = (pj pj) de-
finiere ich F{y) = /'(pj) — /'(pi). In der Wahl der gi steckt insofern eine Willkür,
als ich sie alle um dieselbe Zahl vermehren kann; das ist aber auf F{y) ohne
Einfluß. Liegt y im Innern zweier Dreieckssterne zugleich (die dann ein Drei-
eckspaar, in welchem y gelegen ist. gemein haben), so hängt der Wert von F{y)
auch nicht davon ab, welchen der beiden Dreieckssterne ich in der angegebenen
Weise zur Berechnung benutze. Ist y eine beliebige Kurve, so kann ich sie in
endlich viele konsekutive Bögen 7,, 7,, . . . yn derart zerlegen, daß jedes yi ganz
im Innern eines Dreiecksstems liegt. Ich setze dann:
70 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
'-^ 0, wenn jedem Dreieck A von ^ eine Zahl ^f^ entspricht, sodaß für
alle Dreieckspaare A^Ag, die eine innere Kante von ^ gemein haben,
ißt.
Wenn wir von je zwei entgegengesetzt gleichen Zahlen x^^^^, Xao\i
immer nur eine beibehalten und der gemeinsamen Kante der Dreiecke
Aj, Ag zuordnen, so haben wir Ic „Unbekannte" X] zwischen ihnen be-
stehen die e linearen homogenen Gleichungen (e), die den einzelnen inneren
Eckpunkten e von ^ entsprechen. Sind diese Gleichungen linear unab-
hängig voneinander? Angenommen, es bestünde zwischen ihren linken
Seiten eine Identität mit den Koeffizienten y^. Betrachten wir eine Kante
ef, deren beide Eckpunkte e, f im Innern von ^ liegen. Die beiden zu
den Ecken e und f gehörigen Gleichungen mögen in solcher Form ge-
schrieben sein, daß sie zwei kohärenten Indikatrizen der beiden zu e und
f gehörigen Dreieckssteme entsprechen:
(e): A„A„A3,..., A.
(t): a; = a„z^; = a„ a;,...,a.;.
Die Unbekannte X/^^ao tritt dann nur in diesen beiden Gleichungen und
zwar mit entgegengesetztem Vorzeichen auf, und es muß daher ye= 2/f
sein. Ist hingegen e» eine Kante, deren einer Eckpunkt e im Innern, de-
ren anderer • am Rande von ^ liegt, so schließt man auf gleiche Weise
?/e = 0. Ist ^ offen, so kann man von jedem inneren Eckpunkt aus einen
Kantenzug an den Rand legen e f . . . I • und findet
^e =2/f = --- = 2/1 = 0.
Ist ^ geschlossen, aber einseitig, so kann man von e aus einen nach e
zurückkehrenden Kantenzug ziehen, auf dem sich die Indikatrix um-
kehrt: an diesem entlang von Eckpunkt zu Eckpunkt schließend, be-
kommt man ye = — ye, also gleichfalls y^ = 0. Ist ^ geschlossen und
zweiseitig, so versehe man alle Dreieckssterne auf ^ mit Indikatrizen,
die unter einander kohärent sind, und schreibe jede der Gleichungen (e)
dieser Indikatrix entsprechend. Dann findet man, da man jede Ecke
mit jeder durch einen Kantenzug verbinden kann, daß alle y^ einander
gleich sind, und es besteht dann wirklich zwischen den linken Seiten der
Gleichungen (e) die Identität mit den Koeffizienten y^ = 1. Setzen wir
£ = 0 für geschlossene zweiseitige Polyeder, sonst £ = 1, so haben die
Gleichungen (e) also ]c — e -f 1 — £ linear unabhängige Lösungen.
F{7) = F(n) + Fiy,) + . . . + F(y„).
Es kommt nach dieser Erklärung immer derselbe Wert heraus, welche Eintei-
lung in Teilbögen yj ich auch vornehme. Um die beiden für zwei verschiedene
Teilungen sich ergebenden Werte zu vergleichen und ihre Übereinstimmung fest-
zustellen, brauche ich nur beide Teilungen gleichzeitig anzubringen. F{y) ist
eine Integralfunktion, wie wir sie wünschen.
§ 11. Geschlecht einer Fläche. 71
Ordnet man willkürlich jedem Dreieck A von ^ eine Zahl g^ zu,
so erhält man durch die allgemeine Formel x^^ö... = gs^ — 9^i stets eine
Lösung der in Frage stehenden Gleichungen; von den so entstehenden
Lösungen werden wir sagen, daß sie ~ 0 sind. Die Zahlensysteme [g^]
bilden eine lineare Schar vom Grade d. Ein solches System liefert dann
und nur dann für alle g^^ — g\i die 0, wenn g^ für alle Dreiecke A den-
selben Wert hat (wir benutzen dabei, daß ^ zusammenhängend ist). Die
Lösungen von (e), welche •^ 0 sind, bilden also eine lineare Schar vom
Grade d — 1. Der Überschuß
(jc-e-\-l-€)-{d-l) = {7c-e-d+2)-£
gibt die gesuchte größte Anzahl h der linear unabhängigen Inte-
gralfunktionen auf ^. Es folgt aus der durch die obigen BetracJttungen
aufgedeclden Bedeutung von h, daß diese Größe für geschlossene Flächen
von der Art ihrer Triangulation völlig unabhängig ist^)-, außerdem muß
stets h^O sein.
Daß zwischen l geschlossenen Wegen y^, y^,--, yi die Homologie^
Ci7i +C2J/2 -f ... -fc^y, ~0
mit den Zahlen c, als Koeffizienten besteht, soll besagen, daß für jede
Integralfunktion F die Gleichung
c,F{Vx) + ^2^(72) + • . • + c,F{y:) = 0
statthat. Hat die Fläche, welche wir betrachten, den endlichen Zusammen-
hangsgrad h, so besteht zwischen l > h geschlossenen Wegen stets eine
solche Homologie mit nicht lauter verschwindenden Koeffizienten. Man
braucht nämlich nur die h homogenen linearen Gleichungen
^1 FM + ^2^^(72) + • • • + <^-My:) = 0 [^ = 1, . . . , Ä]
zu
1) Gewöhnlich wird die Zusammenhangszahl (nach Riemann) mit Hilfe der
Zerschneidung der gegebenen Fläche in eine einfach zusammenhängende er-
klärt, wobei man innerhalb der Analysis situs nicht umhin kann, als Zer-
schneidungslinien beliebige stetige Kurven zuzulassen; die Beweise dafür aber,
daß die so definierte Zahl durch die Fläche allein bestimmt ist, sind nicht
streng und scheinen sich auch nur schwer in strenge Form bringen zu
lassen. Indem wir hier eine neue Definition zu Grunde legten, welche zu den
funktionentheoretischen Anwendungen (Theorie der Abelschen Integrale) in eng-
ster Beziehung steht, ist dieser Übelstand vermieden worden. Man darf wohl sagen,
daß unser Verfahren den eigentlichen Kern der von Weierstraß, Hensel-Lands-
berg u. a. in der Theorie der algebraischen Funktionen angewendeten Methode,
zunächst das Verhalten der Integrale zu untersuchen und daraus Schlüsse über
die Integrationsiregre zu ziehen, in einer von allen funktionentheoretischen Zu-
fälligkeiten befreiten Form vor Augen stellt. — Die für geschlossene, zwei-
seitige, einfach zusammenhängende Polyeder gültige Gleichung e -\- d — k ^ 2
wird als die Eidersche Polyederformel bezeichnet. S. Euler, Petrop. Novi Comm.
4 (1752—53), S. 109.
2) Vgl. Poincare', Analysis situs, Journal de l'Ecole polytechnique, Ser. 2,
Bd. 1 (1896), S. 19.
72 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
lösen, um solche Koeffizienten zu ermitteln. Es muß demnaeh eine ge-
wisse Anzahl h' (^ h) von geschlossenen Wegen 7^, . . . , fh' geben, sodaß
zwischen diesen keine Homologie (mit Koeffizienten, die nicht alle 0 sind)
besteht, wohl aber zwischen je h' -{- 1 geschlossenen Wegen. 7i,..., ///
bilden dann eine Basis für die Schar der inhomologen geschlossenen Wege,
und li ist der Grad dieser Schar. In analoger Weise, wie oben h' ^ h
gefunden wurde, beweist man h ^ /«'; demnach ist li = h.
Die besondere Natur der ObjeJde (geschlossenen Wege), aus denen un-
sere Schar bestellt, bringt es mit sich, daß eine Basis ^i, . . . , y^ so ausfindig
ge7nacht tverden lann, daß für jeden geschlossenen Weg eine Homologie
r ^ n^7i + ■ • • + nnyn
mit ganzzahligen Koeffizienten w,, ..., n,, stattfindet. Es sei zunächst
y'i} y\i'-'i y'h eine beliebige Basis der geschlossenen Kurven. Jeder ge-
schlossenen Linie
yr^r^y\ i-r^y'^ + ... + ny,
ordne man in einem Cartesischen /i-dimensionalen Raum den Punkt mit
den Koordinaten (r^, r^,..., r^) zu:
y^{r„r^,...,r^.
Das System G der so den sämtlichen geschlossenen Kurven y entspre-
chenden Punkte bildet ein „Gitter"; d. h. mit jedem Punkt (r^, r^,..., r^)
gehört auch (— r^, — r^,..., — rj zu G, und wenn {r[, r'^, . . . , r'^\
(^■'i'j *"2> • • • ; *"a) irgend zwei zu G gehörige Punkte sind, so ist auch immer
(^'i + <, r'^ + <,.... r; + r;')
in G enthalten. Denn aus zwei geschlossenen Wiegen y, y" kann man
stets einen geschlossenen Weg
y^y+ y"
dadurch erhalten, daß man / von einem seiner Punkte p' aus einmal
umläuft, dann von p' längs einer beliebigen Kurve 6 nach einem Punkte
p" von y" geht, /' von p" aus umläuft und schließlich längs 6 in um-
gekehrter Richtung nach p' zurückkehrt. Insbesondere gehören alle Punkte
mit ganzzahligen Koordinaten zu G.
Es liegen aber nicht in beliebiger Nähe des Nullpunktes (0, 0, ... , 0)
Gitterpunkte, sondern es existiert eine ganze Zahl N von der Beschafi'en-
heit, daß die Koordinaten eines jeden zu G gehörigen Punktes sich durch
Multiplikation mit iV in ganze Zahlen verwandeln. Beweis: Da die
Koeffizienten der Gleichungen (c) ganze Zahlen sind, kann man ins-
besondere /( ganzzahlige Lösungen
KJ [i=l,2,...,Ä]
angeben, aus denen sich alle andern im Sinne der Homologie linear zu-
sammensetzen lassen. Diesen h Lösungen entsprechen h linear unab-
hängige Integralfunktionen F^, deren Werte für jede geschlossene Kurve
§ 11. Geschlecht einer Fläche. 73
ganze Zahlen sind^). Setzen wir die von 0 verschiedene Determinante
j = l,2,..,li
SO ergibt sich unsere Behauptung in Anbetracht der Gleichungen
rrF,{y[)+ uF.iy,) + . . . + r,F,{y\) = F,{y), [i = 1, 2, . . . , A]
auf deren rechten Seiten ganze Zahlen stehen.
Unter allen (endlich vielen) Gitterpunkten von der Form
(r„0,.-.',0) [0<r,^l]
'A~(rW,0,...,0)
derjenige, für welchen r^ seinen kleinsten Wert hat; unter den endlich-
vielen Gitterpunkten von der Form
(r„rj, 0,.-.,0) [0^r,<.f); 0<r,^l]
— deren es sicher welche gibt — femer
j.,^(r(^r(^0,-.-,0)
derjenige, für welchen H^> möglichst klein ist; unter allen Gitterpunkten
(r„r,,r„0, •■•,()) [0 ^ r, <;f ), 0^r,<rf', 0<r3^1]
y,^{rf,rf,rf,Q,.--,^)
derjenige, für den r^^^ am kleinsten ausfällt; usw. Die geschlossenen Kurven
7i, y^, 7z^ • • •■) yh bilden dann eine Basis, wie wir sie suchen.^) Denn ist
7 ~ (rj, r2, . . . , r^) ein beliebiger zu G gehöriger Punkt, so kann man
der Reihe nach die ganzen Zahlen nj^, n^_-^, . . ., w^ so bestimmen, daß
y - hhyn + ^h-x Tk-i + • • • + "iJ'i) ~ (^1, r„ ..., ?,)
0£T.<rf^(i = h, h— 1, ••-, 1)
wird. Dann aber schließt man aus der Bedeutung von y^^, 7/,_i, ..., /i
sukzessive
^. = 0, ^-1 = 0, ■••,?, = 0,
und das Endergebnis ist das behauptete:
7~W;iy^H l-n^y^-hn^y^-
Nur eine Basis {y^] , durch die sich alle geschlossenen Kurven im
1) Um den Wert F(y) einer Integralfunktion F für einen geschlossenen
Weg 7 zu berechnen, kann man •/ durch einen in hinreichender Nähe von y verlau-
fenden geschlossenen Streckenzug :r ersetzen (S. 49); wir nehmen ihn so an, daß er,
ohne durch Ecken hindurchzugehen, die Kanten in allen Treffpunkten überkreuzt.
Geht 7t an einer beliebigen solchen Kreuzungsstelle aus dem Dreieck Aj in das Drei-
eck Aj hinüber, so ist F{'/) = F(7i) gleich der über alle Kreuzungsstellen zu
erstreckenden Summe ^J^a-a, [F]-
2) Dieses Schlußverfahren wird von Minkowski als „Adaption eines Zahlen-
gitters in bezug auf ein enthaltenes Gitter" bezeichnet. Vgl. Diophantische Appro-
ximationen (Leipzig 1907), S. 90—95
74 Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Sinne der Homologie linear-liomog-en und (janszahlig ausdrücken lassen,
wollen wir von jetzt ab als eine wirkliche Basis gelten lassen. Der
Übergang von einer solchen wirklichen Basis zu einer andern wird ver-
mittelt durch lineare Transformation mit ganzzahligen Koeffizienten, deren
Determinante = + 1 sein muß.
Über der geschlossenen Fläche ^^ vom Zusammenhangsgrad Ji gibt es
eine unverzweigte unbegrenzte (reguläre) Überlagervmgsfläche ^, auf der
eine Kurve, deren Spurkurve auf '^ geschlossen ist, sich dann und nur
dann schließt, falls jene Spurkurve i^ 0 ist. Alle Integralfunktionen auf
^ werden, wenn man sie als Integralfunktionen auf ^ betrachtet, der 0 ho-
molog; daher nenne ich % die Überlageruiigsfläche der lutegralfuuk-
tioiien. Ist y^, . . ., y^ eine Basis für die geschlossenen Wege auf ^ und
bezeichnen wir allgemein mit p/S,. denjenigen Punkt auf ^5> zu dem man
gelangt, wenn man, von dem beliebigen Punkt p auf ^ ausgehend, auf ^
einen Weg zurücklegt, dessen Spurlinie in ^ geschlossen und ~ y^ ist,
so bedeuten die S- Decktransformationen von ^ in sich und erzeugen zu-
sammen die gesamte Gruppe dieser Decktransformationen, die eine kommu-
tative (Abelsche) Gruppe ist:
[Wj, Wg, ..., n,^ durchlaufen unabhängig voneinander alle ganzen Zahlen].
Im Falle der geschlossenen zweiseitigen Flächen hat Riemann für
die im Kap. II zu besprechenden funktionentheoretischen Anwendungen
eine besondere Basis der geschlossenen Wege, die sog. Icanonische Zerschnei-
dung, konstruiert.^) Wir gründen diese Konstruktion auf die folgenden
Überlegungen.
Auf einem einfach zusammenhängenden Polyeder ist jede Integral-
funktion ~ 0, also sein Zusammenhangsgrad h = 0. Von diesem Satz
gilt auch die Umkehrimg. Würde z. B. das offene Polyeder ^^, für welches
h == 0 vorausgesetzt wird, nicht einfach zusammenhängend sein, so führe
man einen (aus n Kanten bestehenden) Querschnitt, der 'iß nicht zer-
legt. Dadurch wird '^ in ein Polyeder ^' verwandelt, dessen Anzahlen
sich aus den Formeln
d' = d , k'=k — n, e'=e — (w— 1)
berechnen, und für ^' ergäbe sich h' = — 1, was unmöglich ist.
Es sei auf einer in bestimmter Triangulierung ^ vorliegenden ge-
schlossenen zweiseitigen Fläche ^- ein ^ nicht zerlegendes Polygon :r
gegeben, das aus Kanten von t, besteht. Es läßt sich dann, da 7t die Fläche
nicht zerlegt, ein Polygon 7t' auf ^^ zeichneu, das ;r an einer einzigen
Stelle überkreuzt, sonst aber keinen Punkt mit 7t gemein hat. Machen
1) Riemann, Theorie der Abelschen Funktionen, Werke, 2. Aufl., S. 129—130.
§ 11. Geschlecht einer Fläche. 75
wir eine solche Unterteilung g* von ^, daß auch ä' ganz aus Kanten be-
steht, so ist ;r 4- ;r' eine abgeschlossene Punktmeuge von solcher Art,
daß sie nicht nur ^ unzerlegt läßt, sondern überhaupt jedes Gebiet, dem
sie angehört. Die Dreiecke von ^*, welche Kanten
auf ;r + ^' liegen haben, lassen sich nämlich in
einer einzigen geschlossenen Kette so anordnen (wo-
bei allerdings Dreiecke in der Kette mehrfach auf-
treten können), daß je zwei aufeinanderfolgende Drei- '^
ecke der Kette eine nicht zu ;r -f ;r' gehörige Kante
gemein haben. Bei der Herstellung dieser Anordnung ^-^ ^i. Rückkehrschnitt -
wird davon Gebrauch gemacht, daß tc sowohl als tc' paar,
getrennte Ufer besitzt, ti -\- :x' nennen wir ein Rückkehrschiiittpaar.
Hat man auf ^^ q sich gegenseitig nicht treffende Rückkehrschnitt-
paare
^1+^1% ^2 + ^2 ? • • ■ ? ^5 + ^9 >
die |5: nicht zerlegen, so kann man einen willkürliehen Punkt p^ auf der
Fläche (der nicht auf diesen q Rückkehrschnittpaaren liegt) durch ein-
fache Streckenzüge öj, ..., 6^ mit den Kreuzungspunkten der Rückkehr-
schnittpaare verbinden. Die 6 können wir so wählen, daß sich je zwei
von ihnen außer in pQ nicht schneiden und daß <?. mit dem i'®** Rückkehr-
schnittpaar den Kreuzungspunkt, sonst aber keinen Punkt gemein hat,
die übrigen Rückkehrschnittpaare jedoch überhaupt nicht trifft: wir haben
dann ein „Gespann" von q Rückkehrschnittpaaren, das durch die „Zügel"
6 an den Punkt pQ befestigt ist. Machen wir eine solche Unterteilung ^*
von ^, daß das ganze Schnittsystem
1 = 1
aus Kanten besteht, so erkennen wir, daß es nicht nur f^, sondern jedes Ge-
biet, das U ganz enthält, unzerlegt läßt (Fig. 22). Indem wir die Verbindung
der Dreiecke über die Kanten des Schnittsystems hinüber lösen, erhalten
wir aus dem geschlossenen ein offenes Polyeder ^'. Die Anzahl der Drei-
ecke d ist bei dieser Operation dieselbe geblieben; die Anzahl Ä; — e ist
um 2q — 1 gesunken. Es muß also (wenn h den Zusammenhangsgrad
von ^ bedeutet)
li-{2q-l)^l oder 2q£h
sein. Ist noch 2q < h, so ist ^' nicht einfach zusammenhängend. Wir
zeichnen dann in ^' einen Querschnitt v, der ^' nicht zerlegt, und ver-
binden zwei Punkte, die sich an den beiden Ufern einer zu v gehörigen
Kante gegenüberliegen, durch ein v nicht treffendes Polygon jr,^^i in ^',
Wir lassen von i' am Anfang und Ende ein kleines Stück der ersten bezw.
letzten Kante fort und verbinden Anfang und Ende des so verstümmelten
76
Begriff und Topologie der Riemannschen Flächen.
Kanonische
Zerschneidung
Qiierschnittes v~ durch einen Streckenzug r innerhalb ^', der in solcher
Nähe des Schnittsystemes U bleibt, daß er auch Tt'g + i nicht treffen kann.
v~ + t = 7t^_^_^ ist dann ein geschlossenes Polygon, das ^' nicht zerlegt,
da jr^'^i die beiden Ufer einer zu ;r^^^ gehörigen
Strecke ohne Überschreitung von 7C^_^^ innerhalb ^'
1 ist ein weiteres Kückkehrschnitt-
paar, das mit den vorigen
keinen einzigen Punkt ge-
mein hat und mit ihnen
\\ zusammen ^ immer noch
nicht zerlegt.
Wenn die Zahl h>2q
ist, muß sie folglich
sein. Dies zeigt, daß die Zahl
zweiseitige geschlossene Flächen
nur gerade sein kann. Setzen wir h = 2p,
so gibt es ein Gespann von p Rückkehr-
schnittpaaren n -\- %' , die mit Hilfe von
Zügeln 6 an einen Punkt pj, der Fläche befestigt sind, p heißt das Ge-
schlecht von ^. Wir können annehmen (indem wir eventuell von der ur-
sprünglichen Triangulation t, zu einer Unterteilung t,* übergehen), daß
alle diese Linien n, %' , 6 aus Kanten bestehen; sie liefern die kano-
nische Zerschneidung von %;■* in ein einfach zusammenhängendes Po-
lyeder %^.
Jedes Dreieck von ^;.* sei dem Prinzip der Kohärenz gemäß mit
einer Indikatrix versehen. Von zwei Elementardreiecken der Triangu-
lation, die längs einer gerichteten Kante 12 aneinanderstoßen, nennen wir
dasjenige, dessen Indikatrix = (12*) ist, das linke, das andere das rechte.
Den Zügeln 6 erteilen mr die Richtung von p^ nach den Kreuzungs-
punkten, den %, 7i' einen solchen Umlaufssinn, daß ti' die Linie % von
rechts nach links {n also n' von links nach rechts) überkreuzt.
Wir betrachten eine Litegralfunktion F auf ^. Es gibt auf ^y*
eine Punktfunktion f, so daß für jede in f|^^ verlaufende Kurve y, deren
Anfangs- und Endpunkt p^, pg heißen sollen,
F(y) = f{^,)-f{V.)
ist. Es seien A', A" zwei Dreiecke, die eine dem kanonischen Schnitt-
system gehörige Kante x gemein haben (A' liege auf dem linken, A"
auf dem rechten Ufer des betreffenden Schnittes; ; dann gibt es in A' -f A"
eine Funktion /"g, so daß für jede in A' -f- A" verlaufende Kurve y = (P1P2)
^ir) = /o(p2)-/o(Pi).
Es muß dann
/•=^-f c'in A', f=fo + c"
A"
Geschlecht einer Fläche. 77
sein, wo c\ c" Konstante sind, c" — c nenne ich den Sprung von F
auf X. Betrachtet man einen Dreiecksstern, der sich um eine auf dem
kanonischen Schnittsystem geleg'ene Ecke gruppiert, die mit keinem der
Kreuzungspunkte zusammenfällt, so stellt sich heraus, daß der Sprung
von F für alle Kanten, die demselben der Sclinitte n, %', 6 angehören,
den gleichen Wert besitzt. Er sei
= a^ für :r,, = a/ für %■, = c^ für <?..
Betrachtet man den Dreiecksstern, der sich um den Kreuzungspunkt des
i*^"^ Rückkehrschnittpaares gruppiert, so ergibt sich C- = 0. Die Zügel
6- können demnach fortgelassen werden. Die Zahlen a-, a- werden die
Perioden der Integralfunktion an den Schnitten :r^, n- genannt.
Ist y eine beliebige geschlossene Kurve, so kann dieselbe zur Be-
rechnung von F{'y) ersetzt werden durch ein in hinreichender Nähe von
y verlaufendes Polygon; dies werde so angenommen, daß es die Rückkehr-
schnittpaare an endlich vielen Stellen überkreuzt, die keine Eckpunkte
der Triangulation sind. Ist + «,. die Anzahl von Malen, die jenes Poly-
gon 7t^ von links nach rechts überkreuzt, vermindert um die Anzahl von
Malen, in der dasselbe von rechts nach links geschieht, und hat — «/
die analoge Bedeutung für ;r/, so ist offenbar
F{y)^^n,a,-^n;a:-
anderseits
a^ = F\:i:), - a! = F(ä.).
Die 7t ^, 7C. bilden also eine wirkliche Basis für die geschlossenen Wege.
Das Geschlecht p ist, wie Möbius und Jordan^) bewiesen haben, die ein-
zige Analysis-situs-Invariante der geschlossenen zweiseitigen Flächen. Der
Satz nämlich, daß zwei geschlossene zweiseitige Flächen, welche im Sinne
der Analysis-situs äquivalent sind, dasselbe ^j besitzen müssen, läßt sich
umkehren. Es verursacht keine große Mühe, den Jordanschen Beweis zu
einem den in dieser Schrift angestellten Analysis-situs-Betrachtungen
an Strenge ebenbürtigen umzumodeln; wir wollen jedoch darauf nicht
eingehen. Welche einschneidende Bedeutung dem Geschlecht einer ge-
schlossenen Riemannschen Fläche für die Theorie der Funktionen auf
dieser Fläche zukommt, wird zur Genüge aus den funktionentheoretischen
Sätzen des nächsten Kapitels hervorgehen.
Es ist leicht, geschlossene zweiseitige Flächen im dreidimensionalen
Euklidischen Raum von verhältnismäßig einfacher Natur anzugeben,
deren Geschlechtszahl ^ einen gegebenen Wert hat; z.B. besitzt eine mit p
Henkeln versehene Kugel das Geschlecht p.
1) Möbius, „Theorie der elementaren Verwandtschaffc" (1863), Werke Bd. II,
S. 435—471: C.Jordan, Journal de mathematiques , Ser. 2, Bd. 11 (1866), S. 105.
Ferner: W. Dyck, Math. Ann. Bd. 32 (1888), S. 457.
Zweites Kapitel.
Funktionen auf Riemannschen Fläclien.
§ 12. Das Dirichletsche Integral.
(S sei in der Euklidischen Ebene mit den rechtwinkligen Koordi-
naten xy eine abgeschlossene, ganz im Endlichen gelegene Punktmenge.
Man zeichne, um den Flächeninhalt von (5 zu bestimmen, in der Ebene
das Quadratnetz von der Seitenlänge a, das durch die Parallelen
y = ms {m beliebige ganze Zahl)
zur X-Achse und die Parallelen
X = ns in beliebige ganze Zahl)
zur 1/ -Achse erzeugt wird. Ist dann i^ die Anzahl der ganz aus inneren
Punkten von (£ bestehenden Quadrate des Netzes, a^ ("> i^ aber die An-
zahl derjenigen Quadrate des Netzes, die überhaupt Punkte mit (£ gemein
haben, so existieren^) die Grenzwerte
lim £^?j = I, lim s^a^ = A.
Fällt I = A aus, so nennt man diese Zahl den Inhalt von ©. Diejenigen
Punkte von @, in deren beliebiger Nähe nicht zu (S gehörige Punkte an-
getroffen werden, bilden die Begrenzuu;? von ©. Damit @ ein bestimm-
ter Inhalt zukommt, ist offenbar notwendig und hinreichend, daß die
Begrenzung von ß den Inhalt 0 besitzt.
Eine stetig differentiierbare Kurve, und umsomehr eine analytische
oder stückweis analytische Kurve in der Ebene besitzt den Inhalt 0. Die
stetig differentiierbare Kurve y von der Länge l kann man nämlich in
n -\- 1 Teilbogen je von der Länge . r teilen. Benutzen wir dann ein
QuadratnetzvoneinerKantenlänge£=— , so kann ein solcher einzelner
1) C. Jordan, Cours d'analyse, 2. Aufl., Bd. 1, S. 28.
§ 12. Das Dirichletsche Integral. 79
Teilbogen offenbar mit höchstens vier Quadraten des Netzes Punkte ge-
mein haben; im ganzen wird es also höchstens 4(« + 1) Quadrate des
Netzes geben, die Punkte von y enthalten:
woraus die Richtigkeit der Behauptung lim a^ -8^=0 hervorgeht.^)
f = 0
Liegt die abgeschlossene Punktmenge (S, von der wir jetzt ein für
allemal annehmen, daß sie einen Inhalt J besitzt, ganz in einem Gebiet
@, in welchem eine stetige Funktion f definiert ist, so hat das Integral
Ijfdxdy einen klaren Sinn. Einen Näherungswert desselben berechnet
g
man, wenn man den Inhalt s^ eines jeden zu @ gehörigen Quadrates des
£- Netzes mit dem Wert von f im Mittelpunkt dieses Quadrates multi-
pliziert und alle diese von den einzelnen Quadraten herrührenden Bei-
träge addiert. Die so ermittelte Zahl konvergiert gegen den Wert des
Integrals, wenn man s gegen 0 gehen läßt. Es ist dabei gleichgültig,
ob man nur über die ganz innerhalb (£ gelegenen Quadrate des Netzes
summiert, oder außerdem auch einige oder alle an den Rand von (S
stoßenden Quadrate mitberücksichtigt. Ist @ in endlichviele abgeschlossene
Mengen (S^, (Sg, ••-,©„ mit bestimmtem Inhalt zerlegt (so daß die (£. in
ihren inneren Punkten durchweg verschieden sind, jedes (5^ ein Teil von
S ist, aber auch jeder Punkt von (5 in mindestens einem der ©■ enthalten
ist), so ergibt sich aus der Definition ohne weiteres das Additionsgesetz
n
fffdxdy = ^fffdxdy.
e j = 1 ®i
Ist % umkehrbar-eindeutig und -gebietsstetig auf ein Gebiet ®' der
a;y -Ebene abgebildet:
(14) x' = x'{xy), y' = y' {xy)
wobei die Differentialquotienten
dx'
dx
dx'
dy
dy'
dy'
Ty
stetige Funktionen von xy sein sollen und ihre Determinante d überall
H= 0, so gilt die Transformationsformel
JJfdxdy^JJ^dx'dy'.
1) Der Beweis stammt von C. Jordan (Cours d'analyse, 2. Aufl., Bd. 1,
S. 107).
80 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Dabei ist ©' das Bild von ®, und in dem Integral rechts ist -y vermöge
der Transformationsformeln als Funktion von x\ y auszudrücken.
Ist u eine stetig- differentiierbare Funktion in @, so pflegt man
(übrigens mit geringem historischen Recht)
»^(") =//[(!-:)' +©>^^^
als das Dirichletsche Integral zu bezeichnen. Es ist gegenüber konformer
Abbildung invariant. In der Tat: ist die Abbildung (14) konform (rf=4= 0 ist
dann eine Folge der vorausgesetzten Umkehrbar-Eindeutigkeit der Ab-
bildung), so ist zufolge der Riemann-Cauchyschen Differentialgleichungen
\rx) +bV =Lte) ^\w)\\-\dx) +UyjJ'
.=.(
also
ax_Y /dx\
Jx) + \dy)
lim + m>'y -lim + im^^^y-
Dieses Invarianzgesetz ermöglicht es, das DiricJdet- Integral einer stetig
diflFerentiierbaren Funktion nicht nur in der Ebene, sondern auf einer
beliebigen Riemannschen Fläche zu bilden.
Es sei also ^ eine geschlossene Riemannsche Fläche, und u eine
stetig differentiierbare Funktion auf ihr; wir wollen erklären, was unter
dem Dirichletschen Integral D(it) von u auf ^ zu verstehen ist. Ist p
ein Punkt auf fj und z eine zu p gehörige Ortsuniformisierende, die eine
Umgebung von p auf ein den Punkt 3 = 0 enthaltendes Gebiet der
ir-Ebene abbildet, so ist ein ganz diesem Gebiete angehöriger Kreis
\z\'^a Bild einer Punktmenge auf ^, die wir einen ^-Kreis um p nen -
nen. Die Punkte, für welche \z\=a ist, bilden die Peripherie jenes
Kreises. Ordnet man jedem Punkt p willkürlich eine Ortsuniformisierende
2 und einen ^-Kreis K zu, so kann man unter diesen K eine endliche An-
zahl K, {l = 1, 2, •••, n\ zu den Punkten p^ mit den Ortsuniformisieren-
den Zi gehörig) so auswählen (Heine -Borelsches Theorem), daß jeder
Punkt der Fläche im Innern eines der n Kreise K^ gelegen ist. (Das
Heine-Borelsche Theorem für eine beliebige geschlossene Fläche ergibt
sich, wenn man auf ihr eine Folge von Triangulationen bildet, von denen
jede eine Unterteilung der vorhergehenden ist und die schKeßlich beliebig
fein werden.) Die Peripherien Xj der Kj sind geschlossene analytische
Linien und schneiden sich daher nur in endlich vielen Punkten. Infolge-
dessen bestimmt die abgeschlossene Menge x^ + ^3 H h 5f„ auf '^ nur
endlich viele Gebiete, die wir, nachdem jedes von ihnen durch Hinzu-
§ 12. Das Dirichletsche Integral. 81
fügung seiner Grenze zu einer abgeschlossenen Menge gemacht ist, mit
@,, @2> •••? ®r bezeichnen. Die Begrenzung jedes (S^ besteht aus end-
lich vielen analytischen Kurvenstücken. Jedes (B^ liegt ganz in einem
der Kreise Kj, und 5, ist dann eine zu ©^ gehörige Uiiiformisiereude,
d. h. eine in allen Punkten eines gewissen, (S^ enthaltenden Gebietes
reguläre Funktion, welche von diesem Gebiet ein umkehrbar-eindeutiges
und -gebietsstetiges konformes Abbild in der ^-^-Ebene entwirft. Wir
denken uns jedem @^ in bestimmter Weise eine zu (S^ gehörige Unifor-
misierende ^^ = ^a + 'Vk zugeordnet und bilden dann
A = l ©A
Dabei ist u in (S^ als Funktion von x^yi^ ausgedrückt zu denken, und @^
bezeichnet zugleich das durch 2^ von diesem Stück der Riemannschen
Fläche entworfene ebene Bild. Die so ermittelte Zahl J)(u) ist gemäß dem
Invarianzgesetz unabhängig davon, ivelche Uniformisierende ^^ = ^a + ^Vh
in jedem Stück ©^ benutzt wird. Sie ist aber auch unabhängig von der
speziellen Art der verwendeten Zerschneidung in die uniforniisierbaren
Stücke (£^. Wählen wir nämlich irgendwie anders Punkte p[, ..., :p^,,
zugehörende Uniformisierende / und ^fj, -Kreise K[, mit den Peripherien
x', in solcher Weise, daß die K[, die ganze Fläche bedecken! Die ii[, ...,
x'^, mögen % in die Stücke ^[, ..., ©,'., zerlegen, und zu jedem %„ sei
^// ^ ^A' "1" '^y'h' ^^^ Uniformisierende. Wir bilden von neuem
Dann ist, wie ich behaupte,
D(u) = D'(w)-
Man bringe nämlich die Schnitte x^, %\, gleichseitig au. Da sich diese
Linien untereinander nur in endlich vielen Punkten schneiden, zerlegen
sie die Fläche in endlich viele Stücke
e;
j=l, 2, •..,/,; 7. = 1, 2, •••, rl
U' = l, 2, ■•., ^;; Ä'= 1,2, •••,/]
In der ersten Bezeichnung ist jedes (£,, . ein Teil von @^, in der zweiten
jedes (£^,^., ein Teil von %^,. Nach dem Additionsgesetz ist
Weyl: Die Idee der ßiemannschen Fläche. 6
82 Funktionen auf Riemannschen Flächen,
nach dem Invarianzgesetz
um + im '^^^'y^usm + om^'^'y^^
daher
D(ti) = D'(w).
Zu jeder stetig differentiierbaren Funktion u auf % gibt es also eine
Zahl D(m). Sie hat folgende Eigenschaften:
1. Sie ändert sich nicht, wenn man u durch u-\- c ersetzt, wo c eine
Konstante ist; sie ist niemals negativ und nur dann 0, wenn u auf der
ganzen Fläche konstant ist.
2. Ist p irgendein Punkt auf der Fläche, Z'=x -\-iy eine zugehörige
Ortsuniformisierende und K : | ;? | <^a ein ^-Kreis, so gilt
K
wo R{u)~^0 ist und sich nicht ändert, wenn man n durch irgendeine
stetig diiferentiierbare Funktion auf ^ ersetzt, die für alle nicht in K lie-
genden Punkte mit u übereinstimmt.
3. D(m) trägt quadratischen Charakter. Das gibt sich darin kund:
sind M, V irgend zwei stetig diiferentiierbare Funktionen auf ^ und be-
deuten A, ^ willkürliche Konstante, so ist
D(>lM -f iiv) = A2D(m) -f 2AiiiD(Mü) -f /a2D(ü)
eine quadratische Form in l, ^.
Auch auf einer nicht geschlossenen Riemannschen Fläche läßt sich
von einer stetig differentiierbaren Funktion u das Dirichletsche Integral
bilden, das hier allerdings auch den Wert oo besitzen kann. Eine un-
geschlossene Fläche wird man derartig durch Peripherien Xj von abzähl-
bar vielen „Kreisen" K, zerschneiden müssen, daß jeder Punkt nur endlich
vielen, aber mindestens einem der Kreise Kj angehört.
§ 13. Über das Poissonsche Integral.
Als Hilfsmittel für unsere Untersuchungen brauchen wir die Lösung
der sog. ersten Randwertaufgabe der Potentialtheorie für den Kreis mit
Hilfe des Poissonschen Integrals. Ist auf dem Einheitskreis der komplexen
2-lShene eine stetige Funktion gegeben, deren Wert an der Stelle t, = ^f
mit w(qp) bezeichnet werden möge, so liefert die Gleichung
13. Über das Poissonsche Integral. 83
eine für |^j < 1 regulär -analytische Funktion f(3), deren Realteil am
Rande die Werte u{(p) annimmt; d. h. diejenige Funktion ti, welche im
Innern des Einheitskreises = dem Realteil von f(2), für Werte t, = e'^
auf dem Einkeitskreise aber =n(q)) gesetzt wird, ist eine in der ganzen
abgeschlossenen Kreisfläche «^ | ^ 1 stetige Funktion.^) Benutzen wir
Polarkoordinaten 2 = re^f, so können wir schreiben:
(15) 27tu= I , , \~''\ ^,u(d-)d&.
^ ^ J 1 -{- r^ — 2r cos (cp — d') ^ -^
0
Es gibt außer u nicht etwa noch eine andere im Innern des Einheitskreises
reguläre Potentialfunktion ü, welche in dem erklärten Sinne am Rande
des Kreises die Werte ii {(p) annimmt. Denn dann würde ü — u eine in
der abgeschlossenen Kreisfläche stetige Funktion sein, die im Innern als re-
guläre Potentialfunktion nirgends ein Maximum oder Minimum annehmen
kann, und die am Rande = 0 ist. Demnach müßte sowohl das Maximum
wie das Minimum von ü — u (für j ^ | ^ 1) = 0 sein, d. h. ü ^ u.
Das Poissonsche Integral (15) liefert einen wichtigen Konvergenz-
satz: Ist u^, 11^, W3, ... eine Folge von PotentialfunJctionen, die alle für
I ^r I < 1 regulär sind und gleichmäßig für \s\^q gegen eine Grenzfunhtion
u konvergieren, wenn q irgendeine positive Zahl < 1 bedeutet, so ist die
GrenzfunJdion u gleichfalls eine für ^ | < 1 reguläre PotentialfunMion.
Unter den angegebenen Umständen muß nämlich zufolge des Poisson-
schen Integrals
271
27tu^(r&'P) = / ,^ , ^'~''' ^,u(qe'»)dd-
J q -\- r^ — '.i qr coa [cp — &) ''^-' ^
0
sein für r < q. Der Grenzübergang liefert
27tu{reJ<P) = C^^^'-:zJ:L ^u(q^»)d» ,
J q -{- r^— 2 qr cos {cp — &) ^^ ^ '
0
und hier steht auf der rechten Seite eine für r < g reguläre Potential-
funktion. Ist q^ eine positive Zahl < 1 und wähle ich q> q^ und < 1,
so erkennt man noch, daß in einem beliebigen konzentrischen Kreise,
dessen Radius < 1 ist (| -? | ^ q^) nicht nur u^^ gleichmäßig gegen u, sondern
1) H. A. Schwarz, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 11, S. 186—198. Den Be-
weis findet man in fast allen Lehrbüchern der Funktionentheorie dargestellt.
6*
34 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
auch alle Ableitungen von n^ beliebig hoher Ordnung gleichmäßig gegen
die entsprechenden Ableitungen von u konvergieren.
Der Zusammenliang der Potentialtheorie mit dem Birichletschen Inte-
gral geJit aus folgendem Satz hervor:
Ist V eine im EinJieitsh-eis K : \s ^ 1 stetige, im Innern desselben
stetig differentiierhare Funliion mit oidlichem DiricJdetschen Integral
K
und u diejenige für j ;s < 1 reguläre PotentialfunMion, deren Randwerte
auf \z\ = 1 mit denen von v übereinstimmen, so ist
(16) D(«)^D(r).
Dabei soll das Dirichletsche Integral hier als „uneigentlicJies" Integral
gemeint sein, nämlich als Limes des Integrals
für lim 2 = 1. Wir verwenden allgemein, wenn 0 ^ Q'i < ^a ^ 1 i^^> ^^
Bezeichnung
Der gewöhnliche Beweis von (16) verläuft so: Man setzt iv = v — ii-^
partielle Integration : Greensche Formel) liefert:
J)(wu) =J {iv ~j^ ^^dcp -jj tvAu dxdy (a u = |^, + .--?) ,
und da im Innern von K: Au = 0, am Rande iv = 0 ist,
J)(ivu) = 0;
D(v) = D(m + M7) = D(w) + 2D(wu) + D(w)
= l)(w) + D(j(;)^D(w).
Will man diesen Schluß streng machen, so darf man zunächst alle Dirich-
letschen Integrale nur über \s ^ g(< 1) erstrecken und hat hernach q
gegen 1 konvergieren zu lassen. Es kommt dann darauf an, einzusehen, daß
J>,(wu) = qJ[tv'^)^^d<p
0
für limg = 1 gegen 0 geht. Nun weiß man wohl, daß ivlqe^f) mit gegen
1 gehendem q gleichmäßig in 9? zu 0 konvergiert, aber es läßt sich keines-
§ 13. Über das Poissonsche Integral. 85
wegs sagen, daß „— im ganzen Einheitskreise beschränkt bleibt; man kann
nur behaupten, daß (1 — 0 ^ ™i^ limr = 1 gleichmäßig in tp gegen 0
konvergiert, und das reicht natürlich nicht aus, um auf \im.Ti^{ivu) = 0 zu
schließen. Diese Schwierigkeiten wird man sich vor Augen halten müssen,
um den folgenden, von Hadamard und Zaremba^) herrührenden Beweis
recht zu würdigen.
Die Randwerte v{e^f) mögen kürzer t;(g)) genannt werden. Ent-\vi ekelt
man das Poissonsche Integral (15) nach Potenzen von r, so bekommt man
w = Y + a^rcos^ + «2^" cos2(p -\- ■ •-
+ &i r sin qp + h^r- s\Ti2(p + • • •
2 .-r 2 rt
ci'„= I v{cp) cos n<pd(p , h„= - 1 v(q))suxnq)d(p .
0 0
Diese Entwicklung entspricht im Gebiet der Potentialfunktionen der Po-
tenzreihe in der Theorie der analytischen Funktionen. In der Tat sind
r"cos«9P, r" sin n(p nichts anderes als realer und imaginärer Teil von 2".
Die Potentialfunktionen
besitzen die folgenden Eigenschaften:
[ D (P^, Q^J = 0 ohne Ausnahme,
(I) D,/P„,PJ = 0, D^($„, ^J = 0 außer fürn = m,
I D,(-Pn) = I>,(^„) = 2^
und wenn wir allgemein
JJuvdxdy = Jj(mv)
setzen, auch noch diese:
I'^qi^ny Qir) = ^ ohne Ausnahme,
J,(^n, Pm) = J,(^n, QJ = 0 außcr für w = TW ,
Die Entwicklung von u können wir schreiben:
1) Hadamard, Sur le principe de Dirichlet, Bulletin de la Societe mathö-
matique de France, Bd. 34 (1906), S. 135—139. Zaremba, Sur le principe du mi-
nimum, Bulletin de lAcademie des sciences de Cracovie, Juli 1909, S. 206 flF.
Funktionen auf Riemannsch.en Flächen.
(17) u - f =^K^„ (^2/) + K Qn {^y)\ ,
v^o Ä = a^^y:tn, B^^ = h^y7in Konstante sind, die sich als Flächeninte-
grale in der Form
(18) ^„=D(r,PJ, B„ = 'D(v,QJ
darstellen lassen. Nach der Greenschen Formel ist nämlich z. B.
!>,(«. ^") = V {^~^)r= ^"^ =y'^q''J v{qe''P)cos7i(pdcp.
0 '' ^ 0
Durch den Grenzübergang lim ^ = 1 folgt daraus in der Tat
2«
jy(y, P„) =1/— / v{(p) cosnq)d(p = Yhtc- a^ = A^.
0
Die Reihe (17) konvergiert für |^1^3(<1) gleichmäßig und absolut
samt allen ihren Ableitungen. Man kann daher B^(m) aus ihr durch
gliedweises Quadrieren und nachfolgendes gliedweises Integrieren be-
rechnen. Die Formeln (I) ergeben dann:
(19) D^(^.)=2'r''r^;-f PI).
n = l
Anderseits folgt auf Grund der gleichen Formeln und der Ausdrücke (18)
D(t; -^[4,P„+ P„^J) = D(» -^{Al -f P?).
»1=1 1=1
Es muß die Reihe
^{A + ^r.)
n = X
demnach, wie weit man sie auch fortsetzt, immer ^D(v) bleiben; das
hat ihre Konvergenz zur Folge. Verbinden wir damit die Gleichung (19),
so haben wir
D^(w)^D(tO,
und durch den Grenzübergang lim q=l folgt die Existenz von D {u),
und daß
(20) D(m)^D(i;)
ißt.
Unter allen Funktionen, ivekhe in den Piandiverten mit v überein-
stimmen, erteilt also die PotentialfunJction dem DiricMetschen Integral
seinen kleinsten Wert. Setzen wir v — u = iv, so muß zufolge dieses
Satzes nicht nur für A = 1, sondern jeden reellen konstanten Wert von X
§ 13. Über das Poissonsche Integral. 87
D(M)^D(t< + liv)
sein, oder anders geschrieben:
Das hat die Gleichung
Ji{uiv) = 0
zur Folge, die uns in
D(v) = D(m) + D(«-) = D(m) + D(?; - u) ,
eine schärfere Aussage liefert, als die Ungleichung (20) enthielt. Ins-
besondere zeigt sich, daß in (20) nur dann das Gleichheitszeichen gelten
kann, wenn y — w == const., oder da diese Differenz am Rande ver-
schwindet, V mit u identisch ist.
Aus (19) folgt durch den Grenzübergang lim g = 1:
(21) Ji{u)==^{Al + Bl).
n = l
Denn einerseits ist
I>,':W)^2(^« + ^")' ^^^° ^{tt)£^Ul + ^n),
n = 1 n = 1
anderseits liefert
die für jedes n gültige Ungleichung
n
:, b-, = — k sind die Werte von t^, t^— im Nullpunkt. Be-
' ^ Y^ ox' dy ^
^' ]/:r
halten wir in (21) rechts nur das erste Glied bei, so finden wir demnach
Wenden wir diese Ungleichung, statt auf den Einheitskreis, auf den
Kreis x^ mit dem Mittelpunkt -t(l < s = >• < 1) und dem Radius 1 — r
an, so folgt:
2
[r.) +
mw^--^'ffm'^(^)>'y
(23) £^^,-D,^.M-
Der Kreis x^ ist nämlich ganz in dem Kreisring 2r — 1^ z ^1 ent-
88 Funktionen auf Riemannsclien Flächen,
halten. Da lim D2^_i(m) = 0 ist, schließt diese Ung-leichung eine Aus-
sage über das Verhalten der Ableitungen ^~, w~ am Rande des Einheits-
kreises in sich.
Wie (21) auf dem Wege über (19) sich aus den Formeln (I) ergibt,
erhalten wir mit Benutzung des Formelsystems (II):
J w-
2/ ~^ 2n(w-f 1)
In Verbindung mit (21) liefert das die Ungleichung
(24) 3{u-'';)<Id{h).
Diese Ungleichung steht in engem Zusammenhang mit einem interessanten
elementaren Problem der Analysis. Fragt man sich, wie gut man eine
Funktion v von zwei Argumenten xy in einem Bereich & durch eine
Konstante annähern kann, so sagt darüber der erste Mittelwertsatz der
Differentialrechnng aus, daß sich, wenn ich als Annäherungskonstante
den Wert von v in einem festen Punkt (x^yo) nehme.
I v{^y) - ^i^'oVo) ! £ Max. ]/(|^)'+ (f^)'x Entfernung {xy; x,y^)
ergibt. Hier wird als Fehler das Maximum des absoluten Betrages der
Differenz \v — Vq\ angesehen, und dessen Größe erweist sich als wesent-
lich bestimmt durch das Max. 1/ (^^ j + U—j . Beurteilen wir aber den
Fehler, wie es der Methode der kleinsten Quadrate entspricht, nach dem
Quadratintegral I {v — v^ydxdy, so wird man erwarten dürfen, daß
die durch geeignete Wahl der Konstanten Vq erzielbare Annäherung be-
stimmt ist durch den Wert von
flu
f^'+m>'^-
Diese Vermutung wird durch die obige Ungleichung bestätigt für den
Fall, daß der Bereich & der Einheitskreis und v eine Potentialfunktion ist.
Von der letzten Voraussetzung wollen wir uns befreien, indem wir,
unter Verwendung der oben benutzten Bezeichnungen, allgemein beweisen:
(25) j(^-|)^iD(^)-
— ist im allgemeinen nicht der Wert von v im Mittelpunkt, son-
dern der Mittelwert von v auf dem Rande des Kreises:
§ 13. Über das Poissonsche Integral. 89
0
Wir bedienen uns der Schwarzsehen Ungleichung
^*o ^ 'o 'o
für die man auch schreiben kann
V f(f±9yc^x£yj)'dx + y fg^dx
b 0 0
\f{x), g{x) sind irgend zwei stetige Funktionen im Intervall 0 ^ a; ^ 1].
Sie ergibt sich daraus, daß die quadratische Form in Au:
1
J\/l • fix) 4- ^ ■ g{x)ydx = A/12 + 2BAa + Titt^
0
nicht negativ werden kann und also ihre Diskriminante
Ar-B2^0
sein muß.
Für eine im abgeschlossenen Einheitskreis stetige, am Rande ver-
schwindende, im Innern stetig diiFerentiierbare Funktion, wie es w = v — u
ist, erhalten wir mittels der Schwarzsehen Ungleichung
/ r ~- 2
<
(0<ri<r,<l)
Integriert man diese Ungleichung nach cp und läßt dann n gegen 1 kon-
vergieren, so ergibt sich, da
ist, die Beziehung
2«
(26) j\w(:r^f)Yd^ £\g\. m {w).
b
Von dieser Ungleichung werden wir sogleich noch eine wichtige An-
wendung machen. Vorerst ersetzen wir rechts DJ:(f(;) durch das größere
D(if), multiplizieren mit rdr und integrieren nach r von 0 bis 1. Dann
ergibt sich, da
90 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
/
^1^7^
1 7 1
4
(27) 3(:iv)£i-Diw).
Wir kombinieren (27 ) mit (24). Es ist
j(.-|)^2[j(«-^) + J(«-)]
— zufolge der Ungleicliung (a + ßY ^ 2[a- + /3^] — daher nach (24)
und (27)
£ |[D(M) + 'Dm] = \D{v).
Damit ist (25) bewiesen. Wir bemerken nochmals, daß sich in (25) der
Faktor | durch den kleineren - ersetzen läßt, wenn r eine Potential-
funktion ist oder am Rande verschwindet.
Ist V in einem Gebiet, das den Einheitskreis im Innern enthält^
stetig differentiierbar, so wird dadurch, daß wir im Einheitskreise v durch
n ersetzen, der Wert des Dirichlet-Integrals herabgedrückt. Da wir jedoch
in den beabsichtigten Anwendungen nur stetig differentiierbare Funk-
tionen gebrauchen können, die Funktion v aber, welche außerhalb des
Einheitskreises mit v, innerhalb desselben mit ii übereinstimmt, im allge-
meinen über den Rand des Eiuheitskreises hinüber diese Eigenschaft
nicht besitzt, müssen wir dort den Funktionsverlauf von v so „glätten",
daß doch der Wert des Dirichletschen Integrals von v dabei sich so
wenig ändert, als man nur will. Wir wollen also zeigen: es gibt eine
stetig differentiierbare Funktion r, welche außerhalb des Einheitskreises
mit V übereinstimmt, und deren über den Einheitskreis erstrecktes Dirich-
letsches Integral D (r) sich so wenig, wie man will, von D(v) = D (u)
unterscheidet.
Ich wähle g > | und < 1 und bilde mit x (r) = [\^) die Funktion ^)
Iu für \2 ^q
u + ;^(r) (v — ii) für q ^ z = r ^ 1 .
Da lir') bei r = q von 2. Ordnung verschwindet, geht diese Funktion
V samt ihren ersten Differentialquotienten stetig über den Kreis z =q
hinüber. Gegen den Rand des Einheitskreises zu konvergiert v — v mit
seinen beiden ersten Differentialquotienten gleichmäßig gegen 0. Wenn
man v außerhalb des Einheitskreises also mit v zusammenfallen läßt, ist
V auch über den Rand des Einheitskreises stetig und stetig differentiierbar.
Denn es ist beispielsweise
Iß- - ») - h(r) - 1] '-^ + (V - u) 2 ^ (für j < r < 1).
1) Nach S. Zaremba, Krakauer Berichte, Juli 1909, S. 246 ff.
§ 13. Über das Poissonsche Integral. 91
x{r) — 1 wird bei r = 1 von 1. Ordnung Null, und aus der Ungleichung
(23) geht daher hervor, daß der erste auf der rechten Seite stehende
Summand bei Annäherung an die Peripherie des Einheitskreises vom
Innern aus gleichmäßig gegen 0 geht; daß der zweite Summand das-
selbe tut, bedarf kaum der Erwähnung.
Wir schätzen jetzt das über den Einheitskreis zu erstreckende Dirichlet-
Integral
J)(v — u) = DJ Ixir) {v — u)]
ab. Da
ist, so erhält man für dieses Integral einen Wert ^ dem doppelten von
Der erste Summand hier ist wegen %' ^1:
der zweite, da nach (26)
iv'd(f £ (], - l) J)](w) {q < r < 1) ist:
0
1
9
Im ganzen kommt also
D(r) - D(rO = D({- - u) £ |Di(w;),
und das kann durch geeignete Wahl von q so klein gemacht werden
wie man will.
§ 14. Ansatz zum Beweis der Existenztheoreuie. Aufstellung der
Elementardifferentiale.
Statt eine analytische Funktion auf der vorgegebenen geschlossenen
Riemannschen Fläche ^ zu konstruieren, suchen wir zunächst nur den
Realteil einer solchen, d. i. eine reelle auf der Fläche harmonische Funk-
tion. Eine überall reguläre Potentialfunktion auf der Fläche existiert
aber (wenn man von der Konstanten absieht) nicht. Wir werden daher
für die harmonische Funktion an einer Stelle eine Singularität zulassen,
und zwar die einfachste, welche es gibt: sie soll sich dort verhalten wie
der Realteil einer analytischen Funktion, die einen Pol 1. Ordnung be-
sitzt. Wir gehen also darauf aus, folgendes Existenztheorem zu beweisen:
Ist 0 mit der Ortsuniformisierenden Zq = Xq -\- iy^ ein uillkürliclier
92 Funktionen auf Riemann sehen Flächen.
Punkt auf ^, so gibt es eine in allen von 0 verschiedenen Funkten reguläre
Potential fimliion U auf ^, die in der Umgebung von 0 sich von „ ^
^0 + Vo
um eine in 0 reguläre PotentialfunMion unterscheidet.
U ist offenbar bis auf eine additive Konstante durcb diese Eigen-
schaften eindeutig- bestimmt. Mag auch ^ keine wirkliche Fläche im Raum
sein, sondern eine Riemannsche Fläche in dem abstrakten Sinne, wie er
in Kap. I eingeführt ist, es wird trotzdem erlaubt sein, U als Potential
einer inkompressiblen, stationären, wirbelfreien Flüssigkeitsströmung auf
^ zu betrachten, einer Strömung, die überall, abgesehen von dem einen
Punkte 0, auch quellenfrei ist; im Punkte Oaber sitzt eine „Doppelquelle"
vom Momente 27r, deren Richtung mit der positiven a:,,- Achse überein-
stimmt. Es gehört allerdings einige Kühnheit dazu, aus dieser hydrody-
namischen Deutung auf die Existenz von U zu schließen.^)
Würde sich von ü das Dirichletsche Integral bilden lassen, so hätten
wir dieses als die Energie der Flüssigkeits Strömung anzusprechen. Leider
wird das Integral aber wegen des Verhaltens von ü an der Stelle 0 un-
endlich. Wir verfahren deshalb so. Wir schlagen um 0 einen ^Q-Kreis
'^o • ! ^0 I ^ ^0 ^^^ bilden in ihm die Funktion
0= ^
4 + yl ' «§
Sie hat die Eigenschaft, auf der Peripherie von Kq die normale Ableitung
0 zu besitzen. Benutzen wir nämlich Polarkoordinaten Zq = r^e'^", so ist
^ cos qp r^ cos jp, ^
^0 COS qpo cos qp„ „.. g0
Wir betrachten jetzt
ü überall auf ^, außer in Kq
U-(P in Kq.
Diese Funktion hat längs der Peripherie x^ von K^ einen Sprung, ist
aber sonst stetig differentiierbar. Auch läßt sich der außerhalb Kq herrschen-
de Wertverlauf von u noch ein Stück über x^ nach innen hinein als stetig
differentiierbare (sogar als reguläre Potential-) Funktion fortsetzen (CT);
ebenso läßt sich das innerhalb K^ herrschende u ein Stück über Xq hinaus als
stetig differentiierbare (sogar als reguläre Potential-) Funktion (JJ — 0)
fortsetzen. Infolgedessen kann man das Dirichletsche Integral 1)(m) in der
oben auseinandergesetzten Weise bilden, wenn man unter die Kreis-
1) Auf diese und ähnliche physikalische Anschauungen stützt sich die
Darstellung in der erwähnten Kleinschen Schrift vom Jahre 1882; vgl. die dort
gezeichneten, sehr instruktiven Strömungsbilder.
§ 14. Existenzsätze. ElementardiflFerentiale. 93
peripherieu a^, längs denen ^ in die Stücke @/, zersclmitten wurde, immer
auch den Kreis x^ aufnimmt.
Unter allen Funliionen v, ivelche längs ^o denselben Sprung besitzen
wie u, die sonst aber stetig differentiierbar sind, erteilt u dem Dirichletschen
Integral D(v) seinen Meinsten Wert. Die hier zum Vergleich mit u
herangezog-enen Funktionen v wollen wir noch etwas genauer charakte-
risieren. Ich schlage dazu um 0 einen ^^-Kreis K^ : 1 ^^^ ^ &o> "^^^ etwas
größerem Radius b^ als a^. ^ — K^, nenne ich die „gelochte'' Fläche, K^
das „Loch", K* den „Deckel", den Kreisring «(, < ^r^ [ < Sq, in dem der
Deckel über die gelochte Fläche hinübergreift, den „ Verschlußring". Zur
Konkurrenz zugelassen wird eine Funktion v dann, wenn sie in der ge-
lochten Fläche stetig differentiierbar ist und im Loch mit einer im ganzen
Deckel stetig differentiierbaren Funktion v* übereinstimmt, zu der sie
im Verschlußring in der Beziehung ü = v* -f ^ steht. Ist v das Zeichen
für irgendeine Konkurrenzfunktion, so soll allemal v* die hier charak-
terisierte stetig diiferentiierbare Funktion im Deckel bedeuten. Die Dif-
ferenz zweier Konkurrenzfunktionen ist auf ganz ^ stetig differentiierbar.
Um nun den Existenzbeweis von U oder u zu führen, stellen wir
uns das Minimalproblem, unter allen Konkurrenzfunktionen v diejenige
u herauszufinden, für welche das Dirichletsche Integral D(v) den klein-
sten Wert erhält. Das Thomson-Dirichletsche Prinzip behauptet, daß
eine solche Minimalfunktion u existiert/) Auf dieses Prinzip hat Rie-
mann seine Existenzbeweise gegründet, doch stimmt sein Ansatz nicht
völlig mit dem unseren überein.^) Die Weierstraßsche Kritik zeigte, daß
die Evidenz, welche dem Dirichletschen Prinzip inne zu wohnen scheint,
nur vorgetäuscht ist.^) Man suchte deshalb durch andere Methoden die
Riemannschen Existenzsätze sicherzustellen, und dies war zuerst Schwarz
und C. Neumann, namentlich mit Hilfe des sog. alternierenden Verfahrens,
in glänzender Weise gelungen.^) Später ist jedoch das Dirichletsche
Prinzip von Hilbert streng bewiesen worden.^) An seinen Beweis knüpft
eine größere Reihe von Arbeiten anderer Autoren an, durch die der Be-
1) Seit 1847 von W. Thomson (Lord Kelvin) in verschiedenen Arbeiten an-
gewandt. Der Name ,,Dirichletsches Prinzip" rührt von Riemann her, der diese
Schlußweise aus Dirichlets Vorlesungen kannte.
2) Die hier zugrunde gelegte Form des Ansatzes wurde vom Verf. (außer in
der Vorlesung, aus der die vorliegende Schrift entstanden ist) in der Sitzung vom
16. Jan. 1912 der Göttinger Mathematischen Gesellschaft vorgetragen.
3)Überda8sog.DirichletEchePrinzip,(1870),WeierstraßWerke,Bd.2, S.49— 54.
4) H. A. Schwarz, Berliner Berichte 1870 (Ges. Abhandlungen II, S. 133—171).
C. Neumann, sächsische Berichte 1870; ders., Vorlesungen über Riemanns Theorie
der Abelschen Integrale, 2. Aufl., Leipzig 1884, S. 388—471.
5) Hilbert, „Über das Dirichletsche Prinzip", Festschrift zur Feier des löOjähri-
gen Bestehens der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1901, abge-
druckt in Math. Ann. Bd. 59, S. 161—186; „Zur Theorie der konformen Abbil-
dung", Göttinger Nachrichten, 1909, S. 314—323.
94 Funktionen auf Riemannscten Fläclien.
weis ZAvar nicht dem Grundgedanken nach, aber in manchen Einzel-
heiten vereinfacht wurde.^) Das Dirichletsche Prinzip gehört seit diesen
Untersuchungen wieder zu den mächtigsten Hilfsmitteln der Analysis.
Zur Rechtfertigung des Ansatzes unseres Problems als einer Mini-
malaufgabe soll zunächst gezeigt werden, daß die Minimalfunktion u,
falls sie existiert (sie ist dann selbst eine zur Konkurrenz zugelassene
Funktion), die gewünschten Eigenschaften besitzt, d. h. ii ist in jedem
Punkt der gelochten Fläche, das zugehörige ii* in jedem inneren Punkte
des Deckels regulär-harmonisch.
1. Ist p ein Punkt der gelochten Fläche, 2 eine zugehörige Orts-
uniformisierende, K ein ^-Kreis um p, der ganz in der gelochten Fläche
liegt, so kann ich u, falls es in K nicht harmonisch ist, durch diejenige
Potentialfunktion u in K ersetzen, welche am Rande von K mit ii über-
einstimmt. Für diese ist dann das über K erstreckte Dirichletsche In-
tegral DK(i^)< Dk(w). Durch das am Schluß von § 13 geschilderte
Glättungsverfahren bekomme ich eine über den Rand von K hinüber
stetig differentiierbare Funktion ü, welche, außer in K, mit u überein-
stimmt, deren über K erstrecktes Dirichletsches Integral aber so wenig
von Dk(w) abweicht, wie ich nur will. Insbesondere kann ich denmach
erzielen, daß auch Dk(«^) noch < Dk(m) ist. ü ist eine Konkurrenzfunk-
tion, für welche das über ganz ^ erstreckte Integral D (m) einen kleineren
Wert besitzt als für u. Dieser Widerspruch zeigt, daß u in K eine re-
guläre Potentialfunktion sein muß.
2. Es sei p ein innerer Punkt des Deckels und K in der ^^Q-Ebene
ein ganz dem Deckel angehöriger Kreis um p.
Ist u* nicht harmonisch in p, so kann man u*
durch eine im ganzen Deckel stetig differentiier-
bare Funktion w* ersetzen, die außerhalb K mit u*
übereinstimmt und für welche Dk(m*) <Dk(^*)
ist. Es gibt dann eine einzige Konkurrenzfunk-
tion ü, die, außer in K, = u ist und deren zu-
gehöriges (ü)* im Deckel mit u* übereinstimmt.
Fig. 23. Für diese ist, wie ich jetzt zeigen will, das über
die ganze Fläche erstreckte Integral D{ü) < D{u), und die Annahme,
daß M* in p keine regulär-harmonische Funktion war, ist damit wider-
legt. Beim Beweise nehmen wir der Allgemeinheit wegen an, daß K den
1) Ich nenne insbesondere die in den Rendicouti del Circolo matematico di
Palermo, Bd. 22 — 24(1906—07) erschienenen Abhandlungen: B. Levi, Sul principio
diDixichlet; Fubini, II principio di minimo e i teoremi di esistenza per i problemi
al contoruo relativi alle equazione alle derivate parziali di ordini pari; Lebesgue,
Sur le Probleme de Dirichlet; die Arbeit von S. Zaremba, Sur le principe du
minimum, in den Krakauer Berichten, Juli 1909, und die von R. Courant,
Über die Methode des Dirichletschen Prinzips, in Bd. 72 der Math. Ann. (1912).
§ 14. Existenzsätze. Elementardifferentiale. 95
Lochrand Xq schneidet. Es zerfällt dann (Fig. 23) K durch x^ in zwei
Teile K', K", von denen K' zu Kq gehöre. Die zu beweisende Gleichung
D(m) - D(w) = D^(w*)-D^(^;*)(> 0)
ist mit der folgenden identisch:
(28) D^„(H* + 0)-D^„(i7*+ 0) = D^.(m*) - D^^Ju*).
Da O in K" und auch noch über den Rand von K" hinaus eine reguläre
Potentialfunktion ist, gilt z. B.
D^4«*+ 0) = D^„(;u*) + D^„(0) - 2J\i''l~ds,
wobei das letzte Integral über den Rand von K" zu erstrecken ist {ds
bedeutet das Bogenelement dieses Randes, und die Randnormale n weist
ins Innere von K"). Da aber t^— auf x^ gleich 0 ist, braucht jenes In-
tegral nur über denjenigen Teil x" der Peripherie von K erstreckt zu
werden, der außerhalb Kq verläuft. Unsere Behauptung reduziert sich
danach auf
j
^ ^ dn
In dieser Form ist sie selbstverständlich, da längs der Peripherie von
K: H* = H* ist. Man sieht hieraus, daß es für die Richtigkeit unseres
Ansatzes entscheidend war, dem singulären Bestandteil -s— r— , das GHed
2 hinzuzufügen, welches bewirkte, daß auf dem Lochrande die normale
Ableitung von 0 gleich 0 wurde.
Da wir die Gültigkeit des Dirichletschen Prinzips auch für unge-
schlossene Riemannsche Flächen erweisen werden, können wir auf einer
solchen gleichfalls w, u* und TJ bilden. Die Konkurrenzbedingungen für
die Funktionen v sind dann noch durch die weitere Forderung, daß D(r)
endlich sein soll, einzuschränken. Die Potentialfunktion U kann auf einer
ungeschlossenen Fläche nicht mehr vollständig durch ihre Singularität
an der Stelle 0 charakterisiert werden. Sie ist aber eindeutig bis auf eine
additive Konstante bestimmt, wenn wir in ihre Beschreibung außer der
Angabe der charakteristischen Singularität in 0 noch diese Tatsache auf-
nehmen: Für jede stetig differentiierbare Funktion iv, die = 0 ist für alle
Punkte in einer (wenn auch noch so kleinen) Umgebung von 0 und
welche ein endliches Dirichletsches Integral besitzt, gilt
Schlagen wir nämlich um 0 einen in Kq gelegenen %Kreis K^*: j Zq \ ^Cq.
96 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
SO klein, daß überall iu Kq* die Funktion w = 0 ist, dann folgt zunächst
aus der für jedes konstante l gültigen Ungleichung
die Beziehung J){ti,w) = 0. Der Unterschied
'D{U,tv) — D(it, w)
ist aber
//(:
d<t> dw . 30 dw
d(Po-
,dx, dx, "^ Ty: dyj '''^o "^^0
Co § I 20 1 = «0
30 "1 '•o=«0
0
Auf Ko ist 1^ = 0, auf K*^*: tv = 0- folglich
Die weiterhin' noch in diesem Paragraphen zu besprechenden Er-
weiterungen der Methode des Dirichletschen Prinzipes nehmen wir nur
für geschlossene Flächen vor.
Statt — — kann ich als Singularität in 0 auch
oder allgemeiner
(Polw*"'^ Ordnung; n ganz und positiv) vorschreiben. Für 0 habe ich dann
den Ansatz
cos cos
sin >* 9^0 , „ sin^^^'o
smqpo
%
'"o
xl^yl
coswqp,,
sinwqpo
zu machen; in allen Fällen ist(„— j == 0. Jede der so gewonnenen
Potentialfunktionen gibt zu einem Differential dt Veranlassung (vgl. S. 55),
Dasselbe ist außer in 0 überall regulär und wird in 0 unendlich wie
-r^, bzw. -«^^,,
während der Realteil ^) des über irgend eine geschlossene Kurve erstreckten
Integrales fdr stets 0 ist. Die gefundenen Differentiale sind von der
2. Gattung, d. h. sie haben nirgends ein von 0 verschiedenes Residuum.
Als Differentiale 3. Gattung werden solche bezeichnet, die von 0 ver-
1) Für den Real- und Imaginärteil einer komplexen Größe c = a -{- ib werden
wir die Zeichen a = 9tc, b = ^c verwenden.
§ 14. Existenzsätze. Elementardifferentiale. 97
scliiedene Residuen besitzen; ein Differential heißt aber von der 1. Gat-
tung, wenn es nirgendwo einen Pol, g-eschweige denn ein von 0 verschie-
denes Residuum, besitzt.
Es seien lund2 zwei Punkte innerhalb Kq, 1', 2' ihre in der ^^-Ebene
durch die Methode der reziproken Radien konstruierten Spiegelbilder^) in
bezug auf x^. r^, r^\ )\, r't seien die Längen der Radienvektoren von den
Punkten 1, 2; 1', 2' nach einem variablen Punkt der %Ebene, fp<^^ q)^^
(p'i, qP2 die zugehörigen (nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 2;r be-
stimmten) Azimuts (Winkel mit der Richtung der positiven a^Q-Achse).
Wenn wir eine Potentialfunktion finden wollen, die außer in 1 und 2
regulär ist, in 1 aber unendlich wird wie lg r^, in 2 wie — Ig'o, so
nehmen wir
^ = (}s >\ - lg- >-2) + (k K - lg '•■2) •
Die normale Ableitung von O auf x^ ist 0. Der Verschlußring ist so
schmal zu nehmen, daß die Punkte 1', 2' nicht in den Deckel zu liegen
kommen. Das entstehende Potential U gibt zu einem Differential dcoi.2
Veranlassung, das in 1 und 2 je einen Pol 1. Ordnung mit dem Residuum
-j- 1, bzw. — 1 besitzt. Sind p, q irgend zwei Punkte auf ^, so kann man
längs einer p mit q verbindenden Kurve solche Punkte p = 1, 2, 3, . . . ,
q = w Zwischenschalten, daß nach unserer Methode
gebildet werden können.
dcOpcf = ^«12 + rfcö,3 + . . . + rfüL»,^ _ 1 „
ist dann ein Differential, das nur bei p, q je einen Pol 1. Ordnung von
den Residuen + 1 bzw. — 1 besitzt. Sind p^, po, • • • , p,^; po irgend n -{- 1
verschiedene Punkte auf der Fläche und Ä^, A.j, ..., A^^ beliebige kom-
plexe Zahlen mit der Summe 0, so ist
n
1 = 1 ' "
ein Differential, das an den Stellen p^, pg •••> P,, J^ einen Pol 1. Ordnung
mit den Residuen Ä^, A^, . . . , A^ besitzt, während es sich an allen übrigen
Stellen (auch in Pq) regulär verhält. Man sieht, daß man die Residuen
eines bis auf Pole regulären Differentials unter der Bedingung, daß ihre
»Summe gleich 0 sein muß, beliebig vorschreiben kann.
Kehren wir zu dem Kreis K^ mit den beiden in ihm exzentrisch ge-
legenen Punkten 1, 2 zurück.
1) Wir können K^ so annehmen, daß weder 1 noch 2 im Mittelpunkt dieses
Kreises liegt.
Weyl: Die Idee der Riemannschen Fläche. 7
98 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
ist im Versclilußringe (und noch etwas über seine Grenzen hinaus) eine
eindeutige reguläre Potentialfunktion. Nach dem Dirichletschen Prinzip
existiert daher eine reguläre Potentialfunktion u in der gelochten Fläche
und eine reguläre Potentialfunktion m* im Deckel, die im Verschlußringe
in der Beziehung u = u* -\- 0 zueinander stehen. Das zugehörige U ist
nicht eindeutig, sondern bekommt in 1 und 2 Windungspunkte unendlich
hoher Ordnung. Schneiden wir aber die Fläche in irgend einer stetigen,
innerhalb K^ von 1 nach 2 führenden Kurve 6q auf, so ist U in der zer-
schnittenen Fläche eindeutig. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem
Umstände, daß inbezug auf eine geschlossene, in dem Deckel liegende
Kurve y, welche 6^ nicht schneidet, in der ^'ß-Ebene die Punkte 1 und 2
dieselbe „Ordnung" haben (vgl. S. 56). U gibt trotz seiner Mehrdeutig-
keit zu einem in der unzers chnittenen Fläche eindeutigen Differential
dco\^ Veranlassung, das nur bei 1 und 2 Pole 1. Ordnung mit den Resi-
duen + i besitzt, Ist die Linie <?q eine Elementarstrecke auf der trian-
gulierten Fläche ^, so wird 'Sifd(o[^ = 0 sein für jede geschlossene
y
Kurve y, welche diese Strecke nicht trifft, für ein Polygon ß aber, das
(Jq an einer einzigen Stelle von rechts nach links überkreuzt, wird
Ist a eine geschlossene Kurve auf ^, so können wir so dicht Punkte
1, 2, 3, . . . , w auf a verteilen, daß jede einzelne der Teilkurven 12, 23, . . ,
n 1, in die a dadurch zerlegt wird, ganz innerhalb eines Kreises wie K^
zu liegen kommt. Indem wir dann
^^^'« ^ Ä(^"'iä + ^'^'^» + ■ • • -f ^£d;
bilden, erhalten wir ein überall ohne Ausnahme reguläres Differential
dir ; es hat die Eigenschaft, daß für jede geschlossene Kurve /, die a nicht
trifft, der Realteil Yonfdw^ = 0 ist. War aber a ein Polygon und ist ß
Y
ein solches Polygon, das a an einer einzigen Stelle von rechts nach links
überkreuzt, so wird
'Sifdw^ = 1.
Die kanonische Zerschneidung dient dazu, nachzuweisen, daß durch
lineare Zusammensetzung aus den Differentialen dic^ jedes beliebige Diffe-
rential 1. Gattung erzeugt werden kann. Sind nämlich
die Rückkehrschnittpaare einer kanonischen Zerschneidung und schreiben
wir zur Abkürzung dw^ = dw,^, so gilt
§ 14. Existenzsätze. Elementardifferentiale. 99
und alle andern Ausdrücke von der Form üi jdu\ sind = 0. Ist nun
der Realteil Yonjdw gleich c^, so wird
«A
(29) 9^ / I div — (cj du\ — Ci dw^) — (c^ dw^ — c^ dw^ ~ • • • J
bei Integration über eine jede geschlossene Kurve = 0, da diese „Integral-
funktion" für die 2p Kurven «^ verschwindet, die eine Basis der ge-
schlossenen Wege bilden. Infolgedessen ist (29), von einem festen An-
fangspunkt nach einem variablen Endpunkt integriert, eine eindeutige
und zwar regulär-harmonische Funktion dieses Endpunktes; da aber eine
solche außer der Konstanten nicht existiert, ergibt sich die Identität:
dw = {c^dw^ — c^div^ -j- {c^dw^ — c^div^ + . . . ,
d. h. aus den 2p Differentialen dw^ läßt sich jedes Bifferential 1. Gattung
auf eine und nur eine Weise mit Hilfe konstanter reeller Faktoren zu-
sammensetzen: die dic\ bilden eine „reelle" Basis der Differentiale 1. Gat-
tung. — Der Übergang von einer reellen Basis der Differentiale 1. Gat-
tung zu einer anderen wird vermittelt durch lineare Transformation mit
beliebigen reellen Koeffizienten und einer von 0 verschiedenen Deter-
minante. Aus den 2p Difi'erentialen du\ einer reellen Basis kann man
sich solche (etwa du\, ... , dWj ) auswählen, daß zwischen diesen keine
lineare Beziehung mit beliebigen konstanten komplexen Koeffizienten
besteht, wohl aber zwischen je ^ -f 1 Differentialen der Basis. Da dann
(30) du\, . . . , dtv.^:, idw^, . . . , idiVq
in reellen Sinne linear unabhängig sind, muß 2q ^ 2p sein. Da aber
jedes Differential der Basis und damit jedes Differential 1. Gattung über-
haupt sich linear mit komplexen Koeffizienten aus dwj^, . . ., dw,^, also
linear mit reellen Koeffizienten aus den Differentialen (30) zusammen-
setzen läßt, muß 2q^2p, folglich q=p sein. Aus den Differentialen
einer reellen Basis kann man demnach eine aus p Differentialen beste-
hende „komplexe" Basis dw^ ,..., dw^ herauslösen. Jedes Differential
1. Gattung div gestattet eine und nur eine Darstellung der Form
div = Ci dwy -\- ... -\- Cp dw^
mit komplexen Konstanten Cj, . . . , C .
Lautet die Potenzentwicklung eines beliebigen Differentials dv an
einer Stelle pj, zu dem die Ortsuniformisierende z^ gehört,
100 Funktionen auf Eiemannschen Flächen.
so nennen wir
■ + ^)d.-,
den Haiiptteil von dv an der Stelle pj. Gibt man auf einer geschlosse-
nen Riemannschen Fläche von einem Differential dv die Pole und die
Hauptteile an diesen beliebig vor, doch so, daß die Summe der Residuen
= 0 ist, und außerdem den Realteil Yon j dv für 2 p linear unabhängige
y
geschlossene Wege y, so gibt es ein und nur ein Difierential dv, das den
gestellten Anforderungen genügt; es kann durch additive Zusammen-
setzung aus den oben von uns mit Hilfe des Dirichletscheu Prinzipes
konstruierten ElemeDtardifferentialeii gewonnen werden.
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips.^)
Die Konkurrenzbedingungen für die Funktion v seien wie im vorigen
Paragraphen festgelegt, aus dem wir auch alle anderen Bezeichnungen
herübernehmen. Es ist zunächst zu bemerken, daß es überhaupt Kon-
kurrenzfunktionen gibt (auch im Falle nicht -geschlossener Flächen),
z. B. solche, die außer in den Punkten von Kq überall = 0 sind, d sei
die untere Grenze des Dirichletschen Integrals D(i;) für alle Konkurrenz
funktionen; dann vnrd stets J)(v)'^ d sein, aber, wenn e eine beliebig
kleine positive Größe ist, werden immer noch Konkurrenzfunktionen
V existieren, für welche ^{v) <C d -}- £ ausfällt. Ist v eine Konkurrenz-
funktion, so ist auch immer v -\- a, wo a eine willkürliche reelle Kon-
stante ist, eine solche, die übrigens dem Dirichletschen Integral denselben
Wert wie v erteilt. Wir können infolgedessen die Konkurrenzbeding-
ungen noch durch die Forderung einschränken, daß das Randintegral
von V* um den Kreis Kn
,/;
d(Po= 0
sein soll. Ist jeder Konkurrenzfunktion v irgendwie eine Zahl &{v) zuge-
ordnet, so wird eine Limesgleichung wie
lim^(v) = -9-0
1) Bei der Durchführung des Beweises ist hauptsächlich die S. 94
zitierte Arbeit von Zaremba zugrunde gelegt worden. Diese bezieht sich jedoch
nur auf ebene Bereiche und zwar auf die Lösung der ersten Randwertaufgabe
der Potentialtheorie für solche Bereiche). Wie das Dirichletsche Prinzip für be-
liebige Riemannsche Flächen zu begründen ist, zeigt R. König. Konforme Ab-
bildung der Oberfläche einer räumlichen Ecke, Leipziger Habilitationsschrift 1911,
abgedruckt in Math. Ann. Bd. 71, S. 184 — 205. Unser, von dem Riemann-
Hilbertschen abweichender Ansatz bringt weitgehende Vereinfachungen mit sich.
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips. 101
bedeuten, daß zu jeder positiven Zahl s eine positive Zahl d derart an-
gegeben werden kann, daß für alle Konkurrenzfunktionen v, für welche
D(i') < fZ + d ist, der Unterschied &iv) — &q < £ wird. Die notwendige
und hinreichende Bedingung dafür, daß ein lini'9'(u) in diesem Sinne
existiert, ist die, daß zu jedem positiven £ ein positives d gefunden
werden kann derart, daß für irgend zwei Konkurrenzfunktionen i\, ig,
welche dem Dirichletschen Integral Werte <. d -\- ö erteilen,
&{1\)-&(V,) <£
wird.
Der Satz, den wir zu beweisen haben, lautet: Es gibt eine Kon-
JiurrenzfunJction u mit der Ui genschaft D(m) = d.
Wir beginnen diesen Nachweis mit der jB. LeviscJien Ungleichung^),
welche aussagt, daß zwei Konkurrenzfunktionen i\, v^, deren Dirichlet-
sches Integral der unteren Grenze d nahekommt, eine Differenz i\ — v^
besitzen, deren Dirichlet-Integral sehr klein ist:
y-D{v,^-t,) ^yD(z;j)^7 + yW(y,)'^^d.
Sind nämlich A^, X^ irgend zwei Konstante, A^ + /lg =t= 0, so ist mit
i'i, Vg auch
eine Konkurrenzfunktion, und daher
Diese Ungleichung verliert ihre Gültigkeit für Xj -\- X^ = 0 nicht. Die
quadratische Form von Aj, X^:
Xl[Div,) -d] + 2X,X,[J){v,v,) -d] + A|[D(i;„) - d]
ist also stets > 0, und darum muß
[-D(v,)-d][J)iv,)-d]>[D{v,v,)-dY
Es ist aber
0 £ Div, - V,) = D(i'J - 2J)(v,v,) + D(tg
= [DM -d] + [D(.,) -d]- 2[J)iv,v,) - d]
£ [DK) -d] + [D{v,) -d] + 2y[-D{v,) - d] [-D(v,) -
-d]
= lyD{v,)-d+yj){v,)-d\'-
Aus der Levischen Ungleichung kann man bereits etwas ähnliches
schließen wie, daß v selber, wenn man es so variiert, daß T)(v) seiner
unteren Grenze d entgegengetrieben wird, gegen eine Grenzfunktion
konvergiert, die dann die gesuchte Minimalfunktion sein wird. Ist näm-
1) B. Levi, Sul principio di Dirichlet, Rendiconti del Circolo Matematico di
Palermo, Bd. 22 (1906), S. 293—360, § 7.
102 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
lieh p irgendein Punkt auf der Fläche, 2t = x -{- iy eine Ortsuniformisie-
rende zu p, K : z\ ^ a ein ^-Kreis und (S eine beliebige abgeschlossene
Menge in K, die in der ^-Ebene einen bestimmten Inhalt besitzt, so
liefert die Schwarzsehe Ungleichung, angewandt auf —' ^ und 1:
!//!
aS-aI?H^^^ £ciy7t.yi}{v,-v,).
Es existieren also gleichmäßig für alle in K gelegenen Bereiche (£ die
Grenzwerte
lim f f ^ dxdij, lim / f - dxdy.
D. h.: ich kann zwar nicht von den Dilferentialquotienten k- , 2' selber
schließen, daß sie konvergieren, wohl aber gilt dies von den flächenhaft
integrierten DifFerentialquotienten. Es ist bequemer, statt der Differential-
quotienten auf die Funktion v selbst zurückzukommen; wir werden dann
sehen, daß in demselben Sinne
lim
\j jvdxdy
existiert. Wenn die Minimalfunktion u vorhanden ist, muß dieser Limes
außerdem = j J udxdy sein. Nehmen wir für @ den Kreis K selbst und
beachten, daß u eine Potentialfunktion sein wird, daß also (jedenfalls,
wenn K ganz in der gelochten Fläche liegt)
ffudxdy
i — = Mittelwert von m in K
na'
ist, so wird man darauf geführt, den gewünschten Existenzbeweis so zu
erbringen, daß man den Wert
dem Mittelpunkt des Kreises als Funktionswert u zuordnet und dann
zeigt, daß die dadurch erhaltene Funktion wirklich die Minimalfunktion
ist: Weil die Grenzfunktion u eine Potentialfunktion sein wird, ist die
vorgenommene konvergenzerzeugende Integration über Kreise im Limes
einflußlos.
Zur Ausführung dieses Gedankenganges schreitend, müssen wir zu-
nächst das Dirichlet-Integral von v^ — v^ durch das Quadratintegral von
Vj — ^2 ersetzen. Zu dem Zweck zeigen wir: Ist p ein Punkt, z eine zu-
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips 103
gehörige Ortsuniformisierende, K : s^ a ein ^-Kreis, so gibt es eine
Zahl C von der Art, daß für jede stetig differentiierbare Funktion w auf
der Fläche, deren Randintegral 1 7vd(pQ um Kg den Wert 0 hat,
0
ffw^dxdy£C-J){tv)
ist.
Wir bilden eine Kette von Punkten p^ = 0, pj, p.,} • • •> P« = P ^^it
zugehörigen Ortsuniformisierenden ^q, 2^, 2^, . .., z^^= z und schlagen um
jeden Punkt p. einen ^.-Kreis K,- : ^^^ ^ a, (um p^ den Kreis Kq, um
p = p„ den Kreis K = K^J; es ist dafür Sorge getragen, daß immer K,.^j
über K. greift (d.h. K- und K^.^^ innere Punkte gemein haben). Dann
wird zunächst nach § 13
Ko K„
Für Kq trifft also unsere Behauptung zu; wir werden daraus schließen,
daß sie für Kj gleichfalls gültig ist. Nach dem eben benutzten Satz gibt
es jedenfalls eine Konstante c, sodaß
J'f
al
ist. Bezeichnet ©g^ die aus den sowohl in K^ als Kj gelegenen Punkten
gebildete Punktmenge, so hängen in (Sq^ die Variablen ^1= Xi-\- iy^,
-^0 = ^0 + ^Vo durch eine Transformation zusammen, die auch über die
Grenze von ©o^ hinaus noch regulär analytisch ist. Die Funktional-
determinante
hat daher in ©q^ eine obere Grenze J/q^, und es ist:
©OJ ©Ol
^^1) £ M,,fJtv'^dx,dy,£M,,JJw'dx,dp,£Mj-^J){tv),
anderseits
(32) yy ^^^' "" ^^'^^1 ^^1 = ~^ ^ ^^^') •
Bedeutet Jq^ den Inhalt der Bildmenge von ©oj in der ^i -Ebene:
104 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
so liefert die Addition von (31 \ (32) wegen
c''£2[iv'i-(c-wy]:
und dann
1 1 w^dx^dy^ ^ 2| j j{tv — c^dx-^dy^ + c^a\n\
Damit ist der Beweis für K^ erbracht. Von K^ schließen wir jetzt
auf Kg usf. und kommen schließlich bei K„ = K an. Wenden Avir das Ergeb-
nis auf die Differenz zAveier Konkurrenzfunktionen v^, v^ an, so haben wir
(33) fßv^ ~ v,ydxdy £ C[yi}{v,)-d +yW(^j-'d] '•
Den Mittelwert
K
einer in K stetigen Funktion bezeichne ich allgemein mit M f. Die
Punkte auf der gelochten Fläche und die Punkte im Deckel betrachte
ich gesondert. Liegt p auf der gelochten Fläche, so werde K so genommen,
daß auch K ganz in der gelochten Fläche liegt. Es existiert dann ge-
mäß der letzten Ungleichung
lim M V = M.
Ist p ein Punkt im Deckel, Z(^{p) = c„, so möge z^ — c^ als Ortsuniformi-
sierende z angenommen werden, und der r-Kreis K liege ganz im Deckel.
Es existiert
lim M v* = u*.
Wir behaupten: u, u* hängen nur von p ah, nicJit aber von der Wahl der
Ortsuniformisierenden z und von dem z-Kreise K.
Ich führe den Beweis für die Punkte p in der gelochten Fläche durch.
Sei also z = x -\- iy eine andere Ortsuniformisierende zu p, K': j/j ^ a'
ein ^'-Kreis. Ich nehme zunächst an, daß K' ganz in K gelegen ist. v sei
diejenige Potentialfunktion in K, die am Rande mit v übereinstimmt. Es
ist J^Y^iv) ^ \)^{v), und es gibt eine Konkurrenzfunktion f, die außer in
K mit V übereinstimmt und für welche
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips. 105
DK(t^-F)=DK(r)-DK(^')
so klein ist, wie man will. Es gilt
infolgedessen muß
J)^(T^ -v)= Dk(.) - DK(r) £ 4[D(t;) - d]
sein. Da 'c — v am Rande des Kreises K verschwindet, folgt daraus
ff{d - vfdxdy £ a'[J)(v) - d]
und mittels der Schwarzsehen Ungleichung
Da V Potentialfunktion ist, ist M F^ = v{p), also haben wir:
K,z
lim M V = lim r(p), lim r(p) = m.
In K' hängen z und / durch eine auch über die Grenzen von K' hinaus
analytische Transformation zusammen; ist M eine obere Grenze für
l^i i^'<,gilt
f f(v — vfdxdy' £a^M[D{v) -d]:
lim M y = lim M v.
« K\z' ' K\z'
Da aber v auch in den Variablen x', y Potentialfunktion ist, muß
M V = i;(p) sein; daher
K', z
lim M u = lim i;(|)) = lim M v.
Wenn K' nicht in K liegt, benutzen wir als Zwischenglied einen /-Kreis
K'^, der sowohl in K' als in K liegt. Dann liefert unsere Schlußweise:
1) lim M !; = lim M u; 2) lim M v = lim M v,
' K,2 ^ k;,s' V K\z' » k;,/
Avoraus sich auch
lim M V = lim M v
K, z K', z'
in diesem Falle ergibt. Wenn man die analogen Schlüsse für die Punkte
des Deckels durchführen will, hat man in dem Fall, daß K über den
Lochrand hinübergreift, die aus den Ausführungen auf S. 95 sich er-
gebende Beziehung
106 Funktionen auf Riemannschen Flächen,
1>kW-I>k(^)=I>kM-1>k(^*)
zu beachten, durch welche die Gleichung- (;, ) =0 ausgenutzt wird.
Die Zahl u, bzw. ii* ordnen wir als Funktionswert dem Punkte p
zu; wir haben dann eine in der gelochten Fläche definierte Funktion u(p)
und eine Funktion ^<*(p) im Deckel. Zur Untersuchung der Funktion
m(P) in der gelochten Fläche betrachte ich alle Punkte q, welche in dem
^- Kreis K um p liegen, und führe die folgenden Überlegungen an dem
Bilde von K in der ^r-Ebene (in welchem p der Nullpunkt ist) aus. Um
q schlage ich (in der ^- Ebene) den Kreis K^, der K von innen berührt;
sein Radius ist q = a — \s{c\)\. Es gilt, wenn v^ neben v eine zweite
Konkurrenzfunktion ist und v die alte Bedeutung hat, nach Formel (33),
in der wir ü, durch v ersetzen,
fß
K,
\v - v.ydx dij£C (v'D(v) - d + VJ)(v,) - d)\
also
z^( q)- Mt;, I ^ -^ W^W- d + >/D(v J- d) .
Hierin führe ich mit v^ den Grenzübergang lim D(t'i) = d aus:
VC
>(q)-r(q)|^ ' ,-Vl>{v)-d.
tJ(q) konvergiert mithin gleichmäßig gegen u(q) in einem beliebigen konzen-
trischen Kreise, der ganz innerhalb K liegt, n ist demnach in p eine Poten-
tialfunktion (S. 83), und auch die ersten Abteilungen von v konvergieren
in demselben Sinne gleichmäßig gegen die betreffenden Ableitungen von u.
Ebenso ist u* im Deckel eine reguläre Potentialfunktion, Bedeutet
p einen Punkt innerhalb des Verschlußringes und schlagen wir in der
i?o-Ebene um p einen Kreis K, der ganz im VerscMußring liegt, so haben
wir
w(p) = lim Mv;
^ K
M*(p) = lim Mi;* = lim My — MO,
» K ' K K
Da 0 im Verschlußring eine reguläre Potentialfunktion ist, besteht die
Gleichung MO = 0(p); so schließen wir
K
M(P)=M*(P) + 0(P).
Es ist uns also die Konstruktion einer in der gelochten Fläche regulär-har-
monischen Funldion u und einer im Deckel regulär-harmonischen Funktion
M* gelungen, tvelche im Verschlußring zueinander in der Beziehung
M = w* -j- 0 stehen. Wir haben noch nachzuweisen, daß diejenige Funk-
§ 15. Beweis des Dirichletschen Prinzips. 107
tion u, welche in der g-elochten Fläche = H(p), im Loch =u*{p) ist, die
Minimalg-leichung D (?t) = d befriedigt — obwohl für die Anwendung-en auf
die Theorie der geschlossenen Riemannschen Flächen die bisher festge-
stellten Eigenschaften von w, u* offenbar genügen würden. Für die Unifor-
misierungstheorie, von der die letzten Abschnitte dieser Schrift handeln
sollen, ist aber die Minimaleigenschaft wesentlich.
Die zur Berechnung des Dirichletschen Integrals nötige Zerschnei-
dung der Fläche durch die Peripherien x^ von Kreisen K^ kann so ein-
gerichtet werden, daß jeder Kreis K^ entweder ganz in der gelochten Fläche
liegt oder ganz dem Deckel angehört (und dann in der ^r^-Ebene als Kreis
erscheint). Es sei @^ eines der Stücke^ in die die Fläche dabei zer-
schnitten wird und welches zu einem Kreis Kj der ersten Art gehört.
Wir benutzen die Uniformisierende 2^= 2 = x -]- iy, mit bezug auf
welche K^ ein Kreis ist, zur Uniformisierung von @;,. K^ sei ein ^,-Kreis,
der etwas größer ist als K^, aber auch noch ganz in der gelochten Fläche
liegt, V zu jeder Konkurrenzfunktion v diejenige Potentialfunktion in
Kj', die am Rande von K/ mit v übereinstimmt. Dann konvergieren
dv dv . ,, , . , ..„. du du ,
^, ^^ in K, gleichmäßig gegen ^^, ^- also
Anderseits
daher
lim D^ (r - u) = 0.
»k/^ - ^) < ^^i' - ^') ^ ^^^^""^ - ^^J'
lim D^ ( V - u) = 0,
lim Dg (v — 11) = 0,
V h
Dg iu) ^ lim Dg {v).
Art angehört [zunächst in der Form
limDg(v*-w*;) = 0].
Bildet man ^Dg {u) über irgendeine endliche Anzahl von Stücken @^,
ii
so ist diese Summe
= lim ^Dg (v) < lim D(v) = d.
Daher ist D(tt) endlich und ^d. Da es nicht < f? sein kann, muß
Ji{u) = d sein, q. e. d.
108 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
§ 16. Zusammenhänge zwischen den Differentialen auf einer
geschlossenen Riemannschen Fläche.
Statt die Elementardifferentiale 2. und 3. Gattung unabhängig von-
einander mit Hilfe des Dirichletchen Prinzips wie in § 14 aufzustellen,
kann man auch alle bis auf Pole regulären DifiFerentiale, die zu einer ge-
gebenen geschlossenen Riemannschen Fläche ^ gehören, aus dem ein-
fachsten der in § 14 mit dt bezeichneten herleiten ^) und gewinnt auf diesem
Wege zugleich einen sehr vollständigen Überblick über die zwischen den
einzelnen Differentialen bestehenden Zusammenhänge.
Es sei C] ein Punkt auf ^, und g = | -|-Z7y eine zu q gehörige Orts-
uniformisierende. Die Potentialfunktion, welche nur in q unendlich wird
Avie
bezeichnen wir — als Realteil des erst auf der Überlagerungsfläche ^ ein-
deutigen , in q einen Pol 1. Ordnung besitzenden Abelschen Integrals
2. Gattung tp — mit 'Sita. Die Bedeutung dieses Funktionszeichens hängt
danach nicht nur vom Punkte q, sondern auch von der Wahl der zu q
gehörigen Ortsuniformisierenden ^ ab; wo dies hervorgehoben werden soll,
schreiben wir q^ statt des Index q allein. Benutzen wir i^ an Stelle von ^
als Ortsuniformisierende, so bekommen wir diejenige Potentialfunktion
die nur im Punkte q und zwar wie .,— .-'-^ unendlich wird.
Um die Abhängigkeit dieser Funktionen von dem Unendlichkeits-
punkte q zu untersuchen, verfahren wir so: Wir grenzen um q einen ^-
Kreis K: | ^ ^ cc ab, bezeichnen mit q* einen in K variablen Punkt und
verstehen unter
diejenigen in q* unendlich werdenden Potentialfunktionen, welche der
Ortsuniformisierenden ^ — £^(q*) in q* entsprechen. Wir werden sogleich
zeigen, daß diese Funktionen — bei zweckmäßiger Xormierung der für
jede Lage von q* noch zur Verfügung stehenden additiven Konstanten
— stetig in bezug auf q* sind; für Punkte p, die in der Umgebung K
von q liegen, wird
(34) ^r,.ip) = m-^^^y^^-^^^ + BAP), 5Rv(p) = gi-^^^^^ + !?<;* (p)
sein, Avo R, E', solange q* und p in K liegen, stetige Funktionen von
q* und durchaus reguläre Potentialfunktionen in p sind, q^, q^ seien zAvei
Punkte innerhalb K, die durch einen rektifizierbaren Integrationsweg y
1) Vgl. Klein-Fricke, Theorie der elliptischen Modulfunktionen Bd. I, S. 518flF.
§ 16. Zusammenhänge zwischen den Differentialen. 109
innerhalb K verbunden seien. Durch longitudinale Aneinanderreihung-
von Doppelquellen längs y, d. h. durch Aneinanderreihung von Doppel-
quellen konstanten Moments, deren Richtung mit der Richtung von y zu-
sammenfällt, erhalten wir in
(35) jV^v(P)^^«*-3iv(P)f^^p*} = 9ft"p.cAP) [l.*4-^V = ^(q*)]
eine Potentialfunktion, die in qj, q^ je eine Senke, bzw. Quelle, d. h. je
eine logarithmische Singularität mit den Residuen + 1 bzw. — 1 besitzt
[Entstehung eines Magneten aus Elementarmagneten!], und damit also
das Abelsche Integral 3. Gattung «a^q^. Denn für Punkte !p, die nicbt
in K liegen, ist offenbar die linke Seite von (35) eine reguläre Potential-
funktion; liegt aber p in K, so ist sie nach (34) bis auf eine additiv hin-
zutretende reguläre Potentialfunktion =lg^i — lg>'2, wo ^1,^2 ^i^ gerad-
linigen Entfernungen von qj , (\^ nach p in der S;-Ebene bedeuten. — Durch
transversale Aneinanderreihung der Doppelquellen erhalten wir in
(35') J[^x,.{^)dri,.+ ^x',.{)?)dU.] = ^co',^,XV)
eine Potentialfunktion, die in q^, C{^ zwei Wirbelpunkte mit entgegen-
gesetztem Drehsinn hat [Äquivalenz einer magnetischen Doppelschicht
mit einem elektrischen Strom!], die nämlich für Punkte p innerhalb K
bis auf eine additive reguläre Potentialfunktion gleich dem Winkel ist,
den die geraden Verbindungslinien q^p, qgp in der ^Ebene miteinander
bilden. Die Funktion Üicjo^q^^ist nur auf der längs des Integrationsw^eges
y aufgeschnittenen Fläche ^ eindeutig.
Zur vollständigen Begründung dieser Herleitung ist die für die
Möglichkeit der in (35), (35') vollzogenen Integrationen wesentliche
Stetiglieit von 9t t^*, 9?t'c* inbezug auf den „Parameter" q* noch zu be-
weisen. Dazu müssen wir auf die Konstruktion dieser Potentialfunktionen
zurückgreifen. Wir bilden, indem wir unter f (q*) den Spiegelpunkt von
t(q*) in der ^-Ebene inbezug auf den Kreis K verstehen,
--«)=<^,.,-(^r(,3i^.,y]
und setzen
j9^Tq* außerhalb K
^''* ^ ( 9ir,* - Oq* innerhalb K.
Da Op* am Rande von K die normale Ableitung 0 hat, erteilt u^* — u^
unter allen Funktionen v, welche am Rande von K den Sprung O^* — O^
haben, sonst aber stetig sind, dem über ganz ^ erstreckten Dirichlet-
schen Integral D(v) seinen kleinsten Wert. Als Vergleichsfunktion kann
110 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
insbesondere diejenig-e Funktion v dienen, welche außerhalb K gleich 0,
innerhalb K aber als die in ihren Randwerten mit 0q — 0p» überein-
stimmende reguläre Potentialfunktion erklärt ist:
47rg*(2-3*) / ^ (q*)
(36) D(tv-w,)^D(.) ^, ^^_^,^, ^, ^ ^.
Das Dirichletsche Integral von Wj,* — Mq konvergiert also gegen 0,
wenn q* gegen q geht; daraus ergibt sich die behauptete Stetigkeit. Ist
p =4= ^> so nehmen wir K so klein, daß p außerhalb K zu liegen kommt,
und wählen eine Ortsuniformisierende z zu p und einen Kreis K: \z \-^a
um p, der keinen Punkt mit K gemein hat. Ist p* ein in K variabler
Punkt, z (p*) = x-\- iij, ^ >(p*j i = r, dann folgt aus (36) und (22):
\dx dx) '^\dy" cyj ^ Laa(l — g^ (1 — r)J '
d.i.
(^rq* _d^ ^ o-,/9 2
dz dz ^ ^y ^ aa{l — q^){l — r)'
daher
(37) lim -f^* = ^
«•-« dz dz
gleichmäßig inbezug auf p* wenn p* auf einen etwas kleineren kon-
zentrischen Kreis als K beschränkt wird (r ^ ^'o < 1). — Liegt p in K,
so folgt aus (36j:
(du,*{i) _ dti^_{^Y -t /^<di) _ ^^^v ^ ö r ^ f /♦. - liJ^
l dl di ) '^\ dn cn ) ^ U*(i-2Mi-r)J' \ « /'
somit gleichmäßig für t, ^r^a (r^ eine feste Zahl < 1):
1- dUc*iS) g«q*(g) ^ g«q(g) gMq(g)
,'™ aa ' aT] ai ' ^tj •
Nehmen wir die Normierung der additiven Konstanten durch die Gleichung
iiq*(q*) = 0 vor, so ergibt sich hieraus durch Integration:
1) lim iiq*(p) = -Rq(p) gleichmäßig für alle p in einer gewissen Um-
''* = '' gebung von q;
2) lim 9fiTp*(p) = S^^Tpfp) gleichmäßig für alle p auf ^, wenn man
eine beliebig kleine Umgebung der Stelle q ausscheidet.
Damit sind die behaupteten Stetigkeitseigenschaften für die (belie-
bige) Stelle q* = q erwiesen.
(35), (35') fassen wir in die eine Gleichung zusammen
16. Zusammenhänge zwisclien den Differentialen. Hl
\
p liege außerhalb K, und wir benutzen die Zeichen K, p* und 2 = 2 (p*)
= X + iy wie oben. Ist f{z) eine analytische Funktion der komplexen
Variablen z, so ist
ex ' ^ dz' cy ' ^ ' dz
Differentiieren wir also die Gleichung* (38), in der zunächst p durch den
variablen Punkt p* ersetzt werde, nach x und y, so erhalten wir:
(39 , f { ^ ^ + m ^^ } dt m = ^ "^^ + m ^%^^ ,
"1
Daß die Differentiation unter dem Integralzeichen vorgenommen werden
darf, folgt daraus, daß — zr^ > — 4-^ gemäß (37) stetig von q* abhängen.
Jetzt vollziehen wir den wesentlichen Schluß dieser Untersuchung:
aus (39) geht hervor: der Integrand
dz dz
ist in K eine solche Funktion von t, = ^(q*), daß sein Integral nach ^
vom Wege unabhängig ist, d. h. ist eine reguläre analytische Funktion
von ^. Anstelle von , schreibe ich auch wohl ,^. Von der zu q gehö-
rigen Ortsuniformisierenden ^ ist, wie man direkt einsieht oder aus (39)
schließt,
SR ^^ + i SR drjp
in der Weise abhängig, wie der Wert eines Differentials an einer Stelle
von der benutzten Ortsuniformisierenden abhängt. Es gibt also ein für
alle q auf ^ außer für q = p* regulär-analytisches Differential dvp*{q)^
so daß
^ drq*(g) .^ dra*{z) ^ dvp*(S) ( dvr>*{s\*)\
dz ' dz dt \ dq* /
ist. (39) schreibt sich jetzt so:
1 12 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
J
'dv,.m*) = SR '-^'^ + m'-^^
Diese Formel gilt für einen beliebig- ausgedehnten Integrationsweg
7 = (lil2)> ^^^ jetzt nicht länger auf die Umgebung K von q beschränkt
7.U werden braucht; nur muß unter doD'f^^a^ dasjenige Differential 3. Gattung
verstanden werden, welches auf die in § 14 geschilderte Weise durch
Zwischenschalten von Punkten und Summation längs y hervorgeht. Hin-
gegen ist c^cJaicii von der Art der Zwischenschaltung und darum 'Sil dvp*
vom Integrationswege unabhängig oder Sivp* eine eindeutige Potential-
funktion auf |5, die nur im Punkte p* singulär w^ird. Das Verhalten im
Punkte p* überblickt man, wenn man für Punkte q*, die in dem Kreise
Ä^ um p gelegen sind, 2 — ^(p*) als Ortsuniformisierende benutzt:
mt,*(z) = si^_\ +RA^),
wo Ra*{z), -^ , — o" ' stetige Funktionen von q* auch an der Stelle
z sind; darum ist bis auf ein additives Glied, das bei Annäherung von q*
an p* zwischen festen Grenzen bleibt und mithin auch für q* = p* eine
reguläre Funktion von q* ist,
^ dra*(p*) , ■ «j ^p* ;pj^ — 1
'^ dp* +'^ dp* ~[,(p*)-2(q*)]^
d. h. dvp*{c\*) ist ein Differential 2. Gattung, dessen Hauptteil an der
Stelle p* durch
— t/g(q*)
[z{q*)-z{p*)Y
g-eliefert -wird und dessen Integral einen eindeutigen Realteil auf fy
besitzt:
dv^* = dtp* = dtp*..
Wir fassen die gewonnenen Ergebnisse zusammen. Es seien p, q
swei verschiedene Punlte auf ^, s eine Orisuniformisierende zu p, t, eine
solche zu q; diese Ortsuniformisierenden dienen zur eindeutigen Festlegung
der Funktionszeichen xp, r^ und der Differentiationszeichen r. ,, .Bann
gelten die fundamentalen Fieziprozitätsgesetze:
g? ^i^P_(P) _ m drp{o) ^ drc'(p) ^ <^ drp{cO
,^. .dp dq ' dp fZq '
cv dTQ(p) _ «j dTp(q) cv dz^ip) _ ^ dx'p(A)
•^ dp ~ ^ dq ' ^ dp ~ ^ dq •
§ 16. Zusammenhänge zwischen den Differentialen. 1 13
Die Differentiale 3. Gattung enisteJien aus denen 2. Gattung nach den
Formeln:
(H)
mjdt.^m ^^^ , s j dr, = 9t ^4^^^) ^
m
Einen Sonderfall der in der zweiten Kolonne stehenden Gleichungen er-
halten wir, wenn wir (q, q^,) sich zu einem geschlossenen Wege cc aus-
wachsen lassen:
(II.) fdr,-2^m'%f, fdr;~2.i^"l
Sie zeigen, daß die Bifferentiale 1. Gattung die Perioden der Elementar-
integrale 2. Gattung sind.
Wir lesen ferner aus ihnen folgende drei Tatsachen ab {a, ß, y be-
deuten geschlossene Kurven auf '^):
1. ist a <->- 0, so ist dw^ identisch = 0;
2. ist a ~ /3, so ist div^= dw^;
3. ist a -\- ß^ y, so ist div^ -f dw,^ = dw^ .
Jeder Decktransformation S der Überlagerungsfläche ^ der Integralfunk-
tionen in sich entspricht eine Klasse untereinander homologer geschlossener
Wege a auf ^: sie sind Spurlinien aller Kurven auf ^, die von irgend-
einem Punkte p zu dem darüber gelegenen Punkte \)S hinführen. Allen
diesen a gehört nach der 2. der eben bemerkten Tatsachen dasselbe Diffe-
rential dtv^ zu, das wir füglich, da es durch S eindeutig bestimmt ist,
auch mit div^ bezeichnen werden. Erstrecken wir die vorzunehmenden In-
tegrationen von einem einfürallemal festgewählten Anfangspunkt pQ aus,
so ist
-mfdw^=u,(p)
Po
nur insofern vom benutzten Integrationswege abhängig, als eine Änderung
dieses Weges (bei festgehaltenem Endpunkt p) Ug um eine ganze Zahl
vermehren oder vermindern kann. (Und durch diese Eigenschaft sind auch
die Integrale iv^in der Gesamtheit aller Integrale 1. Gattung ausgezeichnet.)
Die Größe
Weyl: Die Idee der Eiemannachen Fläche. 8
114 Fanktionen auf Riemannschen Flächen.
vom absoluten Betrage 1 ist somit eine eindeutige Funktion von p. Sind
S, T irgend zwei Decktransformationen von ^ in sich, so gilt
Allgemein: ist auf irgend eine Weise jeder Decktransformation S von %
eine Zahl %^ vom absoluten Betrag 1 so zugeordnet, daß die Multipli-
kationsregel
zutrifft, so sagt man, es sei ein Charakterensystem (der kommutativen
Gruppe aller Decktransformationen von % in sich) definiert. Dement-
sprechend wollen wir die den verschiedenen Transformationen S entspre-
chenden Größen %<j(p) das System der Iiitegralcharaktere von p nennen.
Die sämtlichen Integralcharaktere von p geben, heißt soviel als: simultan
die Werte aller Integrale 1. Gattung an der Stelle p angeben — oder ge-
nauer: das angeben, was an diesem simultanen Wertsystem gegenüber
Verlagenmg des Integrationsweges invariant ist. — Für eine spätere An-
wendung bemerken wir noch, daß, Avenn man ein Charakteren system als
ein Individuum, einen „Punkt" betrachtet, die Gesamtheit aller möglichen
Charakterensysteme eine geschlossene 2^-dimensonale Mannigfaltigkeit
bildet. Denn ist
eine Basis für die Gruppe der Decktransformationen von ^ (vergl. S. 74),
so erhält man alle Charakterensysteme einmal und nur einmal, wenn man
XSi,XS2,---, XS2p
unabhängig voneinander in einer ;^- Ebene die Peripherie des Einheits-
kreises j^ = 1 durchlaufen läßt.
Mit Hilfe der Formeln (II) läßt sich das B,eziprozitätsgesetz (I) von
den Differentialen 2. Gattung auf die Integrale 3. Gattung ühertragen:
,,j H'\S.=^'\d:' 3Kj;;-3^K.-]:;.
Diese Gleichungen, die als der Satz von der Vetiauschung von Argument
und Parameter bezeichnet zu werden pflegen, sind gültig, wenn die be-
nutzten Wege Pip2) Qi ^2 ^i*^^ nicht überkreuzen. Zum Beweise setzen
wir voraus, das der Weg p^ pg ganz in dem r- Kreise K um p, q^ q^ ganz
in dem ^-Kreise K um q liegt. Wir können annehmen (was ev. erst
durch Drehung des Koordinatenkreuzes erreicht werden muß, die aber
auf die Bedeutunsr der Difi"erentiale dco , dco ohne Einfluß ist) daß die
geradlinige Strecke s = (p^ pj) in der ^-Ebene parallel zur reellen (a:-) Achse,
die Strecke & = (q, q^ in der ^-Ebene zur reellen (S-) Achse parallel ist.
Ersetzen wir nunmehr in der 1. Gleichung (I) p, q durch die innerhalb
§ 16. Zusammenhänge zwischen den Differentialen. 115
K, bezw. K variablen Punkte p*, q* (wobei zur eindeutigen Festlegung-
der Bezeicbnung wie oben die Uniformisierenden s und t, zu benutzen
sind) und integrieren dann nacb ^ = if(p* ) längs 5, nach ^ = ^(q*) längs
6, so kommt
Ol Pi Pi Pi
Da die innere Integration auf der linken Seite parallel zur reellen Achse
verläuft, liefert ihre Ausführung
und aus demselben Grunde
/9i!^^'.rf5 = 3j/L,. = 3!K,]:;.
Behandelt man in gleicher Weise auch die rechte Seite, so ergibt sich die
erste Gleichung (III). Man gewinnt demnach die Gleichungen (III) aus
(I) dadurch, daß man diese sowohl nach dem Argument (p) als nach dem
Parameter (q) integriert, auf einer Seite die Reihenfolge der Integrationen
vertauscht und dann die inneren Integrationen mit Hilfe der Gleichungen
(II) zur Ausführung bringt.
Um die Modifikationen zu überblicken, welche eintreten, falls die
Wege pi p2, q^ q2 sich schneiden, haben wir den Fall zu betrachten, daß
diese beiden Wege in dem ^-Kreis K verlaufen. Wir verlagern dann den
Weg q^ qg so, daß er p^ p, nicht mehr trifft, aber immer noch innerhalb
K verläuft. Dadurch ändert sich der Wert der in der 1. und 4. Gleichung
(III) auftretenden Größen nicht; diese beiden Formebi sind also ohne
jede Einschränkung gültig. Hingegen kann sich der Wert der rechten
Seite der 2. und 3. Gleichung durch diese Verlagerung um ein ganzzahliges
Vielfaches von 27t vermehren oder vermindern, während der Wert der
linken Seiten auch hier erhalten bleibt. Ohne jede Einschränkung sind
daher diese beiden Formebi nur in der modifizierten Gestalt
S [«,,,. ]J; =9^KpJ;; - 2nx, 9?[o3;,c,]J; = S^p,];;- - 2n7t
{ n eine ganze Zahl }
zutreffend.
Ist q^ qg insbesondere ein geschlossener Weg a, so hat man
P. P;
(Hloj / dcj,^,^ = 2:ti'^CdtVa, '^Jdco',^,^ = 2 ;t SJ dw. .
116 Funktionen auf Riemannachen Flächen.
In der 1. Gleichung ist angenommen, daß p^ p^ die Kurve a nicht trifft.
Die letzte ergibt, wenn wir auch für p^ p^ einen geschlossenen Weg ß
nehmen, das Symmetriegesetz
a ^i
Es bleibt schließlich noch übrig, diejenigen Integrale 2. Gattung,
welche Pole von höherer als 1. Ordnimg besitzen, aus den Differentialen
^tp, dr'(^ herzuleiten. Aus (I) ergibt sich durch Differentiation nach
I = |(q*), wenn q zuvor durch q* ersetzt wird:
^ d'Tp(q) ^ d^TpJ,q) _ r a /drq* (p)\l
Es geht daraus hervor, daß die linke Seite
_ drlip)
dp
gesetzt werden kann, wo drl ein auf ^ überall reguläres Differential be-
deutet, das nur an der Stelle q unendlich wird, und zwar, wie der linker
Hand stehende Ausdruck zeigt, mit dem Hauptteil -f = d (-^ ) . Die
Perioden dieses Integrals t* 2. Gattung sind rein imaginär. Wir haben
so die Relationen:
(P)
^ ^q ip) ^ ^ dhp (q) cv dzlip) ^ ^ dhpjq)
dp dq* ' "^ dp dq*
ax djl'ip) _ cv d^tp{c\) c- ^l'M — cv d^tpi^
'^ dp ~ ^ rfq*"' ^ dp ~ ^ dq'
Wenn man in (II), (IIo) p durch p* ersetzt und nach x = 9fi^(p*) differen-
tiiert, bekommt man
J V dp^ ' J V dp' '
m
m
Entsprechende Gleichungen (I"), (11"), (II^J) gelten für die Integrale mit
einem Pol n*^"^ Ordnung.
Man sieht, wie alle diese Beziehungen (die sonst nach Riemann und
C. Neumann durch die Methode des „Herumintegrierens" um den Rand
der zerschnittenen Fläche hergeleitet zu werden pflegen) eine unmittelbare
Folge der anschaulichen und wohlbekannten Tatsache sind, daß man durch
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 117
longitudinale Aneinanderreihung von Doppelquellen zwei einfache Quellen
mit entgegengesetzten Vorzeichen erhält, durch transversale Aneinander-
reihung aber ein Paar entgegengesetzt drehender Wirbel.
§ 17. Die eindeutigeu Funktionen anf ^ als Unterklasse der additiven
und multiplikativen Funktionen auf §. Riemann-Rochsclier Satz und
Abelsclies Theorem.
Unter einem transzendent normierten Abelschen Integral 2. Gattung
oder einer „additiven Funktion" verstehen wir eine auf der Über-
lagerungsfläche ^ der Integralfunktionen eindeutige, bis auf Pole regu-
läre Funktion t'(p), welche sich gegenüber jeder Decktransformation S
von ^ additiv verhält:
v(pS) = v{p)i-ci,
wo ci eine zu der Transformation S gehörige, von p unabhängige, rein
imaginäre Konstante bedeutet. Es gibt nur endlich viele Stellen p auf
l5, über denen Pole einer solchen additiven Funktion v liegen, und wenn
2 eine zu p und daher auch zu allen darüber gelegenen Punkten von ^
gehörige Ortsuniformisierende bedeutet, so hat v an allen über p ge-
-legenen Stellen den gleichen „Hauptteil":
Die Pole und zugehörigen Hauptteile können willkürlich vorgeschrieben
werden und bestimmen die Funktion v eindeutig bis auf eine additive
Konstante:
V =^ [at^ + ax'^) + (a^l + a^'r^^j + • • • + [a'-x''^ + a'-'x'^'J
(40) + willk. Konst. (a'' = iR^_,, a''' = - S^_a)
(die Summation erstreckt sich über die verschiedenen Pole p). Diese
Darstellung ist das Analogon zu der Fartialbruchzerlegung der rationalen
Funktionen. Um dieses Analogon zu gewinnen, müssen wir demnach
die Klasse der eindeutigen, höchstens mit Polen behafteten Funktionen
auf der Fläche ^ zu der umfassenderen Gesamtheit der „additiven Funk-
tionen" er weitem.
Neben der Fartialbruchzerlegung ist die Darstellung der rationalen
Funktionen als eines Frodulds von Linear faktoren wichtig. Um sie
von der Kugel auf beliebige geschlossene Riemannsche Flächen zu über-
tragen, haben wir von den „multiplikativen Funktionen" zu sprechen,
d. h. von denjenigen eindeutigen, bis auf Pole regulären Funktionen 0
auf der Überlagerungsfläche %, die sich gegenüber jeder Decktransfor-
mation S von ^ multiplikativ verhalten:
118 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Q(pS) = ^i^.Qip),
wo der Multiplikator ^^ eine zu S gehörige Konstante vom absoluten
Betrag 1 ist.^) Die // ^, bilden ein Charakterensystem. 0 hat an allen über
einer Stelle p von ^ gelegenen Punkten dieselbe Ordnung; diese kann
positiv sein (dann hat 0 über p eine Nullstelle) oder negativ (0 hat über
p einen Pol) oder Null. Die PimJde auf ^, über denen die Nullsfellen
und Pole einer midiipliliativen FunJdion liegen sollen, können willkür-
lich in endliche)' Zahl ihrer Lage und Multiplizität nach vorgeschrieben
iverden — unter der einen Einschränkung, daß die Anzahl der Null-
stellen gleich der Anzahl der Pole sein muß, wenn jede JSullstelle und
jeder Pol mit der richtigen Vielfachheit- in Ansatz gebracht wird. Durch
die Vorgabe der Nidlstellen und Pole ist aber 0 bis auf einen willkür-
lichen konstanten Faktor (=4= 0) eindeutig bestimmt. Denn es kann außer
der Konstanten keine multiplikative Funktion 0 geben, welche weder
Nullstellen noch Pole besitzt; aus einer solchen Funktion entspränge in
lg j 0 I eine auf '^ eindeutige und überall reguläre Potentialfunktion,
die es nicht geben kann. Daß die Anzahl der Nullstellen gleich der
der Pole sein muß, ergibt sich daraus, daß auf ^ ein Differential
3. Gattung ist, dessen Residuensumme
= Anzahl der Nullstellen minus Anzahl der Pole von 0
ist. Sind 1, 2 irgend zwei Punkte auf ^, so ist
g'Oii ^ 0^^ (^g ^ Basis d. natürl. Log.)
eine multiplikative Funktion, welche über 1 eine Nullstelle und über 2
einen Pol erster Ordnung besitzt (und durch diese Eigenschaft, nur eine
Null- un d eine Uuendlichkeits-Stelle zu besitzen, dem Linearfaktor z — a
oder - — T auf der ^- Kugel entspricht). Sind
P1P2 • • • Pr ^i^ vorgeschriebenen Nullstellen,
•^1^2 • • • Pr ^i® vorgeschriebenen Pole
einer Funktion 0 (wobei jede Nullstelle und jeder Pol so oft aufgeführt
ist, als seine Multiplizität verlangt), so erhält man das gesuchte 0 aus
der Gleichung
0 == Const. 0p^p, • 0p^c,- • • 0p^q^^
in der wir das Analogon zu der Produktdarstellung der rationalen
Funktionen vor uns haben. Wir schreiben diese Gleichung auch in der
symbolischen Form
1) Vgl. Riemann, Theorie der Abelschen Funktionen, Werke (2. Aufl.), S. 140;
namentlich aber Appell, Journal de mathematiques, 3. Ser., Bd. 9 (1883), und
Acta Matbematica Bd. 13 (1890).
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen 119
(41) Q^hh^-i^.
Hier war als selbstverständlich angenommen, daß alle p^ von "allen q^
verschieden sind. Ist das nicht der Fall, so wird dem Symbol rechter
Hand diejenige Bedeutung zu erteilen sein, welche herauskommt, wenn
man, wie bei gewöhnlichen Brüchen, die sowohl im Zäliler als im Nenner
vorkommenden Punkte „weghebt".
Der Satz, daß eine multiplikative Funktion ebensooft 0 wie cx)
wird, gilt insbesondere auch für jede eindeutige, von wesentlichen Singu-
laritäten freie Funktion f auf ^. Wenden wir ihn, statt auf f, auf f— a
an, wo a eine beliebige Konstante ist, so sehen wir: Eine eindeutige bis
auf Pole reguläre Funktion auf ^ nimmt jeden Wert, einschließlich oo,
gleich oft an.
Im Falle p = 0 ist das Integral 2. Gattung r auf % selber ein-
deutig; es nimmt infolgedessen, da es nur einen einzigen Pol 1. Ord-
nung besitzt, jeden Wert einmal und nur einmal an und bildet ^
konform auf die Kugel ab: Die Kugel ist die einzige Riemannsche Fläche
vom Geschlechte 0.
Wir haben jetzt allgemein zu untersuchen, ivie sich die auf f^ ein-
deutigen Funktionen als Sonderfälle unter die additiven und multiplika-
tiven Funktionen einordnen, d. h. wir wollen die Bedingungen dafür
aufstellen, wann die Darstellungen (40) und (41) eindeutige Funktionen
auf ^ liefern. Dadurch werden wir zum Riemann-Rochschen Satz, bzw.
zum Äbelschen Theorem geführt werden. Wir beginnen mit (40) und
nehmen zunächst der leichteren Darstellung wegen nur einfache Pole an.
Es seien also p^, pgj • • • P,« irgend m voneinander verschiedene Punkte
auf '^. Eindeutige Funktionen auf ^, welche höchstens in p^, pg, . . ., p^^^
Pole 1. Ordnung haben, sonst aber regulär sind, müssen von der Form sein:
(42) /•=(a^Tp^-f a'jTpJ + (a2T^,+ a^TpJ + \-(a„rp„^+ «>*>„.) + i^ + i^'),
wo die a^, a); h, h' reelle Konstante bedeuten. Die Bedingung, daß die
'2}) Perioden von f, die den 2}) Rückkehrschnitten cc^ einer kanonischen
Zerschneidung entsprechen, verschwinden müssen, liefert 2p homogene
lineare Gleichungen für die a^, a^ mit reellen Koeffizienten, Gleichungen,
denen man sicher dann durch Konstante a,^, a'^, die nicht sämtlich ver-
sehenden, genügen kann, wenn m > p ist.
Gibt man also mehr als p Funkte auf ^ ivillkürlich vor, so exi-
stieren stets nicht-konstante eindeutige Funktionen auf ^, die höchstens
an diesen Stellen Pole 1. Ordnung haben, sonst aber regulär sind.
Damit ist insbesondere die Existenz nicht-konstanter ein-
deutiger, bis auf Pole regulärer Funktionen auf jeder ge-
schlossenen Rie?nannschen Fläclie sichergestellt.
Sind p^, p2, . . ., p^ irgend r voneinander verschiedene Punkte auf
120 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
^ und 7)1^, m^, . . ., m^ zugeordnete ganze Zahlen (> 0, = 0 oder < 0),
so bezeiclinen wir eine Funktion oder ein Differential auf %, das an der
Stelle p^ mindestens die Ordnung m^ liat (/i = 1, 2, . . ., r), sonst aber
regulär ist, als ein Multipliim des Divisors^)
Es ist zweckmäßig zu verabreden, mit solchen Divisoren — Symbolen,
die aus einer Zusammenstellung von endlichvielen Punkten mit zugehö-
rigen Ordnungszahlen (Exponenten) bestehen — hinsichtlich Multipli-
kation und Division wie mit gewöhnlichen Brüchen zu rechnen. Die
Exponentensumme^w^ = m nennen wir die Gesamtordnuilg des Divi-
sors. Der eben ausgesprochene Satz läßt sich dann dahin verallgemeinern :
Ist die Gesamtordnung m eines Divisors b nicht Meiner als p, so
gibt es unter den eindeutigen Funktionen auf ^ Multipla von ^, und
zwar mindestens m -\- 1 — p (im komplexen Sinne) linear unabhängige.
Sind von den Exponenten w^ nämlich die ersten s positiv, die andern
negativ, so hängen diejenigen additiven Funktionen, welche über p^ höch-
stens einen Pol der w^*^" Ordnung haben (h = 1, 2, . . ., s) und sonst
regulär sind, homogenlinear von 2 ( 1 -f- ^w«/, ) reellen Konstanten ab.
Die Forderung, daß die sämtlichen Perioden der additiven Funktion ver-
schwinden sollen, bringt 2p lineare homogene reelle Gleichungen für
diese Konstanten mit sich, die Forderung, daß die Funktion an den
Stellen p, + i, ■ ■ ■, pr ^^w- i^ *^^6^ Ordnung — ^,4.1, • • -, — m^ verschwin-
den soll, weitere 2 ^(— wj solche Gleichungen. Der Überschuß der
Zahl der Unbekannten über die Zahl der Gleichungen
(■
m. \-2p — 2 ^(— mj = 2(m -\- 1 - p)
h = s + l
gibt eine untere Grenze für die Anzahl der (im reellen Sinne) linear unab-
hängigen Lösungssysteme.
Die vollständigste Antwort auf diese Fragen liefert jedoch erst der Rie-
mann-Rochsche Satz-). Wir nehmen als übersichtlichstes Beispiel wieder
1) Diese Sprechweise entstammt der arithmetischen Theorie der algebra-
ischen Funktionen von Hensel und Landsberg; vgl. Hensel und Landsberg,
Theorie der algebraischen Funktionen einer Variablen, Leipzig (Teubner) 1902.
2) Kiemann betrachtet nur den sog. „allgemeinen" Fall {B = p in der Be-
zeichnung des Textes); das für jeden ganzen Divisor b ausnahmslos gültige Re-
sultat rührt her von G. Roch, Grelles Journal, Bd. 64 (1865), S. 372—376; ge-
brochene Divisoren sind von Klein (Riemannsche Flächen I, autographierte V^or-
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 121
einen „ganzen", aus lauter einfachen Punkten zusammengesetzten Divisor
Die 2p linearen homogenen Gleichungen, welche das Verschwinden der
Perioden von (42) für die Rückkehrschnitte a^ verlangen, lauten gemäß
(no)§i6:
(43) iM'^f + .;s^;^) = o.
{}i= 1,2,... ,2p).
Ist der „Rang" dieses Gleichungssystems == 2Pi (d. h. ist 2Jt die Anzahl
der linear unabhängigen unter diesen 2p Gleichungen für die 2 m Unbe-
kannten a^, rt/), so gibt es genau
A=m+1-B
im komplexen Sinne linear unabhängige Funktionen auf f5, welche Mul-
tipla von j- sind. Das zu (43) gehörige „transponierte" Gleichungs-
system (in dem die Zeilen zu Kolonnen, die Kolonnen zu Zeilen geworden
sind) und dessen reelle Unbekannte wir mit h^ (Ji = 1, 2, . . ., 2p) be-
zeichnen, lautet:
5«(J^'^f ) = o,
2p
2j "^ ~dp,
[1= 1, 2,..., m]
Sein Rang ist der gleiche: 27t, und die Anzahl seiner linear unabhängigen
Lösungssysteme {&^} demnach 2p — 2B. Das heißt aber: die Anzahl B
der (im komplexen Sinne) linear unabhängigen Differentiale 1. Gattung^
welche an den Stellen ^^{1 = 1,2, . . ., m) verschwinden, ist
B=p — B.
Die damit erwiesene Belation
A = B-\-{m + \ -p)
bildet den Lilialt des Biemann-Bochschen Satzes. Durch ihn wird die
Aufgabe, die Anzahl Ä zu bestimmen, zwar nicht eigentlich gelöst, aber
doch auf eine wesentlich einfachere zurückgeführt. Denn die lineare
Schar von Differentialen 1. Gattung, auf die sich die Anzahl B bezieht,
ist offenbar ein bei weitem nicht so kompliziertes System wie das der
lesung, Göttingen 1892, S. 110—111), E. Ritter (Math. Ann. Bd. 44, 1894, S. 314),
Hensel u. Landsberg (a. a. 0., vgl. namentlich S. 362 — 364) in Betracht gezogen
worden.
122 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Funktionen auf der Fläclie. Außerdem werden wir sog-leich sehen, daß
immer, wenn m > 2^? — 2, B = 0 zu setzen ist, da die Gesamtordnung
der Nullstellen eines Differentials 1. Gattung- 2^ — 2 nicht übersteigen
kann. Und schließlich ist die Reziprozität, welche nach dem Riemann-
Rochschen Satz zwischen den Funktionen und den Differentialen besteht,
an sich eine merkwürdige und interessante Tatsache. Jedenfalls ist dieser
Satz einer der wichtigsten Ausgangspunkte für ein tieferes Eindringen
in die Natur der Funktionen auf einer geschlossenen Riemannschen
Fläche.
Enthält der Divisor b einen Nenner (negative Exponenten) und
kommen in ihm mehrfache Punkte vor (Exponenten > 1 oder < — 1),
so hat man, indem im übrigen das Beweisverfahren dasselbe bleibt,
noch die Gleichungen (II) und ev. (IIq), (II") des vorigen Paragraphen
heranzuziehen.^) Das Ergebnis ist analog. Wir können es so aussprechen:
(Riemann-Rochscher Satz.) Zwischen der Anzahl B der (im
komplexen Sinne) linear unabhängigen Differentiale, tvelche Multipla des
heliebigen Divisors b von der Gesamtordnung m sind, und der Anzahl
A der linear unabhängigen, auf % eindeutigen Funktionen, welche Mul-
tipla des rezijjroken Divisors ^ sind, besteht die Beziehung
^ = 5 + (m + 1 ~ p).
Wir haben g-esehen: ein Multiplum von -, — existiert unter den
eindeutigen, nicht-konstanten Funktionen auf % immer dann, wenn
m>2? ist. Wir setzen hinzu: Falls ni ^p, ist ein solches Multiplum
im allgemeinen, nämlich außer für besondere Lagen der m Punkte p^,
nicht vorhanden. Dadurch wird die funktionentheoretische Bedeutung
der Geschlechtszahl p von neuem in ein helles Licht gerückt. Ein nicht-
konstantes Multiplum von existiert unter den Funktionen auf
^ P1P2 --Pp
^ gemäß dem Riemann-Rochschen Satz dann und nur dann, wenn ein
Differential 1. Gattung dw vorhanden ist, das an den Stellen pj, p2> • • •? Pp
(aber nicht identisch) verschwindet. Bedeutet
dtv^, dwl, . . ., dw*p
eine komplexe Basis für die Differentiale 1. Gattung, so müssen sich also
1) Vgl. die angeführten Stellen bei Klein und Heusel-Landsberg. E. Ritter
schließt a. a. 0. so : Ist /o = ^ eine Funktion, welche ein Multiplum von ist
(f ganz), so erhalte ich alle solchen Funktionen /' aus: f=fo • /", f Multiplum
von r , , und komme dadurch auf den Fall eines ganzen Divisors Ö' zurück. Hier
fehlt aber der Nachweis, daß [wenn B -[- ('« -f 1 — 2^) > 0 ist] überhaupt ein f„
existiert.
17. Additive und multiplikative Funktionen.
123
nicht sämtlich verschwindende komplexe Zahlen c*, et, ..., Cp so ermitteln
lassen, daß
c^dwl + cldv;l -{ 1- c*pdw*p
in jenen p Punkten Nullstellen besitzt. Wir wählen irgend p vonein-
ander verschiedene Punkte )(>\, p", ..., pp, zugehörige Ortsuniformisie-
rende z,^ und zu jedem p^ derart einen ^^ -Kreis K^:
< a„ (h = 1,
2, • • , p), daß diese Kreise gegenseitig nicht ineinander eindringen.
Würde bei jeder Lage der Punkte p^ innerhalb K^ eine Differential
1. Gattung existieren, das an den Stellen p^ simultan verschwindet, so
müßte identisch in z^, z^, . . ., z^ (1 ^/, , ^ »J
dz^
dz^
= 0
dic\lZp)
div*p{zp)
dZr,
sein. Das steht aber im Widerstreit zu der linearen Unabhängigkeit der
Differentiale dtvl. Denn denken wir uns 5^ in A = 0 variabel, aber
^2, ..., Zp einen Moment lang festgehalten, so haben wir eine homogene
lineare Beziehung zwischen den Differentialen dwl{z^) vor uns, die iden-
tisch in z^ erfüllt ist; es müssen also die Koeffizienten dieser Beziehung,
d. h. die aus den p — 1 letzten Zeilen von A gebildeten Unterdetermi-
nanten sämtlich einzeln verschwinden, und zwar identisch in z^, ..., z^.
Wiederholen wir diesen Schluß, indem wir ihn jetzt, statt auf A, auf
eine jede der erwähnten (p — 1) -reihigen Unterdeterminanten anwenden,
und fahren so Schritt für Schritt fort, so versteigen wir uns schließlich
bis zu der unsinnigen Behauptung, daß die Elemente der letzten Zeile,
d. h. die Differentiale dw^ selber identisch = 0 sind.
Zu jedem Punkte p erhalten wir durch die Formel
dtp — idr'p = dwp
ein Differential 1. Gattung.^) Dies ist eine sehr naheliegende Methode
zur Erzeugung solcher Differentiale aus denen der 2. Gattung; es fragt
sich nur, ob sie umfassend genug ist, um eine volle Basis für die Diffe-
rentiale 1. Gattung zu liefern. Diese Frage können wir jetzt bejahend
beantworten. Wähle ich nämlich JJ Punkte p^, p^, ..., p^ so, daß keine
eindeutige Funktion 4= const. auf ^ existiert, die ein Multiplum von
ist, so bilden die zugehörigen dtVp^, dwp„,
Pip2
dtVp eine kom-
1) Veränderte Wahl der Ortsuniformisierenden zu p bewirkt nur eine Multi-
plikation desselben mit einem konstanten Faktor, so daß wir es als wesentlich
durch p allein bestimmt ansehen können.
124 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
plexe Basis der Differentiale 1. Gattung-. Bestände nämlich eine Relation
C.dWf^ + C„dwp^ +■■■+ C/lu-p^ = 0,
so wäre für jeden geschlossenen Weg a auf ^:
= 0.
nur den Imaginärteil bei
= 0,
,{fdrp,-ijdr'p,
Behalten wir
von dieser Gleichung etwa
p
h — 1 (
Jdr,, + c,'fdrp
X a
so
zeigt sich,
daß
p
A = l
^v, + Ch'^'p>)
eine eindeutige Funktion auf der Fläche sein müßte.
Zur Gewinnung von Funktionen auf der Fläche stehen uns zwei
Wege offen: entweder additive Funktionen mit solchen Konstanten linear
zu kombinieren, daß die Perioden zum Verschwinden gebracht werden,
— oder zwei Differentiale durcheinander zu dividieren.^) Indem man
beide Möglichkeiten kombiniert, kann man zu wichtigen Sätzen gelangen.
Yorab bemerken wir: da der Quotient zweier Differentiale eine Funktion
auf ^1 ist, wird
1) jedes Differential durch den repräsentierenden Divisor, in dessen
Zähler die Nullstellen des Differentials in ihrer Multiplizität verzeichnet
stehen und dessen Neimer die Pole enthält, bis auf einen konstanten
Faktor eindeutig bestimmt — und
2) ist die Gesamtordnung d dieses repräsentierenden Divisors für alle
Differentiale die gleiche; d ist die Anzahl der Nullstellen eines jeden
Differentials 1. Gattung und also für ^ > 0 gewiß ^ 0. Wir werden be-
weisen, daß diese -wächtige Invariante einer jeden Riemannschen
Fläche aUein von der Geschlechfsmhl p abhängt, und zwar nach der ein-
fachen Gleichung:
d=2p-2.
Es seien b, t zwei Divisoren von der Gesamtordnung m bzw. n, deren
Produkt öc Repräsentant eines Differentials dv auf ^ ist: m + n = d.
Es gebe genau 31 linear unabhängige Differentiale, welche Multipla von
1) Diese letzte Methode ist auch auf offene Riemannsche Flächen anwend-
bar und liefert hier sofort den Existenznachweis für Funktionen auf der Fläche,
die sich nicht auf bloße Konstante reduzieren. Vgl. auch Koebe, Grelles Journal
Bd. 139, 1911, S. 291f.
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 125
t, und N solche Differentiale, welche Multip la von C sind. Wir fassen
unter den eindeutigen Funktionen auf % alle Multipla f von ^ ins Auge.
Erzeugen wir sie durch Zusammensetzung von additiven Funktionen, so
liefert der Riemann-Rochsche Satz das Resultat, daß die Anzahl der linear
unabhängigen f
= m -{- l —2) + M
ist. Für jedes f ist das Differential fdv ein Multiplum von t; d. h. auf
eine zweite Art erhalten wir die sämtlichen Funktionen f dadurch, daß
wir alle Differentiale, welche Multipla von t sind, durch dv dividieren.
Achten wir nur auf die Anzahlen, so liefert das die Relation
iV = ?M + 1 — p -f M.
Analog
M=n + 1 —p + N.
Addition dieser beiden Gleichungen ergibt
^ = 2i) — 2,
Subtraktion den Brill-Noetherschen Beziprozitätssatz:'^)
■:M-N=2in-m).
Doch genug mit diesen Betrachtungen, die sich alle wie von selber
an die „Partialbruchzerlegung" (40) anknüpfen! Wir wenden uns zur
„Produktdarstellung" (41). Um den zu S gehörigen Multiplikator ^s von
zu berechnen, legen wir eine geschlossene Kurve a auf ^, die nicht durch
die p^, q^ hindurchgeht und auf ^ von einem Punkte p zum Punkte pS
hinführt, und ziehen Integratiouswege p^q^, die a nicht treffen. Dann
ist nach (IIIq), § 16:
Es liegt nahe, als Integral Charaktere eines beKebigen Divisors
die Größen
einzuführen. Dann lautet die Gleichung (44) in Worten -):
Die Multiplikatoren einer FunJdion 0 stimmen üherein mit den Inte-
gralcharakteren des repräseyitierenden Divisors.
1) A. Brill und M. Nöther, Mathematische Annalen Bd. 7 (1874), S. 283.
2) Vgl. Appell, Acta Mathematica Bd. 13 (1890), S. 13—14 der Preisschrift.
126 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Insbesondere (/x^ = 1):
Vorgegebene PunJde p^, q^{h = 1,2, ■••, r) sind dann und nur dann
die sämtlichen NallsfeUen hzw. Pole einer auf '^ eindeutigen Funktion,
wenn das Produkt der Integralcharaktere der Nullstellen gleich ist dem
Produkt der Integralcharaktere der Pole:
n^s(pj-n^sK)-
Gehen wir auf die Bedeutung der Integralcharaktere zurück und
benutzen eine bestimmte kanonische Zerschneidung a^ samt einer zuge-
hörigen reellen Basis dtv^ = du\ der Integrale 1. Gattung, so können
Avir diese Forderung durch die folgenden 2p Gleichungen ersetzen:
T X>i r q,
y", 9^ / div,^ — ^ 9t / dH\ = n^ (n^ = ganze Zahl)
'=1 Po i = l Po
[h = l,2,-.-,2p].
Die Integrationswege pQp^, q^q^ sind dabei zunächst beliebig. Verlagern
wir aber einen dieser Integrationswege, etwa poPi? nachträglich so, daß
seine alte und seine neue Lage zusammen eine geschlossene Linie bilden,
welche homolog
(n,cc, - n^a^) + • • • + {n^^^^a,^ - n,j^a,p_^)
ist, so werden dadurch die ganzen Zahlen «^ auf der rechten Seite der
letzten Gleichung zu 0 gemacht. Es ergibt sich dann:
(Äbelsches Theorem.)^) Die Punkte p^, q^, [h = 1, 2, •■-, r] sind
dann und mir dann die sämtlichen Nullstellen hzw. Pole einer Funk-
tion auf ^, wenn — hei geeigneter, von w unabhängiger Wahl der nach
1) Der Name, wie icti ihn hier gebrauche, ist nicht ganz zutreffend. Von
Abel rührt nur der Satz her, daß die ausgesprochene Bedingung notwendig ist;
anderseits aber ist der von Abel aufgestellte Satz [in großartiger Einfachheit von
ihm entwickelt in der kurzen Xote „Demonstration d'une propriete generale d'une
certaine classe de fonctionstranscendentes". Grelles Journal Bd. 4 (1829), S. 200—201
= (Euvres completes, Nouvelle edition (1881, Bd. I, S. 515—517] allgemeiner, sofern
er nicht nur die Integrale 1. Gattung betrifft. Vgl. S. 136 dieser Schrift. Eine von
Abel im Jahre 1826 der Pariser Akademie eingereichte Arbeit „Memoire sur une
propriete generale d"une classe tres-etendue de fonctions trauseendentes" über
diesen Gegenstand ist durch die Schuld Cauchys lange verloren gewesen und
erst nach Abels Tod veröffentlicht worden: Memoires presentes par divers sa-
vants, Bd. VII (1841) = Abel, (Euvres completes, Kouvelle edition (1881) Bd. I,
S. 145 — 241. Ferner ist das Theorem enthalten in Abels nachgelassenem Manu-
skript „Sur la comparaison des fonctions trauseendentes'', (Euvres completes,
Bd. II, S. 55—66. Die Umkehrung des Abelschen Theorems für die Integrale
1. Gattung steht bei Riemann zwischen den Zeilen, wurde explizit aber erst darch
Clebsch (ohne völlig zureichenden Beweis) ausgesprochen (Grelles Journal Bd. 63,
1864, S. 198), und von ihm in der Theorie der algebraischen Kurven aufs aus-
giebigste verwertet.
§ 17. Additive und multiplikatiTe Funktionen. 127
pf^, C{^ hinführenden Integrationswege — für jedes Integral 1. Gattung w
die Beziehung
statthat.
Sind dv^, dv^ irgend zwei bis auf Pole reguläre Differentiale auf
(5, Öj, i>2 die sie repräsentierenden Divisoren, so ist, da -r-^ = ~ eine
Funktion auf ^ ist, nach dem Abelsehen Theorem
|)-W=1 Ode. ,,,X) = ,,(!.,).
Wir haben also dieses Korollar des Abelschen Theorems:
Für alle Differentiale auf ^^ Iziv. deren repräsentierende Divisoren
Jiahen die IntegralcharaMere die gleichen Werte x^- Ein Divisor b von der
Gesamtordming 2p — 2 ist dann und nur dann Repräsentant eines Diffe-
rentials, wenn das System seiner Integralcliaraktere mit dem Charahteren-
system ;^° übereinstimmt.
Wir machen von dem Abelschen Theorem sogleich eine Anwendung
auf den Fall p = 1. Hier existiert bis auf einen konstanten Faktor nur
ein einziges Differential 1. Gattung dw. Die den verschiedenen Inte-
grationswegen entsprechenden Werte, welche w(p) an einer Stelle p an-
zunehmen vermag, bilden in der komplexen w- Ebene ein parallelo-
grammatisches Punktgitter. Alle Gitter, welche so den einzelnen Punkten
p von ^ zugeordnet erscheinen, gehen auseinander durch Parallel-
verschiebung hervor, oder haben, wie wir sagen wollen, dieselbe „Lage
und Gestalt" A. Dadurch, daß wir jedes Gitter von dieser Lage und
Gestalt als einen „Punkt" auffassen, verwandelt sich die «t-Ebene in eine
geschlossene Riemannsche Fläche ^y\ (vgl. S. 28). Würde zwei ver-
schiedenen Punkten p, q von ^ jemals das gleiche Gitter entsprechen,
so gäbe es nach dem Abelschen Theorem eine Funktion auf ^, die nur
in p einen Pol 1. Ordnung besäße (und in q Null würde); diese Funktion
müßte die Fläche umkehrbar eindeutig und konform auf die Kugel ab-
bilden, was mit ^j = 1 unverträglich ist. Verschiedenen Punkten p ent-
sprechen also immer verschiedene Gitter w == w(p). Deshalb kann div
nirgends 0 sein, -svie auch aus unserer allgemeinen Formel cZ == 2^ — 2
für p = 1 folgt. ^ ist somit umkehrbar eindeutig und umkehrbar gebiets-
stetig (außerdem konform) abgebildet auf ein Gebiet ® der Mannigfaltig-
keit ^^. Da ^ geschlossen ist, muß auch & geschlossen und folglich
mit ganz fjy^ identisch sein: f^y^ ist der gegebenen Riemannschen FläcJie
konform- äquivalent und kann als Normalform der Riemannschen Flächen
vom Geschlechte 1 angesprochen werden. Die t^'-Ebene ist für %/^ „Über-
128 Funktionen auf Riemannschen Flächen,
lagerung-sfläche der Integralfunktionen" (denn w ist selber eine Integral-
funktion), zugleich aber, da die Ebene einfach zusammenhängend ist, die
„universelle" Überlagerungsfläche, tv ist für die Funktionen auf der
Grundfläche ^ eine uniformisierende Variable, d. h. alle diese Funktionen
stellen sich dar als eindeutige Funktionen der in der schlichten Ebene
variierenden komplexen Veränderlichen u; und zwar geschieht die Dar-
stellung hier — dem Umstände entsprechend, daß zu allen Punkten tv
eines A-Gitters vermöge w = w{p) derselbe Punkt p gehört — , durch
doppeltperiodische, sog. elliptische Fmiktionen. Zwei Kiemannsche Flächen
vom Geschlechte 1 sind in ihrer Normalform ^i^-, ^y^" dann und nur
dann konform -äquivalent, wenn die Gitter von der Gestalt A' und A"
Euklidisch-ähnlich sind.
Das im Falle p = 1 durch die elliptischen Funktionen gelöste „TJm-
Jcehrproblem" besteht für eine Fläche ^ von beliebigem Geschlecht p in
folgendem: Ist wl[]i = 1, 2, •.., p] eine komplexe Basis der Differentiale
1. Gattung auf ^, so sollen zu beliebig vorgegebenen Zahlen /j, ..., /^^
Punkte pj, . .., p auf ^ so gefunden werden, daß (bei geeigneter Wahl
der Integrationswege)
p
(45) 2<(^')-'^ [h^l,2,...,p]
1 = 1
wird. Dieses Umkehrproblem ist im Anschluß an das Abelsche Theorem
von Jacobi aufgestellt worden und fand nach wichtigen Vorarbeiten von
Göpel und Rosenhain allgemein durch Riemann und Weierstraß mit Hilfe
der ^-Funktionen, gewissen ganzen transzendenten Funktionen der p
Argumente J^^, seine Erledigung.-^) Das Problem kann offenbar auch so
formuliert werden: Zu einem vorgegebenen Charakterensystem x^. sollen
Punkte pp p2> ■ • •■> Pp bestimmt werden, für die
(46) XsiPi)-X,(P-^---Xs%)-X.s
wird; und es ist dann nach dem Abelschen Theorem der Aufgabe äqui-
valent, eine Funktion
Q _ MV -j Pp
^~ pr
1) Riemann, Theorie der Abelschen Funktionen, Grelles Journal, Bd. 54
(1857) = Werke, 2. Aufl., S. 88—142; Über das Verschwinden der Theta-Funk-
tionen. Grelles Journal, Bd. 65 (1865) = Werke, S. 212—224. Weierstraß. Vor-
lesungen über die Theorie der Abelschen Transzendenten, Werke, Bd. 4. Stahl,
Theorie der Abelschen Funktionen, Leipzig 1896. Prym und Rost, Theorie der
Prymschen Funktionen erster Ordnung, Leipzig 1911, 2. Teil, 7. Abschnitt. Erazer,
Lehrbuch der Thetafuuktionen, Leipzig 1903. — Die große Bedeutung des Um-
kehrproblems liegt für uns Heutige nicht nur (und wohl nicht einmal überwiegend)
in seinem Wert an sich als in den großartigen Gedankenreihen, zu deren Schöpfung
Riemann und Weierstraß durch die Bemühungen um seine Lösung getrieben wurden.
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 129
mit vorgegebenen Multiplikatoren x^ zu finden, die nur an der Stelle p^
einen Pol von höchstens j?*^' Ordnung besitzt. Es ordnet sich dadurch
naturgemäß der folgenden allgemeinen Fragestellung unter:
Die FunUionen 0 mit vorgegebenem ^lultipWkatorsijstem Xs bilden
eine lineare Schar G , d. h. man verläßt den Bereicli dieser FunMionen
nicht, nenn man beliebige von ihnen linear mit konstanten Koeffizienten
kombiniert. Ist ti irgend ein Divisor von der Gesamtordnung m, so wird
gefragt nach sämtlichen Funktionen aus G , ivelche Multipla von ^ sind,
und insbesondere nach der Anzahl A der linear unabhängigen unter ihnen.
Es ist das für das allgemeine Charakterensystem i^ die gleiche Frage,
welche wir auf S. 120 — 122 für den „Hauptcharakter" ;^^. = 1 behandelt
haben. Die dort gewonnenen Resultate lassen sich vollständig über-
tragen; zunächst die Ungleichung
A^m -\- 1 — p,
in der insbesondere (b = p^, m = p) die Lösbarkeit des Umkehrproblems
ausgesprochen liegt. Ist nämlich Qq = Öq irgend eine Funktion aus G —
daß solche existieren, ist ein Hilfssatz, dessen Beweis ^vir sogleich nach-
holen werden — , so entstehen die in G liegenden Multipla von j- da-
durch, daß man alle unter den eindeutigen Funktionen auf ^ existieren-
den Multipla von -— mit 0^ multipliziert. Die Anzahl der linear un-
abhängigen unter den letzteren aber ist, da t bß wie b die Gesamtordnung
tn besitzt (s. S. 120), ^ wi + 1 — p.
Aber auch die Formel des vollständigen Riemann-Rochschen Satzes
läßt sich sofort übertragen. Dazu müssen wir neben den multiplikativen
Funktionen die von Herrn Prym^j in die Theorie eingeführten multipli-
kativen Differentiale mit heranziehen. Ein solches multiplikatives oder
Prymsehes Differential dl ist auf § eindeutig, analytisch, frei von
wesentlichen Singularitäten und verhält sich den Decktransformationen
S von ^ gegenüber gemäß der Gleichung
wo die Xs konstante Multiplikatoren vom absoluten Betrage 1 sind.
Jedes Prymsche Differential kann durch einen Divisor t repräsentiert
werden, in dessen Zähler diejenigen Punkte mit der richtigen Multipli-
1) Grelles Journal Bd. 70 (1869;, S. 354—262; Bd. 71 (1870,, S. 223—236
und S. 305—315. Vgl. die auf S. 118 zitierten Arbeiten von Appell, ferner: Prym
u. Rost, Theorie der Prymschen Funktionen erster Ordnung, Leipzig 1911;
E,. König, Berichte der kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (mathe-
matisch-physikalische Klasse), Bd. 63 (l'Jll), S. 348—368.
Weyl: Die Idee der Kiemannschen Fläche. 9
230 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
zität verzeichnet stehen, über denen die Nullstellen von dl liegen und
dessen Nenner die Pole von ^T enthält. Aus dem Umstände, daß der
Quotient aus einem Prymschen und einem beliebigen Abelschen (d. i. auf
% eindeutigen) Differential eine Funktion 0 von den gleichen Multipli-
katoren \ne das Prymsche Differential ist, folgt, daß durch den repräsen-
tierenden Divisor t — der beliebig vorgegeben werden kann, wenn nur
seine Gesamtordnung 2p — 2 beträgt, — ein Prymsches Differential dT
eindeutig bis auf einen konstanten Faktor bestimmt vnrd] die Multipli-
katoren von dl sind == Xsi^) - xl- Verstehen wir nun unter B die Anzahl
der linear unabhängigen Prymschen Differentiale mit den Multiplikatoren
r ~\ welche Multipla von b sind, so gilt der verallgemeinerte Riemann-
BochscJie Satz ^) ;
Ä = B -{- (m-\- 1 -p).
Denn B ist identisch mit der Anzahl der unter den Abelschen Differentialen
befindlichen linear unabhängigen Multipla von b bp (aus denen die in Rede
stehenden Prymschen Differentiale mittels Division durch ©^ hervorgehen).
Schreiben wir % ~^ statt x^, so besteht diese Relation also zwischen
der Anzahl B derjenigen linear unabhängigen Differentiale,
welche Multipla von Ö sind und das Multiplikatorsystem %g be-
sitzen, einerseits,
der Anzahl A derjenigen linear unabhängigen Funktionen,
welche Multipla des reziproken Divisors -^ sind und das rezi-
proke Multiplikatorsystem — besitzen, anderseits.
Um wenigstens einen konkreten Sonderfall dieses Satzes anzugeben,
nehmen wir für b den keinen einzigen Puukt mit einem von 0 verschie-
denen Exponenten enthaltenden Divisor „1"; dann ist, da es außer der
Konstanten keine Funktion 0 ohne Pole gibt, A = 0 zxx setzen, und nur
im Falle des Hauptcharakters A = 1. Mithin: die Prymschen Differen-
tiale 1. Gattung mit vorgegebenen Multiplikatoren bilden eine lineare
Schar vom Grade p — 1 (nur im Falle des Hauptcharakters vom Grade j?).
Wir hatten uns bei diesen Überlegungen zu stützen auf den
Hilfssatz: Ist x^ ein vorgegebenes Charakterensystem, so existieren
stets Funktionen 0, deren Multiplikatoren = Xs sind.
1) Zuerst formuliert von E. Ritter, Math. Ann. Bd. 44, S. 314. Vgl. jedoch
die Fußnote auf S. 122. Ritter verwendet statt der Divisorensymbolik die von
Klein begründete Formentheorie auf Riemannschen Flächen, welche eine reale Dar-
stellung der Divisoren mit Hilfe mnltiplikativer Formen ermöglicht, und verallge-
meinert in Math. Ann. Bd. 47 (1896), S. 157—221, von den durch Riemann in die
Theorie der linearen Differentialgleichungen eingeführten Grundsätzen geleitet,
seine Untersuchungen auf Systeme von n Formen, die sich bei Ausübung einer
Decktransformation S homogen-linear transformieren.
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 131
Nach dem Abelschen Theorem kommt die Auffindung einer solchen
Funktion
ß _ tii Qa • • • q«
' ~ c\M • ■ • q»
darauf hinaus, Punkte C{i, (\^[l = 1,2, . . ., n] so zu finden, daß
n
(47) ^ { w*M - <(qf) } = vorgegebenen Werten J'^ [h = 1, 2, . . ., p]
1 = 1
■vNdrd. C|j, . . . q" seien p voneinander verschiedene Punkte, welche so ge-
legen sind, daß kein Differential 1. Gattung an diesen p Stellen gleich-
zeitig verschwindet (S. 123), i-^ zugehörige Ortsuniformisierende, K; solche
-2,- Kreise um qf, welche sich gegenseitig nirgendwo überdecken. Die
Gleichungen
(48; 2fdw: = f, [h=l,2,...,p]
für die Unbekannten q, haben, wenn die vorgegebenen Werte J^j^ hin-
reichend klein sind, eine und nur eine Lösung, bei welcher q, (samt dem
Integrafcionswege qj'qj innerhalb K^ zu liegen kommt, da die Funktional-
determinante
1^1 +0-
Sind aber J^j^ beliebige Werte, so wähle man zunächst eine ganze positive
Zahl N so groß, daß eine solche Auflösung qj[Z = 1, 2, . . .,p] der Glei-
chungen (48) möglich ist, wenn man rechts /^ durch ^ ersetzt. Dann
liegt auch eine Lösung der (unveränderten) Gleichungen (47) vor, bei der
n = Np ist und in der Reihe qi q2 • • • q„ jeder der Punkte qi . . . q^, in der
Reihe qj q" . . . q^^ jeder der Punkte q^ . . . q^ im ganzen iV-mal auftritt.
Bas ümkehrproblem (46) ist stets lösbar, wie wir oben sahen; es
besitzt aber im allgemeinen auch nur eine Lösung. Die Lösung ist nach
dem verallgemeinerten Riemann-Rochschen Satz nämlich nur dann mehr
deutig (unendlich-vieldeutig), wenn ein Prymsches Differential
^T = Po''-(qiq2---qp-2) = t
mit den Multiplikatoren Xs~^ existiert, das an der Stelle po"^o^ mindestens
p^" Ordnung verschwindet; dann aber ist
Innerhalb der 2p-dimensionalen Mannigfaltigkeit aller möglichen Cha-
rakterensysteme bilden diejenigen, welche man aus dieser Formel erhält,
wenn q^, . , ., q 2 unabhängig voneinander die Fläche ^ durchlaufen.
132 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
eine nur (2p — 4)-diraensionale Mannigfaltigkeit X, die für das Umkehr-
problem die Rolle eines singulären Gebildes übernimmt.^)
Ist Xs ^^^ beliebiges vom Hauptcharakter verschiedenes Charakteren-
system, so kann man die Punkte q^, Qg, . . ., qp_2 so annehmen, daß (bis
auf einen konstanten Faktor) nur ein einziges Prymsches Differential
1. Gattung
^T = K ...qp_2)-(Pip2---Pp)
mit den Multiplikatoren Xs existiert, das in jenen Punkten verschwindet,
■ — gemäß dem Satz, daß die Prymschen Differentiale 1. Gattimg eine
{P ~ l)-dimensionale Schar bilden. Diese Wahl hat zur Folge, daß die
Gleichung
J7^,v(pj=z.s--(z?:/7^.,(^^-)
nur eine einsige Lösung p^pg • • • Pp besitzt, oder: daß das auf der linken
Seite dieser Gleichung stehende Charakterensystem nicht singulär ist.
Hingegen gehört der rechts in Klammern gesetzte Bruch zu X. Daß es
nur p — 1 Prymsche Differentiale 1. Gattung gibt, ist demnach, wenn
wir uns der Sprache des Umkehrproblems bedienen, dem Satze äquivalent:
Das singulare Gebilde X geht niemals dadurch, daß man alle zu
ihm gehörigen Charakterensysteme der Multiplikation mit einem, festen
Charalitcrensystem x^ unterwirft, in sich über (vom trivialen Falle Xs = ^
natürlich abgesehen).
Dies mag genügen, um den Zusammenhang des Umkehrproblems
mit der Theorie der multiplikativen Funktionen und Differentiale deut-
lich zu machen. Analytisch wird man die Auflösung des Jacobischen
Problems in der Weise angreifen, daß man eine willkürliche, auf f^ ein-
deutige, bis auf Pole reguläre Funktion /"(p) zu Hilfe nimmt und dann
statt der Punkte p^, pg? • • •> Pjo selbst die Werte der Funktion f an den
Stellen Pi, p2, • • • Pp aus (45) in ihrer Abhängigkeit von J^^, /g? • • •> «^ zu
ermitteln sucht. Da diese Größen /"(pi), /"(pa) • . • , /"(p^, ) aber nur bis auf
ihre Reihenfolge bestimmt sind, ersetzt man sie richtiger durch ihre
elementar-symmetrischen Funktionen, d. h. durch die Koeffizienten der-
jenigen Gleichung p^^'^ Grades
deren Wurzeln die Zahlen
sind. Diese Koeffizienten Ä^^, ausgedrückt in Z^, /g; . • -, -F , sind das,
was man nach Jacobis Vorschlag Abelsche Funktionen nennt. Außer
1) Im Falle ^ = 1 ist X überhaupt nicht vorhanden (S. 127), im Falle _p = 2
besteht es aus dem einzigen Charakterensystem %%.
§ 17. Additive und multiplikative Funktionen. 133
für singulare Wertsysteme (J^) = (f^, J^^, . . ., /^), die im gesamten 2]i-
dimensionalen J^-Raum nur ein Gebilde von {2p — 4) Dimensionen aus-
machen, sind die Abelschen Funktionen eindeutig und regidär-analy tisch.
Sie sind femer {2p) -fach periodisch. Ist nämlich a^\l = 1,2, .. ., 2p^
eine Basis der geschlossenen Wege auf % und
so bilden die Zahlen a\, a\, . . ., a^ für jeden Wert des Index l ein Peri-
odensystem der Abelschen Funktionen ^((J^)):
A{J^ + a^} = A{S-)] identisch m f^, f^, . . ., f^,
und diese 2p Periodensysteme sind in dem Sinne linear unabhängig, daß
die Determinante, deren Z*® Zeile =
ist, von 0 verschieden ausfällt. Führt man den Beweis, der hier für die
Lösbarkeit des Umkehrproblems angegeben wurde, explizit durch, so ge-
langt man zu dem Resultat, daß sich eine Abelsche Funktion Ail/1 in
jedem endlichen Stück des J^-Raumes
\F, <M, \J^,[<M,..., \J=j,\<M
als Quotient zweier Funktionen darstellen läßt, die in diesem endlichen
Stück durchaus regulär-analytisch sind.^) Die Unbestimmtheit für die
singulären Wertsysteme (/) kommt dadurch zustande, daß für diese
Zähler und Nenner der erwähnten Darstellung beide verschwinden. Die
von den Unbestimmtheitsstellen gebildete Punktmenge gestattet keine
Verschiebungen in sich außer denjenigen, welche die Periodizität der
Abelschen Funktionen als selbstverständlich mit sich bringt. — Darüber
hinaus ist von Riemann und Weierstraß durch eine viel eindringendere
Analyse gezeigt worden, daß die Abelschen Funktionen, auch ohne
Einschränkung auf ein endliches Gebiet, sich als Quotienten von ganzen
transzendenten Funktionen, eben der '^--Funktionen, darstellen lassen, und
sie haben für die ■9- -Funktion einen expliziten analytischen Ausdruck
in Form einer stark konvergenten unendlichen Reihe angegeben. Diese
■9--Funktion reicht auch aus, um die allgemeine Theorie der 22;-fach perio-
dischen Funktionen von p unabhängigen komplexen Argumenten zu be-
gründen, von der die Theorie der Abelschen Funktionen nur ein Sonder-
faU ist.2) —
Halten wir Rückschau auf die in diesem langen Paragraphen ge-
wonnenen Erkenntnisse, so können wir uns vor allem der Überzeugung
1) Vgl. Weierstraß, Werke Bd. 4, S. 451—456.
2) Vgl. das vierte Kapitel in Krazers Lehrbuch der Thetafunktionen (Leipzig
1903), woselbst sich auch die weitere Literatur angegeben findet.
134 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
von der hohen funUionentheoretisclien Bedeutung der Zahl p niclit ver-
schließen; dennoch ist und bleibt diese Zahl ihrer Wurzel und ihrem
Wesen nach eine Änalysis-situs-Größe. Die überall durchschimmernden
einfachen Grundlinien, von denen die in ihren Details verwickelte und
nicht ganz leicht zu übersehende Rechtsordnung- des funktionentheore-
tischen Staatswesens beherrscht wird, weisen eben alle -vvie auf eine un-
sichtbare, über der funktionentheoretischen Wirklichkeit schwebende „gött-
liche Gesetzgeberin" auf die Analysis situs zurück.
Was aber das eigentlich Funktionentheoretische angeht, so hatten
wir es mit zicei Gedmiken'kr eisen zu tun, die etwa durch die Schlagworte
additive Funktion, Partialbruchzerlegung, Riemann-Rochscher Satz —
multiplikative Fimktion, Produktdarstellung, Abelsches Theorem
nochmals einander gegenübergestellt werden mögen. Diese beiden Ge-
dankenkreise durchdringen sich in der Theorie der eindeutigen Funktionen
auf %, deren Aufbau sich von hier aus mittels der in § 16 gewonnenen
Reziprozitätsgesetze mühelos vollzieht. Die Bedeutung des so errichteten
Gebäudes wird aber erst ins rechte Licht gesetzt, wenn ^vir das System
der singularitätenfreien eindeutigen Funktionen auf einer geschlossenen
Riemannschen Fläche, wie es im nächsten Paragraphen geschehen soll,
noch von einem dritten Gesichtspunkte aus als algehraischen FiinJctiotien-
Jcörper kennen lernen; denn erst auf diesem Standpunkt erscheinen jene
Funktionen mit unsern sonstigen Interessen, den algehraischen und den
geometrischen — soweit diese sich auf die Theorie der algebraischen Kur-
ven in der Ebene und in höher dimensionierten Räumen beziehen —
aufs engste verknüpft.
§ 18. Der algebraische Funktionenkörper.
z sei auf der gegebenen geschlossenen Riemannschen Fläche ^ eine
Funktion, welche sich nicht auf eine Konstante reduziert, sondern jeden
Wert w-mal annimmt. Man kann ^ dadurch zu einer sich M-blättrig über
der ^-Kugel ausbreitenden Überlagerungsfläche machen, daß man von einem
Punkte p auf ^, in welchem 2 den Wert a besitzt, sagt, er liege über
dem Punkte z = a der ^-Kugel, Über denjenigen endlich vielen Werten a,
für welche die n Punkte p, in denen z den Wert a annimmt, nicht alle
voneinander verschieden sind, liegen allerdings weniger als n Punkte der
Überlagerungsfläche. Nimmt an einer Stelle p^ die Funktion z den end-
lichen Wert a r-mal an, so ist ^z — a eine Ortsuniformisierende zu p^,
der über a gelegene Punkt pp ist ein Verzweigungspunkt von der Ord-
nung r — 1. Ist U irgendeine Umgebimg von pg, so gibt es einen Kreis
\z — a\^s auf der ^-Kugel, so daß über jedem Punkt dieses Kreises
(außer über dem Mittelpunkt) genau r der Umgebung U angehörige
Punkte von % liegen, dz hat in po eine Xullstelle der {r — l)ten Ord-
§ 18. Der algebraische Funktionenkörper. lo5
nung-. Nimmt z an der Stelle p^, 5-mal den Wert oo an, so ist 1/ —
eine Ortsuniformisierende zu p^, und wir haben einen Yerzweigungspunkt
der (s — l)ten Ordnung-; dz besitzt in p^ einen Pol der Ordnung (s -j- !)•
Wir bezeichnen die Summe der Ordnungen aller Yerzweigungspunkte
auf der Fläche, ihre „Verzweigiingszahl", mit F. Es ist
Anzahl der yullstelhn — Anzahl der Pole von dz = ^(r — 1) — 2J{s + 1),
wo die erste Summe rechts sich auf alle Punkte der Fläche bezieht, außer
auf diejenigen, welche über z=oo liegen, während die zweite Summe ge-
rade diese Punkte betrifft. Die rechte Seite der Gleichung ist
= Z(r -1) + 2]{s -1) - 2 ■ Us ^ V - 2n,
die linke Seite = 2p — 2, wir finden mithin:
F=2(i?-f-«-l\
Diese Formel, welche zeigt, daß V stets gerade ist, und das Ge-
schlecht der Fläche aus Blätteranzahl und Yerzweigungszahl zu berech-
nen gestattet, kann auch rein analysis-situs-mäßig so bewiesen werden.
Man trianguliert die ^- Kugel in der Weise, daß z = oo und diejenigen
Punkte, über denen Verzweigungspunkte liegen, sämtlich als Eckpunkte
auftreten und auch immer nur über höchstens einem der drei Eckpunkte
eines Dreieckes ein Verzweigungspunkt liegt. Durch Überlegungen ähn-
licher Art wie in § 6 erkennt man, daß diese Triangulation sich auf die
Fläche '^, aufgefaßt als Überlagerungsfläche der ^^-Kugel, überträgt.
Über jedem Elementardreieck der triangulierten Kugel liegen n Dreiecke
von |5? über jeder Kante der Kugel n Kanten von %. Für die Gesamt-
zahl D und K der Dreiecke rmd Kanten von % haben wir deumach
D = nDo, K=nEQ,
wenn Dq, Kq, Eq die Anzahlen der Dreiecke, Kanten und Ecken der
trianguHerten Kugel bedeuten. Liegen über einem Eckpunkt z = a der
Kugel h Punkte mit den Verzweigungsordnungen r^ — 1, • • •, r^ — 1, so
gibt das
Eckpunkte auf %. Die Gesamtzahl der Eckpunkte auf % beträgt mithin
JE = uEq— V. Da die Kugel einfach zusammenhängend ist, gilt nach
der Eulerschen Polyederformel:
E,-{-D,-K,= 2.
Daher ist
K ~ E - D = n{K,- E,- D,) -h F= F-2w,
und da
K-E-D + 2 = 2p
wird (§ 12), wie oben:
136 Funktionen auf ßiemannschen Flächen.
r=2(p-\-n — l).
BQeraus kann nun (umgekehrt, wie es im vorigen Absatz geschah), ge-
schlossen werden, daß die Gesamtordnung von ds (und damit eines jeden
Differentials auf der Fläche) = V—2n = 2p-2 ist.
Die Darstellung einer gegebenen Riemannschen Fläche ^ als Über-
lagerungsfläche über der s-Kugel kann auch dazu dienen, den einen Teil
des Ähelschen Theorems, welcher aussagt, daß die Bedingung
4=1 k=l
notwendig ist, damit
eine Funktion 2 auf der Fläche ist, sehr einfach zu beweisen. Sind näm-
lich allgemein Pi, P27 ' "? Pn ^® nach dieser Auffassung über dem Funkt
s der ^- Kugel gelegenen Punkte von ^, so ist, wenn dw ein beliebiges
Differential 1. Gattung auf ^ ist, durch
dW _ dwjp,) dwip^l 4- • • 4- ^^^^«^
dz dz dz dz
ein überall reguläres Differential d W auf der ^-Kugel gegeben, und ein
solches ist nicht vorhanden außer: d W identisch = 0. Ziehen wir auf
der ;?-Kugel irgendeine Kurve, z. B. einen Meridian, der vom Südpol
2 = 0 zum Nordpol s = oc führt, so bilden die darüberliegenden Punkte
von ^ (sich unter Umständen in Verzweigungspunkten treffende) Kurven
Ti} • • •? Tn} ^^^^ ^^ folgt durch Integration von dW=^ 0:
(49) jdw -i -f Cdw==^0.
Diese Gleichung ist mit der im Abelschen Theorem ausgesprochenen
notwendigen Bedingimg gleichbedeutend. Zu der Einsicht, daß diese
Bedingung hinreichend ist, gelangt man jedoch auf diesem Wege nicht;
wohl aber hindert uns nichts, mit Abel das Differential 1. Gattung dw
durch irgendein mit Polen versehenes, sonst aber reguläres Differential
auf der Fläche zu ersetzen und für ein solches eine ähnliche Relation wie
(49) abzuleiten. Wir gehen darauf jedoch nicht näher ein. —
0 sei wiederum eine Funktion auf der Fläche '^, welche jeden Wert
wmal annimmt. Ist dann f irgendeine Funldion auf der Fläche, so <je-
nügt f identisch einer Gleichung n ten Grades
(50) r + r,(,)r-'+ ■•■+ r^_,{z)f + r,„{z) = 0,
in der die r-(s) rationale Funldion von z sind. Das bedeutet: Ist p^ irgend-
ein Punkt auf ^, t eine zugehörige Ortsuniformisierende und sind z = z{t\
f = f(f) die nach ganzen Potenzen fortschreitenden Entwicklungen von
z und f in der Umgebung von p^, so geht die linke Seite von (50) iden-
§ 18. Der algebraische Funktionenkörper. 137
tiscli in 0 über, wenn man für z die Potenzreihe z{t), für f die Potenz-
reihe f{t) einsetzt. Um diese Gleichung- (50) zu beweisen, schließen wir
auf der 5-Kugel zunächst den Punkt ^ = oo aus und diejenig-en Punkte,
über denen Verzweigung-spunkte liegen oder Pole der Funktion f. Für
jeden anderen 5- Wert bilden wir die Zahl
^■l(^)=/"(Pl)+/'(p2) + ---+/'(Pj,
wo die Summe rechts sich auf die n über s gelegenen Punkte erstreckt.
Von der Reihenfolge ihrer Numerierung ist sie unabhängig. Da wir
diese Numerierung so einrichten können, daß in der Umgebung eines
nicht ausgeschlossenen Punktes
f iPi)} f(p2)} '"^ fi^n) Potenzreihen in s — Sq werden, ist t\(z) eine in
allen nicht ausgeschlossenen Punkten regulär-analytische Funktion. In
den ausgeschlossenen Punkten kann diese Funktion keine wesentlich
singulären Stellen, mithin nur Pole besitzen; daher ist sie eine rationale
Funktion von 0. Ebenso erkennt man, daß die übrigen elementarsym-
metrischen Funktionen von f(pj), ■ • •, f(pa) ^i^^ rational durch ^ aus-
drücken.
Liegen über 0^, die n verschiedenen Punkte Pi, • • • Pl, so können
wir die Funktion f so wählen, daß sie an diesen n Stellen voneinander
verschiedene Werte besitzt. Ist rfr^(/i' = 1, • • •, n) ein Differential, das
dz
nur an der Stelle p° einen Pol und dort den Hauptteil — ^ besitzt,
{z — zj
so kann man z. B.
setzen, indem man für C^, • • •, C„ irgend n verschiedene Konstante wählt.
Die Gleichung wten Grades für f ist daim irreduzibel; d. h. ihre linke
Seite, das Polynom nten Grades der Variablen u
FJu) = u^-^rMu---" -{-■-■ + r„(5)
läßt sich nicht in zwei Polynome F^p{u) • F^?\u), deren Koeffizienten
gleichfalls rationale Funktionen von z sind, zerspalten. Angenommen
nämlich, dies wäre möglich; f läßt sich in der Umgebung von p^ in eine
Potenzreihe nach der zu p\ gehörigen Ortsuniformisierenden 2 — s^ ent-
wickeln. Diese Potenzreihe möge, für w gesetzt, der Gleichung F^}-\u) = 0
Genüge leisten. Verbinden wir p\ mit irgendeinem der Punkte p^ durch eine
Kurve auf %, deren Spur auf der ^- Kugel durch keinen der ausge-
schlossenen Punkte hindurchgeht, so muß für alle Funktionselemente
{z,f) längs dieser Kurve die Gleichung i^^^)(M) = 0 bestehen bleiben.
Infolgedessen ist auch /"(p") eine Wurzel der Gleichung F^^^{u) = 0;
diese hat also n verschiedene Wurzeln und muß folglich vom Grade n
5^38 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
sein; F^^^u) kann demnacli in u nur vom Oten Grade sein; und eine
wirkliche Zerlegung von der vorausgesetzten Art kommt nicht zustande.
Zu jedem Punkte p von ^ gehört ein Funktion selemeut (2, f), das
der Gleichung F^(u} = 0 Genüge leistet. Für zwei verschiedene Punkte
sind diese beiden Funktionselemente stets verschieden, und die zu allen
Punkten p gehörigen Elemente erschöpfen die Gesamtheit derjenigen,
welche jene Gleichung befriedigen. Mit andern Worten: Die Gesamtheit
derjenigen FunJdionselemente, ivelche der irreduzihlen algebraischen Glei-
chung F^{u) = 0 genügen, macht ein einziges analytisches Gebilde im
Weierstraßschen Sinne aus. Dieses analytische Gebilde, als Riemannsche
Fläche aufgefaßt, ist der gegebenen Pdemannschen Fläche hon form -äqui-
valent; die gegebene Fläche ist die zu dem durch die Gleichung F^{u) = 0
definierten algebraischen Gebilde gehörige Riemannsche Fläche.^)
Jede bis auf Pole reguläre Funktion /'* auf der Fläche läßt sich
rational durch f ausdrücken mit Koeffizienten, die rationale Funktionen
von z sind:
/■* = B,{z) + PH{z)f+- . • + R,,_,{z)f^-\
und jede rational aus 2 und f gebildete Funktion ist auf der Fläche bis
auf Pole regulär. Wenn man z als unabhängige Variable auffaßt, f als
die durch die Gleichung F,(u) = 0 definierte algebraische Funktion von
0, so bilden diejenigen Funktionen, welche sich rational durch f aus-
drücken lassen mit in s rationalen Koeffizienten, einen algebraischen
Funktionenkörper. Unsere Behauptung läßt sich daher so aussprechen:
Faßt man die sämtlichen bis auf Pole regulären Funktionen auf einer
geschlossenen Riemannschen Fläche als Funhtionen einer beliebigen unter
ihnen (die nur keine bloße Konstante sein darf) auf, so bilden sie einen
algebraischen Funhtionenkörper.
Zum Beweise setzen wir {Lagrangesche Interpolationsformel)
p^, po, ■ . -, pn bedeuten wieder die n über dem Punkte z der ^-Kugel ge-
legenen Punkte von '^. Durch die gleiche Schlußweise wie oben findet
man, daß die Koeffizienten des Polynoms (n — 1)^^^ Grades G^(u) ratio-
nale Funktionen von 2 sind. Für alle Werte z, für welche f{pj), . . .,
fiPn) ^o^ einander verschieden sind, folgt
Man kann (etwa durch Anwendung des „Euklidischen Teilerverfahrens";
1) Die Verallgemeinerung dieses Satzes auf beliebige (ungeschlossene) Flä-
chen ist von P. Koebe, Comptes Rendus, 1. Juli l^Oy, bewiesen worden. Vgl.
E. Freundlich, Funktionen mit vorgeschriebenem unendlichblättrigen Existenz-
bereich, Göttinger Dissertation 1910.
§ 18. Der algebraische Funktionenkörper. 139
vgl. z. B. Weber, Algebra, 2. Aufl., Braunschweig 1899, Bd. 1, S. 41) zwei
Polynome HJu), L^(u) mit in z rationalen Koeffizienten so bestimmen, daß
HXit)F'^{u) + mu)FXu) = 1
ist. Die Gleichung
ist dann eine Identität auf der Fläche.
Legt man statt z irgend eine andere Funktion auf der Fläche, s, als
unabhängige Variable zugrunde, so kann man dazu noch auf unendlich
viele Weisen eine Funktion f auf der Fläche bestimmen, von solcher Art,
daß alle Funktionen sich rational durch z und f ausdrücken lassen.
Zwischen s und /^besteht eine irreduzible algebraische Gleichung J^t (/^) = 0.
£ und f sind rationale Funktionen der durch die Gleichung F^(f) = 0
verknüpften Variablen z, f\ und umgekehrt sind z und f rationale Funk-
tionen der durch die Gleichung F^{t) = 0 verknüpften Variablen ^, f.
Durch die „biratiouale Transformation" {z, f) ^ — r {ß, f) gehen die
Gleichungen
Fau) = 0 und Ft(:ü) = 0
ineinander über. Der Grad dieser Gleichung ist natürlich keineswegs
eine Invariante gegenüber birationaler Transformation, wohl aber das
Geschlecht p.
Gibt es auf ^ eine Funktion z, die jeden Wert nur einmal annimmt,
so ist der zugehörige algebraische Körper der Körper der rationalen Funk-
tionen von z (und p = 0). Gibt es auf ^y zwar keine Funktion, die jeden
Wert nur einmal annimmt, wohl aber eine solche, z, die jeden Wert genau
zweimal annimmt, so können "svir die den zugehörigen Körper bestim-
mende algebraische Gleichung (die quadratisch sein mußj von der Form
voraussetzen:
u' = (^ - e^){z - e,) . . . {z - ej),
wo die e- alle untereinander verschieden sind. Diese l Punkte und, wenn
l ungerade ist, auch noch der Punkt oo sind Verzweigungspunkte 1. Ord-
nung, und das Geschlecht p ist demnach = -- — 1, wenn l gerade,
= —:->-, wenn l ungerade ist. Wir sehen : l = 1 oder = 2 führt noch
wieder auf den rationalen Körper p = (j- 1 = 3 oder = 4 hat ^9 = 1 zur
Folge, das ist der elliptische Fall; wenn / > 4 ist, bekommen wir die
sog. hyperelliptisclien Funktionenkörper. — In einem beliebigen al-
gebraischen Funktionenkörper vom Geschlechte p = 1 gibt es stets eine
Funktion mit zwei vorgeschriebenen Polen, also eine Funktion, die jeden
Wert nur zweimal annimmt; in jedem Funktionenkörper vom Geschlechte 2
erhalten wir eine Funktion der gleichen Art, indem wir zwei linear unab-
]^40 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
liängige Abelsche Differentiale 1. Gattung durcheinander dividieren. Erst
von ;; = 3 ab ist der liyperelliptisclie Fall nicht mehr der allgemeine.^)
Wenn man nicht, wie es hier geschehen ist, von der Riemannschen
Fläche ausgeht, sondern von einer bestimmten algebraischen Gleichung
F,{u) = 0 (wie es in der Weierstraßschen und anderen Theorien ge-
schieht), wird man es als eine naturgemäße Forderung betrachten können,
alle diejenigen Funktionen und Differentiale, deren Existenz in den
vorigen Abschnitten mit Hilfe des Dirichletschen Prinzipes erschlossen
ist, auf rein algebraischem Wege als rationale Ausdrücke in z, f [die
Differentiale in der Form B{ß^f)dz'] zu konstruieren. Sobald aber das
Gegebene nicht eine algebraische Gleichung, sondern die Riemannsche
Fläche ist, muß im Gegenteil der hier im Anschluß an Riemann bespro-
chene funktionentheoretische Weg als der natürliche erscheinen. Wie
^\-ichtig auch jene algebraischen Konstruktionsprinzipien sein mögen,
namentlich mit Rücksicht auf spezielle Anwendungen der Theorie, —
man wird doch den Standpunkt Riemanns als den höheren bezeichnen
dürfen, da von ihm aus ein umfassenderer und tieferer Einblick in die
eigentümlichen Gesetze, welche dieses Gebiet mathematischer Erkenntnis
beherrschen, möglich wird, als sich auf anderem Wege gewinnen läßt.
Selbst wenn man den Weierstraßchen Begriffsbildungen folgt, wird man,
wie ich schon früher erwähnte, die Auffassung des analytischen Gebildes
als einer zweidimensionalen Mannigfaltigkeit nicht umgehen können, ohne
den Dingen Gewalt anzutun, und es ist dann nur ein kleiner Schritt, die
dieser Mannigfaltigkeit zukommenden Analysis-situs-Eigenschaften —
deren tiefeinschneidende funktionentheoretische Bedeutung inzwischen
zur Genüge hervorgetreten ist — allen anderen als die primitivsten
voranzustellen. Darüber hinaus ist für die Riemannsche Art der Be-
1) Der Abriß der Theorie der algebraischen Funktionen, den wir hier
geben konnten, ist nur unvollständig. Genaueres findet der Leser außer in den
bereits zitierten Werken von Eiemann, Weierstraß, Klein, C. Iseumann, Stahl,
Hensel-Landsberg noch in folgenden Darstellungen: Clebsch und Gordan, Theorie
der Abelschen Funktionen, Leipzig 1S66 i kurventheoretisch). Brill und Noether,
Über die algebraischen Funktionen und ihre Anwendung in der Geometrie, Math.
Ann. Bd. 7 (1874 , S. 269 — 310 (kurventheoretisch); Die Entwicklung der Theorie
der algebraischen Funktionen, Bericht der Deutschen Mathematiker- Vereinigung
Bd. 3, Berlin 1894. Dedekind und Weber, Theorie der algebraischen Funktionen
einer ' Veränderlichen , Grelles Journal Bd. 92 (1882), S. 181—290 (arithmetisch);
auch dargestellt in Weber, Algebra, Bd. III, 2. Aufl., Braunschweig 1908, S. 623 ff.
Klein-Fricke. Theorie der elliptischen Modulfunktionen (1890—92), Bd.I, Abschn. III,
Kap. 1, 2. und Bd. II, Abschn. VI, Kap. 1. Klein, Riemannsche Flächen I, II,
autographierte Vorlesungen, Göttingen 1892/93. Appell et Goureat, Theorie des
fonctions algebriques. Paris 1895. Baker, Abels theorem and the allied theory
incl. the theory of the Thetafunctions, Cambridge 1897. Fields, Theory of the
algebraic fuuctions of a complex variable, Berlin 1906. Stahl, Abriß einer Theorie
der algebraischen Funktionen einer Veränderliehen in neuer Fassung (nachge-
lassene Schrift, herausgegeben von Löffler und Xoether), Leipzig 1911.
§ 19. Uniformisierung. 141
handlung charakteristisch, daß in ihr überall nicht das analytische Ge-
bilde, sondern die Riemannsche Fläche als das Gegebene angesehen
wird, und die Konstruktion eines zugehörigen analytischen Gebildes
gerade einen Hauptbestandteil der zu lösenden Probleme bildet. In der
Riemannschen Darstellung selbst tritt dieser Standpunkt freilich noch
nicht mit derjenigen vollständigen Klarheit hervor, mit der wir ihn jetzt an
Hand der Arbeiten von Prym, Dedekind^), C. Neumann und nament-
lich von Klein herauspräparieren können.
Jede Riemannsche Fläche vom Geschlechte p kann man, wie wir
sahen, darstellen als eine mehrblättrige Überlagerungsfläche über der
Kugel (mit endlich vielen Verzweigungspunkten, aber ohne Grenzen).
Diese „Normalform" läßt sich jedoch, selbst wenn man die Blätterzahl n
durch die Bedinguug n = p -{- 1 normiert (was immer zu erreichen ist),
noch auf die mannigfachste Art herstellen. Eine sehr viel höhere prin-
zipielle Bedeutung kommt der im wesentlichen eindeutig bestimmten
Normalform der Riemannschen Flächen von beliebigem Geschlechte zu,
welche durch die Uniformisierungstheorie (Theorie der automorphen
Funktionen) geliefert wird.
§ 19. üniforinisiernug:.
In der Theorie der Uniformisierung verwachsen die Weierstraßschen
und Riemannschen Gedankenkreise zu einer vollständigen Einheit. Wäh-
rend bei Weierstraß das analytische Gebilde {z, u) an jeder einzelnen
Stelle durch eine besondere Darstellimg mit Hilfe eines Parameters t
(der „Ortsuniformisierenden") : s = z(t), u = ti(t') beschrieben wird, Rie-
mann freilich eine einheitliche Darstellung z = zip), u == u{p) des ganzen
Gebildes gewinnt, dabei aber den Parameter p als Punkt auf einer Rie-
mannschen Fläche (nicht als komplexe Variable im gewöhnlichen Sinne )
aufzufassen gezwungen ist, handelt es sich in der Uniformisierungstheorie
darum, für ein analytisches Gebilde eine einheitliche Darstellung z = z(t),
u = u{t) mit Hilfe eines in einem Gebiet der schlichten komplexen Ebene
variierenden Parameters t, der uiiiforniisierenden Variablen, herzu-
stellen. Als eigentliche Begründer der Theorie der automorphen Funl-
tionen, aufweiche dieses Problem führt, sind F. Klein und H. Poincare^)
zu nennen, deren allgemeine Auffassungen und Resultate in der Literatur
1) Prym vertritt diesen Standpunkt in seinen Arbeiten von 1869 ab; von
Dedekind kommt hier die auf S. 35 zitierte Arbeit über die elliptische Modul-
funktion aus dem Jahre 1877 in Betracht.
2) Von Poincare siehe außer zahlreichen Comptes-Rendus-Noten aus den
Jahren 188182 namentlich die Abhandlungen in den Acta Mathematica, Bd. 1,
3, 4, 5 (188284); von Klein die Arbeiten in den Math. Ann., Bd. 19, 2ü, 21
(1882 83), ferner die vor kurzem zum Abschluß gekommene umfassende Dar-
stellung: Fricke u. Klein, Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funk-
tionen, Leipzig 1897 — 1912.
142 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
vorbereitet erscheinen durcli wichtige, wenn auch speziellere Unter-
suchungen namentlich von Riemann, Schwarz, Fuchs, Dedekind, Klein
und Schottky. Der Beweis für die Möglichkeit der Uniformisierung
ist auf Grund der Idee der Überlagerungsfläche vollständig erst in
neuester Zeit (1907) von P. Koebe und H. Poincare geliefert worden.^)
Klein, Poincare und Koebe ist es vor allem zu verdanken, wenn heute
die Theorie der Uniformisierung, welche innerhalb der komplexen Funk-
tionentheorie eine zentrale Stellung beanspruchen darf, als ein mathe-
matisches Gebäude von besonderer Harmonie und Großzügigkeit vor uns
steht.^) — Der Grundgedanke des im folgenden geführten Beweises, aus
dem DiricJdetschen Prinzip die Existenz der uniformisierenden Variablen
zu erschließen, rührt von Hilbert her.^j
Die Uniformisierende t, welche wir suchen, soll so beschaffen sein,
daß sie sich an jeder Stelle der gegebenen Fläche % als Ortsuniformi-
sierende eignet. Sie wird daher eine eindeutige, von Polen 1. Ordnung
abgesehen, regulär- analytische Funktion auf der universellen Über-
lagerungsfläche % sein müssen. Suchen wir dasjenige t, welchem die
stärkste uniformisierende Kraft zukommt, so werden wir t derart zu be-
stimmen suchen, daß es an zwei verschiedenen Stellen der Fläche % nie-
mals denselben Wert annimmt, also % umkehrbar eindeutig und konform
auf ein Gebiet der ^-Kugel abbildet. Dann werden nicht nur die Funk-
tionen auf der Grundfläche '^ sich als eindeutige Funktionen von t dar-
stellen lassen, sondern die viel umfassendere Gesamtheit derjenigen (auf
'% im allgemeinen unendlich vieldeutigen) Funktionen, welche aus einem
Funktionselement auf ^ entstehen, das sich ohne Verzweigung und im-
begrenzt auf allen Wegen in % fortsetzen läßt. Und da % (im Gegensatz
zu %) einfach zusammenhängend ist, widerstreitet die Möglichkeit einer
solchen Abbildung nicht den Analysis-situs-Eigenschaften von %. Die in
den vorigen Paragraphen zugrunde gelegte Voraussetzung, daß ^ ge-
schlossen ist, können wir jetzt gern fallen lassen, da sie für die Uniformi-
sierungstheorie in keinerlei Hinsicht eine Vereinfachung mit sich bringt.
1) Poincare, Acta Mathematica Bd. 31 (1908), S. 1—63; Koebe, Nachrichten
der K. Ges. d. Wissensch. zu Göttingen 1907, S. 191—210 und S. 638—669.
2) Vgl. die Zusammenstellung der neueren Literatur bei Koebe, Über die
Uniformisierung der algebraischen Kurven, I [Math. Ann. Bd. 67, 1909, S. 146 bis
149], II [Math. Ann. Bd. 69, 1910, S. 2—3] und lü [Math. Ann. Bd. 72, 1912,
S. 438 — 439]; ferner Koebe, Über die Uniformisierung beliebiger analytischer
Kurven I [Grelles Journal Bd. 138, 1910, S. 195] und 11 [Grelles Journal Bd. 139,
1911, S. 251 ff.]. Zu einer allgemeinen Orientierung über die Resultate und Pro-
bleme dieses Teiles der Funktionentheorie dient vorzüglich das Referat über die
Karlsruher Verhandlungen (1911) im Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-
Vereinigung Bd. 21, 1912, S. 153—166.
3) Zur Theorie der konformen Abbildung, Göttinger Nachrichten, 1909, S. 314
bis 323.
§ 19. Uniformisicrung. 143
Wir erhalten die g-esuchte Uniformisierende einfach dadurch, daß
wir das Dirichletsche Prinzip nicht auf ^, sondern auf die Überlag'erung's-
fläche ^ anwenden. Wir wählen auf ^ einen Punkt 0 mit der Orts-
uniformisierenden Zq und konstruieren mit Hilfe des Dirichletschen
Prinzipes diejenig-e auf ganz ^ abgesehen vom Punkte 0 reguläre
Potentialfunktion U, welche sich in 0 verhält wie 9i — und welche die
Eigenschaft besitzt, daß
1. das über die ganze Fläche ^ mit Ausschluß eines beliebig kleinen
^Jß-Kreises um 0 erstreckte Dirichletsche Integral von U endlich ist,
2. für jede stetig differentiierbare Funktion w auf ^ mit endlichem
Dirichletschen Integral, die in der Umgebung von 0 verschwindet, die
Variation
D(C/, wO = 0
wird.
ü gibt zu einem Differential dt auf ^ Veranlassung, und dieses
muß, da ^ einfach zusammenhängend ist, das Differential einer bestimmten
Funktion
sein, deren Realteil mit ü übereinstimmt und die überall, abgesehen vom
Punkte 0, regulär analytisch ist, in 0 aber einen Pol 1. Ordnung besitzt.
T ist dann eine uniformisierende Variable, wie wir sie suchen. Der Nach-
weis dieser Tatsache gelingt in sehr eleganter Weise mit Hilfe der
folgenden, von Herrn Koebe herrührenden Deduktion.^)
Wir zeigen zunächst:
Ist Vq irgend eine reelle Konstante, so bilden diejenigen Punkte auf ^,
in denen F> F^ ist, ein einziges Gebiet, ebenso diejenigen, in denen
F< Fo ist.
Für 0 ist eine Ortsuniformisierende, und es sei K^ : - < a« eüi
-Kreis um 0. Ist ©(F^) diejenige abgeschlossene Menge auf %, die
aus allen Punkten besteht, in denen V= Vq ist, so haben gewiß nur zwei der
durch ©(Fq) bestimmten Gebiete Punkte in K^ liegen. Würde unsere Be-
hauptung also falsch sein, so gäbe es unter den durch ©(F^j) bestimmten
Gebieten eines, es heiße @, das nicht in die Umgebung K^ von 0 ein-
dringt. Es seien jetzt cp{u), ipiu) irgend zwei für alle reellen m- Werte
definierte stetige und stetig differentiierbare Funktionen. Wir bilden die
folgende Funktion w auf der Fläche ^:
1) Über die Hilbertsche Uniformisierungsmethode, Nachrichten der K. Ges.
d. Wissensch. zu Göttinnen 1910, S. 61—65.
144 Funktionen auf ßiemannschen Flächen.
u^ = l9^(ü)t(V) mr alle Punkte innerlialb @
1 0 für alle nicht zu © gehörigen Punkte.
Sie wird überall stetig clifferentiierbar sein, wenn
ist. In der Umgebung K^ von 0 verschwindet ic identisch. Ist p irgend
ein Punkt in @ und s = x + iy eine Ortsuniformisierende zu :p, so ist
g_^'(f>(F)i^'+,p(P)^'(F)|i-
Wenn q;, ip, (p', ijj' beschränkte Funktionen sind, wird also das über
ganz ^ erstreckte Dirichletsche Integral von w endlich sein. Unter den
angegebenen Voraussetzungen müßte daher D( Z7, iv) = 0 werden. Nun ist:
Sorgen wir also dafür, daß (f', ^ für alle Werte ihres Arguments (i/;
außer für u = Vq) positiv sind, so kommen A\ir zu einem Wider-
spruch.^)
Aus der damit bewiesenen Tatsache und dem Umstände, daß ^ ein-
fach zusammenhängend ist, kann man folgende Schlüsse über das Ver-
halten von r ziehen:
1. dx hat nirgends eine NuUstelle. Würde nämlich an einer Stelle
^0 von f5f, wo r den Wert Tq besitzt, dt = 0 sein, so wäre nicht x — r^,
sondern i/t — x^ {r ganz und ^ 2) Ortsuniformisierende zu :pQ; nehmen
wir an, es wäre r == 2 (für höhere r verläuft der Beweis analog). Ich setze
X — Xq = 6^ und zeichne in der komplexen (?-Ebene einen Kreis K mit dem
Mittelpunkt (5 = 0, so klein, daß er als das durch die Funktion 6 er-
zeugte konforme Abbild einer gewissen Umgebung des Punktes p^
auf if erscheint. Ich nehme vier in K gelegene Punkte p^pg? 1i ^2 ^^>
wie es Figur 24 andeutet, die über Kreuz durch zwei geradlinige, sich
im Nullpunkte schneidende Strecken a, ß verbunden sind. In p^ und
1) Einen allen gestellten Forderungen genügenden Ansatz erhalten wir z. B.,
wenn wir mit Hilfe der Funktionen
ß(M) = arctgM ^_|<a(jt)<|-j, (^1^) = ^ " ..=
<jp iu) = a(M) , -ip (tt) = /3(« — Fo)
bilden.
§ 19. Uniformisierung.
145
'A'
Fig. 24.
po ist F> Fq, in Qjjq, hingegen F< F^. Diese Figur denke ich mir
auf die Fläche ^, die in bestimmter Weise trianguliert sei, übertragen^);
dann kann ich p^ p, durch einen Streckenzug a' verbinden, in dessen
sämtlichen Punkten V'^ V^ ist, ebenso q^ qg durch einen Strecken-
zug ß', in. dessen sämtlichen Punkten F< Fq ist.^) Die beiden geschlos-
senen Kurven cc -\- a, ß -\- ß' schneiden sich nur ^--~J~-n
im Punkte p^, und es geht daraus, genau wie "^ 2 \
auf S. 46, hervor, daß ß -\- ß' die Fläche ^ nicht
zerlegt. Kreuze ich eine zu ß' gehörige Strecke
durch eine Elementarstrecke a*, so kann ich
deren Endpunkte durch einen Streckenzug mit-
einander verbinden, der ß -{- ß' nirgends trifft.
Dieser bildet mit a* zusammen ein Polygon,
das ^ unzerlegt läßt. Ein solches Polygon kann
aber nicht existieren, weil § einfach zusammen-
hängend ist.
2. Dadurch, daß ich von einem Punkte der Fläche ^y, in welchem r
den Wert Tq besitzt, sage, er liege über dem Punkte t^ der r-Kugel, ^vird
^ zu einer Überlagerungsfläche ^^ über der r-Kugel oder der r-Ebene.
Diese ist nach dem, was soeben unter 1. bewiesen wurde, unverzweigt. Über
T = oo liegt der einzige Punkt 0. Ich verfolge die Linie V = V^, von
T = oo ausgehend, in der t- Ebene in der Richtung von kleineren zu
größeren f/- Werten und auf ^^ einen von 0 ausgehenden, stetig sich be-
wegenden Punkt p, der immer über dem diese Linie in der r-Ebene be-
schreibenden Punkt bleibt. Stoße ich vor der Rückkehr nach oo auf keine
Grenze, so beschreibt p, da über oo nur der eine Punkt 0 liegt, eine ge-
schlossene Kurve y, die die Linie F = Vq der r-Ebene einfach überdeckt.
Stoße ich jedoch auf eine Grenze, so erhalte ich eine Linie y^ auf ^^, die
ein gcAvisses Stück U< ü^ der Geraden V =Vq einfach überdeckt. Dann
verfolge ich die Gerade V = V^ noch von größeren zu kleineren Werten
von ü fortschreitend und erhalte auf ^^^ eine Linie y.,, die ein Stück U> U.^
dieser Geraden einfach überdeckt, y^ -j- y^ bilden zusammen eine durch Ö
hindurchgehende ungeschlossene Kurve y ohne Ende auf ^j.^) In jedem
der beiden Fälle zerlegt die Linie y die Fläche g«^, da diese einfach zu-
36=0
1) Auf g darf ich alsdann a, ß nicht mehr als „Strecken" bezeichnen.
2) Natürlich kann ich voraussetzen, daß ß' mit ß außer den beiden End-
punkten keine weiteren Punkte gemein hat; vgl. S. 46.
3) Eine Kurve ohne Ende hat eine Darstellung
p = p(i) [0<X<1],
und die zu ihr gehörigen Punkte, p bilden, trotzdem den Parameterwerten 1 = 0
und i = 1 kein Kurvenpunkt entspricht, eine abgeschlossene Menge.
Weyl: Die Idee der Eiemannschen Fläche. 10
Ü-U.
146 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
sammenhängend ist, in zwei Gebiete ©', @". Würde es noch Punkte auf
%, in denen V = V^ ist, außer auf y, etwa in ©' geben, so würde es in
@' sowohl Punkte geben, in denen F< V^, als solche, in denen V> V^
wäre. Die Punktmenge ©(F^) müßte demnach mindestens drei Gebiete
bestimmen. Mit der Linie y sind daher die Punkte, in denen V = F^ ist,
erschöpft. '% ist als Üherlagerungsflädie der t-Kugel also iiberall höchstens
zweiblättrig. Ein Wert TJq + i V^ ivird auf '^ sicher dann einmal und
nur einmal angenommen, ivenn V = Y^ auf ^ eine geschlossene Linie ist:
Wir wollen noch genau nachweisen, daß y die Fläche ^ stets zer-
legen muß. Wenn das nämlich nicht der Fall ist, konstruieren wir eine
zweiblättrige unverzweigte unbegrenzte Überlagerungsfläche über ^, die
wir dadurch erhalten, daß wir ^ längs y aufschneiden, uns die so zer-
schnittene Fläche ^ in zwei Exemplaren herstellen und deren Schnitt-
ränder über Kreuz aneinanderheften. Abstrakter ausgedrückt heißt das
(vgl. die analoge Konstruktion auf S. 31 f.): Jedem Punkt p von ^ ordnen
wir zwei „darüber gelegene" Punkte p^, p- zu. Ist Po ein nicht auf y ge-
legener Punkt, Tq = t(Po), K ein beliebiger (t — To)-Kreis, der keinen Punkt
von y enthält, so bilden diejenigen Punkte p^ (mit dem oberen Index 1),
welche über den im Innern von K gelegenen Punkten p liegen, eine
„Umgebung" von p^, diejenigen Punkte p-, welche über den gleichen
Punkten p liegen, eine „Umgebung" von P5. Liegt hingegen p^ auf y, so
bedeute K einen beliebigen (r — To)-Kreis. Diejenigen Punkte p^ deren
Spurpunkte p innerhalb K liegen und der Bedingung V^ V^^ genügen,
soUen zusammen mit allen Punkten p-, welche über den der Bedingung
F < Vq genügenden inneren Punkten p von K liegen, eine „Umgebung"
von pj bilden, und analog werde die Umgebung von p^ erklärt. Da im
letzten Falle alle in K gelegenen Punkte, in denen V = Vq ist, gewiß zu
y gehören, ist diese Definition des Begriffs der Umgebung im Einklang
U^Uo Diit allen an eine solche Definition zu stellenden Forde-
rungen. Wenn y nicht zerlegt, so ist klar, daß die eben er-
klärte Mannigfaltigkeit auch der Bedingung genügt, daß
sich irgend zwei ihrer Punkte durch eine stetige Kurve ver-
binden lassen. Die Existenz einer solchen Uberlagerungs-
fläclie -v^dderspricht aber der Tatsache, daß ^ einfach zu-
sammenhängend ist.
Der letzte Schritt des Beweises besteht in dem Nachweis
. " ^ des Satzes, daß es höchstens eine einzige reelle Zahl V^ geben
"^ ^ Jcann, für welche die zugehörige Linie V = V^ auf % unge-
schlossen ist. Gäbe es nämlich zwei solche Linien y', y":
F= Fq, bzw. F= Fq, so nehme man noch eine ganz in Kq verlaufende
geschlossene Linie U = Uq zu Hilfe (ein so großer positiver Wert Averde
§ 19. üniformisierung. 147
für die Konstante Uq genommen). C7> C/g sei das eine Stück f^ der
Kurve y'-, U> ü^' das Stück y^' von y". Über der in Figur 25 stark
ausgezogenen Linie der r-Ebene liegt eine sie einfach bedeckende Kurve
ohne Ende auf ^^. Diese zerlegt ^ wegen des einfachen Zusammen-
hangs in zwei Gebiete, und @ sei dasjenige der beiden Gebiete, welches
den Punkt 0 nicht enthält. Wir setzen wieder
[9)(f7)^(F) innerhalb ©
" ~ '( 0 außerhalb &
Damit diese Funktion auf ^ stetig differentiierbar ist, muß
^(^o) = •«/' (To) = 0
sein, (p, rp', ip, tp' seien beschränkt und gp' außer für u = Uq, rp außer
für u = V'q und u = Fq' positiv.M Dann kommt ein Widerspruch gegen
die Gleichung D(C7, ^^) = 0 zustande. Damit ist bewiesen:
r hildet die Fläche '^ umJcehrhar eindeutig und konform ab entweder
auf die Vollkugel (1. Fall)
oder
auf die Kugel mit Ausnahme eines Punktes r^ (2. Fall)
oder
auf die Kugel mit Ausnahme eines Schlitzes V = V^, U^^ ü ^ U^
(3. Fall).
Wir ersetzen T durch eine etwas andere Uniformisierende t. Im ersten
Falle freilich soll r = t sein. Im zweiten sorgen wir dafür, daß der eine
Punkt der Kugel, welcher ausgelassen wird, der unendlich ferne ist; man
setze also t = —^ ; f bildet die Überlagerungsfläche ab auf die ganze
Ebene (ohne den unendlich fernen Punkt). Im dritten Falle können wir
zunächst durch eine ganze lineare Transformation erreichen, daß der
Schlitz durch
F=0, -1<U£+1
gegeben ist; mit Hilfe der Formel
= H* + 7)
wird dann die geschlitzte t-Kugel konform auf des Innere des Einheits-
kreises 1^' < 1 der ^-Ebene abgebildet.
Die geschilderte Konstruktion der Uniformisierenden t geschieht in
zwei deutlich getrennten Schritten. Zunächst löst die Fläche ^ das Pro-
1) Allen Anforderungen wird genügt durch [vgl. Fußnote zu S. 144]:
10
148 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
blem, soweit es der Analysis situs angehört, und darauf liefert der funk-
tionentheoretische Satz, daß sich jede einfach zusammenhängende Fläche
auf ein Gebiet der Kugel lonform abbilden läßt (wenn man diesen vSatz
auf^ anwendet) die Uniformisierende. Durch eine geringe Modifikation
des Gedankenganges kann man zeigen, daß auch jede schlichtartige Fläche
konform auf ein Gebiet der Kugel abgebildet werden kann\); für nicht-
schlichtartige Flächen ist dies jedoch aus Analysis - situs-Gründen aus-
geschlossen: es kann dann nicht einmal eine umkehrbar eindeutige und
gd)ietsstetige Abbildung auf ein Gebiet der Kugel stattfinden. Jede zu ^
gehörige (relativ zu ^ unverzweigte) Uniformisierende wird eine gevdsse
unverzweigte unbegrenzte schlichtartige Überlagerungsfläche ^ über %
konform auf ein ebenes Gebiet abbilden. Man rechnet zwei Uniformi-
sierende, welche dieselbe Überlagerungsfläche % auf ein Teilgebiet der
Ebene abbilden, zur selben Klasse {^}. Die Aufstellung aller Uni-
formisierenden erfordert dann die Lösung zweier Probleme:
1. des Analysis-situs-Problems : zu einer gegebenen Fläche alle un-
verzweigten unbegrenzten schlichtartigen Überlagerungsflächen ^ zu
finden;
2. des Problems der konformen Abbildung: eine schlichtartige Fläche
^ auf jede mögliche Weise auf ein ebenes Gebiet konform abzubilden.
Daß das letzte immer auf wenigstens eine (und damit auch auf un-
endlich viele) Arten möglich ist, daß also jede der Analysis-situs-Bedin-
gung der Schlichtartigkeit nach möglichen Klasse {fy} von Uniformi-
sierenden funktionentheoretisch wirklich vorhandene Uniformisierende ent-
hält, ist der Inhalt des allgemeinen Koebeschen Uniformisierungsprinzips})
Dieses trägt allerdings insofern noch weiter, als es außer den relativ zu
% unverzweigten auch noch die ganze Fülle der verzweigten Uniformi-
sierenden mitumfaßt. Ohne Frage kommt aber unter allen möglichen
Uniformisierenden der oben aufgestellten, mit t bezeichneten, die größte
piinzipielle Bedeutung zu.
§ 20. Riemaiinsche Fläclien und Nicht-Euklidische Bewegungsgruppen.
Fuudamentalbereiche. Poincaresche ©-Reihen.
In welchem Maße ist die Uniformisierende t durch ihre am Schluß des
vorigen Paragraphen erwähnten Eigenschaften festgelegt, d. h. in wie
mannigfaltiger Weise kann man die Fläche '^ konform abbilden auf die
1) Koebe, Über die Hilbertsche Uniformisierungsmethode, Göttinger Nach-
richten 1910, S. 67 — 74.
2) Siehe namentlich P. Koebe, Über die Uniformisierung beliebiger ana-
lytischer Kurven, Erster Teil: Das allgemeine Uniformisierungsprinzip, Grelles
Journal Bd. 138 (1910), S. 192—253.
§ 20. Normalform einer Riemannschen Fläche,
149
Kugel, die Ebene oder das Innere des Einheitskreises? Diese Frage kommt
offenbar darauf hinaus: in wie mannigfaltiger Weise kann man Kugel,
Ebene oder Kreisinneres konform auf einen dieser drei Bereiche selbst
abbilden? Da ist zunächst klar: die Kugel läßt sich schon wegen ihrer
Geschlossenheit weder auf die Ebene noch das Kreisinnere abbilden.
Aber auch eine konforme Abbildung der Ebene auf das Kreisinnere ist
unmöglich; eine Funktion t*{t), welche die /"-Ebene konform in das
Innere des Einheitskreises der f^-Ebene transformierte, wäre nämlich eine
ganze transzendente Funktion, deren absoluter Betrag für alle Werte des
Arguments unter der Grenze 1 bliebe, und eine solche ist nach dem
Liou villeschen Satze nicht vorhanden (außer der Konstanten, die hier
ganz sinnlos ist). Weiterhin bestehen nun folgende einfachen Sätze:
(Fall 1.) JDie sämtlichen konformen Ähbildungen der (in der ge-
wöhnlichen Weise durch eine komplexe Variable dargestellten) Kuge
auf sich seihst werden durch die linearen Transformationen geliefert.
(Fall 2.) Die komplexe Ebene läßt sich nur durch eine ganze lineare
Transformation konform auf sich seihst ahhilden.
(Fall 3.) Das Innere des Einheitskreises kann gleichfalls nur durch
lineare Transformationen in sich seihst konform ahgehildet iverden.
Fall 1. Wir haben nur zu zeigen: Wird die ^- Kugel konform so
auf die ^*-Kugel abgebildet, ^* = t*{t), daß ^ = 0 in i!* = 0, ^ = oo in
i^ = (x> übergeht, so muß t* = et sein {c konstant). In der Tat ist dann
•7J im Nordpol der ^Kugel (t = oo) regulär und hat dort eine Nullstelle,
also ist auch -^ daselbst noch regulär. 1^ wird nur 0 für ^ = 0 und zwar
von I.Ordnung, da die Beziehung t—>t* umkehrbar eindeutig ist; dem-
nach ist -^ auf der ganzen ^Kugel regulär, und also eine Konstante.
Fall 2. Wieder können wir annehmen, daß ^ = 0 in ^*= 0
bildet wird. Man hat dann zunächst zu beweisen, daß
(51)
Umj, =0
ist für lim
0.
Dem Kreise | ^* ' = i?* entspricht in der ^-Ebene eine geschlossene Kur-
ve S; i?o sei die größte Entfernung eines Punktes
auf ß vom Nullpunkte, B, eine
beliebige Zahl > -Rq- ^ ^^^m
Kreis | ^ | ^ -R nimmt t^ \ sein
Maximum, das > i?* sein muß,
am Rande an, etwa für t = t^.
Da die Bildkurve ^* des Kreises
t\=R in der ^*- Ebene den
Kreis 1 1* =R* nicht treffen kann
V
I'- Ebene
250 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
— denn der Kreis • t\ = R und die Kurve 6, von der jene beiden
Kurven die Bilder sind, treffen sich nicht in der ^-Ebene — und
da der Punkt ^*(^o) ^^^ ^* einen absoluten Betrag > R* besitzt,
muß für aUe Punkte auf Ä*: \t*\>R* sein; d. h. sobald \t\>RQ ist,
ist \t*' > -R*; das ist die Behauptung- (51). .^^rr ist demnach im Nord-
pol der i(- Kugel regulär und hat dort eine Nullstelle, und man kann
genau wie im Falle 1 weiterschließen.
Den Fall 3 erledigen wir mit Hilfe des sog. Schwarzsehen Lemmas.^)
Wieder können wir voraussetzen, daß t = 0 in ^*==0 übergeht. Be-
trachte ich die reguläre Funktion - im Kreise | ^ ! ^ ?(< 1), so muß ihr
absoluter Betrag sein Maximum am Rande erreichen und ist daher
< — ( I ^* I < 1, 1 ^ I = g). Da ich g so nahe an 1 wählen kann, wie ich will,
i t* I
muß für alle t im Innern des Einheitskreises ^ ^ 1 sein. Ebenso er-
t t* '
gibt sich 1-7^ 1^1, folglich i . 1 = 1- Diese Relation ist nur dadurch
t*
möglich, daß -- eine Konstante vom absoluten Betrage 1 ist.
Damit sind die aufgestellten Behauptungen erwiesen: die Ortsuni-
formisierende t ist jedenfalls stets bis auf eine lineare Transformation ein-
deutig hestinmit. Die linearen Transformationen, welche das Innere des
Einheitskreises in sich überführen, haben die Gestalt:
.p-^s /* _ ja + ib)t + {c ~ id)
^^^^ {c + id)t + {a-ih)
{ a, h, c, d reell; Determinante (a^ + h^) — (c^ + <i^j = 1 } .
Insbesondere ergibt sich, da die Decktransformationen von ^ um-
kehrbar eindeutige konforme Abbildungen von ^ auf sich selber sind,
daß sich diese Decktransformationen in der ^Ebene abbilden müssen als
lineare Transformationen. Der Gruppe der Decktransformationen ent-
spricht so eine gewisse ihr isomorphe Gruppe f linearer Transformationen.
Keine der Gruppe f angehörige Transformation (außer der Identität) darf
im Bildbereich (Kugel, Ebene oder Kreisinneres) einen Fixpuukt be-
sitzen, d. h. einen Punkt, der bei der Transformation in sich selbst über-
geht. Da auf der Kugel jede lineare Transformation einen Fixpunkt
hat, kann es im Falle 1 keine andere Decktransformation als die Identität
geben; ^ ist dann mit ^ selber und ^ als Riemannsche Fläche mit der
1) Schwarz, Gesammelte Abhandlungen Bd. 11., S. 109 — 111. Die Anwendung
des Lemmas auf die vorliegende Aufgabe nach Poincare, Acta Mathematica Bd. 4,
S. 231—232.
§ 20. Normalform einer Riemamischen Fläche. 151
Kug-el identisch. Fall 1 Jcann nur eintreten, wenn die gegebene Riemann-
sche Fläche ^ der Kugel äquivalent ist.
Die auf der Fläche ^ über einem iind demselben Punkt von ^ ge-
legenen Punkte erscheinen in der Abbildung als ein System hinsichtlich
r äquivalenter Punkte t. Ein solches System Z hat die Eig-enschaft, daß
je zwei Punkte desselben durch eine zu f gehörige Transformation in-
einander übergehen, daß aber auch jeder Punkt, in den ein Punkt von
Z durch eine zu T gehörige Transformation übergeführt wird, seinerseits
zu 1 gehört (vgl. S. 27). Die auf ^ bis auf Pole regulären eindeutigen
Funktionen erscheinen, durch t ausgedrückt, als zu f gehörige auto-
morphe Funktionen jener Variablen, d. h, als Funktionen 3(t), die
sich gegenüber den Transformationen der Gruppe T invariant verhalten:
falls ^* = ", jT ^ eine Transformation der Gruppe f ist. Die Gruppe f
muß diskontinuierlich sein; das soll besagen: ein System hinsichtlich
r äquivalenter Punkte darf innerhalb des Bildbereiches niemals eine Ver-
dichtungsstelle aufweisen. Definieren wir eine Riemannsche Fläche ^j.
dadurch, daß wir jedes dem Bildbereich angehörige System hinsichtlich f
äquivalenter Punkte als einen „Punkt" von ^j. betrachten und die Winkel-
messung von der ^- Ebene auf ^^i- direkt übertragen, so ist dieses ^ als
Riemannsche Fläche mit der gegebenen % äquivalent und stellt die ge-
eignetste Normalform vor, auf die jede Riemannsche Fläche gebracht
werden Jcann.
Im Falle 2 muß f aus ganzen linearen Transformationen bestehen,
die im Endlichen keinen Fixpunkt besitzen. Dieser Forderung genügen
allein die Schiebungen (Translationen) t' = t -^ a. Eine diskontinuier-
liche Gruppe von Translationen kann bestehen^)
1. nur aus der Identität; dann ist ^ mit ^ identisch, und ^ ist der
Ebene [der „einfach pmiktierten'-' Kugel, d. i. der Kugel ohne den Nord-
pol] äquivalent;
oder
2. aus den Wiederholungen einer einzigen Schiebung
n t'^=^t + na [w = 0, +1, +2, •••];
dann ist % offenbar dem unendlichlangen geraden Kreiszylinder und da-
1) Daß nur die drei aufgezählten Fälle möglich sind, ergibt sich durch
das Verfahren der Adaption eines (zweidimensionalen) Zahlengitters in bezog
auf ein enthaltenes Gitter; s. S. 73f. dieser Schrift oder G. Kowalewski, Die kom-
plexen Veränderlichen und ihre Funktionen, Leipzig 1911, S. 57 f.
152 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
mit durch die Mercator-Projektion der doppelt punJdierten Kugel (Kugel
ohne Nord- und Südpol) als Riemannsche Fläche äquivalent;
oder kann
3. von der Form sein:
/m = 0, ±1, + 2, • • A
t* = t i- nia -f- nß .
' n^O, ±1, ±2,
wo a, ß zwei Schiebungen in verschiedenen Richtungen sind. Dann ist
^ geschlossen, dt ein auf ^ eindeutiges überall reguläres Differential,
das nirgends eine Nullstelle besitzt, und ^ also eine geschlossene liiemann-
sche Fläche vom Geschlechte 1. Jede solche Fläche — deren Typus (aber
nicht deren allgemeinste Form) der Torus ist — gestattet in der Tat
auch durch das Integral 1. Gattung eine Uniformisierung, bei der die
universelle Überlagerungsfläche auf die Ebene abgebildet wird.
Von den wenigen oben aufgezählten Ausnahmefällen abgesehen
{% = Vollkugel, einfach oder doppelt punktierte Kugel, geschlossene
Fläche vom Geschlechte 1) liegt immer der Fall 3 vor, in welchem das
Innere des Einheitslireises als Bildbereich auftritt. Da die Peripherie
des Einheitskreises für die automorphen Funktionen von t, welche die
Funktionen auf der Grundfläche '^ darstellen, im allgemeinen eine natür-
liche Grenze sein wird, bezeichnet man t als Grenzkreis-Uiiiformisie-
rende.
Die Gruppe V ist durch die gegebene Fläche nicht völHg eindeutig
bestimmt. Denn t kann durch jede aus t mittels einer linearen, das Innere
des Einheitskreises in sich überführenden Transformation T^ hervorgehende
Variable t' ersetzt werden; dabei transformiert V sich in die Gruppe
r = T-^.r.To.
Wir führen die folgende Ausdrucksweise ein:
Als „Punkt von ®" bezeichnen wir jeden im Innern des Einheits-
kreises gelegenen Punkt t, als „gerade Linie auf 6" den im Innern des
Einheitskreises gelegenen Teil einer jeden Kreislinie, die auf der Peri-
pherie des Einheitskreises senkrecht steht (auch die Durchmesser des
Einheitskreises zählen zu diesen „geraden Linien"). Als „Bewegung von ®"
gilt jede, das Innere des Einheitskreises in sich überführende lineare
Transformation, und als „kongruent" solche Punktmengen auf @, welche
durch „Bewegung" ineinander übergeführt werden können. Das ge-
wöhnliche Winkelmaß -wird beibehalten. Dann gilt für diese „Punkte"
und „geraden Linien" die vollständige Bolyai-Lohatschefshysche Geo-
metrie, also diejenige Geometrie, deren Axiome sich von denen der
Euklidischen nur durch Fortlassung des Parallelenaxioms unter-
scheiden^), so daß wir 6 als Nicht-JEuMidische Ebene bezeichnen können.
1) Das hier sich ergebende Modell der ebenen Nicht -Euklidischen Geo-
metrie hängt aufs engste mit dem von Klein im Jahre 1871 entdeckten, auf der
§ 20. Normalform einer Riemannschen Fläche. 153
Die (an die Ung-leicliung- ] ^ < 1 g-ebundene) komplexe Variable t
ist dann in derselben Weise als eine zur Darstellnng der Punkte der
Lob atschefsky sehen Ebene geeignete Koordinate aufzufassen, wie etwa
die rechtwinkligen Cartesischen Koordinaten x, y oder deren komplexe
Zusammenfassung z = x -{- iy die Punkte der Euklidischen Ebene
darstellen. Lineare Transformation von t, bei der das Linere des
Einheitskreises in sich übergeht, liefert ein anderes, mit dem ur-
sprünglichen gleichberechtigtes Koordinatensystem der Lobatschefs-
ky sehen Ebene, f erscheint in der jetzigen Deutung als eine Gruppe
von Bewegungen der Nicht-Euklidischen Ebene, oder, genauer ge-
sagt, als Darstellung einer solchen Gruppe mit Hilfe einer bestimmten
Koordinate t Diejenige Gruppe von linearen Substitutionen V, die wir
aus r erhalten, wenn wir t mit Hilfe einer das Linere des Einheitskreises
in sich überführenden Transformation durch t' ersetzen, ist in dieser Auf-
fassung nur als eine andere Darstellung derselben Bewegungsgruppe der
Nicht-Euklidischen Ebene (nämlich mit Hilfe einer anderen Koordinate
t') zu betrachten. V enthält keine Drehungen, d. h. keine Bewegung von
d, die einen Punkt von (S fest läßt.
Jeder BiemannscJien Jt lache entspricht demnach {von den vier vorher
aufgezählten Ausnahmefällen abgesehen) eine einzige, völlig bestimmte,
keine Drehungen enthaltende, diskontinuierliche Bewegungsgruppe V der
Lobatschefshyschen Ebene. Zwei Riemannsche Flächen sind dann und
nur dann konform -äquivalent {gehören, tvie Biemann sich ausdrückt,
derselben Klasse an oder sind Verwirklichungen einer und derselben idealen
Biemannschen Fläche), wenn die zugehörigen Nicht -Euklidischen Be-
wegungsgruppen im Sinne der Lobatschefskyschen Geometrie kongruent
sind. Umgekehrt gehört aucJi zu jeder diskontinuierlichen Nicht-Eukli-
dischen Bewegungsgruppe ohne Drehungen eine bestimmte Klasse von
Biemannschen Flächen (als deren Repräsentant die auf S. 151 konstru-
ierte Fläche %^ gelten kann).^)
Um eine diskontinuierliche Bewegungsgruppe V der N.-E.^) Ebene
anschaulich darzustellen, benutzt man nach Klein und Poincare eine ein-
fache und lückenlose Bedeckung der Ebene durch N.-E. kongruente Be-
Cayleyschen Maßbestimmung beruhenden (Über die sogenannte Nicht-Eukli-
dische Geometrie, Math. Ann. Bd. 4, S. 573—625) zusammen; vgl. darüber Fricke
und Klein, Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funktionen, Bd. I,
Leipzig, 1897, S. 3—59. Eine gute Orientierung über Nicht-Euklidische Geometrie
gibt das Buch von R. Bonola, das deutsch von Liebmann als Bd. 4 der Samm-
lung „Wissenschaft und Hypothese" (Die Nicht-Euklidische Geometrie; Leipzig
1908) erschienen ist.
1) Vgl. die Schlußbemerkungen der ersten Koebeschen Mitteilung über dieUni-
formisierung beliebiger analytischer Kurven, Göttinger Nachrichten 1907, S. 209—210.
2) N.-E. = Nicht-Euklidisch.
154 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
reiche (Fundamentalbereiche), die auseinander durch
die in f enthaltenen Beweg-ungen hervorgehen. Eine mög-
lichst einfache Einteilung dieser Art wird durch die folgen-
den Überlegungen an die Hand gegeben.
(Definition der N.~E. Entfernung) Sind t^, t^ irgend
zwei voneinander verschiedene Punkte im Innern des Ein-
Fi 27 Nicht-Eu- tcitskrcises, so verbinden wir sie durch eine N.-E. Ge-
kiidische Strecke, radc, d. h. in der Gaußschen ^-Ebene durch einen Kreis,
welcher den Einheitskreis an den Stellen /«^ und t^^ senkrecht schneidet.
Dieser Kreis ist durch t^, t» eindeutig bestimmt, und die Punkte sollen
auf ihm in der Reihenfolge ^«,,, t^, t.^, t^ hintereinander liegen (Fig. 27).
Das Doppelverhältnis
hat einen reellen positiven Wert > 1, und sein reeller Logarithmus
r{t,t,) = lgd(t,t,)
ist daher positiv, ^(t^t^) ist gegenüber allen das Innere des Einheits-
kreises in sich überführenden linearen Transformationen invariant, und
die N.-E. Strecke t^ t^ ist einer andern solchen Strecke tl ^* dann und nur
dann N.-E. kongruent, wenn r (t^ t^) = r {t\ t\) ist. Liegen ferner drei
Punkte t^, t^, t^ in der Reihenfolge ihrer Numerierung auf einer N.-E.
Geraden, so ist
r{t,t,) +r(t.-,t,) = r(t,t,).
Zufolge dieser beiden Umstände haben wir die Zahl r{ti t^ als die Nicht-
Euklidische Entfernung der beiden Punkte t^, t^ anzusprechen und
sind dadurch imstande, in der N.-E, Ebene nicht nur Winkel, sondern
auch Strecken zu messen.
Ist Xq ein System hinsichtlich V äquivalenter Punkte, t^ ein einzelner
Punkt von !„ und t ein beliebiger Punkt der N.-E. Ebene, so gibt es
wegen der Diskontinuität von V nur endlich viele Punkte in Zq, deren
Entfernung^) von t eine willkürlich vorgegebene Größe R nicht über-
steigt. Es gibt also unter den Punkten von X^ einen oder mehrere (aber
gewiß nur endlichviele) ^^, so daß die Entfernung r{tt^) unter allen Ent-
fernungen von t nach Punkten des Systems Zq am Meinsfen ist; t liegt
dann, wie ich mich kurz ausdrücken will, am nächsten bei ^^. Ist die
Entfernung ritt,) effektiv Meiner als die Entfernung nach allen von tj^
verschiedenen Punkten des Systems Zq, so kann ich um t eine ganze
Umgebung so abgrenzen, daß auch alle Punkte dieser Umgebung noch
am nächsten bei ^^ liegen. Ist t,^ irgend einer der Punkte von Zq, so ver-
1) Das Wort „Entfernung" und alle andern geometrischen Ausdrücke sind
bis auf weiteres im N.-E. Sinne zu verstehen.
§ 20. Normalform einer Riemannschen Fläche. 155
einig-e icli alle diejenigen t, welche am nächsten bei tj^ liegen, zu einer
Punktmenge '^j^, als deren „Zentrum" der Punkt tj^ gilt. Die so um die
sämtlichen zu Zq gehörigen Zentren zustande kommenden ^^ sind in
ihren inneren Punkten durchweg verschieden und bedecken zusammen
die ganze N.-E. Ebene. ^^ geht durch diejenige in der Gruppe V enthal-
tene Bewegung aus '^q hervor, welche t^ in ^^ überführt, und ist also mit
^0 N.-E, kongruent. Zu jedem Punkte t findet sich in ^^ ein hinsicht-
lich r äquivalenter, und zwei innere Punkte von ^^ sind niemals unter-
einander äquivalent: ^^ hat die Eigenschaften eines Fundamentalbereichs.
Außerdem ist ^^ konvex, d. h. sind f, t" irgend zwei in ^^ gelegene
Punkte, so gehören auch alle Punkte der N.-E. geradlinigen Verbindungs-
strecke t' t" zu 'Po. Die Mittelsenkrechte g^ der Strecke t^ t,^ ist der Ort
aller Punkte, Avelche von t^ und f^ gleiche Entfernung haben; zu allen
von t^ verschiedenen Zentren tj^ bekommen wir eine solche Gerade g,,. Die
Begrenzung der abgeschlossenen Menge ^^ setzt sich aus Teilstrecken
dieser Geraden zusaiumen, und das Innere von 'p^ besteht aus allen den-
jenigen Punkten, die mit bezug auf die sämtlichen Geraden g,^ auf der-
selben Seite liegen wie der Punkt t^. Da alle Punkte der Geraden g^
von ^0 ei^e Entfernung ^ i^'C^o^/,) haben und sich imter den Zentren t,^
nur endlichviele finden, deren Entfernung von t^ eine beliebig vorgegebene
Grenze 2 U nicht übersteigt, so zeigt sich, daß nur endlichviele der gerad-
linigen, zur Begrenzung von ^q gehörigen Strecken vom Hauptzentrum t^^
einen Abstand ^ li haben. ^^ ist demnach ein endlich- oder unendlich-
seitiges konvexes Polygon, dessen Eckenfd.s. diejenigen Punkte, welche von
drei oder mehr Punkten des Systems X^ gleiche Entfernung haben) sich
im Endlichen nirgends häufen, ^q heißt nach Fricke ein zxi der Gruppe
r gehöriges Normalpolygon. Die Seiten des Normalpolygons sind paar-
weise dadurch aufeinander bezogen, daß je zwei Seiten eines Paares durch
eine zu f gehörige Bewegung ineinander übergeführt werden können. Es
kommt dabei niemals vor, daß zwei Seiten mit gemeinsamem Eckpunkt auf-
einander bezogen sind; denn dieser Eckpunkt müßte einFixpuukt derjeni-
gen Bewegimg sein, welche die eine Seite in die andere überführt. Durch
Wiederholung und Zusammensetzung kann man aus den die zusammen-
gehörigen Seiten von ^^ ineinander überführenden Bewegungen [das sind
diejenigen Bewegungen, welche ^^ in äquivalente, längs einer Seite an
^0 angrenzende Fündamentalbereiche ^^^ überführen] die sämtlichen Be-
wegungen der Gruppe V erhalten. Den Beweis dafür erbringt man, indem
man einen beliebigen zu X^ gehörigen Punkt t,^ mit ^^ durch einen Strecken-
zug verbindet, der durch keine Ecken der Polygonteilung { ^^ } hin-
durchführt, und nun darauf achtet, ivelche Polygone der Einteilung
dieser Streckenzug sukzessive passiert. Stoßen in der Ecke 1 von ^„
im ganzen e zu ^^ äquivalente Polygone ^^ zusammen (po selbst
ist mitzurechnen), so sind genau e Zentren vorhanden, denen 1 am nach-
156 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
sten liegt, und unter den Punkten von ^^ 8"^^^ ^^ ^> ^^ ^^ 1 hinsiclit-
licli r äquivalent sind, oder, wie man nach Poincare sagt, einen Zykel
von Ecken des Polygons ^^ bilden. Die Summe der an den Ecken eines
einzelnen solchen Zykels gelegenen Winkel von Sß^ ist = 2%.
Die zur Gruppe f gehörige Riemannsche Fläche ^p (S. 151) ist
offenbar dann und nur dann geschlossen, wenn eine positive Zahl R
existiert, so daß zu jedemPunkt der N.-E. Ebene mindestens ein äquivalen-
ter hinsichtlich f vorhanden ist, der von dem Zentrum t^ einen N.-E. Ab-
stand ^ R besitzt. Dann hat jeder Punkt von dem ihm im System T^
am nächsten liegenden eine Entfernung ^ R, insbesondere liegt ^^ ganz
in dem N.-E. Kreise vom Radius R um t^. Da die Ecken von '^^ sich im
Endlichen nirgends häufen, können unter diesen Umständen überhaupt nur
endlichviele solche Ecken existieren: ^^ ist endlichseitig. Die Anzahl seiner
Seiten, welche wegen der paarweisen Zuordnung gerade sein muß, werde
= 2 s, die Anzahl der verschiedenen Eckenzykeln = c gesetzt, so daß 27tc
die Winkelsumme von ^q bedeutet. Man kann ^o derart in endlichviele
N.-E. geradlinige Dreiecke zerlegen, daß dadurch eine Triangulation von
^ zustande kommt, Ist Dq die Anzahl der Dreiecke, Eq die Anzahl
der bei dieser Zerlegung innerhalb ^^ auftretenden Kanten, F^, die An-
zahl der innerhalb ^q auftretenden Ecken, 26^ die Anzahl der auf den
Seiten von ^o ^u den Polygonecken neu hinzutretenden Ecken (die paar-
weise äquivalent sein werden und die Peripherie von ^^ in 2(s -|- ßo)
Einzelstrecken zerteilen), so gilt, da ein konvexes Polygon einfach zu-
sammenhängend ist,
J»o + £o-Zo = l-
Fassen wir aber die Zerlegung von ^q als eine Triangulation von f^p auf,
so seien die Anzahlen der Dreiecke, Kanten und Ecken bzw. = D, K, E. Wir
haben
D = D„ K=K, + (s-^e,), E = E, + e, -\- c
Das Geschlecht p von ^j. bestimmt sich aus der Gleichung
2p-2^K-E— D==s-c-l.
Sie zeigt, wie man das Geschlecht einer Riemannschen Fläche finden
kann, wenn diese in ihrer Normalform (d. h. wenn die zugehörige Nicht-
EuMidische Bewegungsgruppe T) gegeben ist, nämlich durch Konstruktion
eines zu f gehörigen Normalpolygons. Man kann der Gleichung noch
eine elegantere Form geben, wenn man bedenkt, daß die Winkelsumme
eines Dreiecks in der Nicht-Euklidischen Geometrie kleiner ist als 7t,
und zwar um so viel, als der Flächeninhalt des Dreiecks beträgt. Der
N.-E. Inhalt J von ^^ ergibt sich demnach, wenn man ^^ von t^ aus in
2 s Dreiecke zerlegt, zu2;r(s — c— 1):
J=4n{p-1).
§ 20. Normalform einer Riemannschen Fläche. 157
Da jeder Zykel aus wenig-sten drei Ecken besteht, ist
also
2s£12p-6.
Diese nur von dem Geschlecht p abhängige obere Schranke besteht für
die Seiten- und Ecltnanzahl eines Normalpolygons.
Die Eiateilung- der N.-E. Ebene in Normalpolygone dient nicht nnr
zur Veranschaulichung N.-E. Bewegungsgruppen, sondern liefert auch die
Mittel, um solche Gruppen direkt zu konstruieren.^)
In den Bewegungsgruppen V der Nicht-Euklidischen Ebene (oder
in den zugeordneten Mannigfaltigkeiten %^) tritt uns die reinste, von
allen Zufälligkeiten befreite Verkörperung der Idee der Riemannschen
Fläche entgegen. Zur Krönung des ganzen Aufbaues dieses Teiles der
Riemannschen Funktionentheorie Aväre die Lösung der folgenden Auf-
gabe erforderlich: Wenn eineBiemannsclie FläcJie in ihrer NormalformißL. h.
die zugehörige Bewegungsgruppe der Nicht-Euklidischen Ebene) gegeben
ist, die sämtlichen ein- oder mehrdeutigen unverzaeigtenFunMionenauf der
Fläche mittelst geschlossener analytischer Formeln in der die Punhte der
Lobatschefshyschen Ebene darstellenden homplexen Koordinate t auszn-
drüchen. Diese Aufgabe ist bisher nicht vollständig gelöst; ein wichtiger
Ansatz dazu sind die von Poincare eingeführten 0- Reihen.^) Besteht die
vorgegebene Gruppe f, welche das Innere des Einheitskreises ^ ' < 1 in
sich überführt, aus den Substitutionen:
sind z. B.
[i = 0, 1, 2, 3, . . .; Sq die Identität],
1) Von großer Wichtigkeit sind außer den Normalpolygonen noch die
„kanonischen Polygone", deren Theorie von Fricke entwickelt wurde (s. Fricke-
Klein, Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funktionen, Leipzig 18'.)7
bis 1912) und mit deren Hilfe es diesem Forscher gelang, die schon von Eie-
rn ann ausgesprochene Behauptung, daß die Riemannschen Flächen vom Ge-
schlechte p (>> 1) eine (6_p — 6)-dimensionale Mannigfaltigkeit bilden, streng
zu formulieren und zu beweisen. Es sind das Dinge, die aufs engste mit der
neuerdings wieder in den Vordergrund der Betrachtung rückenden „Kontinui-
tätsmethode" zusammenhängen, durch welche Klein und Poincare gleich zu
Anfang der achtziger Jahre die Unifoi'misierbarkeit algebraischer Gebilde zu be-
weisen versuchten. Vgl. den auf S. 142 zitierten Bericht über die Karlsruher Ver-
handlungen, Deutsche Mathematiker-Vereinigung 1912.
2) Poincare, Memoire sur les fonctions fuchsiennes. Acta Mathematica, Bd. 1
(1882), S. 207.
] 58 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
0(0 -2{c^it + ßi){7it + S,)'^ 0''O =^{ait+ß,y(y^t^S,)
i = 0 2 = 0
Poincaresche 0-Reilien. Um die absolute und gleicktnäßige Konvergenz
dieser Reihen zu erweisen, schlage man um einen willkürlichen Punkt
^q( ^Q ' <; 1) einen gewöhnlichen Kreis x vom Radius a : t — ^q j <^ a,
so klein, daß die äquivalenten Kreise xS- sich gegenseitig nicht treffen.
Das über y. erstreckte Flächenintegral J. von
cU* 2 1
ist der (Euklidische) Inhalt von xS^: infolgedessen ist ^J^ konvergent.
1 = 0
Hat t vom Punkte t^ eine Euklidische Entfernung t — t^ ^ - , so ist
[Formel (22), (23) auf S. 87]
Infolgedessen ist
in der Umgebimg von t = f^ gleichmäßig konvergent. Da femer gleich-
mäßig für ^ ^ g (< 1)
hm ' , y = 1
ist (denn die äquivalenten Punkte t* häufen sich nur am Rande des Ein-
heitskreises), so ergibt sich daraus die absolute und gleichmäßige Kon-
vergenz der beiden Reihen 0, 0'. 0 hat bei ^ = 0 und allen dazu hin-
sichtlich der Gruppe f äc^uivalenten Stellen einen Pol 1. Ordnung und
ist sonst regulär, 0' hat dort einen Pol 3. Ordnung und ist sonst regulär.
Aus der Gleichung
0(0 w -2'-^
, = 0 '
geht hervor, daß Q(t)[dt)- durch eine beliebige Transformation S. der
Gruppe in sich übergeht:
Ebenso folgt
Q{t)
ist demnach eine Funktion, die gegenüber der Gruppe f auto-
Q'{t)
morph ist; sie verschwindet nicht identisch, besitzt aber im Punkte ^=0
(imd allen dazu äquivalenten) eine Nullstelle 2. Ordnung, kurz: ist eine
§ 21. Konforme Abbildung einer Fläche auf sich. 159
eindeutige, von wesentlichen Singularitäten freie, nicht konstante Funk-
tion auf der Grundfläche ^^ .
Man ersieht aus diesem Beispiel, wie es möglich sein muß, nachdem
einmal die Riemannsche Fläche in ihrer Xormalform vorliegt, alle Sätze
über die Existenz von Funktionen und Integralen auf ihr mit Hilfe ana-
lytischer Formeln in ähnlicher Weise abzuleiten, wie dies seit langem
für p = 1 durch die Theorie der elliptischen Funktionen geschehen ist.
Erst wenn dieses Ziel allgemein erreicht sein wird, ist ein völlig ge-
schlossener Aufbau der Riemannschen Funktionen theorie möglich. Man
wird dann auf transzendentem Wege (mit Hilfe der Methode des alter-
nierenden Verfahrens oder des Dirichletschen Prinzips) nicht mehr die
Existenz der Funktionen oder Integrale, sondern allein die Existenz der
Grenzkreisuniformisierenden beweisen, d. h. auf transzendentem Wege zu-
nächst die Normalform der Riemannschen Fläche herstellen, falls diese
noch nicht in ihrer Normalform gegeben ist; darauf aber mit Hilfe ana-
lytischer Formeln zu allen übrigen, relativ zur gegebenen Fläche un-
verzweigten Funktionen herabsteigen. Hier liegen noch dankbare Probleme
für die Zukunft vor.
§ 21. Konforme Abbildung einer Riemannschen Fläclie anf sich selbst.
Von einer Bewegungsgruppe der N.-E. Ebene sagen wir, sie ent-
hielte iuflnitesimale Transforniationen, wenn es Bewegungen in der
Gruppe gibt, die beliebig wenig von der Identität verschieden sind. Eine
diskontinuierliche Bewegungsgruppe, z. B. f, enthält gewiß keine infini-
tesimalen Transformationen. Von diesem Satz gilt aber auch die Um-
kehrung:
Eine N.-E. Beivegimgsgruppe ist dann und nur dann diskontinuier-
lich, wenn sie keine infinitesimalen Beicegungen enthält.
Beim Beweise bedienen wir uns wie bisher der komplexen Ko-
ordinate t. Eine lineare Transformation T: t — > t* hat auf der ^Kugel
im allgemeinen zwei verschiedene Fixpunkte t', t" und läßt sieht dann
so schreiben:
/-o\ t*—t" i — t"1)
die Konstante ^ heißt der Multiplikator von T. Führt T das Innere
des Einheitskreises in sich über, so sind zwei Möglichkeiten vorhanden:
entweder Liegen x, x" beide auf dem Rande des Einheitskreises, und
^L ist dann positiv (hyperbolisclie Trausformation),
oder x', x" sind Spiegelbilder zueinander in bezug auf den Einheits-
kreis, und x' liegt im Innern desselben; dann ist | /x =1 (elliptisclie
1) Ist r"= cxj, so bedeutet das: — r^« >•
160 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Transformation). In der N.-E. Ebene ist T eine Drehung- um r', und
die durch die Gleichung ju- = e""^ bis auf ganzzahlige Vielfache von 2jt
bestimmte reelle Zahl cp ist der Drehwinkel von T.
Als Übergangsfall schiebt sich zwischen die hyperbolische und
elliptische Transformation die parabolische ein, welche nur einen Fix-
punkt %' besitzt. Führt sie das Innere des Einheitskreises in sich über,
so hat sie die Form
(54) ^ = th + V (-'1 = 1. ^■•eell).
Wir stützen unsern Beweis auf den folgenden Hilfssatz: Sind
t^^f^^ (m = 1, 2, 3, ...)
zwei Reihen von Punkten in der N.-E. Ebene, die gegen denselben Punkt
^o(l ^ol ^ 1) konvergieren; ist ferner T^ eine N.-E. Bewegung, welche t^
in #* überführt, und gibt es eine Umgebung von t^, die keinen Fixpunkt
einer der Bewegungen T„(w = 1, 2, 3, . . .) enthält, so konvergiert T„
gegen die Identität.
Sind t'^{\r^\^'^), \ ^^® beiden Fixpunkte von T^ (die auch zu-
sammenfallen können), so soll also eine positive Zahl l existieren, so daß
für alle n
l^o-<l» !^o-<l>Y
ist. Setze ich
1 1^^ - r^ \ = E^^,
so kann ich annehmen, daß für alle n
\K-U\, IC-^ol<2, also £„<Z
ist. Die Differenzen
\K-<X \K-<X \K-\X iC-<'l
sind dann alle vier > l. Ist T^ nicht parabolisch, so hat es die Form
Setze ich hierin t = t„, also t* = t* so kommt
C— J« . tu — ^» /-, , t*
/ ^ tu-<J \ ^ t,-</
Das ergibt die Abschätzung
Anstelle von (55) kann ich schreiben
(57) ^^^^ = K-\- ^n t-r]^ ^^n konstant);
denn diese Gestalt muß eine jede Lineare Substitution mit dem Fixpunkt
§ 21. Abbildungen einer Riemannschen Fläche auf sich. 161
T^ haben. Auch wenn die Transformation T^ parabolisch ist, kann ich
sie in die Form (57) setzen; es wird dann speziell /*„= 1 sein, also (56)
gleichfalls zutreffen. Wir gewinnen die Limesgleichung
lim/i^= 1.
Setzen wir in (57) wiederum t = t^, t* = t*, so finden wir
; _ tn — tt ^^n—^
" iin-<)itn-<>) <n-<'
Bringen wir endlich (57) in seine natürliche Form
yj + ö,'
so ergeben sich die Werte
a„ = 1 + A„t'^, /3„ = t'„{^„ — 1 — /1„<J,
die von den entsprechenden Koeffizienten der identischen Substitution
( ) um Aveniger abweichen als
Der Hilfssatz ist damit bewiesen.
Sei jetzt r* eine N.-E. Bewegungsgruppe ohne infinitesimale Trans-
formationen und T ein Punkt der N.-E. Ebene, der Fixpunkt einer zu f*
gehörigen Drehung ist. Mit S^ bezeichne ich die sämtlichen in f* ent-
haltenen Drehungen mit dem Fixpunkt r, die für sich eine Gruppe
bilden. Normiere ich die Drehwinkel tp der S^ durch die Bedingung
0 ^(f <C27t, so gibt es unter den S^ wegen des Fehlens infinitesimaler
Transformationen eine, S^, mit kleinstem Drehwinkel ^^ > 0. Der Dreh-
winkel eines jeden S^ist ein ganzzahliges Multiplum von ^0, da man sonst
durch geeignete Wahl einer ganzen Zahl k eine Transformation S^- (/S°)~*
mit kleinerem Drehwinkel als S^ erzeugen könnte; S'^ ist also in der
Gruppe der S^ eine „primitive" Transformation, aus der alle andern
durch Potenzieren erhalten werden. Bestimmt man eine ganze Zahl h
durch die Bedingung
hcpQ ^27t < (Ji + 1)9)0,
so bekommt (S^)''^^ sicher einen kleineren Drehwinkel (h + 1)(Pq — 2n
als Ä?, wenn nicht h(pQ= 2% ist. Es muß demnach (Po= -jt sein, und h
ist die Ordnung der endlichen zyklischen Gruppe (S^), die aus den Dre-
hungen
isy,(sy,(siy,...,{s;)''-i
besteht.
Weyl, Die Idee der Eiemannschen Fläche 11
162 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Die Fixpimkte der in f* vorkommenden Drehungen können sicli im
Endlichen nirgends häufen. Wäre nämlich t(|t < 1) ein solcher Häu-
fungspunkt und
S„ (Drehwinkel = ^j [n = i,?,3,...]
eine Folge primitiver Drehungen aus f*, deren Fixpuukte t„ alle ver-
schieden sind und gegen r konvergieren, so gibt es a priori zAvei Mög-
lichkeiten:
1. Die Ordnungen /?„ bleiben für alle n unter einer festen Grenze.
Dann finden sich unter den S^ unendlichviele, denen dieselbe Ord-
nung h zukommt; es seien das die Transformationen S[, S'^, S'^, • - •.
'^n^lr+i i^^ ^^^ unendlich große n infinitesimal. Dieser Fall ist also aus-
geschlossen.
2. Die Ordnungen h^ bleiben nicht unter einer festen Grenze. Dann
kann man aus den S^^ eine solche Folge S'^^ auswählen, daß die zu-
gehörigen Ordnungszahlen gegen oo und die Drehwinkel mithin gegen 0
konvergieren; das widerspricht gleichfalls dem Fehlen infinitesimaler
Operationen in f*.
Nachdem dies festgestellt ist, können wir nun auch zeigen, daß ein
System hinsichtlich f* äquivalenter Punkte im Endlichen keine Häufungs-
stelle besitzen kann. Wäre nämlich ^o(^o "< 1) GJ^renze einer Folge äqui-
valenter Punkte #„(« = 1, 2, 3, . . .):
lim t^^ = Iq ,
n = 00
so bedeute ;S^„ diejenige zu f* gehörige Bewegung, welche t^ in t^_^_^ über-
führt. Um t^ grenze ich eine Umgebung U^ ab, die, außer etwa in t^,
keinen Fixpunkt einer zu f* gehörigen Drehung enthält. Nach dem
Hilfssatz kann nur für endlichviele Indizes n der Fixpunkt r[^ von
^nil'^nl = ^) außerhalb Uq liegen; von einem gewissen n ab muß folg-
lich T^j = t^ sein, und es enthält keine Einschränkung, anzunehmen, daß
dies bereits von n = 1 ab gilt. Alle t^ gehen dann aus f^ durch solche
Drehungen um t^ hervor, die in der Gruppe f* enthalten sind; durch
solche Drehungen kann ich aber t^ nur in endlichviele verschiedene
Lagen bringen. Die Möglichkeit einer Verdichtungsstelle ist somit wider-
legt, und der Beweis des am Anfang (S. 159) ausgesprochenen Satzes ist
erbracht.
Nachdem wir dies vorausgeschickt haben, kommen wir nun zum
eigentlichen Gegenstand dieses Schlußparagraphen unserer Darstellung.
Es handelt sich um die Frage nach denjenigen umkehrbar eindeutigen kon-
formen Abbildungen, die eine Riemannsche Fläche ^ in sich selbst erleiden
kann. Diese Abbildungen bilden eine Gruppe, welche ofi'enbar für die
Theorie der Riemannschen Fläche % eine analoge Bedeutung besitzt w^ie
etwa die Gruppe der Bewegungen für die metrische Geometrie, und wir
§ 21. Abbildungen einer Riemannschen Fläche auf sich. 163
spreclien daher eine Tatsache von prinzipieller Wichtigkeit aus, wenn
Avir das folgende, im Avesentlichen von Klein herrührende Theorem for-
mulieren :
Die Gruppe der leonformen Abbildungen einer Riemannschen Fläche
auf sich seihst ist stets dislxontinuierlich , abgesehen von folgenden sieben
Ausnahmefällen: ^ = Vollkugel, einfach oder doppelt punktierte Kugel,
Kugelkalotte, punktierte Kugelkalotte (d. h. Kalotte ohne ihren Mittel-
punkt), Kugelzone (zwischen zwei Breitenkreisen)^), geschlossene Rie-
mannsche Fläche vom Geschlechte 1.
Beiveis^): ^ bedeute die universelle Überlagerungsfläche über ^, i die
Grenzkreis-Uniformisierende, die ^ konform auf das Innere des Einheits-
kreises abbildet, T die zur Riemannschen Fläche ^ gehörige N.-E. Be-
wegungsgruppe; die Fälle, in denen statt des Einheitskreises die ^Kugel
oder die unendliche ^- Ebene auftritt, können wir hier beiseite lassen, da
in ihnen unser Theorem ohnehin ungültig ist (Ausnahmefälle 1, 2, 3,
7). Es sei C eine konforme Abbildung von ^ auf sich selbst, die den
Punkt pQ in p^ überführe, p^ sei ein Punkt auf ^^ über p^, pQ ein Punkt
auf ^ über p^. Wegen des einfachen Zusammenhangs von ^ gibt es eine
einzige umkehrbar-eindeutige und -gebietsstetige Abbildung C von ^ auf
sich selbst, bei welcher
1. Po ^^ Po übergeht,
2. jeder Punkt p auf % in einen Punkt p C übergeht, dessen Spur-
punkt pC durch die Abbildung C aus dem Spurpunkt p von p entstand.
C ist gleichfalls konform und erscheint also in der ^-Ebene als eine
das Innere des Einheitskreises in sich überführende lineare Transformation
T, und zwar als eine Transformation, welche jedes System hinsichtlich f
äquivalenter Punkte in ein ebensolches Punktsystem überführt. Diese
letzte Eigenschaft drückt sich in der Gleichung aus
Av eiche besagt, daß T mit f vertauschbar ist, oder: daß für jede zu f ge-
hörige Substitution S die „Transformierte" TST~^ gleichfalls zu V gehört.
Es ist auch umgekehrt klar, daß jede mit V vertauschbare lineare Sub-
stitution T, die I / 1 < 1 in sich überführt, eine konforme Abbildung von
f5|- in sich liefert. Die sämtlichen mit V vertauschbaren Bewegungen der
N.-E. Ebene bilden ersichtlich eine Gruppe V^, die V als Teil enthält. Die
Diskontinuität dieser Gruppe V ist zu erweisen; es genügt dazu nach dem
1) Dies sind je nach der Breite der Zone unendlich viele wesentlich ver-
schiedene Riemannsche Flächen.
2) Dieser Beweis rührt von Poincare her: Acta Mathematica Bd. 7, 1885,
S. 16 — 19. Poincare faßt dort zwar nur geschlossene Riemannsche Flächen ins
Auge, aber sein Beweis bleibt wörtlich auch für offene Flächen gültig.
11*
164 Funktionen auf Riemannschen Flächen.
Satze zu Anfang- dieses Paragraphen, das Fehlen infinitesimaler Operati-
onen in r^ zu erkennen.
Sind S, T irgend zwei das Innere des Einheitskreises in sich über-
führende lineare Transformationen, so sind diejenigen beiden Punkte, die
T in die Fixpunkte von S wirft, die Fixpunkte der Transformation
Soll S' die gleichen Fixpunkte haben wie S, so muß also T entweder jeden
der beiden Fixpunkte von S in sich überführen [d. h. wenn S nicht para-
bolisch ist, dieselben Fixpunkte wie S besitzen, und wenn S parabolisch
ist, wenigstens einen mit dem Fixpunkt von S zusammenfallenden Fix-
punkt haben] oder T muß die beiden Fixpunkte <?', ö" der (nicht-para-
bolischen) Transformation S miteinander vertauschen, d. h. ö' in ö" und
6" in 6' überführen. Das letzte zu bewirken, ist, wie aus (54) hervor-
geht, ein parabolisches T außerstande, ein nicht -parabolisches T, (53),
kann es nur dann, wenn |it^ = 1, also |U. == — 1, d. h. wenn T eine elliptische
Transformation vom Drehwinkel % ist. Soll insbesondere S mit T ver-
tauschbar sein:
TS==ST, TST-'=^S,
so ist das demzufolge nur möglich, wenn
I. beide Transformationen S und T nicht parabolisch sind und die-
selben Fixpunkte besitzen, oder
IL beide Transformationen S und T parabolisch sind und den gleichen
Fixpunkt besitzen, oder
III. S und T elliptische Transformationen vom Drehwinkel jr sind,
oder
IV. eine der beiden Transformationen S, T die Identität ist.
Besteht f allein aus der Identität, so ist ^ dem Innern des Einheits-
kreises oder, was dasselbe ist, einer Kugelkalotte konform-äquivalent
[Ausnahmefall 4].
Ist 8 eine beliebige von der Identität verschiedene Substitution aus
r vmd nehmen wir im Gegensatz zu unserer Behauptung an, eine Folge
von Operationen ^„=H 1 aus V^ konvergiere gegen die Identität 1, so wäre
mit T^ST^-^ auch T^ST^-'^S''^ in T enthalten. Diese Operation kon-
vergiert aber ebenso wie T^ mit unbegrenzt wachsendem n gegen die Iden-
tität, und da f keine infinitesimalen Transformationen enthält, muß von
einem endlichen n ab
d. h. S mit T^j vertauschbar sein. Von den vorher aufgezählten vier Fällen,
in denen dies möglich ist, kommen hier, da S nicht elliptisch ist, nur die
Fälle I. und IL in Frage. Wenden wir das daraus sich ergebende Resul-
tat auf alle möglichen Operationen S =^ 1 der Gruppe f an, so erkennen
wir, daß uns nur zwei Möglichkeiten offen bleiben:
§ 21, Abbildungen einer Riemannschen Fläche auf sich. 165
I. Alle Operationen von T sind hyperbolisch und haben dieselben
beiden Fixpunkte, die man an die Stellen + i und — i verlegen kann;
n. Alle Operationen von f sind parabolisch und haben den gleichen
Fixpunkt, der an der Stelle i liegen möge.
Fall I.: Durch die Abbildung
, i — t
geht das Innere des Einheitskreises der ^-Ebene über in den Parallelstreifen
~ 9 < !/ < + 9 der s = (x -{- «y)-Ebene, und f in eine Gruppe von Schie-
bungen parallel zur a:-Achse, d. h. f bekommt die Form
2jr r<z eine positive Konstante:!
^''^ ^* = ^ + -T L-0,±l.±2,... J-
^- wird dann vermittels
umkehrbar eindeutig abgebildet auf den Kreisring
e ^ <\w\<e^- ,
den man schließlich durch stereographische Projektion in eine Kugelzone
verwandeln kann, deren Mittellinie der Äquator ist: Ausnahmefall 6.
Fall II.: Durch die Abbildung
^ = t'^'^i -^ (^ = ^ + iy)
geht das Innere des Einheitskreises der ^Ebene über in die obere Halb-
ebene y > 0 und V in eine Gruppe von Schiebungen parallel zur a;-Achse;
r bekommt also wieder die Form (58), und w = e"'* verwandelt ^ in
den punktierten Einheitskreis der it'-Ebene:
0 < I IV I < 1 : Ausnahmefall 5.
Damit ist das Haupttheorem vollständig bewiesen, und wir haben
zugleich Gelegenheit gefunden, die Verwendbarkeit der Normalform fj-
der Riemannschen Flächen an einem wichtigen Beispiel kennen zu lernen.
Daß in den sieben ausgeschlossenen Fällen wirklich eine kontinuierliche
Gruppe von konformen Abbildungen der Fläche in sich existiert, ist trivial.
Es ist auch leicht, diese Gruppen vollständig anzugeben.
Eine geschlossene Riemannsche Fläche vom Geschlechte p> 1 gestattet
nur endUchviele honforme Ahlnldungen in sich}) Denn ein System hinsicht-
lich dieser Gruppe äquivalenter Punkte darf auf der geschlossenen Fläche
keine Häufungsstelle aufweisen und kann daher nur aus endlichvielen
Punkten bestehen.
1) Für diesen, von H. A. Schwarz zuerst aufgestellten spezielleren Satz
existieren andere mehr algebraische Beweise, einer von Weierstraß (1875), der
erst 1895 (Werke Bd. II, S. 235—244) veröffentlicht wurde, einer von Noether
(Math. Ann. Bd. 20, S. 59— 62, und Bd. 21, S. 138— 140; 1882) und einer von
Hurwitz (Math. Ann. Bd. 41, S. 403—411; 1893).
Yerzeiclmis der Begriffsnamen.
[Die Zahlen geben die Seite an, auf welcher der betreffende Begriffsname
eingeführt wird.]
Abbildnug 19.
— , konforme 36.
Abelsche Funktion 13-2.
Abelsches Theorem 126, 136.
abgeschlossene Punktmenge 18.
Adaption eines Gitters an ein enthalte-
nes 73.
additive Funktion 117.
algebraisches Gebilde 138.
— er Funktionenkörper 138.
Analysis situs "20.
analytisches Differential 55.
analytische Fortsetzung, unmittelbare 2.
— — , mittelbare 2.
— — längs einer Kurve 2.
auf einer Riemannschen Fläche 43.
analytische Funktion im Weierstraß-
schen Sinn 4.
auf einer Riemannschen Fläche 36.
analytisches Gebilde 11.
analytische Kurve 39.
analytische Umgebung 9.
Bewegung der Nicht-Euklidischen Ebene
152.
Bild-Drehungssinn 60.
Bildkurve 19.
Bildmenge 19.
birationale Transformation 139.
Bolyai-Lobatschefskysche Geometrie 152.
C.
(einer Abelschen
Charakterensystem
Gruppe) 114.
D.
Darstellung eines Funktionselements 6.
Deckel 93.
Decktransformation 50.
(ein Punkt) deckt sich (mit einem an-
dern) 50.
Differential 55.
— , multiplikatives 129.
— , Prymsehes 129.
— , regulär-analytisches 55.
— , 1., 2., 3. Gattung 96, 97.
Dirichletsches Integral 86.
analytisch zusammenhängende Reihe von diskontinuierliche Gruppe 151.
Funktionselementen 11.
Äquivalenz im Sinne der Analysis situs
— im Sinne der konformen Abbildung
äquivalente Potenzreihenpaare 6.
— Punkte 27, 151.
automorphe Funktion 151.
B.
Divisor 120.
Drehung in der Nicht -Euklidischen
Ebene 153.
Drehungssinn, einheitlicher 61.
— , stetiger 61.
Dreieck 21.
Dreiecksstern 22.
E.
Basis der geschlossenen Wege 74.
— einer linearen Schar 68.
Begrenzung einer abgeschlossenen Menge
78.
beliebig feine Teilung 31.
(durch eine abgeschlossene Punktmenge) einfache Kette von Dreiecken 23
bestimmtes Gebiet 58. einfacher Streckenzug 44.
Ebene, Nicht-Euklidische 152.
— , projektive 25.
Ecke 22.
einblättrige Überlagerungsfläche 47.
Verzeichnis der BegriflFsnamen .
167
einfach zusammenhängend 47.
einheitlicher Drehungssinn 61.
einseitige Fläche 61.
Elementardifferentiale 1., 2., 3
100.
Elementardreieck 23.
Elementarstrecke 31, 43.
Ende (Kurve ohne Ende) 145.
Entfernung, Nicht-Euklidische 154
F.
Fixpunkt 150.
Fläche 23.
— , einfach zusammenhängende 47.
— , einseitige 61.
— , gelochte 93.
— , geschlossene 24.
-, offene 24.
— , Riemannsche 36.
— , schlichtartige 45.
— , zweiseitige 61.
Fortsetzung, analytische 2, 43.
Fundamentalbereich 154.
Funktion, Abelsche 132.
— , additive 117.
— , analytische 4, 36.
— auf einer zweidimensionalen Mannig-
faltigkeit 18.
— auf einer Riemannschen Fläche (im
engeren Sinne) 43.
— , automorphe 151.
Funktionenkörper, algebraischer 138.
— , hyperelliptischer 139.
Funktion, harmonische 38.
— , multiplikative 117.
— , Potential- 38.
— , regulär-analytische, auf einer Rie-
mannschen Fläche 36.
Funktionselement (im engeren Sinne) 1.
— (im weiteren Sinne) 6.
— , reguläres 8.
— , verzweigtes und unverzweigtes 9.
Funktion, stetig differentiierbare 39.
G.
Gebiet 18.
gebiets-stetig 19.
Gebilde, algebraisches 138.
— , analytisches 11.
gelochte Fläche 93.
Geometrie, Bolyai-Lobatschefskysche 152.
gerichtete Strecke 44.
Gesamtordnung eines Divisors 120.
Geschlecht 76.
geschlossene Fläche 24.
— r Streckenzug 44.
Gattung — s Polyeder 52.
getrennte Ufer 65.
Gitter 28, 72, 127.
Gleichung, irreduzible 137.
Grad einer linearen Schar 69.
Grenze eines Gebiets 58.
Grenzkreis-Uniformisierende 152.
Grundfläche 47.
Gruppe, diskontinuierliche 151.
Gültigkeit einer Darstellung 9.
H.
harmonische Funktion 38.
Häufungspunkt 18.
Hauptcharakter 129.
Hauptteil einer additiven Funktion 117.
— eines Differentials 100.
Homologie geschlossener Wege 71.
— von Integralfunktionen 68.
hyperbolische Transformation 154.
hyperelliptisch 139.
I.
Indikatrix 62.
— , kohärente 62.
induziert 16, 62.
infinitesimale Transformation 159.
Inhalt 78.
innerer Punkt 18.
innere Kante 52.
Integralcharaktere eines Divisors 125.
— eines Punktes 114.
Integral, Dirichletsches 80.
— , Poissonsches 83.
Integralfunktion 68.
— en, linear abhängige 68.
irreduzible Gleichung 137.
isolierter Punkt 18.
K.
kanonische Zerschneidung 76.
Kante 22.
— , innere, und Rand-Kante 52.
Kantenzug 44.
Kette von Dreiecken 23.
Klasse Riemannscher Flächen 153.
— von Uniformisierenden 148.
kohärente Indikatrizen 62.
konform-äquivalent 36.
konforme Abbildung 36.
168
Verzeichnis der Begriffsnamen.
Konvergenzkreis 1.
Koordinatenverhältnis 21.
Kreis 80.
kritischer Punkt 4.
Kurve 18
— , analytische 39.
— ohne Ende 145.
— , stetig differentiierbare 39.
Kurvenfunktion 68.
— , lineare 68.
L.
(ein Punkt) liegt über (einem andern) 47.
Limes 100.
linear abhängige Integralfunktionen 68.
lineare Kurvenfunktion 68.
links 76.
Lobatschefskysche Geometrie 152.
Loch 93.
Mannigfaltigkeit, zweidimensionale 17.
Mittelpunkt eines Funktionselements 1.
Möbiussches Band 26.
Modul Riemannscher Flächen 41.
multiplikatives Differential 129.
multiplikative Funktion 117.
Multiplikator einer Transformation 159.
Multiplum eines Divisors 120.
N.
Nicht-Euklidische Bewegung 152.
— Ebene 152.
— Entfernung 154.
Normaldarstellung eines Funktionsele-
ments 8.
Normalform einer Riemannschen Fläche
151.
Normalpolygon 155.
Nullstelle eines Differentials 55.
— einer Funktion 38.
0.
offene Fläche 24.
— 8 Polyeder 52.
Ordnung der Nullstelle eines Differentials
55.
— — — einer Funktion 38.
— des Pols eines Differentials 55.
— einer Funktion 38.
— eines Differentials in einem Punkte 55.
— einer Funktion in einem Punkte 38.
— einer Gruppe 161.
Ordnung eines Punktes in bezug auf eine
Kurve 56.
— (Gesamtordnung) eines Divisors 120.
— , Verzweigungs- 9.
Ortsuniformisierende 36.
P.
parabolische Transformation 160.
Perioden einer Integralfunktion 77.
Poincaresche 0-Reihen 158.
Pol eines Differentials 55.
— einer Funktion 38.
Polyeder 52.
— , geschlossenes und offenes 52.
Polygon 44.
(Normal-)Polygon 155.
Potentialfunktion 38.
projektive Ebene 25.
Prymsches Differential 129.
Punkt einer zweidimensionalen Mannig-
faltigkeit 17.
Punktgitter 28, 72, 127.
Punkt, innerer 18.
— , isolierter 18.
— , kritischer 4.
Q.
Querschnitt 52.
Randkante eines offenen Polyeders 52.
rechts 76.
regulär-analytisches Differential 55.
— — e Funktion auf einer Riemann-
schen Fläche 36.
reguläres Funktionselement 8.
— e Überlagerungsüäche 50.
Residuum 56.
Riemannsche Fläche 36.
Riemann-Rochscher Satz 122.
— — , verallgemeinerter 130.
Rückkehrschnittpaar 75.
S.
Schema einer Fläche 29.
schlichtartige Fläche 45.
singulare Stelle einer Funktion 38.
Sprung einer Integralfunktion 77.
Spurpunkt 47.
stetige Abbildung 19.
— er Drehungssinn 61.
— e Funktion 18.
stetig differentiierbare Funktion 39.
Kurve 39.
Verzeichnis der Begriffsnamen.
169
Stern 22.
Strecke, gerichtete 44.
Streckenzug 44.
— , einfacher 44.
— , geschlossener 44.
Symbol eines Differentials 120, 129.
— einer Funktion 119.
System äquivalenter Punkte 27, 151.
Teildreieck 31.
0-Reihen 158.
Topologie 20.
Torua 27.
Transformation, birationale 139.
— , elliptische 160.
— , hyperbolische 159.
— , infinitesimale 159.
— , parabolische 160.
Triangulation 22.
f- Umgebung 10.
^- I
Überlagemngsfläche 47.
— der Integralfunktionen 74.
— , einblättrige 47.
— , reguläre 50.
— , unbegrenzte 47.
— , universelle 50.
— , unverzweigte 47.
(ein Streckenzug) überschneidet sich nicht
44.
Ufer 45.
— , getrennte 65.
Umgebung, analytische 9.
— auf einer Fläche 17.
Umkehrproblem 128.
unbegrenzte Überlagerungsfläche 47.
Uniformisierende 141.
(Grenzkreis-)Uniformisierende 152.
(Orts-)Uniformisierende 36.
(zu @ gehörige) Uniformisierende 81.
Uniformisierungsprinzip 148.
universelle Überlagerungsfläche 50.
unmittelbare analytische Fortsetzung
Unterteilung 31.
unverzweigtes Funktionselement 9.
— e Überlagemngsfläche 47.
T.
Variable, uniformisierende 141.
Verdichtungsstelle 18.
Verschlußring 93.
verzweigtes Funktionselement 9.
Verzweigungsordnung 9.
Verzweigungspunkt 32.
Verzweigungszahl 135.
W.
Wert einer analytischen Funktion 5.
Funktion auf einer Fläche 18.
— — Kurvenfunktion 68.
wesentlich singulare Stelle 38.
Winkel 39.
(vacant.
X. 1.
Z.
Zerlegung in Elementardreiecke 23.
— eines Gebiets durch eine Menge 44.
Zerschneidung, kanonische 76.
(analytisch) zusammenhängende Reihe
von Funktionselementen 11.
(einfach) zusammenhängende Fläche 47.
Zusammenhangsgrad 69.
zweidimensionale Mannigfaltigkeit 17.
zweiseitige Fläche 61.
Zvkel von Ecken 156.
Berichtigungen und Zusätze.
Seite 49, Zeile 16 lies „U, po"' statt „U, p,/'.
Seite 58, Zeile 25 bis Seite 60, Zeile 23: Dieser Beweis läßt sich durch folgen-
den kürzeren ersetzen: Wendet man das unter 1. Bewiesene auf diejenige
Kurve c in @ an, deren Bild in ©' ein Kreis c um 0' ist, so ergibt sich
die Gleichung
1 = «1 • W(, ,
in der «j die Ordnung von 0 in bezug auf c bedeutet; aus ihr folgt ohne
weiteres n^, = + 1-
Seite 81, Zeile 19 lies: x/, statt x'.
Seite 82, Zeile 2 v. u. lies: „eine reelle stetige Funktion" statt: „eine stetige
Funktion".
Seite 114, Zeile 18 lies: „dimensionale" statt: „dimensonale".
Verlag von B. G.Teubner in Leipzig und Berlin
Mathematische Vorlesungen
an der Universität Göttingen.
gr-
8. In Leinwand gebunden. — Bisher sind erschienen;
Band I: Vorträge über den mathematischen Unterricht an
höheren Schulen von f. Kleln. Ten I: von der Organisation des mathematischen
Unterrichts. Bearbeitet von R. Seh im mack. Mit 8 Figuren, gr. 8. 1907. JC ö.—
„Interessant ist es, wie Klein die Lehrstätten gliedert. . . . Alle wichtigen Fragen: der Lehrstoff
und das Lehrziel, die Lehrbücher und die Lehrmethode, die geschichtliche Entwickelung des
mathematischen Unterrichts, die Bedeutung der Mathematik innerhalb des jetzigen Kulturlebens,
die Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrpläne von 1901, die Keformvorschläge, der Funktions-
begriff und die Erziehung zum funktionalen Denken werden in klarer, ruhiger, man möchte fast
sagen klassischer Weise behandelt (Mitteil. d. Gesellschaft f. deutsche Erziehungs- u. Schulgeschichte.)
Band II: Dlophantischc ApproxImationcn. Eine Einführung in
die Zahlentheorie. Aonweii.H.iviinicowski. Mit 82 Fig. gr. 8. 1907. jc^.—
Die kleine Vorlesung, die unter dem Titel „Diojjhantiscbe Approximationen"
erscheint, bezweckt eine Metamorphose im Lehrgang der Zahlentheorie. Sie gliedert
sich in 6 Abschnitte: 1. Anwendungen eines elementaren Prinzips. 2. Vom Zahlen-
gitter in der Ebene. 3. Vom Zahlengitter im Räume. 4. Zur Theorie der algebraischen
Zahlen. 5. Zur Theorie der Ideale. 6. Approximationen im imaginären Körper.
Band III: MagnetO- und ElektrOOptik von Woldemar Volgt. Mit 75 Fi-
guren, gr. 8. 1908. JC 14.—
Eine zusammenfassende Darstellung aller Erscheinungen, die durch die Ein-
wirkung eines magnetischen oder elektrischen Feldes auf eine Lichtquelle oder
auf einen das Licht fortpflanzenden Körper hervorgerufen werden und die Ab-
leitung ihrer Gesetze aus der Elektronentheorie, deren Grundlagen gegeben
werden. Den größten Raum nehmen gemäß ihrer Tragweite der Zeeman-Eifekt
und dessen Begleiterscheinungen ein, zu deren Veranschaulichung Originalauf-
nahmen von Zeeman, Becquerel, Lohmann u. a. verwendet werden konnten,
doch finden auch die Faraday- und Kerr-EfFekte ausführliche Behandlung.
Band IV: Scchs VorträgB über ausgewählte Gegenstände aus der
reinen Mathematik und mathematischen Physik, von Henri Poincare.
Mit 6 Figuren, gr. 8. 1910. Geh. JC 1.80, geb. Jl 2.40
Inhalt: 1. Über die Fredholmschen Gleichungen. 2. Anwendung der Theorie
der Integralgleichungen auf die Flutbewegung des Meeres. 3. Anwendung der
Integralgleichungen auf Hertzsche Wellen. 4. Über die Reduktion der Abelschen
Integrale und die Theorie der Fuchsschen Funktionen. 5. über transfinite Zahlen.
6. La mecanique nouvelle.
„Da Poinoar6 mit seinem umfassenden und tiefen "Wissen die Gabe vereinigt, schwierige Dinge ohne
Beeinträchtigung der Strenge in allgemein verständlicher Weise darzustellen, dürfen die Vorträge
auf eine starke Verbreitung rechnen ; der Mathematiker sowohl wie der Physiker werden wertvolle
Anregungen aus dieser Schrift schöpfen, für die im besten Sinne das Wort gilt: ,Wer vieles bringt,
wird manchem etwas bringen'." (Naturwissenschaftliche Wochenschrift.)
In Vorbereitung befinden sich:
Runge, C, über graphische Methoden in
der Analysis.
Schwarzschild, K., Astrophysik.
Toeplitz, 0,, Einführung in die Theorie
der Integralgleichungen. 2 Bände.
Wiechert, E., Konstitution fies Erdinnern.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Elemente der Theorie der Funktionen einer komplexen ver-
änderlichen Größe. Von Dr. H. Durege, weil. Professor an der Universität
Prag. In 5. Auflage neubearbeitet von Dr. Ludwig Maurer, Professor an der
Universität Tübingen. Mit 41 Textfiguren. [Xu. 397 S.] gr. 8. 1906. Geh.
Jt 9. — , in Leinwand geb. JC 10. —
Die vorliegende Auflage des zuletzt 1893 erschienenen und seitdem in seiner
Anlage veralteten Duregeschen Buches gibt eine durchgreifende Neubearbeitung
des Stoffes. Dabei ist aber an der ursprünglichen Tendenz des Buches, die
ihm eine so weite Verbreitung verschafft hat, festgehalten: auch in seiner neuen
Gestalt verfolgt das Buch den Zweck, den Leser in die Riemannsche An-
schauungsweise einzuführen, und es setzt an Vorkenntnissen nicht mehr voraus,
als in den üblichen Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung ge-
geben zu werden pflegt.
Vorangestellt ist ein einleitender Abschnitt, der die notwendigsten Begriffs-
bestimmungen aus der Theorie der reellen Veränderlichen und Funktionen ent-
hält, und im übrigen ist als Abschluß die von Durege behandelte Theorie der
Integrale der algebraischen Funktionen fallen gelassen, wofür aber die augen-
blicklich stark im Vordergrunde des Interesses stehende Theorie der linearen
Differentialgleichungen in ihren Hauptzügen behandelt wird.
Theorie der elliptischen Funktionen, von Dr. h. Durege, wen Pro-
fessor an der Universität Prag. In 5. Auflage bearbeitet von Ludwig IVIaurer.
Mit 36 Figuren. [VIIIu.436S.] gr. 8. 1908. Geh.^/^ 10.— , in Leinw. geb.<./m . —
Wie Dureges Funktionentheorie ist auch seine Theorie der elliptischen Funk-
tionen vollständig neu bearbeitet. Der Verfasser geht nicht, wie dies in den
meisten Lehrbüchern über den Gegenstand geschieht, von den einwertigen
doppelt periodischen Funktionen, sondern von den elliptischen Integralen aus.
Die Darstellung der rationalen Funktionen der Größen .r und s = ]/4ä;^ — g^ x — g^
mittels der Integrale dritter Gattung führt dann geradewegs zu den a- und
©■-Funktionen.
Die Bedeutung, die die Theorie der Teilung und Transformation und die Theorie
der Modulfunktionen für die Entwicklung der neueren Mathematik gewonnen
haben, ließen es dem Verfasser als notwendig erscheinen, wenigstens auf die
Fundamentalsätze dieser Theorien ausführlich einzugehen.
Lehrbuch der Funktionentheorie von Dr. w. f. Osgood, ord. Professor
der Mathematik an der Harvard-Universität Cambridge, Mass. (V. St. A.) Erster
Band. 2. Aufl. Mit 158 Figuren. [XIIu.766S.] gr. 8. 19^2. InLeinw.geb. .^ 18.—
Das Buch gibt eine systematische Entwicklung der komplexen Funktionentheorie
auf Grundlage der Infinitesimalrechnung und in engster Fühlung mit der Geo-
metrie und der mathematischen Physik. Nachdem die grundlegenden Sätze
und Beweismethoden der reellen Funktionentheorie unter Berücksichtigung
der Mengenlehre auseinandergesetzt sind, wird die Cauchysche Theorie ent^
wickelt, wobei auch die Weierstraßschen Reihensätze sowie gewisse Sätze von
Riemann ihren Platz finden. Hierauf werden die Riemannschen Flächen nebst
der konformen Abbildung im großen besprochen, woran sich dann die Theorie
der analytischen P'ortsetzung schließt. Anwendungen auf die periodischen Funk-
tionen nebst den Reihen und Produktenentwicklungen von Weierstraß, Mittag-
Leffler und Runge folgen, und der Band schließt mit einer einheitlichen und
independenten Darlegung der Theorie des logarithmischen Potentials. Außer
den zahlreichen Ergänzungen nebst Vereinfachung der Behandlung weist die
zweite Auflage namentlich auf dem Gebiete der Uniformisierung algebraischer
sowie allgemeiner analytischer Funktionen vermöge automorpher Funktionen
mit Hauptkreis wesentlich neues Material auf.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Vorlesungen über dieTheorie der elliptischen Modulfunktionen.
Von Geh. Reg.-Rat Dr. F. Klein, Professor an der Universität Göttingen. Aus-
gearbeitet und verTollständigt von Dr. Robert Fricke, Prof. a. d. Techn. Hoch-
schule Braunschweig. 2 Bände. Mit Figuren, gr. 8. Geh, je M 24. —
Einzeln: I. Band. Grundlegung der Theorie. [XXu. 764S.] 1890.
IL — Fortbildung und Anwendung der Theorie. [XVu. 712S.] 1892.
Eine ausführliche Bearbeitung des ersten wichtigen Spezialfalls der transzendenten
automorphen Funktionen. Die Theorie der elliptischen Modulfunktionen, wie sie
hier entwickelt wird, ist je länger je mehr ein notwendiger Bestandteil jeder
modernen Funktionentheorie geworden. Indem sie zahlreiche Beziehungen, die
in der klassischen Theorie der elliptischen Funktionen mehr überraschend auf-
treten, auf ihren einfachsten Grund zurückführt, erweitert sie zugleich deren
Bereich und eröffnet damit der genannten Theorie neue Entwicklungsmöglichkeiten.
Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funktionen.
Von Dr. Robert Fricke, Professor an der Technischen Hochschule in Braunschweig
und Geh. Reg.-Eat Dr. Felix Klein, Professor an der Universität Göttingen.
I. Band: Die gruppentheoretischen Grundlagen. Mit 192 Figuren. [XIV u. 634 S.]
gr. 8. Geh. Ji 22.—
IL Band: Die funktionentheoretischen Ausführungen und Ihre Anwendungen. Mit
114 Figuren. [VII u. 663 S.j gr. 8. Geh. JC 28.—
Die „Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funktionen" schließen
sich an die von denselben Verfassern herausgegebenen „Vorlesungen über die
Theorie der elliptischen Modulfunktionen" an und wollen nach den in diesem
letzteren Werke befolgten Prinzipien eine umfassende Darstellung der Theorie
der eindeutigen automorphen Funktionen geben. Das Buch ist bestrebt, auch der
historischen Seite der vorgetragenen Theorien nachzugehen und auf die ursprüng-
lichen Keime und Anfänge der einzelnen Gedankenentwickelungen hinzuweisen.
Theorie der algebraischen Funktionen einer Variabein und
ihre Anwendung auf algebraische Kurven und Abelsche In-
tegrale. Von Dr. Kurt Hensel, Professor an der Universität Marburg a. L,, und
Dr. Georg Landsberg, Professor an der Universität Kiel. Mit vielen Figuren im
Text. [XVI u. 708 S.] gr. 8. 1902. In Leinwand geb. ,K. 28.—
Das Buch gibt im Sinne der Arbeiten von Weierstraß, Kronecker, Dedekind,
H. Weber eine umfassende Behandlung der Theorie der algebraischen Funk-
tionen einer Variabein auf wesentlich arithmetischer Basis mit Anwendung auf
die Abelschen Integrale und algebraischen Kurven. Dabei haben sich die Ver-
fasser bemüht, die ganze Theorie und alle aus ihr abzuleitenden Folgerungen
ohne jede sogenannte vereinfachende Voraussetzung zu begründen und nur
solche Methoden und Definitionen zu benutzen, welche auf jeden vorgelegten,
noch so speziellen Fall anwendbar bleiben, und zwar so, daß die verlangten
Rechnungen stets wirklich ausgeführt werden können.
Autographierte Vorlesungshefte: Riemannsche Flächen, von
Geh. Reg.-Rat Dr. F. Klein, Professor an der Universität Göttingen. Neuer un-
veränderter Abdruck 1907. Heft 1, 254 Seiten (W.-S. 1891/92); Heft 2, 262 Seiten
(S.-S. 1892), zusammen M 12.—
Eine ausführliche Darlegung der Riemannschen Grundgedanken in entwickelter
geometrischer Form, mit Anwendung auf die Theorie der algebraischen Kurven,
insbesondere der reellen algebraischen Kurven.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Über Riemanns Theorie der algebraischen Funktionen und
Ihre Integrale. Eine Ergänzung der gewöhnlichen Darstellung. Mit Figuren.
Von Geh. Reg. -Rat Dr. F. Klein, Professor an der Universität Göttingen. [YIII u.
82 S.] gr. 8. 1882. Geh. J^ 2.40.
Abriß einer Theorie der algebraischen Funktionen einer Ver-
änderlichen in neuer Fassung. Yen Or Hermann von Stahl, Professor an
der Universität Tübingen. Nachgelassene Schrift. In Verbindung mit Dr.
E. Löffler herausg. von M. Noether. [IV u 103 S.] gr. 8. 1911. Geh. JC 5.—
Das Buch, das als ein Vermächtnis Hermann Stahls erscheint, eröffnet einige neue
Gesichtspunkte für das Studium der algebraischen Funktionen und kann —
nach den einleitenden Worten des Verfassers — als ein gemeinsamer Unterbau
für die verschiedenen bisher entwickelten Theorien der algebraischen Funk-
tionen einer Veränderlichen betrachtet werden. Obwohl es nämlich, nach dem
Vorgange von Christoffel und Fields, von der additiven Zusammensetzung
der Funktionen aus algebraischen Partialbrüchen ausgeht, führt es doch zu-
gleich in die übrigen Theorien — von Riemann, von Weierstraß, vonßrill-
Noether, von Dedekind-Weber und Hensel-Landsberg — ein.
Theorie der Abelschen Funktionen, von Dr. Hermann von stahi,
Prof. a. d. Universität Tübingen. Mit Fig. [Xu. 354 S.] gr. 8. 1896. Geh. Jri2.—
Das vorliegende Werk soll im großen und ganzen eine Darstellung von Rie-
manns Theorie der Abelschen Funktionen geben mit Einfügung dessen, was
durch neuez-e Forschungen zu dieser Theorie hinzugekommen ist. Der erste
Teil behandelt in vier Abschnitten die algebraische Grundgleichung, die ratio-
nalen Funktionen, die Abelschen Integrale und die eindeutige Transformation,
der zweite Teil in vier weiteren Abschnitten die Thetafunktion, die Lösung des
Umkehrproblems, allgemeine Darstellungen durch die Thetafunktion und die
lineare Transformation der Thetafunktiouen.
Lehrbuch der ThetafunktiOnen. von Geh. Hofrat Dr A. Krazer, Pro-
fessor an der Technischen Hochschule zu Karlsruhe. Mit 10 Figuren. [XXIV
u. 512 S.] gr. 8. 1903. In Leinwand geb. JC 24.—
Das vorliegende Buch enthält die wichtigsten Sätze und Formeln aus der Theorie
der Thetafunktiouen einheitlich zusammengefaßt und so vollständig, als es ohne
Überschreitung eines mäßigen Umfangs möglich schien, um auf diese Weise
einerseits dem Leser einen Überblick über den gegenwärtigen Stand dieser
Theorie zu verschaffen, andererseits aber demjenigen, dessen Arbeiten das Gebiet
der Thetafunktionen berühren, die ihm nötigen sachlichen und literarischen
Hilfsmittel an die Hand zu geben.
Vorlesungen über ausgewählte Gegenstände der Geometrie.
Von Dr. Eduard Study, Professor an der Universität Bonn. In Heften.
I. Heft: Ebene analytische Kurven und zu ihnen gehörige Abbildungen. Mit
9 Figuren. [IV u. 126 S.] gr. 8. 1911. Geh. JC. 4.80.
IL Heft: Konforme Abbildung einfach zusammenhängender Bereiche. Heraus-
gegeben unter Mitwirkung von Dr. W. B 1 a s c h k e , Professor an der Technischen
Hochschule in Prag. Mit 43 Figuren. [VI u. 142 S.] gr. 8. 1913. Geh. ./<( 5.60.
Das erste Heft bringt einen Ausschnitt aus einem Gedankenkreis, der etwa als
Geometrie im komplexen Gebiet bezeichnet werden kann. Das zweite
Heft, das für sich ein Ganzes bildet und vom ersten unabhängig ist, handelt von
der konformen Abbildung einfach zusammenhängender Bereiche, besonders kon-
vexer Bereiche; es wird diese Theorie in Verbindung gebracht mit der Theorie der
sogenannten monotonen Funktionen einer reellen Veränderlichen.
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